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"Das ärgert mich"

Vergangene Woche warnte eine Studie vor den Folgen schrumpfender Hochschulstandorte – vor allem im Osten. Jetzt reagiert Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange auf die Empfehlungen der Forscher.

Drohen an vielen Hochschulstandorten leere Hörsäle? Foto: Michael Jarmoluk / Pixabay - cco.

Frau Stange, der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat eine Studie mit Ergebnissen vorlegt, die viele überrascht haben: Während Deutschlands Hochschulen regelmäßig Rekordzahlen bei den Studierenden verkünden, gibt es Dutzende Standorte bundesweit, die schrumpfen.

 

Da geht es doch schon los. Ich frage mich, wie man von der Nachricht, dass es Regionen mit sinkenden Studierendenzahlen gibt, überrascht sein kann. Hier drückt sich etwas aus, das mir immer wieder auffällt: Viele im Westen haben nie wirklich realisiert, mit welchen demographischen Verwerfungen wir im Osten nach der Wende umgehen mussten.

 

Finanziert hat die Studie das Bundesbildungsministerium. Unter den untersuchten 263 Hochschulstandorten bundesweit befinden sich 41, die 2017 mindestens fünf Prozent weniger Studierende mit deutschem Pass immatrikuliert hatten als 2012. Viele kleine und mittelgroße Fachhochschulen sind darunter, aber auch zwölf größere Universitäten. Acht dieser 41 Standorte befinden sich in Sachsen – das damit in der Liste der schrumpfenden Hochschulen auf Platz eins liegt.

 

Das stimmt ja auch alles, aber erstens sind die Fakten nicht neu, und zweitens decken die Autoren nicht wirklich die Gründe für den Rückgang auf. Was dazu führt, dass sie drittens Schlussfolgerungen ziehen, die mich – gelinde gesagt – stören. Zu den Gründen: Wir haben in den ostdeutschen Bundesländern zwischen 1990 und 2009 einen Einbruch der Abiturientenzahlen um nahezu 50 Prozent erlebt, seitdem geht es wieder aufwärts. In absoluten Zahlen verzeichnete Sachsen 2009 noch 9000 Abiturienten, hatte aber im selben Jahr 20.000 Studienanfänger. Heute haben wir im Jahr etwa 14.000 junge Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung, doch unsere Hochschulen kommen trotzdem auf 19.500 Neuimmatrikulationen. Also ganz ehrlich, ich muss mir nicht von den Studienautoren sagen lassen, dass unsere Hochschulen zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, um den demografischen Wandel aufzufangen.

 

Weil Sie es längst tun?

 

Weil wir es seit 2007 tun. Damals lief unsere sächsische Kampagne "Pack Dein Studium. Am besten in Sachsen" an, in deren Folge wir den Anteil westdeutscher Studierender an den Hochschulen in Sachsen von sieben auf über 20 Prozent steigern konnten. Wir mussten die Sichtbarkeit unserer ostdeutschen Hochschulen im Westen erhöhen, und das ist uns gelungen. Auch weil der Bund uns über den Hochschulpakt bei dem Erhalt von Studienplätzen geholfen hat, die wir aufgrund unserer eigenen Demografie gar nicht mehr gebraucht hätten.

 

Die Studienautoren empfehlen, künftig verstärkt internationale Studierende anzuwerben, und loben, dass über die Hälfte der schrumpfenden Standorte dies bereits sehr aktiv tue, zum Beispiel indem sie Studieninteressierte in Sprachschulen, in ausländischen Partnerschulen und -hochschulen oder im Internet gezielt ansprächen.

 

Auch auf diese Empfehlung habe ich eine Zahl als Antwort. Inzwischen liegt die Quote der internationalen Studierenden allein an Sachsens Hochschulen bei 23 Prozent, das ist weit mehr als der Bundesschnitt von 20 Prozent. Wir nehmen also derlei Hinweise gern zur Kenntnis, nehmen aber für uns in Anspruch, die Potenziale bereits weitgehend ausgeschöpft zu haben.  


Eva-Maria Stange, Jahrgang 1957, ist SPD-Politikerin und seit 2014 Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst in Sachsen. Sie ist Lehrerin für Mathematik und Physik und promovierte zur Methodik des Physikunterrichts. Von 1997 bis 2005 war sie Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und von 2006 bis 2009 bereits einmal Wissenschaftsministerin. Foto: Martin Förster/SMWK.



Sie wirken fast empört über die Studie. Warum eigentlich? Fühlen Sie sich als Bundesland nicht genügend gewürdigt?

 

Ja, es ärgert mich, dass die Anstrengungen unserer Hochschulen nicht gesehen werden. Wir haben zwischen 1990 und 2010 reihenweise Schulstandorte im Osten schließen müssen, in Sachsen haben wir die Zahl der Schulen fast halbiert, erst seit 2010 fangen wir in Großstädten wie Leipzig und Dresden vorsichtig an, neue Schulen zu öffnen. Es wäre doch absurd zu denken, dass ein historisch einmaliger Einbruch bei den Geburtenzahlen und die jahrzehntelange Abwanderung in den Westen spurlos an den Hochschulen vorbeigehen könnten.

 

Immerhin sagen die Studienautoren, die Hochschulen im Westen, die in den nächsten Jahren mit einer Schrumpfung zu rechnen haben, könnten viel von den ostdeutschen Erfahrungen und Maßnahmen lernen.

 

Und da haben Sie mal Recht. Denn trotz des demografischen Wandels haben wir die Zahl der Studierenden bei rund 105.000 nahezu stabil halten können. Das ist aus meiner Sicht eine herausragende Leistung der neuen Bundesländer.

 

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sie es bisher vergleichsweise leicht hatten. In den alten Bundesländern drängten ein Jahrzehnt lang extrem geburtenstarke Jahrgänge an die Hochschulen, und die Verkürzung des Gymnasiums um ein Jahr produzierte doppelte Jahrgänge. Mit beidem ist es jetzt vorbei.

 

Das stimmt, die Ausgangslage wird jetzt noch schwieriger, zumal noch ein Aspekt hinzukommt, den Sie nicht erwähnt haben: Noch in den 2000er Jahren haben wir unseren jungen Leuten Geld in die Hand gedrückt, damit sie sich im Westen einen Ausbildungsplatz suchen konnten. Das hat sich komplett gedreht. Jetzt haben die Betriebe in Sachsen ebenfalls aufgrund des demografischen Wandels ein Riesen-Fachkräfteproblem und werben mit allen möglichen Anreizen und Verlockungen um die Schulabgänger. Und im Osten hat eine Berufsausbildung noch einen großen ideellen Wert.

 

Was befürchten Sie für die nächsten Jahre?

 

Wir spüren den Wandel schon jetzt, allerdings nur im geringem Umfang. Seit 2016 sind unsere Anfängerzahlen um gerade mal 0,4 Prozent zurückgegangen. Aber sicherlich wären wir blauäugig, wenn wir nicht mit weiteren Auswirkungen auf unsere Hochschulstandorte rechnen würden. Aber auch das haben wir ohne Studie längst getan. In der langfristigen Entwicklungsplanung für unsere Hochschulen gegen wir bis 2025 von nur noch 95.000 Studierenden aus, also von einem Rückgang in einem Umfang, den unsere Hochschulen ohne Weiteres verkraften können.

 

Kommen wir damit zum Kern? Erklärt sich Ihre angefasste Reaktion auf die Studie dadurch, dass Sie fürchten, die Finanzpolitiker könnten die Zahlen zum Anlass nehmen, Ihrem Ministerium das Budget zu kürzen?

 

Ach was, wir haben bereits 2016 die entsprechende Hochschul-Vereinbarung mit der Landesregierung abgeschlossen, und die sieht vor, dass die Budgets der Hochschulen trotz mittelfristig 10.000 Studierenden weniger jedes Jahr um zwei Prozent steigen werden. Unser Ziel ist, die Betreuungsrelationen zu verbessern, das ist Konsens in der Staatsregierung, deshalb mache ich mir da keine Sorge. Was mich sorgt, sind völlig unangemessen Negativ-Botschaften in den Medien nach dem Motto, wir hätten es mit einem gravierenden Einbruch an unseren Hochschulen zu tun. Als drohe hier der Zusammenbruch. Das stimmt einfach nicht.

 

Schön, wenn Sie, was die künftige Hochschulfinanzierung angeht, im eigenen Bundesland einen Konsens haben. Aber derzeit laufen ja auch die Verhandlungen um das Nachfolge-Programms des sogenannten Hochschulpakts, über den Bund und Länder zwischen 2007 und 2020 38 Milliarden Euro zusätzlich in die Hochschulen gegeben haben. Auch deshalb kann Ihnen die aktuelle Studie nicht wirklich gefallen, denn Sie müssen rechtfertigen, dass die ostdeutschen Hochschulen auch künftig Geld vom Bund bekommen – und noch dazu ein Sonderopfer der westdeutschen Flächenländer zu ihren Gunsten.

 

Ich kann auch nicht sehen, dass die Studie unsere Verhandlungsposition schwächt, schließlich liegen immerhin 13 der 41 genannten Standorte in den westlichen Bundesländern. Noch entscheidender ist allerdings, dass Bund und Länder für den neuen Hochschulpakt ohnehin eine andere Logik vereinbaren wollen: weg vom Ausbau der Studienkapazitäten hin zu spürbaren Qualitätsverbesserungen für die Studierenden. Und die werden wir liefern.

 

Die WELT hat nach der Studie getitelt: "Bloß nicht in den Osten".

 

So ein Unsinn.

 

Kommt in so einer Schlagzeile eines ansonsten abgewogenen Kommentars indirekt das angekratzte Image zum Ausdruck, das die ostdeutschen Hochschulen nach einer Serie fremdenfeindlicher Übergriffe haben?

 

Keine Frage, an der Stelle haben wir in Sachsen echt ein Problem. Übrigens nicht erst seit kurzem. Im Vorfeld von "Pack Dein Studium. Am besten in Sachsen" gab es 2007 eine Umfrage unter westdeutschen Studienanfängern, und schon damals tauchte das Vorurteil auf, der Rechtsradikalismus sei vor allem ein ostdeutsches Phänomen. Was zu der Zeit an einer Serie von NPD-Wahlerfolgen lag. Als es dann 2015 zu den Montagsdemonstrationen in Dresden und den furchtbaren ausländerfeindlichen Übergriffen kam, hatten wir erstaunliche Effekte zu verzeichnen. Es kamen zwar weniger internationalen Wissenschaftler, und wir mussten die internationalen Studierenden, die schon hier waren, beruhigen. Aber die internationalen Studienanfänger strömten wie eh und je. Wirklich sinkende Zahlen hatten wir dafür bei den westdeutschen Erstsemestern – und zwar, wie wir hörten, genau mit dieser Begründung: Offenbar haben besorgte Eltern ihren Kindern gesagt, sie sollten jetzt bloß nicht in Dresden oder Chemnitz studieren.

 

Was können die Hochschulen dagegen tun?

 

Leider nicht allzu viel. Sie bemühen sich mit allen Mitteln, Internationalität auszustrahlen und Offenheit zu leben. Doch hilft ihre wissenschaftliche Attraktivität nur wenig, wenn der Standort insgesamt einen Imageschaden erlitten hat. Zum Glück sind die Montagsdemonstrationen kaum noch ein Thema und die ausländerfeindlichen Aktivitäten geringer geworden. Aber Wahrnehmungen und Vorurteile wandeln sich nur sehr langsam.

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Kommentare: 1
  • #1

    Alexander Stahr (Donnerstag, 28 März 2019 09:00)

    Vielen Dank für diese starke Botschaft, Frau Staatsministerin Stange! Als Hochschullehrer an einer sächsischen HAW kann ich Ihre Haltung sehr gut verstehen und inhaltlich "aus Sicht der Basis" verifizieren! Auch wir im Osten der Republik gehen mit offenen Augen und Ohren durch die Welt und benutzen unseren Kopf zum Denken. Was uns in der Sache am wenigsten hilft sind Studien, die Professionalität vermissen lassen, indem sie regionale Besonderheiten vernachlässigen und tendenziöse Kommentare in der Presse, die Ressentiments sowie Vorurteile schüren! Wir stellen uns jeder Kritik, aber diese (mitunter boshaft empfundene) Polemik hilft niemandem - weder im Osten, noch im Westen Deutschlands!