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"Das hat uns enttäuscht"

Der Aachener FH-Rektor Marcus Baumann sagt, warum sich die Fachhochschulen über den Kommunikationsstil der NRW-Universitäten ärgern – und warum er findet, dass die Debatte über das FH-Promotionsrecht an der Realität vorbeigeht.

Marcus Baumann ist Rektor der FH Aachen und Professor Biotechnologie. Foto: privat.

Herr Baumann, die schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalen will den Fachhochschulen das Promotionsrecht einräumen – über ein "Promotionskolleg für angewandte Forschung der Fachhochschulen". In den Zeitungen las man allerdings recht wenig über die Gründe, warum das eine gute Idee sein soll. Und dafür umso mehr über die Warnungen der NRW-Unirektoren, dass ein "Low-Quality"-Doktor drohe.

 

Ist das nicht häufig so: Vom Gegenwind nimmt man mehr wahr als von der Sache selbst? Wir haben uns als Fachhochschulen in den vergangenen Monaten sehr intensiv und konstruktiv in einen Diskussionsprozess mit Ministerium, Politik und auch mit den Kolleginnen und Kollegen der Universitäten eingebracht. Aus unserer Sicht gehört die Diskussion genau dorthin. Wir sind mit dem nun vorliegenden Vorschlag der Regierungsfraktionen zufrieden und stellen uns zum Beispiel in Anhörungen des Landtags weiter der Diskussion über Pro und Contra.

 

Vielleicht haben die Unirektoren auch einfach nur die professionellere Pressearbeit gemacht.

 

Fest steht, dass die Universitäten laut geklappert haben. Und dass wir Fachhochschulen erst spät verstanden haben, dass die Unis offenbar wirklich auf die öffentliche Auseinandersetzung aus sind. Das hat uns enttäuscht, weil wir der Meinung waren, wir sollten Meinungsverschiedenheiten zunächst unter uns austragen. Wir hatten gehofft, miteinander reden zu können und nicht übereinander. Die Gelegenheit dazu gab es unter anderem in einer Arbeitsgruppe des Ministeriums mit Beteiligung von Universitäten und Fachhochschulen. Doch so laut sich die Unirektoren in der Öffentlichkeit gegeben haben, so wenig gesprächsbereit waren sie dort. Noch ein Wort zum Thema Professionalität: Wenn Sie sich den Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen ansehen, denke ich doch, dass wir ziemlich erfolgreich waren in unserer Lobbyarbeit. Die Politik zumindest haben wir offenbar von unserem Standpunkt überzeugen können.

 

"Wir wollen keine
Doktorandenschwemme auslösen"

 

Und der ist?

 

Wir reden hier nicht über ein Promotionsrecht für die Fachhochschulen als Selbstzweck, weil wir das für unser Ego bräuchten oder so. Wir wollen auch keine beispiellose Doktorandenschwemme auslösen.

 

Aber worum geht es denn dann?

 

Es geht um Effizienz. Es geht darum, dass wir in Deutschland ein einzigartiges Wissenschaftssystem haben mit Universitäten, die sich größtenteils der Grundlagenforschung verschrieben haben, und mit Fachhochschulen, die anwendungsnah forschen, die sich also an ganz anderer Stelle auf der Innovationskette befinden. Klar gibt es hier und da Überlappungen, doch dieses hervorragend arbeitsteilige Wissenschaftssystem kann nur funktionieren, wenn auch auf der anwendungsnahen Seite auf höchstem wissenschaftlichen Niveau gearbeitet wird. Und das klappt nicht, wenn sich bei unserem Nachwuchs ein Flaschenhals entwickelt und Potenziale ungenutzt bleiben müssen.

 

Wie meinen Sie das?

 

Die Debatte um ein Promotionsrecht für Fachhochschulen wäre doch nie aufgekommen, wenn das, was wir bisher hatten, funktionieren würde. Doch die kooperative Promotion, bei der Fachhochschulprofessoren und Universitäten gemeinsam Doktoranden betreuen, läuft nur in Einzelfällen wirklich gut. Weil sie auf Freiwilligkeit basiert: Die Universitäten können mitmachen, müssen aber nicht. Es hängt also meist von guten persönlichen Kontakten zwischen Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Hochschultypen ab. Und wir Fachhochschulen sind die Bittsteller. Übrigens selbst dann, wenn die Uni-Leitungen die kooperative Promotion grundsätzlich unterstützen.

 

Mit welchen Folgen?

 

Stellen Sie sich vor, eine Fachhochschule startet eine umfangreiche Forschungskooperation mit einem Unternehmen, Forschungsgelder werden eingeworben, und das nicht zu knapp. Es werden junge Wissenschaftler eingestellt, die in den verschiedenen Projekten arbeiten und die, wie das in der Wissenschaft üblich ist, parallel promovieren wollen. Und dann müssen Sie als Fachhochschule mühselig eine Universität suchen, die sich darauf einlässt, diese Promotionen durchzuführen. Das ist nicht nur lästig, sondern vor allem lächerlich. Und wenn sie dann eine Universität gefunden haben, heißt das noch lange nicht, dass die vielzitierte Augenhöhe herrscht. Ich habe erlebt, wie Fachhochschulprofessoren vor der Tür warten mussten, während ihre Doktoranden drinnen von ihnen völlig unbekannten Universitätsprofessoren geprüft wurden.

 

Hinzu kommt, dass manche Fächer an den Fachhochschulen gar keine Entsprechung an den Universitäten haben. Wo bekommen die eigentlich ihre Doktoranden unter?

 

Genauso ist es. Das ist eines der Hauptprobleme im derzeitigen System: Nehmen Sie Soziale Arbeit, Pflege oder Gesundheitswissenschaft. Da müssen wir den Nachwuchs aus anderen Fächern mühselig querrekrutieren. Oder uns im Ausland Partner suchen. Das ist ein Fehler im System.

 

"Mit dem bisherigen Graduierteninstitut hat nur

das weiter funktioniert, was schon vorher funktioniert hat"

 

Aber das Graduiertensystem NRW, das jetzt umgewandelt werden soll, wurde doch vor einigen Jahren eingerichtet, um genau diesen Systemfehler zu beseitigen – indem es die kooperative Promotion zwischen Universitäten und Fachhochschulen auf eine neue organisatorische Grundlage stellt und erleichtert. 

 

Das Graduierteninstitut hat in seinen interdisziplinären Fachgruppen eine beachtliche Anzahl hochrangiger Forscherinnen und Forscher der verschiedenen Hochschultypen miteinander vernetzt. Es hat aber nicht grundsätzlich die Probleme bei der kooperativen Promotion heilen können. Es hat auch weiterhin nur das funktioniert, was schon vorher funktioniert hat. Mit führenden Technischen Universitäten im europäischen und außereuropäischen Ausland, ob in Großbritannien, den USA oder in Australien, haben wir übrigens überhaupt keine Probleme, gemeinsame Promotionsverfahren durchzuführen. Die akzeptieren unsere Professoren wie selbstverständlich als Gutachter, weil es ihnen um die Sache geht, um die Qualität und um das Ergebnis und nicht um den Status. Vor diesem Hintergrund sind manche Vorbehalte in der Debatte hierzulande wirklich schräg.

 

Sie haben vorhin gesagt, auch in Deutschland klappt die Zusammenarbeit zwischen Unis und FHs mitunter gut.

 

Ja, aber meistens ist das nur der Fall, wenn beide Seiten an einem gemeinsamen Forschungsprojekt arbeiten, also dieselben Interessen teilen. Dann läuft das mit der kooperativen Promotion mitunter glänzend. Wenn es zum Beispiel Verträge gibt, mit denen Fachhochschulprofessoren zugleich an Uni-Fachbereiche aufgenommen – kooptiert – werden. Aber an diesen guten Seiten der kooperativen Promotion wird sich ja auch nichts ändern, wenn das Promotionskolleg kommt. Wir wollen das keineswegs streichen.

 

Die Unirektoren sagen aber, ein Promotionsrecht für die Fachhochschulen werde genau jenes arbeitsteilige Hochschulsystem gefährden, das Sie beschrieben haben. Insofern sei es auch und gerade im Interesse der Fachhochschulen, nicht selbst Doktortitel verleihen zu können.

 

Diese Schlussfolgerung geht an der Realität vorbei. Wir stärken doch noch das eigene Profil der Fachhochschulen, an dem keiner rütteln möchte. Ich hatte es ja gerade erklärt: Wir brauchen eine Innovationsforschung, die wissenschaftlich genauso hochklassig ist wie die Grundlagenforschung, wir brauchen die Forschungszusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wissenschaft und Unternehmen, die vor allem wir Fachhochschulen leisten.

 

Klingt toll. Aber vielleicht sind ja unter den Fachhochschulprofessoren auch einige, die nie verwunden haben, dass sie den Sprung an die Uni nicht geschafft haben. Weswegen sie jetzt ihre FH zur Uni machen wollen?

 

Das ist das Argument mit der angeblichen Profilneurose, die wir FHler haben sollen. Ich kann nur sagen: Die Leute, die ich auf unsere Professuren berufe, haben einen komplett anderen Werdegang und auch komplett andere Gründe, warum sie Hochschullehrer werden wollen. Viele haben in Unternehmen steile Karrieren hingelegt, sie haben sich durch die Mühlen der Industrie gekämpft. Einige haben ein Vielfaches von dem verdient, was wir ihnen bieten können. Und sie kommen trotzdem zu uns. Warum? Weil sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen an die jungen Leute weitergeben wollen. Das sind keine verhinderten Uniprofessoren.

 

Mit genau diesen Argumenten begründen auch einige ihrer Kollegen als FH-Rektoren, dass sie das Promotionsrecht gar nicht brauchen. Und auch nicht wollen.

 

Es gibt diese Kollegen, sie sind eine Minderheit, und mit denen würde ich gern noch einmal diskutieren und ihnen erklären, dass wir die FH-typischen Zugangswege zur Professur auch auf keinen Fall abschaffen wollen. Vor allem die Voraussetzung, dass sie bis auf wenige Ausnahmen eine mehrjährige Berufserfahrung außerhalb der Wissenschaft vorweisen müssen. Die ist und bleibt entscheidend, während die Habilitation, die an den Unis oft noch Pflicht für eine Professur ist, an einer Fachhochschule wenig bringt.

 

"Ist doch klar, dass wir Fachhochschulen
bei der DFG nicht erfolgreich sind"

 

Und doch ist es für viele FH-Professoren eine Schmach, dass sie bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kaum mal einen Euro Fördergelder abholen. Weshalb, so behaupten das zumindest manche Unirektoren, die Fachhochschulen als Ersatzhandlung jetzt eine eigene Förderorganisation, die Deutsche Transfergemeinschaft (DTG) fordern. Das sei noch so ein Profilneurosen-Ding.

 

Das ist doch Blödsinn. Ist doch klar, dass wir in der DFG nicht erfolgreich sind, die ist auch gar nicht unser Adressat, weil wir keine Grundlagenforschung machen. Genau darum brauchen wir ja die DTG. Ich sage das seit Jahren, und am Anfang bin ich dafür auch unter Kollegen angefeindet worden. Jetzt aber ziehen alle mit bei der Forderung nach der DTG, und das Gejammer um die angeblichen DFG-Misserfolge höre ich seitdem auch kaum noch. Übrigens geht es bei der DTG nicht um einen Schutzraum für Fachhochschulen, sondern um anwendungsorientierte Forschung. Das adressiert Technische Universitäten gleichermaßen.

 

Diese Woche war Anhörung im Landtag zum neuen NRW-Hochschulgesetz, auch Sie waren dazu eingeladen, vor den Abgeordneten Ihre Meinung zu sagen. Wenn der aktuelle Streit vorbei ist, geben Sie und Ihre Unikollegen sich dann die Hand, und weiter geht’s?

 

Ich denke, das wird wie in Hessen laufen. Als die Landesregierung dort 2016 der ersten Fachhochschule das Promotionsrecht verliehen hat, herrschte ebenfalls Weltuntergangsstimmung bei den Universitäten. Inzwischen höre ich, dass die Lage sich wieder entspannt hat. Und natürlich geben wir uns die Hand. Es geht nicht um persönliche Gefechte, sondern um eine leidenschaftliche Diskussion über die Weiterentwicklung von Wissenschaft und Forschung.

 

Aber in der Hochschulrektorenkonferenz schwelt der Konflikt zwischen Universitäten und Fachhochschulen seit Jahren.

 

Die atmosphärischen Probleme kommen immer mal wieder durch, das stimmt. Aber im Augenblick hat sich die Rhetorik der Unirektoren doch nur deshalb so zugespitzt, weil unsere Vorschläge zum Promotionskolleg in der Politik Zustimmung gefunden haben. Und das Thema kocht bundesweit nochmal so richtig hoch, weil wir das größte Bundesland sind. Ich bin trotzdem sicher, das beruhigt sich wieder. Die Unis werden feststellen, dass wir ihnen gar nichts tun, schon gar nichts wegnehmen wollen. Wir wollen nur die Möglichkeit haben, unsere Arbeit so gut zu machen, wie wir können. Manchmal muss ich daran denken, dass die Technischen Universitäten vor 100 Jahren genau dieselbe Gegenwehr von den Universitäten erlebten, als ihnen das Promotionsrecht gegeben wurde. Da redet heute keiner mehr drüber. Und die TUs haben ihr Profil auch nicht eingebüßt.

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Kommentare: 10
  • #1

    Klaus Diepold (Donnerstag, 04 April 2019 13:30)

    Alles gut und schön, aber ich habe den Eindruck, dass in der Diskussion verschiedentlich Sachverhalte als allgemeingültige Fakten dargestellt werden, die ich so nicht sehe. Beispielweise lese ich wiederholt, dass die Unis Grundlagenforschung machen und die FHs anwendungsorientierte Forschung inkl. Innovation. Ich kann nur für Ingenieure in der Uni sprechen, aber die anwendungsorientierte Forschung ist genau das Terrain, auf dem die Industriepartner mit den Unis sehr gerne kooperieren. Das findet auch häufig statt. Die mehrfach angeführte Trennung zwischen Grundlagen einerseits und Anwendung/Innovation andererseits kann ich nicht erkennen und auch nicht bestätigen.

    Die angeführten Gründe für das Promotionsrecht an FHs würden in vergleichsweiser Art auch für Unternehmen zutreffen, die angewandte Forschung in entsprechenden Abteilungen betreiben. Die müssen aber tatsächlich eine/n HochschulvertreterIn finden, der/die entsprechende Projekte akademisch betreut und DoktorandInnen betreut und prüft. Wir leisten an dieser Stelle in der Uni den Unternehmen viel Widerstand, um den Wurstzipfel der Promotion, mit dem die Unternehmen nach talentierten junge Menschen angeln nicht zu entwerten. Viele der industrienahen (anwendungsnahen?) Forschungsprojekte mit Promotionsaussicht liefern wissenschaftlich gesehen sehr dünne Ergebnisse, auch wenn diese technisch durchaus brauchbar sind.

    Ich sehe eher das Problem, dass die Unternehmen in Zukunft ihre Industriepromotionen vornehmlich mit den FHs abwicklen könnten, da sie dort weniger (akademischen) Widerstand erwarten und sie mehr für sich brauchbare Ergebnisse erwarten. Das kann durchaus qualitätsmindernde Effekte nach sich ziehen.

    Ich habe Probleme eine anwendungsnahe und eine grundlagenorientierte Wissenschaft zu unterscheiden. Für mich gibt es nur EINE Wissenschaft und egal in welchem Umfeld geforscht wird, die Wissenschaft basiert immer auf den gleichen Prinzipien.

    Wenn Herr Baumann bekräftigt, dass es den FHs beim Promotionsrecht in keiner Weise um Ego oder Status geht, dann kann ich das glauben oder nicht. In den vergangenen 25 Jahren in denen diese Debatte regelmäßig wie die Meeresbrandung einrollt hatte ich oft genau diesen Eindruck, dass es eben darum geht Statusunterschiede auszugleichen. Die oft ostentativ vorgetragenen Beteuerungen von FH Kollegen, dass sie immerhin auch ganz tolle Forschung machen bekräftigt diesen Eindruck.

    Ganz anderer Punkt in diesem Kontext: Werden die FHs in Zukunft auch ihre eigenen Absolventen als Profs zulassen? Soweit ich es kenne, sind die FH Profs durch die Bank Uni-Absolventen. Wenn die FHs sich selbst ernst nehmen, dann sollten auch FH Absolventen als Profs in Frage kommen, oder?

  • #2

    tmg (Freitag, 05 April 2019 15:10)

    Es ist hilfreich, sich die Publikationslisten der Kollegen an den FHs anzusehen, um zu verstehen, warum Promotionen
    ein Geschäft der Universitäten bleiben sollten.

  • #3

    Steffen P (Freitag, 05 April 2019 15:50)

    zu #2 tmg:
    Genau das ist es, was das Problem ist. Dass infrage gestellt wird, dass es überhaupt "ausreichend qualifizierte" Prof. "dort" (an FH) geben könne. Nach unseren HAW-Berufungsordnungen haben diese Prof andere Profile, zT eben weniger Nature-Paper, aber hochrangige Patente, nur als Beispiel. Und auf Kunsthochschulen: wer ist denn dort wirklich "würdig" wenn nicht promoviert mit pi-pa-po-Peer-Review?? Das sind doch auch ohne Promotion teilweise fantastische Persönlichkeiten.

    Allgemein kann ich nur betonen, dass wir an den HAW mittlerweile einige Prof. haben, die "auf Augenhöhe" arbeiten. Die hervorragende Projekte (mit Anwendungen und direkter gesellschaftlicher Wirkung!) stemmen. Und wenn hier immer so abwertend über die Prof. der HAW geurteilt wird: hier wird die Lehre "von Hand" und persönlich vollzogen, Stellvertreter in Person (motivierter?) cand. rer. hat. oder PostDoc kennen wir kaum. Daher kann ein HAW-Prof durchaus in der Lage sein, motivierte AbsolventInnen wegen Kenntnis der Personen diese zu fördern. Und bei einem Teil davon wäre es einfach mal sinnvoll diese ohne Auflagen aus Uni-Promotionsausschüssen den Weg in eine wiss. Karriere einfacher zu öffnen. Denn ohne persönliche (und i.d.R. sehr engagierte und tolle!! danke an die die es bereits machen!) Kontakte an die Unis ist das kaum durchführbar, frustrierte cand. Dr. bleiben zurück.
    Es wäre schön die Unis gäben sich mal einen Ruck und machten ihre Optionen für sog. "anwendungsorientierte" Promotionen auf, v.a. unter objektiver und würdigender Betrachtung der Menschen (!!) die promovieren wollen. Und ohne Schublade "FH" vs "Uni". Danke. Denn dann hätten wir bzw die Unis sich diese Diskussion längst erspart. Eventuell kommt hier aber Einsicht zu spät, siehe Hessen etc ;)

  • #4

    Marco Winzker (Freitag, 05 April 2019)

    Zu #1:
    Hallo Klaus, FH-Profs, die an einer FH studiert haben, gibt es schon längst.

    Zu #2:
    Bei Aufnahme in das Graduierteninstitut NRW wird die wissenschaftliche Qualifikation geprüft, also z.B. Publikationen, Patente, Drittmittel.


    An den FHs hat sich in den letzten 10 Jahren viel getan. Vielleicht mal F5 drücken und aktualisieren. ;-)

  • #5

    Klaus Diepold (Samstag, 06 April 2019 16:49)


    @Marco
    FH Profs mit FH Studium gibt es? Wunderbar. Bin bisher noch keinem begegnet, aber das muss nichts bedeuten.

    An den Unis hat sich auch viel getan, auch da rentiert sich ein Update.

    Es gibt immer Beispiele von FH-Profs die wunderbare Dinge tun und auch gut forschen können. Genauso gibt es Uni-Profs. die nichts tun und wissenschaftlich wenig können. Ich denke aber nicht, dass die Diskussion um grundsätzliche Prinzipien auf Beispielen einzelner Personen aufgebaut werden sollten. Die Frage ist vielmehr, welchen Auftrag die beiden Einrichtungen haben (FHs und Uni) und wie sie den jeweiligen Aufträgen am besten gerecht werden. Vielleicht sollten wir die beiden Einrichtungen fusionieren. Was Deutsche Bank und Commerzbank können, wäre auch hier für mich vorstellbar.

    "Anwendungsnahe Wissenschaft" ist ein Begriff mit dem ich nichts anfangen kann. Wenn das das ist, was sich meistens Unternehmen vorstellen, wenn sie Industriepromotionen vorschlagen, dann würde ich davon Abstand nehmen.

  • #6

    Detlev Reymann (Sonntag, 07 April 2019 16:45)

    Als Präsident einer Hessischen HAW möchte ich einige Aussagen des Kollegen Diepold nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen.

    Auch wenn wir uns einig sind, dass eine wissenschaftlich exakte Unterscheidung von "anwendungsbezogener" Forschung und Grundlagenforschung nicht ausbuchstabiert werden kann, bleibt es dabei, dass selbst der Wissenschaftsrat den Hochschulen und insbesondere den Universitäten und den HAWs unterschiedliche Profilierungen innerhalb der Leistungsdimensionen vorschlägt (http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/3228-13.pdf).

    Über dieses Papier des WR kann und soll durchaus gestritten werden, aber genau diese Profilierung innerhalb der Leistungsdimensionen haben wir uns auf die Fahne geschrieben.

    Und manche Ihrer Thesen werden auch durch permanente Wiederholung nicht richtiger.

    So die, dass außeruniversitäre Forschungseinrichtungen oder gar Unternehmen dann zukünftig auch das Promotionsrecht fordern könnten. Forschung und Lehre sind untrennbare Bestandteile, die auch in der Promotion zusammengehören. Und im übrigen wird dieses Argument immer nur selektiv verwendet, wenn es in den Kram passt. Wo ist der Aufschrei der Universitäten geblieben, als die Max Planck Schools eingerichtet wurden? Schon einmal auf die MPG-Webseiten geschaut, auf denen mit Promotionen bei der MPG geworben wird und dann im Nachsatz zum Beispiel steht: "Nach erfolgreichem Abschluss der Promotion wird der Doktortitel von einer der beteiligten Partneruniversitäten vergeben." Ein Schelm, wer böse daran denkt, dass das Ausbleiben des Protestes etwas mit der Beteiligung an Fördergeldern zu tun haben könnte?

    Und ganz offen gesprochen, lieber Kollege: Den Vorwurf der mangelnden Qualität kann ich nicht mehr hören. In Hessen muss für jede Kollegin, jeden Kollegen, die/der zu einem Promotionszentrum gehört, einzeln der Nachweis der Forschungsstärke u.a. über die Summe der eingeworbenen Drittmittel und die Publikationstätigkeit nachgewiesen werden. Zudem wird in den Promotionszentren verpflichtend den Empfehlungen des WR zur Promotion gefolgt, z.B. durch die konsequente Trennung von Betreuung und Begutachtung.

    Unter vier Augen räumen viele Universitätskollegen ein, dass bei der Anwendung dieser Kriterien vermutlich die Hälfte ihr Promotionsrecht verlieren würden. Noch deutlicher ist das doch in den Bereichen Humanmedizin, Veterinärmedizin und selbst Jura. Das dortige Qualitätsproblem räumt die Mehrheit der Unikollegen im persönlichen Gespräch genau so ein. Vielleicht hier erst die eigenen Hausaufgaben erledigen?

    Das Wissenschaftssystem ist nichts Statisches. Auch in Bezug auf das Promotionsrecht. Die Technischen Universitäten erkämpften sich diesen vor rund 120 Jahren und müssen bis heute als einzige Fachrichtung den Dr-Ing in der deutschen Form und in dieser Form komplett führen. Das war von den Unis gedacht als Zeichen der Diskriminierung und nicht der Qualität. Das wiederholte sich bei dem Wandel der alten Lehrerausbildung zu den Erziehungswissenschaften, es gab sogar eine vergleichbare Diskussion über eine vielleicht nötige Nachhabilitation der Kolleginnen und Kollegen bei der Integration der PHs in die Universitäten ...

    Wie Kollege Baumann schon im Interview gesagt hat, bislang ist die Wissenschaftswelt in Hessen noch nicht untergegangen.

  • #7

    Klaus Diepold (Montag, 08 April 2019 11:16)

    Aus dem zuvor angesprochenen Text des Wissenschaftsrates:

    "Universitäten sollten stärker als bislang zusammen mit Fachhochschulen sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen Kooperationsplattformen
    für die Nachwuchsförderung etablieren, die auch einen längerfristigen institutionellen Rahmen für die einrichtungsübergreifende Betreuung von Promotionen bieten sollen. "

  • #8

    Ruth Himmelreich (Montag, 08 April 2019 14:00)

    "Die Fachhochschulen betreiben angewandte Forschung, die Unis vor allem Grundlagenforschung." Gern wiederholt, das macht es aber auch nicht wahrer. Ein Blick in die Daten des Statistischen Bundesamts ergibt zu den Drittmitteln aus der gewerblichen Wirtschaft im Jahr 2016 folgendes: Unis 1,32 Mrd. Euro, FH 133 Mio. Euro. Zahl der Professoren an Unis: 24.520, an HAW 19.699 (Personal an Hochschulen im Jahr 2017, Destatis). Wenn die FHs so heftig angewandt forschen würden, wie sie es öffentlich regelmäßig behaupten, müsste das Verhältnis eigentlich umgekehrt sein.

    Es gibt durchaus FH-Professoren, die auf hohem wissenschaftlichen Niveau forschen - das sind aber nur wenige Prozent. Und die, würde ich einmal behaupten, kennen über Konferenzen, Kollaborationen etc. genügend Uniprofessoren, um ihre guten Nachwuchsleute zur Promotion zu bringen. Diejenigen, die so bejammernswert "draußen vor Tür" sitzen und Klagelieder anstimmen, gehören womöglich nicht dazu.

  • #9

    W.M.B (Montag, 08 April 2019 21:41)

    Beim obigen Thema ( Promotionsrecht ) gibt es unterschiedliche Sichtweisen.

    Bei unüberschaubarer Komplexität und steten Beschleunigungen können verschriftlichte Projektionen vom "ENTWEDER - ODER" zum nachdenklichen "SOWOHL ALS AUCH" ( Induktion ) werden.

    Wie drückt dies eine Parabel aus? In mehreren Kulturkreisen gibt es die folgende Kurzgeschichte:

    Im Dorf musste ein Richter bestimmt werden. Die Wahl fiel auf einen erfahrenen Einsiedler.

    Eines Tages kam eine weinende Frau und bescherte sich über ihren Mann, der sie beschimpfe und hart anpacke. Der Richter hörte aufmerksam zu und gab der Frau recht: "Das gehört sich nicht"!

    Zuhause stellte die Frau ihren Mann zur Rede. Aufgeregt ging der Mann zum Richter und erklärte: Meine Frau geht leichtfertig mit Geld um und vernachlässigt die Tiere. Der Richter hörte aufmerksam zu und gab dem Mann recht: "Das gehört sich nicht"!

    Nachdem der Mann gegangen war, meldete sich der Schreiber, der alles protokollierte hatte und sagte: Das ist kein Richterspruch. Wie kann man so entscheiden?

    Der Richter schaute seinen Schreiber nachdenklich an und gab seinen Schreiber recht: "Das gehört sich nicht"!

    Also:

    Was ist "das beste" Promotionsrecht, wenn sich in Deutschland (in den letzten 10 Jahren) die Zahl der Studierenden verdoppelt hat?

    Wer legt die "Prüfungsgewichte" subjekt-unabhängig fest?
    Welche Waage kommt beim "Wiege-Vorgang" zum Einsatz?

    Wie können die individuellen/kollektiven Prüfungsergebnisse subjekt-unabhängig verglichen werden?

    Wer kennt EU-weit die Spannweiten aller Prüfungen?

    Kastensysteme waren bedingt angemessen fürs Mittelalter.

    Welche Weiterentwicklungen sind den gegenwärtigen Herausforderungen angemessen?

    Egoismen allein ( "Bubi möchte der Größte sein" ) reichen wohl nicht ganz.

  • #10

    Man sollte sich entscheiden (Donnerstag, 11 April 2019 14:19)

    Man sollte sich entscheiden, ob man eine anwendungsorientierte Ausbildung oder eine forschungsorientierte Ausbildung erhalten möchte. Wenn ein Student während seines Studiums feststellt, dass er mehr an der Forschung als an der Anwendung interessiert ist oder umgekehrt, dann bin ich dafür, den Wechsel von einer Hochschulform zur anderen so einfach wie möglich zu gestalten, sei es als Bachelor- oder Masterstudent, etc. Aber eine Fachhochschule sollte keinen Forschungsabschluss vergeben. Die Promotion ist ein Nachweis über die Befähigung zu exzellenter wissenschaftlicher Arbeit und sollte in erster Linie für eine akademische Karriere - in der Forschung - qualifizieren. Wir haben bereits mehr als genug Doktoranden, die nicht den akademischen Job bekommen können, von dem sie träumen, weil es nicht genug von diesen Jobs gibt. Absolventen von Fachhochschulen sollten in die Anwendung gehen, da werden sie gebraucht, die Stellen sind nicht weniger wichtig und unter Umständen sogar deutlich lukrativer. Dafür brauchen sie aber keine Promotion. Und ja, es muss eine Veränderung in der Wahrnehmungskultur (im Übrigen, wie mir schein, ein sehr deutsches Problem) stattfinden: Ein Bankberater ist nicht klüger als sein Kollege, nur weil er promoviert ist.