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Heidelberger Windungen

Bluttest-Skandal: Wird das Universitätsklinikum jetzt auch noch zum Vorbild für eine misslungene Aufklärung?

Foto: Ewa Urban / pixabay - cco.

ANGEFANGEN HATTE ALLES mit der Affäre um einen umstrittenen Test zur Brustkrebs-Früherkennung. Es war der 21. Februar 2019, und die BILD-Zeitung brachte die ganz große Story: Eine "Weltsensation aus Deutschland" sei das, die da aus Heidelberg komme. Am gleichen Tag hielt Christof Sohn, geschäftsführender Ärztlicher Direktor der Universitätsfrauenklinik, eine in der Gynäkologen-Szene mittlerweile fast schon legendäre Pressekonferenz ab. Die parallel veröffentlichte Pressemitteilung, herausgegeben vom Uniklinikum, sprach von einem "Meilenstein" und einer "neue(n), revolutionäre(n) Möglichkeit, eine Krebserkrankung in der Brust nicht-invasiv und schnell anhand von Biomarkern im Blut zu erkennen". 

 

Fast schon legendär finden viele Gynäkologen, die die Aufzeichnung der Pressekonferenz gesehen haben, den Enthusiasmus, mit dem Sohn darin einen nicht marktreifen Test als atemberaubenden Durchbruch verkauft habe. Legendär – und erschütternd. "Welch ein Blödsinn der da von sich gibt, der hat keine Ahnung, wovon er redet", zählt noch zu den netteren Kommentaren, die führende Gesundheitsforscher und Kliniker seitdem zu Protokoll geben. Bislang allerdings noch, ohne namentlich zitiert werden zu wollen. Aber da baut sich in der Szene gerade etwas auf. Der Frust ist enorm über einen Mediziner, der, so sehen viele seiner Kollegen das, das Image einer ganzen Fachdisziplin beschädigt habe. 

 

Sohns Versprechungen wurden
Stück für Stück zerpflückt

 

Die Angaben, die Sohn in der Pressekonferenz gemacht hat, sind in den vergangenen drei Monaten Stück für Stück zerpflückt worden: Die von den Heidelbergern gepriesene Trefferrate von 75 Prozent, mit der kranke Patienten durch den Test erkannt werden sollen, sage gar nichts, weil Sohn gleichzeitig die "Falsch-Alarm-Rate" unerwähnt gelassen habe – also wie oft Patientinnen, die nicht krebskrank sind, mit einem positiven Testergebnis konfrontiert werden. Das kritisierten schon nach wenigen Tagen der Max-Planck-Forscher Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und Thomas K. Bauer, Vizepräsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung – und erklärten die Bluttest-Pressemitteilung zur "Unstatistik des Monats". 

 

Zuletzt führten Recherchen von Medwatch sogar zu dem Schluss, "dass der Test anders als bislang kommuniziert nicht nur nicht marktreif ist – sondern eigentlich wertlos." Die Medizinjournalisten hatten Sohns Vortragsfolien vom 21. Februar ausgewertet und kamen auf eine Falsch-Alarm-Rate von 46 Prozent – während Sohn selbst auf Nachfrage von 30 Prozent gesprochen hatte. Gigerenzer, von Medwatch auf die Daten angesprochen, sagte, für ihn wäre ein Screening-Test "völlig untragbar", wenn jede zweite gesunde Frau fälschlich alarmiert würde.

 

Warum hat Sohn das gemacht? Warum hat er sich – offenbar in Kenntnis anderslautender Studiendaten – von den Medien als Heilsbringer feiern lassen? Mehr noch als das: Warum haben er und seine Mitstreiter eine PR-Kampagne gestartet, deren enormen Ausmaße erst nach und nach deutlich wurden? Ähnliche Fragen hatte ich bereits in meinem ersten Artikel am 08. März gestellt, dessen Überschrift "Unerklärliche Eile" lautete. Seitdem ist vieles ans Licht gekommen, vor allem dank des unermüdlichen Einsatzes der lokalen Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ).

 

Bekannt wurde zum Beispiel, dass eine der Haupterfinderinnen des Bluttests, die Molekularbiologin Rongxi Yang, 2017 von Sohn (dessen Mitarbeiterin Yang war) aus der Projektleitung gedrängt wurde – mit Billigung des Klinikumsvorstands und mit Unterstützung des Justiziars Markus Jones. Aus dem Projekt entfernt wurde später auch Yangs deutsche Kollegin, die anerkannte Brustkrebsforscherin Barbara Burwinkel, deren Professur der Heidelberger Großmäzen Dietmar Hopp 2008 für Sohns Klinik gestiftet hatte. 

 

Ein vorbestrafter Unternehmer, ein Ex-Bild-
Chef, ein chinesischer Pharmakonzern

 

Heraus kam, dass ebenfalls 2017 von der Kliniktochter Technology Transfer Heidelberg (TTH) zwei Firmen zur Vermarktung gegründet wurden und bei einer, der Heiscreen GmbH, der vorbestrafte Heidelberger Unternehmer Jürgen Harder mit einem Anteil von fast 40 Prozent einstieg. Harder ist der Mann der ehemaligen Leistungsschwimmerin Franziska van Almsick, deren Kind Christof Sohn entbunden hatte.

 

Die zweite Ausgründung, die heutige Heiscreen NKY GmbH, wurde zu einem Joint Venture mit dem chinesischen Pharmakonzern NKY Medical, der offenbar den Bluttest in China vermarkten sollte – gegen Lizenzgebühren zugunsten des Heidelberger Uniklinikums. Fest steht inzwischen auch, dass die Düsseldorfer PR-Beratung Deekeling Arndt Advisors beauftragt wurde, eine 80.000 Euro teure Presse-Kampagne zu konzipieren und dass die Besprechungen zu dieser Kampagne teilweise in Anwesenheit des ehemaligen BILD-Chefredakteurs Kai Diekmann stattfanden, einem Freund Harders. Bei Deekeling Arndt Advisors lag die Federführung für das ungewöhnlich aufwendige PR-Projekt bei der früheren Büroleiterin Kai Diekmanns.

 

Und auffällig war, dass in den Wochen nach der BILD-Schlagzeile und Sohns Pressekonferenz der Aktienkurs von NKY Medical sprunghaft anstieg. Inzwischen ermittelt die Mannheimer Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Insiderhandel und Betrug. 

 

Wäre dies die ganze Geschichte, sie wäre schlimm genug: Ein vielleicht wertloser medizinischer Test, voreilig als Sensation verkauft von einem Mediziner, der es besser hätte wissen sollen – womöglich aus Motiven heraus, die schon die Medizinethik dringend zu hinterfragen gebietet. Mit von der Partie sind ein Unternehmer, der in einem anderen Fall wegen Bestechung zwei Jahre auf Bewährung bekam und sechs Millionen Euro Geldstrafe zahlen musste; ein Boulevard-Journalist, der in der Medienlandschaft als Strippenzieher bekannt ist; ein chinesischer Konzern, der ein großes Geschäft witterte. Im Hintergrund: zwei offenbar ausgebootete Haupterfinderinnen des Bluttests. Und der Vorstand des Universitätsklinikums, ohne dessen Zustimmung die Pressemitteilung gar nicht hätte erscheinen können.

 

Es wäre die Geschichte, wie ein nach eigenen Angaben führendes deutschen Universitätsklinikum zum Vorbild wird für ein grandios danebengegangenes, unethisches Stück Wissenschaftskommunikation – und für die unglückliche Verquickung wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Interessen, die nicht nur Journalisten, sondern staatliche Ermittler auf den Plan gerufen hat.

 

Schuld waren am Anfang
die anderen

 

Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Denn das Universitätsklinikum ist gerade dabei, gleich nochmal zum Negativbeispiel zu werden. Zum Negativbeispiel dafür, wie man öffentliche Aufklärung nicht betreiben sollte.

 

Auch hierzu ein kurzer Rückblick: In den ersten Wochen nach der Pressekonferenz versuchte der Vorstand um die Leitende Ärztliche Direktorin des Uniklinikums, Annette Grüters-Kieslich, noch, den Medien die Verantwortung zuzuschieben. "Wir haben die Pressemitteilung mit der Intention einer sachlichen Information verfasst und wollten keine voreilige Bewertung des Testes abgeben oder falsche Hoffnungen bei Patientinnen erwecken", schrieb der Vorstand am 8. März auf meine Anfrage hin. "Wenn Aussagen in einzelnen Berichten unsachlich und übertrieben wiedergegeben wurden, bedauern wir dies sehr."

 

Erst knapp drei Wochen später folgte der Versuch einer ersten Entschuldigung. In der Zwischenzeit waren nach mir auch andere Journalisten, allen voran die der Rhein-Neckar-Zeitung, in die Berichterstattung eingestiegen. Das Klinikum bedaure, "dass es zu Irritationen gekommen ist und nimmt die Kritik ernst", hieß es jetzt. Eine interne Arbeitsgruppe habe bereits mit der Aufarbeitung der Vorfälle begonnen, zusätzlich sei zur umfassenden Analyse eine unabhängige Kommission aus überwiegend externen Experten beauftragt worden. Sie werde dem Klinikum und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg "ihre Ergebnisse berichten und Empfehlungen aussprechen".

 

Als Leiter der Kommission wurde Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, gewonnen. Der Vorstand kündigte an, er werde "vor der Stellungnahme der Kommission keine weiteren Verlautbarungen in die Öffentlichkeit geben (...), um deren Arbeit nicht zu beeinträchtigen."

 

Misslungene Flucht
nach vorn

 

Eine Ankündigung, die Grüters-Kieslich und die stellvertretende Vorstandvorsitzende Irmtraut Gürkan nicht einhielten, als sie Ende April der RNZ ein großes Interview gaben. Offenbar hing der plötzliche Strategiewechsel damit zusammen, dass das Klinikum, wohl auch auf Wunsch des Aufsichtsrates, in der Zwischenzeit den Krisenkommunikator Tasso Enzweiler angeheuert hatte. 

 

Es war jedenfalls schon der zweite missglückte Versuch einer Flucht nach vorn, nachdem die Strafanzeige, die das Uniklinikum Anfang April "gegen Unbekannt unter allen rechtlichen Gesichtspunkten" gestellt hatte, nicht die erhoffte Atempause verschafft, sondern eher zu noch mehr Nachfragen geführt hatte.

 

In dem RNZ-Interview betonte Grüters-Kieslich die Öffentlichkeitsarbeit zum Bluttest habe "leider nicht in unserer Hand“ gelegen, sondern sei von der Heiscreen GmbH "initiiert und durchgeführt worden". Eine klare Absetzbewegung auch von Christof Sohn, was auch der Vergleich mit dem Vorstandsstatement vom 8. März zeigt. Man fühle sich von Heiscreen getäuscht, sagte Grüters-Kieslich, das von der Agentur ausgearbeitete PR-Konzept "haben wir nie – ich betone: nie – gesehen". 

 

Den Text des BILD-Interviews habe sie erst "wenige Stunden beziehungsweise Tage vor der Pressekonferenz" ohne Schlagzeile und Foto lesen können. "Ich hatte beim Lesen dieses Textes allergrößte Bedenken und habe alle aus meiner Sicht absurden Bewertungen, die mir in der Kürze der Zeit zu erkennen möglich war, aus dem Text entfernt." Gürkan, die kaufmännische Direktorin des Klinikums ergänzte, der Vorstand fühle sich "benutzt". Und in Bezug auf die Pressemitteilung verstieg sich Grüters-Kieslich gar zu der Aussage, sie hätten daran mitgewirkt, aber nur, "um Schlimmeres zu verhindern.“

 

Welche Rolle spielte
der Vorstand?

 

Tatsächlich, so ist zu hören, könnte es allerdings die Pressestelle des Klinikums gewesen sein, die die Pressemitteilung  in der Form verhindern wollte – aber nicht gegen das Votum des Vorstands angekommen sei. Und die vermeintliche Offenheit, die Grüters-Kieslich und Gürkan in dem Interview zeigten, könnte vor allem strategisch motiviert gewesen sein. Aus dem Universitätsklinikum ist jedenfalls zu vernehmen, die Ärztlichen Direktoren hätten sich ihrerseits schon mehrfach gern öffentlich geäußert, aber dies sei ihnen vom Vorstand und vom Wissenschaftsministerium untersagt worden. Was das Wissenschaftsministerium bestreitet, es verbiete keinerlei Äußerungen.

 

Nur eine Woche nach dem Interview fragte die RNZ dann: "Sagt der Uniklinik-Vorstand die Wahrheit?" Die Journalisten waren auf E-Mails gestoßen, denen zufolge mindestens das Vorstandsmitglied Andreas Draguhn, Dekan der Medizinischen Fakultät, schon gut zwei Wochen vor der Veröffentlichung den Entwurf des BILD-Artikels zu lesen bekommen hatte und, wie die RNZ schreibt, "begeistert" war. Die Pressestelle des Klinikums bestätigt das auf Anfrage. Von der geplanten PR-Kampagne, schreibt die RNZ, habe Draguhn schon am 28. Januar erfahren.

 

Laut neuen Informationen hat auch die Düsseldorfer PR-Beratung Deekeling Arndt Advisors einen Brief an den Klinikumsvorstand geschrieben, in dem sie von Falschaussagen im Interview von Grüters-Kieslich und Gürkan spricht, gegen die die Agentur im Falle einer Wiederholung gegebenenfalls vorgehen werde. Im Kern dreht sich die Auseinandersetzung um die Frage, ob es womöglich nicht, wie von Grüters-Kieslich und Gürkan zumindest insinuiert, die Agentur war, die die Pressemitteilung verschärfte, sondern der Klinikvorstand – was dieser am Wochenende als "Spekulation...entschieden" zurückwies. 

 

Grüters-Kieslich fügte hinzu: Es sei "definitiv so" gewesen, dass ihr der Text für die Pressemitteilung erst drei Tage vor der Pressekonferenz vorgelegt wurde und sie nach "besten Kräften bemüht" gewesen sei, ", die groben Übertreibungen aus dem Entwurf der Pressemitteilung zu entfernen. Viele dieser Änderungen sind nicht übernommen worden. Dies kann belegt werden."

 

Und während all dem konstituierte sich die angekündigte externe Expertenkommission, die doch unbeeinträchtigt von Vorstands-"Verlautbarungen" hatte arbeiten sollen. Pikant ist, dass der Aufsichtsrat mit seiner Vorsitzenden Simone Schwanitz, Abteilungsleiterin im Stuttgarter Wissenschaftsministerium, inzwischen dem Vorstand die Verantwortung für die externe Kommission entzogen hat. Und pikant ist ebenso, dass die Kommission ihren ersten Zwischenbericht dem Aufsichtsrat erst Mitte Juli vorlegen soll. Vielleicht, damit er nicht mehr vor dem 19. Juli seinen Weg in die Öffentlichkeit findet?

 

Schielen auf
den 19. Juli

 

Das ist nämlich der Tag, an dem die sogenannte Exzellenzstrategie ("ExStra") in ihre letzte, entscheidende Runde geht: Bund und Länder vergeben unter Mitwirkung eines international besetzten Wissenschaftlergremiums den Titel "Exzellenzuniversität" – an voraussichtlich elf Hochschulen. Und die Universität Heidelberg, so zumindest deren Hoffnung, soll eine davon sein.

 

Erst vor dem Hintergrund des "ExStra"-Stichtages erklärt sich womöglich auch das Verhalten einiger Akteure so richtig. Vor allem die öffentliche Zurückhaltung von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), die sich zwar deutlich, aber auch auffällig selten zu den Heidelberger Vorgängen geäußert hat. Auf Anfrage wehrt sich Bauer gegen den Eindruck, sie kommuniziere nicht offensiv genug. "Ich habe meine Haltung", sagt sie, "unmittelbar zum Ausdruck gebracht: Ich missbillige das Vorgehen und insbesondere den öffentlich erweckten Eindruck, dass die HeiScreen GmbH über einen nahezu marktreifen Test zur Brustkrebs-Früherkennung verfügen würde. Jetzt sind wir mitten in der Aufarbeitung."

 

Auch werde die externe Kommission keineswegs angehalten, langsam zu arbeiten. Im Gegenteil, ihr Ministerium unterstütze deren Arbeit. "Ich habe hohes Interesse an einer schnellen Aufklärung. Wir haben die Kommission gebeten, so schnell zu liefern, wie es geht." Aber es müsse eben auch gründlich zugehen, damit im Anschluss wirkliche und nicht nur symbolische Konsequenzen gezogen werden könnten. "Ich würde mir trotzdem wünschen, dass die ersten Ergebnisse noch etwas früher, jedenfalls deutlich vor dem 19. Juli veröffentlicht werden."

 

Mal schauen, ob es dazu kommt. Die Ministerin betont zumindest: "Die Exzellenz einer Wissenschaftseinrichtung misst sich nicht daran, dass keine Fehler passieren, sondern wie mit diesen Fehlern umgegangen wird." Ende des Jahres soll die externe Kommission dann ihren Abschlussbericht vorlegen.

 

In einer strategisch schwierigen Position befindet sich auch der kürzlich wiedergewählte Heidelberger Uni-Rektor Bernhard Eitel. Einerseits darf er das Thema vor dem 19. Juli öffentlich nicht zu sehr hochspielen. Andererseits muss er sich distanzieren und klarmachen, dass Universität und Uniklinik getrennte Entitäten sind und dass die Medizinische Fakultät zwar zur Uni gehört, aber die Personal- und Wirtschaftsverwaltung dem Klinikum obliegt. All das tun Eitel und seine Universität denn auch deutlich.

 

Allerdings ist der Unirektor eben auch von Amts wegen Mitglied im Aufsichtsrat des Uniklinikums. Auf der Website der Uni führt dies zu einem Sammelsurium von Distanzierungs-Statements, Beschwörungen guter wissenschaftlicher Praxis und einer Aufzählung der "eingeleiteten Prüfverfahren und Maßnahmen", inklusive Ermittlungen durch die universitäre Senatskommission und der Kündigung der Verwertungsverträge mit der tth GmbH, die die Uni für die Medizinische Fakultät abgeschlossen hatte. Gegen die Kündigung wehren sich die tth-Geschäftsführer übrigens und werfen dem Klinikumsvorstand vor, er selbst sei für das PR-Desaster in Sachen Heiscreen verantwortlich. 

 

Die Ärztlichen Direktoren 
schreiben einen Brandbrief

 

Unterdessen haben sich zahlreiche Ärztliche Direktoren des Universitätsklinikums per Brief an die Aufsichtsratsmitglieder, den Vorstand und an Wissenschaftsministerin Bauer gewandt. Bislang hätten sie "im Vertrauen auf eine zeitnahe, ehrliche und konstruktive Aufarbeitung der gravierenden Fehler und der möglichen systematischen Defizite" intern zugehört und beraten, schreiben die 15 Unterzeichner. Doch da eine "zeitnahe Aufarbeitung leider nicht möglich erscheint, vermissen wir eine eindeutige und einheitliche öffentliche Positionierung aller Entscheidungsträger des Universitätsklinikums." Die Direktoren hielten es daher "für dringend geboten, Haltung und Standards der PR-Kampagne zugrundliegenden wissenschaftlichen Arbeiten, Strukturen und Wissenschaftskommunikation eindeutig zu missbilligen." 

 

Von wegen eindeutige Positionierung: Bislang droht das Universitätsklinikum Heidelberg, ein zweites Mal zum Vorbild dafür zu werden, wie man es nicht machen sollte. Es wird versprochen, alles ans Licht zu bringen. Doch tatsächlich gibt der Vorstand, dessen Mitglieder merklich auseinanderdriften, nur stückchenweise Informationen heraus, kommuniziert teilweise fahrig bis widersprüchlich, von Rechtsberatern und Krisenkommunikatoren souffliert. Wo sind die Anerkennung der eigenen Verantwortung für die Geschehnisse und das Bekenntnis zu wahrhaftigen Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation? 

 

Es bleiben, neben der laufenden staatsanwaltschaftlichen Aufarbeitung, viele weitere Fragen offen: Hat der Vorstand sich bei der Vorbereitung der PR-Kampagne und vor Bekanntwerden des Skandals richtig verhalten? Wer wusste was, und welche Schlussfolgerungen zogen Grüters-Kieslich und ihre Vorstandskollegen? Und was war, als die Presseberichterstattung einsetzte: Haben die Vorstandsmitglieder genug für die Aufklärung getan? 

 

Die Ärztlichen Direktoren schreiben in ihrem Brief, sie wollten klarstellen, "dass wir eine Weitergabe von Verantwortung an Dritte außerhalb des Universitätsklinikums nicht als adäquates Mittel der Verantwortungsübernahme betrachten." Sie bedauern, dass der Eindruck entstanden sein könnte, "die überwiegende Mehrheit von Fakultät und Klinikum würde ein Agieren dieser Art tolerieren oder sogar unterstützen."

 

Was sagt der Skandal über die
Kultur deutscher Unikliniken aus?

 

Eine Ebene abstrakter gefragt: Was sagen der Bluttest-Skandal und der Umgang der Klinik-Verantwortlichen damit über die Organisationsstrukturen und die Kultur deutscher Universitätskliniken aus? Wie müssten die Hierarchien und Kontrollmechanismen aussehen, um derlei Vorfälle künftig verhindern zu können? Wohin können sich Mitarbeiter wenden, die ausgebootet und möglicherweise sogar gemobbt werden? Welche Rolle kann und muss dabei die Landesregierung, die gleichzeitig Träger und Aufsichtsbehörde des Uniklinikums ist, bei einer Restrukturierung und der Wiederherstellung des Vertrauens der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit spielen? 

 

Und womöglich sogar noch wichtiger: Wie passen die medizinische Ethik und der hippokratische Eid, den Mediziner leisten, zusammen mit dem riesigen Geschäftsbetrieb eines modernen Krankenhauses? Wie speziell mit dem eines Uniklinikums, das nicht nur Gewinne in der Krankenversorgung erwirtschaften muss, sondern zugleich seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in den wirtschaftlichen Erfolg unternehmerischer Ausgründungen ummünzen soll? Was lässt sich aus dem Bluttest-Skandal auch für anderswo lernen? 

 

Die Ärztlichen Direktoren warnen vor einem "Austausch von Köpfen um der Symbolik willen und ggf. zur Satisfaktion der Öffentlichkeit" anstelle einer stringenten "Überarbeitung von Abläufen, Kompetenzen und die übergreifende Definition von "Schnittstellen". 

 

Ein Teil der Chefärzte des Klinikums soll indes in Gesprächen die Ablösung von Grüters-Kieslich gefordert haben. Personelle Konsequenzen wurden jedoch tatsächlich bislang nur in einem Fall gezogen. Vergangene Woche hat der Klinikumsvorstand Markus Jones von seinen Aufgaben entbunden – "vorübergehend", wie es hieß, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind. Jones ist nicht nur Justiziar und Gürkans Stellvertreter, er ist auch Leiter des Drittmittelmanagements – und Chef der TTH, dem Technologie-Transfer-Heidelberg GmbH. Zeitweise war Jones auch Geschäftsführer von Heiscreen. 

 

Und was ist jetzt eigentlich
mit Christof Sohn?

 

Dem Vernehmen nach wird ihm vorgeworfen, er habe die Strafanzeige des Klinikums im Alleingang gestellt – die vor allem im Aufsichtsrat für Ärger sorgte. Außerdem gibt es weitere Vorwürfe, die gar nichts mit dem Bluttest-Fall zu tun haben. Aber womöglich war es gar nicht Jones, der die Strafanzeige verantwortete, sondern der Vorstand. Die Klinikumspressestelle wiederum sagt auf Anfrage, die Strafanzeige sei dem Vorstand "von dem verantwortlichen Justiziar Herrn Jones dringlich empfohlen" worden, auf seine Fachargumente habe man sich verlassen. Allerdings sind auch, wie die RNZ in Erfahrung brachte, die übrigen –strafrechtlich relevanten – Vorwürfe alles Andere als eindeutig. "Ist Jones sozusagen ein Bauernopfer?", frage die RNZ in ihrer Wochenendausgabe. 

 

In der Gynäkologenszene fragen sich derweil viele, was jetzt eigentlich mit Christof Sohn ist, dem Mann, mit dem alles anfing. Der ist nach einer zwischenzeitlichen Auszeit an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt und verhalte sich dort so, "als sei nichts gewesen", berichten Klinikmitarbeiter. Während Grüters-Kieslich um ihren Job kämpft und Gürkan sich offenbar für eine Rückkehr von Jones stark macht. Über Sohn, fordern Klinikdirektoren und Medizinprofessoren aus ganz Deutschland (allerdings noch nur hinter vorgehaltener Hand), werde noch intensiv zu reden sein. 

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