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Das Mehr-Professorinnen-Projekt

Eine niederländische TU will die nächsten 150 Stellen ausschließlich mit Frauen besetzen. Die Aufregung darüber in Deutschland ist groß. Was sagt uns das eigentlich?

"Frauenförderung extrem?" Will von 12 auf 20 Prozent Professorinnen kommen: die TU Eindhoven. Foto: Stephane Gaudry, "Technische Universiteit Eindhoven", CC BY 2.0.

ES IST ERSTAUNLICH, für welche Aufregung eine kleine niederländische Hochschule sorgen kann – in Deutschland. Die Technische Universität Eindhoven (TU/e), 11.000 Studierende, 3000 Mitarbeiter, will nur noch Bewerbungen von Frauen akzeptieren. Erst wenn sich sechs Monate lang keine geeignete Bewerberin findet, wird eine Stellenausschreibung auch für Männer geöffnet.

 

"Frauenförderung extrem" erkennt die Frankfurter Allgemeine Zeitung und findet, sowas gehört abgestraft: "Egal ob Mann oder Frau: Die besten angehenden Wissenschaftler(innen) werden sich jetzt hoffentlich erst einmal an einer anderen Universität bewerben – und nur wenn nötig in Eindhoven."

  

In der in München ansässigen Süddeutschen Zeitung kann man nachlesen, Irène Joliot-Curie, die französische Nobelpreisträgerin von 1935, habe so einen "Missbrauch ihres Namens nicht verdient". Missbrauch, weil die TU/e das zu der Initiative gehörende Fellowship-Programm zu Ehren Joliot-Curies benannt hat. Die "100-Prozent-Quote" führe nicht zur Auswahl der Besten und ignoriere, "dass es Unterschiede in den Interessen und womöglich sogar in manchen Fähigkeiten der Geschlechter gibt." Der SZ-Autor, so steht unter seinem Kommentar, bedauert übrigens, dass sich keine Kollegin für das Verfassen beworben habe.

 

Exzellenz geht auf Dauer
nur mit Diversität

 

Derweil veröffentlichte – das ebenfalls in München ansässige – Bayerische Landesamt für Statistik neue Zahlen zum Anteil von Professorinnen im Freistaat. Er lag 2018 bei 20,4 Prozent. Das waren 0,6 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. In vielen anderen Bundesländern sieht es kaum besser aus. Bei gleichbleibender Geschwindigkeit dauert es in Bayern genau noch ein halbes Jahrhundert, bis Geschlechterparität herrscht. Nur um die Dimensionen zu begreifen: Vor 50 Jahren wurde Willy Brandt Bundeskanzler.

 

Wenn man die zitierten und weitere Aufgeregtheiten zur TU Eindhoven liest, bekommt man eine Idee, woran das liegen könnte. Offenbar haben viele in Deutschland immer noch nicht begriffen, dass Exzellenz und Diversität – zu der Gender-Gerechtigkeit zählt – nicht im Widerspruch zueinanderstehen, sondern einander bedingen. Für sie scheint es unvorstellbar zu sein, dass die TU/e mit der ungewöhnlichen Maßnahme ihre wissenschaftliche Qualität am Ende steigern könnte. So, wie sie offenbar nicht begreifen, dass Hochschulen, die bevorzugt Männer zu Professoren machen, von denen  noch dazu die allermeisten einen deutschen Pass haben, keine exzellenzförderliche Einstellungspolitik praktizieren, sondern eine fantasielose.

 

Derzeit sind nur 12,6 Prozent der Lehrkräfte in Eindhoven weiblich. Das heißt: Bislang gab es dort eine 87,4-Prozent-Männerquote. Aber die war nicht explizit, sie stand nirgendwo, sie wurde einfach so praktiziert. Über Jahre und Jahrzehnte.

 

"Wir wissen, dass es einen impliziten

Genderbias gibt" – pro Mann

 

Auch der Rektor der TU/e ist ein Mann. Frank Baaijens sagt laut NiederlandeNet, weil in den nächsten Jahren 150 Dozentenstellen frei würden, bestehe die Chance, schnell zumindest auf 20 Prozent Frauenanteil zu kommen. "Wir wollen eine Veränderung der Kultur." Nach anderthalb Jahren soll die Initiative evaluiert werden. Natürlich, sagt Baaijens, sei sie kontrovers: "Wenn man nicht aufpasst, sagen die Leute: Du hast die Stelle bekommen, weil du eine Frau bist. Aber wir wissen, dass es einen impliziten Genderbias gibt, dass wir beispielsweise eher einen Mann als eine Frau mit "exzellent" etikettieren, obwohl sich ihre Leistungen nicht unterscheiden."

 

Ich glaube, für die Initiative einer Hochschule, deren Chef solche Sätze sagt, hätte Irène Joliot-Curie doch ganz gern ihren Namen geliehen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will’s wissen" im Tagesspiegel. 


NACHTRAG AM 02. JULI 2019:

Spiegel Online hat jetzt den Rektor Frank Baajens interviewt. Sehr spannend zu lesen. Hier der Link zu dem Gespräch

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Kommentare: 2
  • #1

    tmg (Montag, 01 Juli 2019 18:07)

    Die gebetsmühlenartige Wiederholung von Thesen der Art
    'Exzellenz geht auf Dauer nur mit Diversität' oder 'Exzellenz und Diversität bedingen einander' macht sie nicht richtiger. Es wird der Eindruck erweckt, dass Exzellenz ohne Diversität nicht möglich sei. Die vergangenen Jahrhundert, speziell das letzte haben aber gigantische wissenschaftliche Exzellenz hervorgebracht ohne die geringste Form von Diversitätsprogramm. Und es würde auch in Zukunft selbstverständlich weiterhin wissenschaftliche Exzellenz auch ohne Diversität geben. Die Forderung nach Diversität kann man selbstverständlich stellen. Dabei handelt es sich aber um eine Forderung politischer Natur. Die Vorspiegelung nichtvorhandener kausaler Zusammenhänge ist etwas, was seriöser Journalismus tunlichst vermeiden sollte.

  • #2

    Mannheimer Studi (Montag, 01 Juli 2019 18:21)

    Bold Move.
    Die Debatte scheidet sich meines Erachtens an folgendem Unterschied in der Argumentationsweise: Die einen formulieren Gerechtigkeit als Geschlechterparität in der Bestandsgröße (Anteil Professorinnen innerhalb der Fakultät), während andere Gerechtigkeit in der Flußgröße wollen (Anteil Professorinnen an Berufungen).
    Persönlich tendiere ich eher zu letzterer Betrachtungsweise, auch wenn Wiarda mit der Diversität ein wichtiges Argument macht. Die Marschrichtung hin zu einem höheren Anteil Professorinnen ist ohnehin klar, auch wenn die Geschwindigkeit sicher frustrierend sein kann.