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Umstrittene Standortentscheidung: Karliczek ergreift Flucht nach vorn

Ihr Ministerium veröffentlicht Einzelheiten zur Entscheidungsfindung pro Münster und zur Sitzung der Gründungskommission und zu den Akteuren in BMBF und Wirtschaftsministerium.

SEIT DIE BUNDESREGIERUNG sich für Münster als Standort für die "Forschungsfertigung Batteriezelle" entschieden hat, reißt die Kritik an Anja Karliczek (CDU) nicht ab. Jetzt ergreift die Bundesforschungsministerin die überfällige Flucht nach vorn und macht den Entscheidungsablauf transparenter als bislang.

 

Ihr Ministerium teilte mir heute Nachmittag auf Anfrage mit: Nachdem die sogenannte Gründungskommission am 25. Juni getagt hatte und nach anschließender Anhörung der Fraunhofer-Gesellschaft hätten sich der zuständige Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium und der stellvertretende Abteilungsleiter im BMBF zusammengesetzt und "in gemeinsamer Sitzung die Argumente gewürdigt".

 

Zwei Abteilungsleiter
trafen die Entscheidung

 

Unter Einbeziehung "der Passfähigkeit der Konzepte in die Gesamtstrategie der Bundesregierung, dem erwarteten volkswirtschaftlichen Nutzen, der Nachhaltigkeit der Konzepte und der Exzellenz und Kompetenz der Akteure" hätten die beiden Ministerialbeamten dann die Entscheidung für den Standort Münster getroffen, zunächst noch vorbehaltlich der Billigung durch die "Leitung im BMWi" (gemeint ist wohl Minister Peter Altmaier) und des Abteilungsleiters im BMBF, also namentlich Wolf-Dieter Lukas, der – ebenfalls vergangene Woche – zum Nachfolger Georg Schüttes als parlamentarischer Staatssekretär nominiert wurde. "Diese Billigung erfolgte", teilt das Ministerium weiter mit. "Die Ministerin wurde im Anschluss informiert. Sie hat entschieden, auf dieser Basis die Presse zu informieren."

 

Karliczek hatte in den vergangenen Tagen immer wieder beteuert, nicht in die Entscheidung involviert gewesen zu sein, jedoch die Details bislang nicht öffentlich gemacht. Münster liegt direkt in direkter Nachbarschaft von Karliczeks Bundestagswahlkreis, zu dem auch ihre Heimatstadt Ibbenbüren gehört. Dort, so heißt es, könnten jetzt auch mehrere hundert Arbeitsplätze entstehen. Was zu massiven Nachfragen geführt hatte, unter anderem von Bundestagsabgeordneten.

 

So verlangte die innovationspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Anna Christmann, in einem Schreiben an Ministerin Karliczek Aufklärung. "Warum soll Münster/ Ibbenbüren der beste Standort für die #Batteriezellenforschung sein und wie hat die Gründungskommission votiert?", twitterte Christmann, gestern. "Ich habe Min @AnjaKarliczek schriftlich aufgefordert, mir alle Informationen über den Auswahlprozess zukommen zu lassen. Transparenz ist zwingend."

 

Insofern das Ministerium den nun offengelegten Entscheidungsprozess gegenüber Christmann und anderen belegen kann, ist damit zumindest schon mal eine von zwei zentralen Fragen geklärt – die nach ihrer persönlichen Involviertheit, um dem Vorwurf eines Geschmäckles zu begegnen. 

 

Was wollte die
Gründungskommission?

 

Allerdings stand noch eine zweite Frage im Raum: Welchen Einfluss hatte eigentlich die zehnköpfige Gründungskommission, der Industrievertreter und je ein Mitarbeiter von Fraunhofer und dem Wirtschaftsministerium angehörten, auf die Entscheidung? Hatte die Kommission, wie dem BMBF vorgeworfen wurde, in Wirklichkeit Meinungen vertreten, die einer Entscheidung für Münster diametral entgegenstanden? Haben sich die beteiligten Ministerien insofern über das Votum der Kommission hinweggesetzt?

 

So zumindest konnte man den Beschwerde-Brief lesen, den 

die Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern Anfang der Woche an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geschrieben hatten und dessen Inhalt prompt in die Öffentlichkeit durchsickerte. "Soweit bekannt haben in der Auswahlkommission weder die Vertreter der Industrie noch die Vertreter der Fraunhofer-Gesellschaft für Münster votiert. Vielmehr sah die Auswertung der Fraunhofer-Gesellschaft andere Standorte, wie zum Beispiel Ulm, Salzgitter und Augsburg, an der Spitze des Bewerberfeldes", schrieben Stephan Weil (SPD), Winfried Kretschmann (Grüne) und Markus Söder (CSU) laut Spiegel Online. Die drei genannten Städte aus den Bundesländern der drei waren ebenfalls im Rennen gewesen.

 

Zuletzt hatte ihr Kollege aus Thüringen, Bodo Ramelow, noch einen draufgesetzt und einen eigenen Brief an die Kanzlerin hinterhergeschickt. Die Entscheidung für Münster als Standort für die "Forschungsfertigung Batteriezelle" sei ein "inakzeptables Beispiel intransparenter und nicht nachvollziehbarer Entscheidungsfindung", schrieb Ramelow, derzurzeit der Ministerpräsidentenkonferenz-Ost vorsitzt. Er bitte die Kanzlerin daher, auf eine Revidieren der Entscheidung hinzuwirken – "und einen Beschluss herbeizuführen, der den bisherigen Versprechungen der Bundesregierung auch Taten folgen lässt".

 

Ramelow spielt damit unter anderem auf Merkels Aussage im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz-Ost an. Dort habe sie am 3. April versichert, "dass die Sensibilität der Bundesregierung für die Bedeutung von Standortentscheidungen zugunsten der ostdeutschen Bundesländer in der Bundesregierung vorhanden sei", Merkel habe sich für eine ausgewogene Standortverteilung ausgesprochen. 

 

BMBF: Es hat in der Kommission nie
ein vergleichendes Votum gegeben

 

Das Wording vor allem des zweiten Briefes zeigt unterdessen auch, dass sich hier die Motive vermischen: Geht es um das Anprangern eines vermeintlich undurchsichtigen Entscheidungsprozesses? Oder einfach darum, dass die Ministerpräsidenten mehr für ihre eigenen Bundesländer herausholen wollen?

 

Wie dem auch sei: Karliczek stand unter immensem Druck, auch diese Vorwürfe möglichst schnell aufzuklären. Ihr Ministerium erläuterte die Geschehnisse in und um die Gründungskommission mir gegenüber nun wie folgt: Es sei dort nie zu dem von den Ministerpräsidenten behaupteten vergleichendem Votum, sprich: einem Standort-Ranking, gekommen. Deshalb habe die von der Fachebene in den beiden Ministerien wie beschrieben gefallene Entscheidung dem Willen der Experten auch gar nicht widersprechen können. 

 

Fest steht allerdings auch, dass Standortempfehlungen durch die Kommission eigentlich vorgesehen waren, dies belegt ein von der Fraunhofer-Gesellschaft am 13. März verfasstes internes Papier zum Standortbewerbungsprozess, das mir vorliegt. 

 

Danach gefragt, teilt Karliczeks Ministerium mit, der in den Fraunhofer-Unterlagen angegebene Zeitablauf sei mehrfach "im Konsens aller Beteiligten" verändert worden. Nach einer internen Diskussion der Gründungskommission sei dann verabredet worden, anstatt der Standortempfehlungen nur ein Meinungsbild zu erheben. Das BMBF bleibt also dabei: "Es erfolgte keine Empfehlung."

 

Fraunhofer bestätigt die
Darstellung des Ministeriums

 

Inoffiziell ist von Ministeriumsmitarbeitern zu hören, die Gründungskommission habe sich selbst auf unterschiedliche Weise als befangen gesehen und deshalb entschieden, keine Standortempfehlungen zu formulieren.

 

Der Tagesspiegel wiederholte indes in seiner Freitagausgabe den Vorwurf, BMBF und Wirtschaftsministerium hatten sich über die Empfehlung der Kommission hinweggesetzt: "Nach Informationen des Tagesspiegels haben die acht Industrievertreter in der Gründungskommission bei ihrer abschließenden Sitzung am 25.6. klar für Ulm votiert."

 

Unterstützung erhält Karliczek dagegen von Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer. Dessen Sprecher Janis Eitner bestätigt auf Anfrage die Darstellung des BMBF weitgehend.

 

Zunächst, so Eitner, habe Fraunhofer in Abstimmung mit der Gründungskommission die Kriterien für die Standortbewertung entwickelt. Diese hätten die Komponenten Standort, Grundstück und Gebäude, Termin der Verfügbarkeit, Kompetenz, Industrie, Finanzierung sowie Belege für vorgelegte Angaben und Referenzen" umfasst. Einige seien so genannte Fest- oder Mindestanforderungen gewesen.

 

In der abschließenden Sitzung der Gründungskommission habe es auf Basis dieser Kriterien "einzelne Präferenzen bei den Bewertungen" gegeben, jedoch kein abschließendes gemeinsames Votum. Hinzu kam, dass mehrere Bewerbungen eng beisammen gelegen hätten, ergänzt Eitner. 

 

Hätte man die Kommission anders zusammensetzen sollen?

 

Angesichts dieser Ausgangslage hätten BMBF und Bundeswirtschaftsministerium dann die  Kriterien "Passfähigkeit zur Batteriestrategie der Bundesregierung" und  "Umweltverträglichkeit und Ressourceneffizienz" ergänzt. "Die finale Entscheidung wurde dann in der Tat durch die Vertreter der Ministerien getroffen", sagt Eitner. "Dem Gewinnerkonsortium gratulieren wir selbstredend herzlich und freuen uns auf die Zusammenarbeit."

 

Womöglich, könnte man aus all dem schließen, lag das eigentliche Problem ja in der Zusammenstellung der Gründungskommission, deren Vertreter offenbar fast alle so in der Batterieforschungs- und fertigungsszene involviert waren, dass sie zu Recht davon absahen, ein Votum für einen Standort abzugeben. Was, wenn es sich so abgespielt hat, wiederum die Sache nach außen so kompliziert aussehen hätte aussehen lassen. Die Inkonsistenzen der vergangenen Tage finden in der Darstellung des BMBF und Fraunhofers jedenfalls nun erstmals eine plausible Erklärung.

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Kommentare: 1
  • #1

    Th. Klein (Freitag, 05 Juli 2019 07:46)

    "Womöglich, könnte man aus all dem schließen, lag das eigentliche Problem ja in der Zusammenstellung der Gründungskommission, deren Vertreter offenbar fast alle so in der Batterieforschungs- und fertigungsszene involviert waren, dass sie zu Recht davon absahen, ein Votum für einen Standort abzugeben."

    Dies ist ein grundsätzliches Problem bei Programmen/Ausschreibungen, die ein spezialisiertes oder eng vernetztes Forschungsfeld adressieren. Letztlich ist jede namhafte Person, die in Deutschland in der Batterieforschung tätig ist, in irgendeine Bewerbung involviert. Für Organisationen wie die DFG, Projektträger u.a. ist es dann schwierig unbefangene Gutachter/innen zu finden. Man lese sich mal die Befangenheitstregeln von DFG, WR etc. an. Da ist man schnell raus. Man kann dann nur auf internationale Gutachter/innen ausweichen, was nicht bei jedem Verfahren gleich vorgesehen ist, wohl auch nicht bei dieser Gründungskommission, in die man die internen Stakeholder einbeziehen wollte.

    Interessant ist, die scheinbare Erwartung an Frau Merkel. Sie hat als Kanzlerin zwar die Richtlinienkompetenz, aber ansonsten haben die MinisterInnen die Ressorthoheit. Dass Frau Merkel hier etwas kippen könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Also alles nur ein politisches Spiel, ohne dass damit echte Erwartungen verbunden sein könnten. Letztlich versucht man wahrscheinlich, irgendeine Kompensation "herauszuhandeln". Das wäre dann aber genau die Strukturpolitik, die die Verfasser beklagen.