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Was die Sommerloch-Debatte zum Zentralabi bewirken muss

Über die Debatte ums Zentralabitur sind die Länder zu Recht genervt. Die Krise des Bildungsföderalismus müssen sie trotzdem lösen.

ES IST JA SCHÖN, dass während des Sommerlochs zur Abwechslung ein bildungspolitisches Thema Karriere macht. Aber langsam ist es dann auch mal gut. Anfang Juli hat Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann über das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) verkündet: "Wir brauchen in fünf bis zehn Jahren ein zentrales Abitur."

 

Zentral? Abitur? Solche Begrifflichkeiten lösen in Deutschland mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit heftige Reflexe aus, denn sie öffnen gleich zwei emotionale Schubladen: die mit dem Föderalismus und die, wo das Gymnasium drinsteckt.  

 

Flammende Plädoyers

 

Das hatte Eisenmann, die 2021 für die CDU Ministerpräsidentin werden will und ein wenig Aufmerksamkeit für ihren noch relativ neuen Spitzenkandidaten-Status braucht, sicherlich einkalkuliert. Aber wahrscheinlich ist sie selbst erstaunt, wie gründlich das mit dem Debattenanstoß geklappt hat.

 

Alle, die der Meinung sind, sich irgendwie mit dem Thema profilieren zu können, tun das auch, manche mehrfach. Der Lehrerverband. Der Philologenverband. Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder ("Zentralismus führt immer nur zu einer Schwächung"). OECD-Pisa-Papst Andreas Schleicher ("Eine Frage der Fairness"). FDP-Chef Christian Lindner (Der aktuelle Bildungswettbewerb sei "aus der Zeit gefallen"). Zu verschiedenen Gelegenheiten: Bundesbildungsministerin Anja Karliczek ("Eine Frage der Gerechtigkeit", kein Thema "für das Sommerloch"). Zuletzt Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig ("Das Zentralabitur wäre sicherlich eine Lösung").

 

Mal schauen, wer als nächstes ein Mikrofon hingehalten bekommt. Und wir Journalisten greifen das Thema ebenfalls gierig auf: in staatstragenden Leitartikeln, in flammenden Plädoyers.

 

Bringt uns all das irgendwie voran? Bislang nicht wirklich. Denn während die Mehrzahl der Wortmeldungen teils emphatische Zustimmung ausdrückte, waren diejenigen, die wirklich etwas tun könnten, auffällig still. Eisenmanns Ministerkollegen. Weil sie wissen, wie komplex die Angelegenheit ist. Am Anfang schien es gar so, als wollten sie dem Thema ganz ausweichen. Dann kamen doch ein paar – meist abwehrende – Statements. Am klarsten äußerte sich erst neulich Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Sie sagte laut Spiegel Online, eine "zentrale Gleichschaltung" in einem föderalen System wäre "töricht".

 

Eisenmann will ihre Kollegen nicht entmachten

 

Die Kultusminister wehren sich gegen vermeintlich einfache Antworten auf ein Problem, an dem sie seit langem knabbern. Zugleich fürchten sie um ihren Einfluss, gehören doch schulische Prüfungen zum Kern der ländereigenen Kultushoheit. Dass mit Eisenmann ausgerechnet eine Kollegin dies in Frage zu stellen scheint, erstaunt – allerdings nur solange man ihren Vorstoß missverstehen will. Denn wenn man genau hinhört, will Eisenmann sich und ihre Kollegen gar nicht entmachten. Sie will aber, dass die Kultusminister – trotz aller Komplexität – mutiger werden in ihren Antworten. Sie will, dass sie Schluss machen mit ihren halbherzigen, teils nur symbolischen Aktionen für mehr Vergleichbarkeit schulischer Abschlüsse.

 

Denn in der Öffentlichkeit hat sich längst eine für den Bildungsföderalismus fatale Wahrnehmung festgesetzt: dass sich die Abi-Anforderungen von Bundesland zu Bundesland massiv unterscheiden. Dass Schulabgänger mit identischen Leistungen in Thüringen ganz andere Zensuren bekommen als in Bremen. Und dass die Länder es nicht schaffen, etwas daran zu ändern.

 

Letzte Chancen für den Bildungsföderalismus

 

Eisenmanns Kollegen können sich also weiter über den unbestreitbaren Drang ihrer Kollegin zur Selbstprofilierung ärgern. Sie können weiter – und zu Recht! – bei jeder neuen nervigen und überflüssigen Wortmeldung teilweise selbsternannter Bildungsexperten die Augen verdrehen.

 

Oder sie begreifen den Kern dieser Sommerloch-Debatte: Sie können, sie müssen die Wende beim Abi jetzt selbst hinbekommen. Sie müssen sie ergreifen, diese vermutlich letzte Chance für den in der Krise befindlichen Bildungsföderalismus – bevor der echte, nicht mehr von den Ländern gesteuerte Zentralismus kommt. 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will’s wissen" im Tagesspiegel. 

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Kommentare: 3
  • #1

    Edith Riedel (Montag, 29 Juli 2019 09:09)

    "Denn in der Öffentlichkeit hat sich längst eine für den Bildungsföderalismus fatale Wahrnehmung festgesetzt: dass sich die Abi-Anforderungen von Bundesland zu Bundesland massiv unterscheiden":

    Das ist leide rmehr als nur eine Wahrnehmung: das ist so, und zwar schon seit Jahrzehnten. Die Universitäten können ein Lied davon singen...

  • #2

    Zitzewitz (Montag, 29 Juli 2019 11:18)

    Dem o.g. kann ich nur zustimmen. Zugleich wird vom Arbeitnehmer eine hohe Flexibilität in Sachen Jobsuche/Ortswechsel verlangt. Für die Kinder oft eine grosse Herausforderung und Belastung.

  • #3

    Carsten von Wissel (Dienstag, 30 Juli 2019 11:18)

    Tue mich regelmäßig schwer den Ertrag des real existierenden Bildungsföderalismus zu sehen.
    Priens Statement fand ich unüberzeugend und es kann doch nicht ernsthaft im Job-Enrichment für Bildungsbprokraten gehen.
    Wie auch immer, diese "wir-machen es-halt-unterschiedlich-weil-wir-es-können-Sache" ist doch kein belastbares Konzept.