· 

Wurde der Osten durch die Exzellenzstrategie benachteiligt?

Die Debatte läuft. Zeit für eine nüchterne Betrachtung und eine erste statistische Auswertung: ein Gastbeitrag von Hans-Gerhard Husung.

Hans-Gerhard Husung. Foto: privat

DIE DEUTSCHE HOCHSCHULLANDSCHAFT befindet sich in einem verschärften Wettbewerb und Differenzierungsprozess mit Gewinnern und Verlierern, symbolisiert durch die Exzellenzstrategie. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass die Universitäten Dresden und Jena zusammen vier Exzellenzcluster einwerben konnten und dass die Universität Dresden in den Kreis der elf (oder wenn man die Berliner Hochschulen einzeln rechnet) 13 Exzellenzuniversitäten aufgenommen wurde.

 

Andererseits gingen drei der fünf ostdeutschen Flächenländer mit ihren Universitäten ohne jeglichen Erfolg aus dem Wettbewerb hervor. Schon werden in der Öffentlichkeit Stimmen laut, die reflexartig eine Benachteiligung Ostdeutschlands vermuten lassen. Anlass genug für einen ersten datenbasierten analytischen Rückblick auf die Performance der ostdeutschen Universitäten bei den Auswahlentscheidungen der Exzellenzstrategie in den Jahren 2018 und 2019. 

 

Es sei daran erinnert, dass die Exzellenzinitiative von vornherein als ein Wettbewerb angelegt war, bei dem Erfolg systematisch ungleich verteilt ist. Es kann bei einer kritischen Betrachtung deshalb nicht darum gehen, ein bundesweit gleiches Verteilungsergebnis zum Maßstab zu erheben. Vielmehr steht die Frage nach fairen Ausgangschancen im Vordergrund. Beim gegenwärtigen Wissensstand ist es nicht möglich, darauf konkrete Antworten zu formulieren, lediglich erste hypothetische Überlegungen erscheinen möglich.

 

Den richtigen Vergleichsmaßstab finden

 

Um mögliche Benachteiligungen zu erkennen, muss zunächst ein geeigneter Vergleichsmaßstab gefunden werden. Als hilfsweise Orientierung soll hier der sogenannte Königsteiner Schlüssel dienen, in dem bei nicht-wettbewerbsorientierten Bundesprogrammen Bevölkerung und Steuerkraft zusammengefasst werden, um daraus ein Verteilungsmodell für alle Länder abzuleiten. Für alle ostdeutschen Länder (außer Berlin) zusammengefasst beträgt der so berechnete Anteil etwa 15 Prozent. Dass der Königsteiner Schlüssel als Vergleichsmaßstab geeignet ist ist, zeigt schon die Tatsache, dass auch der Anteil von Professuren ostdeutscher Universitäten als wichtiges Potenzial im bundesdeutschen Vergleich bei etwa 15 Prozent liegt. Diese 15 Prozent werden deshalb im Folgenden als Normalmaß angelegt.

 

Für den letzten Exzellenzclusterwettbewerb ergibt sich für die einzelnen Wettbewerbsphasen folgendes Bild mit Blick auf die ostdeutschen Universitäten:

 

Skizzenphase

 

Von 195 zunächst eingereichten Skizzen stammten 21 von ostdeutschen Universitäten. Das entspricht einem Anteil von 10,8 Prozent. Die ostdeutschen Universitäten haben, gemessen an der eingangs beschriebenen Orientierungshilfe, also weniger Skizzen eingereicht, als es ihrem Anteil am wissenschaftlichen Potenzial, grob gemessen an ihrem Anteil an Professuren, entsprechen würde.

 

Antragsphase

 

Von diesen 21 Skizzen kamen neun in die nächste Phase der Antragstellung; ihr Anteil an den insgesamt 84 Anträgen beträgt 10,7 Prozent. Die Aufforderung zur Antragstellung erging also in einem erwartbaren Umfang.

 

Die Exzellenzcluster-Vergabe

 

Am Ende des Exzellenzcluster-Wettbewerbs standen 57 Bewilligungen, davon vier für die beiden erwähnten ostdeutschen Universitäten Dresden und Jena, was einem Anteil von 7 Prozent entspricht, also weniger als der Hälfte des berechneten Normalmaßes. Bemerkenswert ist, dass von den Anträgen aus Ostdeutschland 55 Prozent scheiterten, während dies bei den westdeutschen Anträgen nur für 29 Prozent galt. Dabei soll ausdrücklich nicht unterstellt werden, dass mit zweierlei Maß gemessen wurde.

 

Vielmehr könnte es ein mögliches Indiz für eine einzelfallübergreifende Schwäche der ostdeutschen Anträge sein. Geht man in der Analyse noch einen Schritt weiter und betrachtet die in vielen Fällen erkennbare Vorstufe von erfolgreichen Exzellenzclustern, nämlich die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereiche, so mag auffallen, dass die ostdeutschen Universitäten auch hier lediglich einen Anteil von etwas mehr als 10 Prozent aufweisen.

 

Die aktuellen Ergebnisse mögen Anlass zur Sorge sein, sie stellen jedoch keinen Einbruch zu vorangegangenen Wettbewerbsrunden der Exzellenzinitiative dar: Von 39 zwischen 2005 und 2017 geförderten Projekten "Graduiertenschulen" entfielen insgesamt nur sechs auf Ostdeutschland; Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen hatten auch in dieser Förderlinie keinen Erfolg.

 

Von den sechs Förderprojekten entfielen drei Nennungen auf eine Graduiertenschule, die gemeinsam von Berlin, Leipzig, Magdeburg und Potsdam getragen wurde, sowie drei Nennungen auf Graduiertenschulen zwischen Berlin und Potsdam. Von den 20 Projekten bei den "Exzellenzclustern" entfielen drei auf Chemnitz und Dresden; drei ostdeutsche Länder blieben ohne Erfolg. In der dritten Förderlinie "Zukunftskonzepte" konnte allein Dresden reüssieren.

 

Erfolg = f (Größe, Fächerspektrum, past merits)

 

Die DFG selbst weist in ihrer Auswertung der Exzellenzinitiative für die Imboden-Kommission darauf hin, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Größe einer Universität sowie dem Fächerspektrum mit Ingenieurwissenschaften und Medizin einerseits und dem Erfolg in der Exzellenzinitiative gegeben hat. Die Liste der 40 absolut DFG-bewilligungsstärksten Universitäten bestätigt einen solchen Zusammenhang grundsätzlich. Zu dieser Gruppe gehören in Ostdeutschland die Universitäten Dresden, Leipzig, Jena und Halle-Wittenberg.

 

Ein Blick auf die zehn DFG- bewilligungsstärksten Universitäten zeigt: Sie haben 65 Skizzen für den Exzellenzclusterwettbewerb eingereicht, die zu 36 Anträgen führten (Erfolgsquote 55,4 Prozent); am Ende standen für diese Gruppe 23 Exzellenzcluster (Erfolgsquote gegenüber den Anträgen 63,4 Prozent). Die Universität Dresden gehört zu dieser Gruppe. 

 

Im Vergleich mit den eingereichten Skizzen ergab sich für diese zehn DFG-drittmittelstärksten Universitäten damit für die Exzellenzcluster eine Erfolgsquote von 35,4 Prozent; für die ostdeutschen Universitäten stand am Ende dagegen eine Erfolgsquote von nur 19 Prozent.

 

Vor diesem Hintergrund sei darauf verwiesen, dass überhaupt nur 27 der 195 Skizzen von Universitäten eingereicht wurden, die nicht zu den 40 absolut DFG-drittmittelstärksten Universitäten gehören. Zu diesen Universitäten, 19 an der Zahl, gehörten sechs aus dem Osten, und zwar Greifswald, Ilmenau, Chemnitz, Freiberg, Potsdam und Magdeburg, also sechs von 19. Die Gruppe der 19 erreichte am Ende drei bewilligte Exzellenzcluster: Bayreuth einen, Braunschweig zwei – was einer Erfolgsquote gemessen an den Skizzen von rund 11 Prozent entspricht.

 

Die meisten ostdeutschen Universitäten sind auffällig klein

 

Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, dass kein ostdeutscher Antrag zu der Gruppe von 11 ursprünglich "gelben" Exzellencluster-Anträgen gehörte, die bei der Förderentscheidung im grünen Bereich landeten.

 

Bei einer Betrachtung des polyzentrischen Charakters des deutschen Wissenschaftssystems im DFG-Förderatlas 2015 wird die vergleichsweise geringe Zahl außeruniversitärer Forschungseinrichtungen im Umfeld der meisten ostdeutschen Universitäten deutlich. Abgesehen vom Sonderfall Dresden gab es zudem in der auslaufenden Exzellenzinitiative kaum regionale Zusammenarbeiten zwischen Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen. 

 

Auch Größe als möglicherweise kritische Rahmenbedingung sollte nicht unerwähnt bleiben: Gemessen an den Studierendenzahlen gehören nur Dresden und Leipzig zu den 20 größten deutschen Universitäten. Der größte Teil der ostdeutschen Universitäten weist 13.000 Studierende oder weniger auf – bei gleichzeitig breit ausgebautem Fächerspektrum. Was möglicherweise bedeutet, dass viele Standorte allein die für Exzellenzcluster nötige "kritische Masse" nicht erreichen und zugleich vom hohen Koordinationsaufwand für große Förderformate besonders herausgefordert sind.

 

Interessant könnten in diesem Zusammenhang auch die Auswertungen der DFG zum "Verhältnis der DFG-Bewilligungen für 2014 bis 2016 zum erwarteten Bewilligungsvolumen" sein, und zwar bezogen auf Professorenschaft bzw. wissenschaftliches Personal, also größenbereinigt. Von den 40 Universitäten mit bester Potenzialausschöpfung befanden sich vier in Ostdeutschland: Chemnitz, Dresden, Jena und Potsdam. 

 

Die Wissenschaftskulturen haben sich erfreulich entwickelt

 

Nach 1990 wurde eine Reihe von Universitäten in Ostdeutschland neu gegründet oder in wesentlichen Teilen neu aufgebaut. Viele bestehende Fachbereiche erlebten einen personellen Neuaufbau und thematische Neuorientierung. Zahlreiche Institute der Akademie der Wissenschaften wurden aufgelöst. Andere blieben als Standorte erhalten und wurden als außeruniversitäre Forschungseinrichtungen neu formiert.

 

Insofern gibt es für die heutige Wissenschaftslandschaft der ostdeutschen Länder strukturell starke, langfristig wirksame Kontinuitätslinien, die gleichwohl von den ostdeutschen Ländern durch Neugründungen erweitert und ergänzt wurden. 

 

Die damaligen Bedingungen der Personalrekrutierung in kurzer Zeit wirken ebenso nach wie die zunächst mangelnde Vertrautheit mit Förderformaten, die in westdeutschen Universitäten seit Langem eingeübt waren. Inzwischen haben sich die Wissenschaftskulturen in den ostdeutschen Universitäten erfreulich weiterentwickelt.

 

Diese wenigen Ausführungen verweisen auf wichtige Fragestellungen, die einer gründlicheren Prüfung bedürfen. Schnellschüsse etwa in Richtung einer Fundamentalkritik an der Exzellenzstrategie verbieten sich ebenso wie Zielvorstellungen, die unterschiedslos allen ostdeutschen Universitäten reelle Chancen auf Erfolge in der nächsten Exzellenzrunde 2025 in Aussicht stellen.

 

Vorhandene Potentiale mobilisieren

 

Vielmehr sollte es in der zu erwartenden Debatte darum gehen, den ostdeutschen Universitäten Perspektiven für die Anschlussfähigkeit an den nationalen und internationalen Wettbewerb offen zu halten oder zu eröffnen. Dabei gilt es, vorhandene Potenziale zu mobilisieren und zu koordinieren und zielgerichtet als erkennbare Stärken zu entwickeln.

 

Der im Ländervergleich unterdurchschnittliche Zufluss von Bundesmitteln im Wissenschaftsbereich (darin spiegelt sich vor allem die Ausstattung mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen, aber auch das Abschneiden bei der DFG) hat in den Verhandlungen zum neuen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern dazu geführt, dass bis auf Sachsen alle ostdeutschen Länder künftig Bundesergänzungszuweisungen erhalten werden: Brandenburg voraussichtlich 3,2 Millionen Euro pro Jahr, Mecklenburg-Vorpommern 4,7 Millionen, Sachsen-Anhalt 11,5 Millionen und Thüringen 18,1 Millionen. Die ostdeutschen Landesregierungen haben als durchaus das Geld, um ihre Universitäten auf künftige Exzellenzwettbewerbe vorzubereiten. 

 

Hans-Gerhard Husung war bis Oktober 2016 Generalsekretär der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern. Er ist Vorsitzender des Hochschulrates der Universität Leipzig und des Kuratoriums der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Dieter Timmermann (Dienstag, 30 Juli 2019 13:54)

    Ein interessanter Beitrag, Husung hat aber nur quantitative Kriterien betrachtet, die vielleicht etwas über Qualität aussagen. M. E. hätte die Hochschul- und Wissenschaftsforschung hier mal ein interessantes Forschungsfeld, in welchem die Qualität der Forschung und die Frage nach den Qualitätseffekten der beiden bisherigen Exzellenzinitiativen und jetzigen Exzellenzstrategie in einen scharfen und genauen Blick genommen wird. Die Imbodenkommission hatte ja zumindest für die erste Exzellenzinitiativphase keinen Qualitätseffekt beobachten können. Wenn es eine hohe Korrelation zwischen bisheriger DFG Förderung (SFB's, Graduiertenschulen, Einzelprojektförderung etc.) und exzellenzstrategischen Erfolgen gibt, wie Husung schreibt, dann frage ich mich, warum man nicht einfach diese Daten als Kriterium für die Bewertung von Forschungsexzellenz nimmt, ohne diese zusätzlichen aufwändigen Antrags- und Begutachtungsprozesse. Vielleicht sähe das Ergebnis dann allerdings etwas anders aus als das nun vorliegende.

  • #2

    Marco Winzker (Dienstag, 30 Juli 2019 15:28)

    Sehr interessante Analyse. Vor allem mag ich als Ingenieur, wenn man so nachvollziehbar mit Zahlen argumentiert.

    Mich würde interessieren, wie der Vergleich aussieht, wenn man andere Regionen vergleicht, also beispielsweise Norden und Süden. Oder alle vier Himmelsrichtungen.

    Aber vielleicht müsste man eher Baden-Württemberg versus alle anderen Bundesländer vergleichen???

  • #3

    David J. Green (Dienstag, 30 Juli 2019 16:03)

    Berichtigung: Seit 2007 und bis Ende der ExIni gab es die Jenaer Graduiertenschule Microbielle Kommunikation. Gemäß DFG-Förderatlas 2015 S. 35 war es Sachsen-Anhalt und nicht Thüringen, das neben Meck-Pomm nichts von der ExIni hatte.

  • #4

    Jörg Neumann (Dienstag, 30 Juli 2019 17:15)

    Berichtigung II: In der von David Green erwähnten Jenaer Graduiertenschule waren 2 Leibniz-Institute, 2 MPI, 1 Fraunhofer-Institut und 1 Helmholtz-Zentrum beteiligt. Der Sprecher der School war/ist berufener Professor der Universität Jena und zugleich Direktor eines Leibniz-Institutes. Dies belegt m.E. eine substanzielle Zusammenarbeit einer Universität mit etlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen während der ExIni, sodass Dresden kein (alleiniger) Sonderfall ist.

  • #5

    Katja Bär (Dienstag, 30 Juli 2019 18:38)

    Es kommt nicht von ungefähr, dass gerade Jena mit einer Graduiertenschule und einem Exzellenzcluster reüssiert hat. Das Forschungsumfeld ist hervorragend, mit zahlreichen großen Außeruniversitären Forschungseinrichtungen und innovativer Wirtschaft - beides gibt es so in Unistädten unserer Größe auch im Westen nicht unbedingt. Es gibt hier einen starken Kern herausragender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - nicht nur im Exzellencluster „Balance of the Microverse“. Und die Qualität der Berufungen ist weiter steigend - auch weil das Forschungsumfeld eben stimmt. Wenn die Uni jetzt noch so viel Geld hätte wie die Baden-Württembergischen Unis ... Hat den BW-Effekt eigentlich schon mal jemand untersucht?