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Wir müssen jetzt Tempo machen bei der Wissenschaftskommunikation

Die Große Koalition hat versprochen, die Wissenschaftskommunikation zu stärken. Drei Vorschläge für drei wichtige Schritte vorwärts: ein Gastbeitrag von Ernst Dieter Rossmann.

Lange Nacht der Wissenschaften 2017 am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin. Foto:  DLR German Aerospace Center – CC BY 2.0.

WENN ES IN dieser Legislaturperiode noch zu Fortschritten bei der Förderung der Wissenschaftskommunikation kommen soll, muss bald etwas passieren. Und sei es in kleinen konkreten Schritten, jedenfalls muss es vorangehen. Schließlich gilt es das im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD gemachte Versprechen einzulösen: Dort steht, dass die Wissenschaftskommunikation "gestärkt" werden soll. 

 

Bei den Forschungsmuseen hat die Koalition schon gezeigt, was sie zu leisten im Stande ist. "Die Forschungsmuseen leisten einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation", hieß es recht allgemein im Koalitionsvertrag. Doch Regierung und Parlament sind bei dieser wahrlich zutreffenden Feststellung nicht stehengeblieben. Die Forschungsmuseen sind in den neu verabschiedeten Pakt für Forschung und Innovation mit den jährlichen Zuwächsen von drei Prozent über ihre Trägerorganisation mit eingebunden. Und das famose Berliner Museum für Naturkunde hat einen wirklich namhaften Extrabeitrag zur baulichen Rekonstruktion und zur nachhaltigen Modernisierung seines Archivs und seiner Ausstellungsflächen erhalten. Dieser Erfolg soll und darf hier nicht verschwiegen werden. Ein erster konkreter Schritt – immerhin!


Ernst Dieter Rossmann ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.


Nur kann das nicht alles gewesen sein. Der Koalitionsvertrag verlangt mehr. Auch die Bundesforschungsministerin hat seit ihrem Amtsantritt bei verschiedenen Gelegenheiten von ihrer hohen Wertschätzung für die Wissenschaftskommunikation als Vermittlungsinstanz in der Wissenschaftsgesellschaft der Zukunft gesprochen. Sie hat mit Recht Erwartungen formuliert, die sich an die Wissenschaftseinrichtungen insgesamt richten, aber auch an die einzelnen Wissenschaftlerinnen und 


Wissenschaftler: Es geht darum, diese kommunikative Seite der Wissenschaft mit Engagement weiterzuentwickeln. 

 

Anja Karliczek hat aber nicht zuletzt auch die Politik und vor allen Dingen sich selbst in die Pflicht genommen, die Wissenschaftskommunikation mit neuen Impulsen zu stärken und in Projekten wie Strukturen zu fördern. Was leichter gesagt werden kann, als dass es getan ist. 

 

Die bisherige Phase des Stillstandes oder – positiv gesprochen –  des Suchens auf Seiten des Ministeriums, was dieses Thema angeht, mag in der notwendigen Konzentration auf konkurrierende andere Gesetzesvorhaben begründet gewesen sein, der Reform des BAföG zum Beispiel, des Berufsbildungsgesetzes oder der umfassenden Verhandlungen zur Trias der Pakte. Auch die nicht einfache Frage nach der Finanzierung mag eine Rolle gespielt haben. Nur darf all das jetzt kein Argument mehr sein. Pflicht und Kür gehören auch in der Wissenschafts- und Forschungspolitik zusammen. 

 

Wissenschaftskommunikation und ihr 
besonderes Verhältnis zu staatlicher Förderung

 

Natürlich verlangt jede politische Initiative im Bereich von Kommunikation per se immer eine besondere Sensibilität, um nicht zusagen, Zurückhaltung in der politischen Begleitung wie Förderung. Der Artikel 5 des Grundgesetzes ist nicht ohne Grund ein Kernstück unseres Verfassungsverständnisses, indem er die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit wie auch die Freiheit von Kunst und Wissenschaft anspricht und beide Kernfreiheiten in sich vereinigt. Staatliche Impulse werden sich deshalb immer daran messen lassen müssen, wie sie dieses Freiheitsgebot konstruktiv befördern und in Korrespondenz mit den Systemen von Wissenschaft/Forschung und Medien/Journalismus umsetzen. Woraus notwendigerweise eine Selbstverpflichtung des Staates zur Selbstbeschränkung  folgt (keine Restriktionen, keine Verbote und Regulierungen) und auch der Verzicht auf einen Dirigismus in Form unmittelbarer Staatseinrichtungen oder direkt politisch veranlasster finanzieller Zuwendungen. 

 

Die Sorge, dass die deutsche Politik hier die notwendigen Grenzen überschreiten wollte, erscheint allerdings unbegründet. Wissenschaftskommunikation hierzulande muss keine Angst haben, dass chinesische Staatswahrheiten, konservativer Staatspaternalismus oder faktenresistenter Rechtspopulismus in Deutschland Platz greifen und Wissenschaftskommunikation instrumentalisieren oder gar diktieren könnten. 

 

Die Probleme liegen vielmehr im weiteren Umfeld von Wissenschaftskommunikation, und sie sind das jetzt mit der nötigen respektvollen Distanz und Sorgfalt aus dem politischen Bereich heraus anzusprechen. Welche subjektive Wertschätzung genießt die Wissenschaftskommunikation in der Prioritätensetzung der Akteure in Wissenschaft, Journalismus und Politik? Welche objektiven Rahmenbedingungen sind in Wissenschaft und Medien aktuell gegeben, und welche werden benötigt, um die Potentiale von Wissenschaftskommunikation an Wissenschaftseinrichtungen und Hochschlen, in den klassischen Medien wie auch in den neuen Kommunikationswelten zu entfalten? Und mit welchen kontrolliert gesetzten Impulsen aus der verantwortlichen Politik können und dürfen  Dynamik und Eigenaktivität in diesem sehr komplexen Handlungsfeld mit seinen vielen Akteuren und Interessenlagen Dynamik erzeugt werden?

 

Dilemmata der Wissenschaftskommunikation in der
Moderne von Wissenschaft und Forschung

 

Wir dürfen konstatieren, dass es in den vergangenen 25 Jahren eine erste Phase der verstärkten wissenschaftsinternen Auseinandersetzung mit den Fragen von Wissenschaftskommunikation gegeben hat, die sich in einer beachtlichen Zahl von Publikationen bis hin zu Handbüchern dokumentiert. In einer zweiten Phase sind aus dieser Selbstreflektion, aber auch aus dem erhöhten Problemdruck heraus Einigungen auf erste Standards von guter Wissenschaftskommunikation erfolgt, deren Implementation ebenso langsam wie kontinuierlich und unsystematisch in den verschiedenen Institutionen des Wissenschaftssystems erfolgt. Aktuell befinden sich die Beteiligten in der Wissenschaft selbst, aber auch die Partner in den Medien am Beginn einer dritten Phase, bei der die Erwartungen auf die Politik gerichtet werden. So wie die Politik Erwartungen an die Wissenschaftskommunikation und ihre Systeme hat, fordert die Wissenschaftskommunikation Unterstützung und Konsequenz auf Seiten der Politik. 

 

Aus dieser Gelegenheit muss jetzt etwas gemacht werden. Behutsam, Schritt für Schritt, mit Verlässlichkeit im Konkreten statt Versprechen im Großen und mit einer Perspektive, die über ein nächstes Haushaltsjahr hinausreicht. Der längerfristige Zeithorizont, wie er in den vergangenen Jahren nun schon mehrfach durch ein Dekaden-Denken der Wissenschafts- und Forschungspolitik gesetzt worden ist, muss auch für den Bereich der Förderung von Wissenschaftskommunikation gelten.

 

Langer Atem ist auch deshalb erforderlich, weil sich die Wissenschaftskommunikation von dem Umfeld her, in dem sie sich aktuell bewegt und in Zukunft erst recht bewegen wird, mit einigen Problemen wird auseinandersetzen müssen, die schon jetzt zu beobachten sind.

In der Öffentlichkeit wird die Frage nach der "Wahrheit" eine noch größere Bedeutung bekommen, die Debatten von Gesellschaft und Politik richten sich schon jetzt zunehmend an den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Entwicklung und Gefährdung von Klima, Ökologie, Ressourcen, Arbeit, Kommunikation und Gesundheit aus. Die Frage nach Evidenzen tritt damit aus dem engeren Bereich der wissenschaftlichen Arbeit heraus, sie wird nicht mehr nur von einer relativ kleinen Gruppe hochkompetenter Menschen des Systems Wissenschaft und Forschung bearbeitet, sondern sie erreicht die Lebenswirklichkeit einer zunehmend diversen Gesellschaft mit ihren vielen unterschiedlichen Kommunikationsformen.

 

Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in dem, was die Gesellschaft insgesamt und die einzelnen Menschen aufnehmen, begreifen und in ihrem Leben umsetzen können, zu einer auch politisch entscheidenden Größe mit allen Konsequenzen für die Machtverhältnisse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese "Politisierung" von Wissenschaft in den modernen Gesellschaften erfordert dann aber im Gegenzug die Schärfung der moralischen Implikationen wissenschaftlichen Handelns und die Stärkung einer Werte-Orientierung in der Breite der Gesellschaft über das, was Wissenschaft weiß, macht, kann und darf. 

Dieses Dilemma ist in früheren Zeiten im Zweifel massiv religiös eingehegt worden. Der Widerruf des Galileo Galilei lässt grüßen. Und Auswucherungen des Populismus unserer Tage versuchen Gleiches. 

 

Wissenschaftskommunikation muss hier eine neue reflektierte Verbindung von Wahrheiten und Werten befördern, gerade wenn die "Wahrheitsfragen" in der Zukunft eine viel größere Bedeutung bekommen werden.

 

In den Zeiten einer solchen breit ausgelegten Aufklärung in alle gesellschaftlichen Kreise hinein und zu Menschen mit ganz unterschiedlichen Zugängen zu Wissenschaft, ihrem Methodenverständnis und ihrem relativen Wahrheitsbegriff steht die Wissenschaftskommunikation vor der großen Aufgabe, wachsende Anforderungen an ihre Qualität mit der Notwendigkeit zu verbinden, immer mehr und in immer vielfältigeren Formen und Wegen zu kommunizieren. Wenn diese andauernde Anforderung sich nicht zu einem unlösbaren, für die Wissenschaft frustrierenden Problem auswachsen soll, wird kein Weg an dem massiven Auf- und Ausbau kompetenter Wissenschaftskommunikation in allen beteiligten Institutionen vorbeiführen. Und weil sie sich im weit überwiegenden Teil informell vollziehen wird, wird Wissenschaftskommunikation besonders wirken müssen, um das Methodenverständnis von Wissenschaft bei den einzelnen Menschen zu befördern, damit diese zu eigener relativierender und kritischer Rezeption und Urteilskraft befähigt werden. 

 

Der Leistungsdruck im System Wissenschaft ist so hoch, wie es die Verwertungszwänge und ökonomischen Konkurrenzen in den modernen Medienwelten sind. Womit sich die Frage nach den vorhandenen Kapazitäten stellt, nach dem persönlichen Zeiteinsatz, den Wissenschaftler leisten, und nach dem Preis, den Ökonomie, Gesellschaft und Politik hierfür im Wettbewerb der Systeme zahlen wollen. 

 

Ist Wissenschaftskommunikation deshalb automatisch ein unrentabler Kostenfaktor, werden manche Wissenschaftler sie weiter als eine Zeitverschwendung sehen oder gar als ein Innovationshemmnis? In einer Demokratie, denke ich, muss sich diese Frage von selbst beantworten. 

 

Was jetzt Impulse
sein können

 

Politik und Wissenschaft sollten sich deshalb innerhalb der nächsten zwölf Monate auf konkrete Schritte in drei Handlungsfeldern konzentrieren. Dass damit schon der ganze Horizont der Aufgaben und Chancen von Wissenschaftskommunikation abgemessen werden könnte, darf niemand erwarten. Aber wir brauchen eine neue Priorität und die Bereitschaft voranzugehen.

 

Vorangehen sollte die Wissenschaft selbst, an den Hochschulen, in deren Leitungskreisen bis  hin zur Hochschulrektorenkonferenz genauso wie in den Forschungseinrichtungen und den Spitzenorganisationen der Wissenschafts- und Forschungspolitik in Deutschland. Eine Bestandaufnahme, eine Problemanalyse und ein Katalog von kurz-, mittel- und langfristig ausgerichteten Empfehlungen durch den Wissenschaftsrat, diesem höchst renommierte Beratungs- und Entscheidungsgremium der deutschen Wissenschafts- und Forschungspolitik, sollten jetzt unbedingt angegangen werden. Erste Signale aus dieser Institution, sich hier mit Kompetenz und Verve an diese Aufgabe heranzumachen, können nur nachhaltig begrüßt werden. 

 

Parallel dazu sollte ein Impuls in die bemerkenswerte Landschaft der Wissenschaftsakademien in Deutschland hineingegeben werden – entweder in Form einer neuen Akademie mit der Aufgabenstellung Wissenschaftskommunikation oder indem eine vorhandene Akademie ihr bisheriges Profil dauerhaft ergänzt. 

 

Mehrere Themenstellungen bieten sich hier im Grundsätzlichen an, die der gemeinsamen Reflexion von Wissenschaft und Medien und letztlich auch der Politik bedürfen: Was muss und kann Wissenschaftskommunikation leisten? Wie soll die Vermittlung methodisch und  medial angelegt sein? Und was kann und darf der Staat unter dem Vorzeichen des Artikel 5 des Grundgesetzes tun, um mit öffentlichen Mitteln Wissenschaftsjournalismus in seiner Qualität und Quantität zu unterstützen? Kann nach der Einrichtung einer Agentur für Sprunginnovationen auch eine Agentur für Wissenschaftskommunikation hier konkrete Projekte fördern?

 

Ein drittes Handlungsfeld sind der Ausbau und die Stärkung von Wissenschaftslernen und Bürgerwissenschaft, von Kinder- und Jugendprojekten über Wissenschaftswettbewerbe und Initiativen der lokalen Forschung bis hin zu Programmen der Dritten Dimension in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen, wobei die Bürgerwissenschaft als Instrument der wissenschaftlichen Partizipation und Innovation dienen kann. 

 

Im Austausch von Wissenschaft und Gesellschaft entstehen die Grundlagen für das Leben in der Wissensgesellschaft der Zukunft und für den Umgang mit Wissenschaft und Forschung in der Demokratie. Das sollte uns die Wissenschaftskommunikation wert sein. Und dafür brauchen wir jetzt konkrete Schritte. 

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Kommentare: 3
  • #1

    Jule Specht (Donnerstag, 29 August 2019 11:09)

    Ich empfehle Ihnen zu den von Ihnen vorgeschlagenen Themenstellungen die Veröffentlichungen unserer WÖM-Arbeitsgruppe („Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“). Diese Arbeitsgruppe - getragen von den von Ihnen angesprochenen Wissenschaftsakademien (Leopoldina, acatech und Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften) - hat dazu über 2 Jahre hinweg mehrere konkrete Vorschläge ausgearbeitet, auf denen Sie mit Ihrem Wunsch nach „konkreten Schritten“ aufbauen könnten.

    Infos dazu finden Sie hier:
    -> https://www.acatech.de/projekt/kommunikation-zwischen-wissenschaft-oeffentlichkeit-und-medien-phase-2-bedeutung-chancen-und-risiken-der-sozialen-medien/
    -> https://www.acatech.de/publikation/social-media-und-digitale-wissenschaftskommunikation-analyse-und-empfehlungen-zum-umgang-mit-chancen-und-risiken-in-der-demokratie/
    -> https://www.acatech.de/publikation/zur-gestaltung-der-kommunikation-zwischen-wissenschaft-oeffentlichkeit-und-den-medien-empfehlungen-vor-dem-hintergrund-aktueller-entwicklungen/

  • #2

    Holger Wormer, Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus, Dortmund (Freitag, 30 August 2019 11:42)

    Ein Beitrag, dem man in vielen Punkten zustimmen kann! Allerdings kommt die - in Deutschland einst sehr starke - Rolle des (Wissenschafts-)Journalismus als vergleichsweise unabhängigem Beobachter der Wissenschaft vielleicht etwas zu kurz - warum, ist zum Beispiel hier nachzulesen:
    www.duz.de/beitrag/!/id/661/marketingmuell-ade

    An Frau Specht ein Dank für die Literaturverweise - auch die bereits existierenden (!) Wissenschaftsakademien waren also eigentlich schon sehr aktiv zu der Thematik. Eine dritte Arbeitsgruppe, die den Themenkomplex weiterdenkt, gibt es derzeit bei der bbaw: "Implikationen der Digitalisierung für die Qualität der Wissenschaftskommunikation".

  • #3

    David J. Green (Freitag, 30 August 2019 23:28)

    Es liegt im Wesen der Wissenschaftskommunikation, dass sie für Fachfremde verständlich sein muss. Das gleiche gilt für die Wissenschaftskommunikation-Kommunikation.