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Brüsseler Geknarze

Die EU-Kommission wollte bei den "Research and Innovation Days" das geplante neue Forschungsrahmenprogramm präsentieren – und scheiterte an den von ihr selbst geweckten Erwartungen. Ein Gastbeitrag von Marcus Beiner.

Austragungsort der "Research and Innovation Days": das "Kanal Centre Pompidou, Brüssel.  Foto: Marc AntoineV - CC BY-SA 4.0.

BRÜSSEL RUFT UND alle kommen, wenn es um dreistellige Milliardenbeträge geht und umfassende Mitsprache versprochen wird. Monatelang wurden die auf drei Tage angesetzten und von der Generaldirektion Forschung und Innovation der EU-Kommission vorbereiteten "Research and Innovation Days" angekündigt – als Austausch- und Diskussionsforum über die Pläne zum neuen Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe". Was dort dann Ende September in Brüssel in den größeren Runden veranstaltet wurde, entpuppte sich aber eher als Simulation von Beteiligung.

 

Ganz am Ende fehlten auch Gute-Laune-Moderator Jean-Eric Paquet, im Hauptamt Generaldirektor Forschung und Innovation, die freundlichen Worte. "Nein", meinte er in einer Mischung aus Überraschung und Traurigkeit, Sibelius sei das ja nicht gewesen. Denn er hatte zuvor den finnischen Komponisten beschworen, als zwei Dutzend Lautsprecher mit Neonröhren am Ständer auf die Bühne getragen wurden, um am Ende der Schlussveranstaltung als Roboter-Chor an nordische Sangesfreude anzuknüpfen.

 

Wenn Ambition und Umsetzung einer
Veranstaltung nicht zusammenpassen

 

Was als Höhepunkt und Geschenk der finnischen Ratspräsidentschaft an die versammelte Gemeinde der europäischen Forschungsmanager angekündigt worden war, war in Wirklichkeit ein zusammenhangloses Geknarze und Gekreische. Dabei sollte es eigentlich die Innovationkraft zeigen, die aus dem Zusammenwirken von Mensch und Maschine entspringen kann.

Marcus Beiner ist stellvertretender Leiter der Abteilung "Forschung, Innovation, Europa" im niedersächsischen Wissenschaftsministerium, das von ihm verantwortete Referat hat Europa als Schwerpunkt. Foto: privat.

Tatsächlich hat dieser Schlusspunkt in geradezu fulminanter Weise nicht nur auf den Punkt gebracht, wie lang der Weg zu Innovationen ist, die das Leben wirklich schöner machen. Er hat auch akustisch symbolisiert, wie es sich anhört, wenn Ambition und Umsetzung einer aufwendig vorbereiteten Veranstaltung nicht in Einklang stehen: hier ein beschworener Partizipations- und Innovationsanspruch und dort der Selbstbestätigungsdiskurs einer Administration, die zuzuhören verspricht und sich doch am liebsten öffentlich selbst interviewt.

 

So hat es bei der Großveranstaltung an der Schwelle zum neuen Forschungsrahmenprogramm doch tatsächlich Formate gegeben, bei der sich fünf Mitglieder eines "Mission 


Boards" mal so über ihre persönlichen  Erwartungen bezüglich ihrer künftigen Arbeit ausgetauscht haben.

 

Dabei sollen die "Missionen" politische Leitthemen mit gesamteuropäischer Strahlkraft werden. Nicht mal eine Moderatorin oder ein Moderater kam von außen, den Job macht so ein Mission Board auch noch selbst. Das Volk der achtundzwanzig Mitgliedsstaaten kann ja zuhören. 

 

Dem Volk der 28 Mitgliedsstaaten
bleibt nur das Zuhören

 

Dies aber nur, wenn es zugelassen worden ist. Es ist nämlich nicht jeder hereingekommen in das mühsam aufgewertete Kanal Centre Pompidou, einem heruntergekommenen Komplex in der EU-Metropole, der nicht mehr ganz regendicht ist und in den ein paar viel zu kleine Konferenzräumchen eigens eingebaut wurden.

 

Deren Zugang wurde von Heerscharen von Hilfspersonal bewacht, das Besucherinnen und Besucher an jeder Ecke mit Scangeräten empfing, um mit dem QR-Code auf dem Namensschild die Datengrundlage für eine Berichterstattung mit grandiosen Besucherzahlen zu liefern. Denn Daten, die lieben sie ja in Brüssel. Man munkelte allerdings, es ginge auch um die statische Belastbarkeit der der zweiten Etage.

Dabei wurden ansonsten eher intellektuelle Belastungsgrenzen getestet – und zwar am unteren Ende. Nicht dass man sich nicht die Plauderei von ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und erfahrenen Leuten aus dem internationalen Wissenschafts- und Innovationsmanagement anhören könnte, da entspringen ja manchmal gute Gedanken - auch wenn zwei pointierte Fragen aus dem Publikum regelmäßig am meisten Schwung bringen.

 

Was aber bei diesem mit Riesenaufwand angekündigten Großevent mit absurden Zugangshürden im Vorfeld mit Mehrfachanmeldungen und Zulassungen für Einzeltage und -veranstaltungen gänzlich fehlte, war ein inhaltlicher Rahmen - und zwar einer, der mehr ist als die regelmäßige Innovationsbeschwörung oder die peinliche Leier, man müsse Sinn und Zweck der ganzen komplizierten Wissenschaft jetzt endlich mal den Bürgerinnen und Bürgern erklären, die das alles bezahlen.

Natürlich, das muss man schon. Aber man sollte sie bitte nicht für dumm verkaufen und über die richtigen Fragen reden: Wie viel Freiheit soll es denn sein für die Wissenschaft und die Innovatoren? Wer soll was bezahlen? Und wenn der Steuerbürger zahlt: Warum denn den Umweg über Europa nehmen? Gibt´s den europäischen Mehrwert - und ist es ein politischer (Integration) oder ein wissenschaftlicher (Erkenntnisgewinn) oder ein ökonomischer (Wachstum, Beschäftigung), einer mit oder einer ohne Nachhaltigkeit? Das sind schon wichtige Fragen. 

 

Statt einem Überblick übers große Ganze
gab es nur Klein-Klein

 

Und was ist eigentlich mit dem neuen Forschungsrahmenprogramm "Horizont Europe", für das die Protogonisten inzwischen 120 Milliarden als Minimalausstattung proklamieren? Nicht ein Überblick für die Angereisten, statt dessen Reden über die Einzelteile, Verwaltungskonstruktionen wie "Partnerschaften", die es in drei Varianten geben soll. Und worauf genau zielen die "Missionen", eine Idee, für die sich die Kommission eigens beraten ließ, um zu der Einsicht zu gelangen, man brauche jetzt schon mal richtig große Ziele, um Fahrt auf zu nehmen bei der Innovation, eine Welt ohne Krebs zum Beispiel oder ein Ozean ohne Plastik. Das sind die Häppchen fürs Volk. 


Dabei würde es gerne zuhören, wenn erklärt wird: was die großen Aufgaben sind, was die Wissenschaft kann, warum der Transfer so schwer ist, was der Markt leisten kann und was nicht, was auf die regionale Ebene gehört, was auf die nationale und was auf die europäische. Nicht dass das alles klar ist - aber darüber müsste man reden, streiten, diskutieren, wenn man großspurig von Ko-Design spricht. Und man sollte es öffentlich tun und nicht Kommissionsbeamte als Kümmerer für Einzelsorgen in Kabuffs am Rande der Tagung beordern, während sich die Leitungsebenen auf offener Bühne mit ihren Beratern oder gar untereinander die Diskussionsbälle zuwerfen. 

Aber es gab ja am Ende noch den Chor der Maschinen. Nur ließ der eben so unglaublich treffend hörbar werden, dass es richtig weh tun kann, wenn Anspruch und Wirklichkeit – sei es aus Realitätsferne, sei es aus taktischem politischen Kalkül – so viele Meilen auseinander liegen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Henrike Hartmann, VolkswagenStiftung (Donnerstag, 03 Oktober 2019 15:24)

    Ich kann Marcus Beiner hier nur aus vollem Herzen zustimmen. Diese Veranstaltung war an Inkohärenz, organisatorisch wie inhaltlich, kaum zu übertreffen. Leider keine Werbung für den europäischen Gedanken, eher Bestätigung mancher Befürchtungen. Hier hätte man sich Zeit und Geld lieber gespart.