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Ein Akt kollegialer Verantwortung

Warum sich das ökonomistische Leitungsparadigma der Universität nicht bewährt hat – und warum die Debatte über eine kompetente Hochschulleitung vonnöten ist. Eine Perspektive aus Göttingen im Gastbeitrag von Thomas Kaufmann.

EIGNET SICH DIE Wahl von Herrn Spoun zum Präsidenten der Universität Göttingen, die sich nicht als gerichtsfest erwiesen hat, als Anlass, allgemeinere Überlegungen zu Leitungsstrukturen an "modernen Universitäten" anzusprechen? Jan-Martin Wiarda hat das jedenfalls in seinem Artikel getan, und der hier im Blog erschienene Gastbeitrag von Daniel Graewe ebenfalls.

 

Aus meiner Sicht ist dazu Folgendes zu bemerken: Schaut man sich die Förderlandschaft in Deutschland an, stellt man fest, dass die weit überwiegende Menge der im Exzellenzwettbewerb erfolgreichen 14 deutschen Universitäten Forscher – keine Nur-Manager! – an ihrer Spitze haben. Das in den USA sehr erfolgreiche Leitungsmodell scheint, auch aufgrund der Beschäftigungsformen deutscher Hochschullehrer, bei uns nicht wirklich zu funktionieren.

Thomas Kaufmann ist Professor für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen. Foto: privat.

Was die Drittmittel angeht, so kritisiere ich diese und deren Einwerbung nicht an sich. Es geht mir um die inzwischen dominant gewordenen Sekundärfunktionen: Ihre Einwerbung  entspricht vielfach kaum mehr dem intrinsischen Forschungsinteresse der Antragsteller. Drittmittel dienen – durch den sogenannten Overhead, den die Universitätspräsidien in großem Umfang abgreifen und für eigene Vorhaben oder sonstige Lücken 


verwenden – der Kompensation der vielfach unzureichenden Grundfinanzierung der Universitäten. Seitens der großen Förderinstitutionen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist das auch längst als Problem erkannt; die Deckelung des Overheads ist eine der Maßnahmen dagegen.

 

Überdies, ein weiterer Aspekt der Sekundärverwendung des Overheads, wird dieser verwendet, um Zielvereinbarungen und Gehaltszulagen zu regulieren. Dabei zeigt sich, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Vollmacht der Präsidien und der Intransparenz der Verfahren gibt: Je mächtiger ein Präsident ist, desto unklarer sind die mit diesem Steuerungsinstrument verbundenen Mechanismen und desto größer die individuellen Abhängigkeiten der einzelnen Professorinnen und Professoren.

 

Dass in diesen Entwicklungen auch Gefahren für die grundgesetzlich verbürgte Wissenschaftsfreiheit liegen, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Insbesondere für viele jüngere Kolleginnen und Kollegen sind die an Drittmittel geknüpften Zielvereinbarungen ein unerträglich gewordener Belastungsfaktor, den zu problematisieren ein Akt von kollegialer Verantwortung derer ist, die durch ihr bloßes Alter unter weitaus günstigeren Bedingungen in die Universität eingetreten sind.

 

Wenn es Ausdruck ewiger Gestrigkeit ist, für Kollegialität und Transparenz einzutreten, bekenne ich – Professor kommt von profiteri und heißt: bekennen! – dass ich, ungeachtet meiner eigenen lebhaften Drittmittelakquise, ein ewig Gestriger bin. Die eigentliche Funktion von Forschungsförderung droht, insbesondere jenseits der Exzellenzuniversitäten, durch die Sekundärfunktionen der Drittmittel unterlaufen zu werden.

 

Kritiker dieser komplexen Situation darüber zu belehren, dass es selbstverständlich sein sollte, Forschungsgelder einzutreiben – wer wüsste das nicht! – wird übrigens der hochschulpolitische Bedeutung einer überwiegend von Nichtwissenschaftlern betriebenen Präsidentenwahl, wie sie Göttingen gerade erlebt hat, nicht gerecht. Eine Diskussion der Frage, wie kompetente Hochschulleitung aussieht, sollte auch Professorinnen und Professoren einbeziehen. Das ökonomistische Leitungsparadigma der Universität hat sich nicht bewährt – da kann auch ein aufgeklärter Blick nach Lüneburg entmythologisierend wirken.

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Kommentare: 11
  • #1

    Im Zug (Dienstag, 08 Oktober 2019 19:05)

    Vorab: Eine interessante Debatte, die gerne weiter hier geführt werden kann!
    Ein Gedanke zu Ihrem folgenden Argument:
    "Drittmittel dienen – durch den sogenannten Overhead, den die Universitätspräsidien in großem Umfang abgreifen und für eigene Vorhaben oder sonstige Lücken verwenden – der Kompensation der vielfach unzureichenden Grundfinanzierung der Universitäten."
    Nun mag es sein, dass die Grundfinanzierung durch die öffentliche Hand/Länder nicht ausreichend ist (wobei die Frage bleibt: was wäre denn jemals ausreichend).
    Was aber auch in dieser Argument anklingt ist ein aus meiner Sicht an deutschen Universitäten hoch verbreitetes Phänomen, primär der Professorenschaft: Das eklantante Desinteresse an der eigenen Institution. Der Wissenschaftler/Professor als geistiger Entrepreneur, der mit seinen Forschungserfolgen möglicherweise zur Reputationssteigerung der jeweiligen Universität beiträgt - aber dem letztlich die Entwicklung der eigenen Universität als Institution herzlich egal ist. Irgendwann kommt vielleicht der Ruf an die nächste, bessere Universität - und vom Overhead abgeben will schon gar nichts. Wo kommen wir denn da hin, dass die Uni(-leitung) vielleicht die Gelder nutzen könnte, um z.B. die Hochschuldidaktik auszubauen, oder neue Forschungsfelder anzuschieben oder...

  • #2

    Karlchen Mühsam (Dienstag, 08 Oktober 2019 20:47)

    Ich frage mich, weshalb ein i.d.R. verbeamteter Hochschullehrer Zielvereinbarungen zu Drittmitteln unterschreibt! Ich bin zur Erfüllung meiner Dienstaufgaben verpflichtet, lasse mich aber darüber hinaus nicht von Päsident*innen "nötigen"!

  • #3

    UniFinanzer (Mittwoch, 09 Oktober 2019 06:48)

    Die von Herrn Kaufmann angeführte Sekundärfunktion der Drittmittel ist je nach Hochschule sehr unterschiedlich und das Argument, hier geht eine Entwicklung in die falsche Richtung, ist so zu pauschal und falsch. In erster Linie dienen diese Overheads der Kompensation anfallender Gemeinkosten, welche wiederum durch ein Forschungsprojekt mit Drittmitteln der Einrichtung entstehen. Alle Mitarbeiter, egal woher finanziert, brauchen Strom, Energie, Wasser und auch die Leistungen der Verwaltung. Dies sollen Overheads finanzieren. Darüber hinaus, insb. bei den Overheads aus Bewilligungen im Rahmen der ExIni und ExStr sollen übergeordnete Entwicklungen der Hochschule gefördert werden. Das macht so aus meiner Sicht alles Sinn. Nun gehen in der Tat manche Leitungen her und gestalten aus diesen „Töpfen“ Zulagen etc. Darüber sollte man vor Ort diskutieren. Meistens werden die eingehenden Overheads aber indirekt auch wieder an die Projektleitungen weitergereicht. M.W. wird fast überall zwischen 70/30 bis 50/50 aufgeteilt und die Wissenschaft bekommt zusätzliche Mittel zur freien Verwendung. Diese Infos zur Differenzierung. Zudem noch ein Hinweis: In Zeiten der Hochschulpakte spielen die Overheads keine signifikante Rolle im Haushalt der meistens Hochschulen (ausgenommen sind die großen Gewinner der ExIni und ExStra, bei denen natürlich enorme Summen zusätzlich reinkommen; wenn die dann nicht gut im Sinne der Ziele der Uni und intern abgestimmt und damit legitimiert aufgeteilt und eingesetzt werden, mag es wie in Göttingen laufen).

  • #4

    tmg (Mittwoch, 09 Oktober 2019 08:37)

    @Karlchen Mühsam:
    Sie haben sicher recht, wenn es sich um einen Hochschullehrer handelt, der ohne hohen Material- oder Personaleinsatz forschen kann, etwa einen Geistes oder Sozialwissenschaftler oder auch Mathematiker. Dann unterschreibt er Zielvereinbarungen meist, um sein W-Gehalt ein wenig nach oben zu bringen - oft in kümmerlichen 150 Netto-Schrittchen, die zweimal durchgeführt werden müssen, um pensionsfähig zu werden, oder etwa um das kümmerliche Dienstreisebudget für sich und seine Mitarbeiter aufzubessern. Letzteres ist eigentlich Aufgabe der Grundfinanzierung, wird aber längst nicht hinreichend garantiert.

  • #5

    B. Edelgard (Donnerstag, 10 Oktober 2019 12:50)

    Die ausführliche Erwiderung von Herrn Kaufmann stellt jedenfalls klar, was er bei seinem im Beitrag von Herrn Wiarda auf den Aspekt der "Prostituierung" reduzierten
    Einwurf tatsächlich meinte.
    Seien wir doch ehrlich: Die Verwaltungen beziehen sich bei Leistungs"bewertungen" von ProfessorInnen oft vor allem auf simple Zahlen wie Drittmittel-Einwerbung. Dies
    wird aber der komplexen Tätigkeit nur sehr unzureichend
    gerecht. Um nicht das Management einseitig zu schelten:
    Wenn man in Berufungskommissionen sitzt, findet man
    unter KollegInnen im Prinzip die gleiche eindimensionale "Vorfilterung" der BewerberInnen.
    Kurzum: Die durch die W-Besoldung hat im Laufe der Jahre ihre (gewollte?) Wirkung voll entfaltet. Konkurrenz
    statt Kollegialität. Leider, leider.

  • #6

    bt (Donnerstag, 10 Oktober 2019 17:05)

    Ich verstehe die grundlegende Kritik an Zielvereinbarungen nun nicht. Diese gibt es in jedweder Art von Arbeitsverhältnisse ausserhalb der Fakultät auch. Selbstverständlich hat ein Arbeitgeber - in diesem Sinne das Land - das Recht, dem Arbeitenden Ziele zu setzen und auch die Einhaltung dieser Ziele entsprechend zu belohnen bzw zu sanktionieren.

    Wird mit diesen Werkzeugen der Personalführung häufig Schindluder getrieben? Ja. Was sie aber nicht prinzipiell entwertet. Beklagenswert ist eher, dass die dazu gehörigen Werkzeuge - Definition und Kommunikation gemeinsamer Werte und Ziele, positives und konstruktives Feedback für kontinuierliche Verbesserun; allgemein eine gute, professionelle Führungskultur - an Universitäten fast nicht existent sind. Erst an dem Punkt verkommen Zielvereinbarungen zu der gefühlten 'Maßregelung'. Gilt übrigens nicht nur für Professoren, sondern zieht sich durch bis zu Studenten und TAs.

  • #7

    tmg (Donnerstag, 10 Oktober 2019 20:44)

    @bt: ich fürchte, Sie verstehen nicht, dass es sich bei einer Unversität nicht um ein Unternehmen handelt und bei Wissenschaftlern nicht um Angestellte, denen Ziele gesetzt werden von einem Arbeitgeber. Wissenschaftler setzen sich
    ihre Ziele selbst und Universitätspräsidenten haben gerade NICHT das Recht, ihnen Ziele vorzugeben. Das ist in diesem Land - gottlob - (noch) im Grundgesetz verankert.

  • #8

    im Zug (Freitag, 11 Oktober 2019 09:40)

    @tmg: Ja, eine Universität ist kein Unternehmen - aber Professorinnen und Professoren sind öffentliche Angestellte (Beamte) und damit sowohl dem 'Dienstherren' wie auch der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig (Accountability).
    Die Wissenschaftsfreiheit ist meinem Verständnis nach eine primär inhaltliche (was geforscht, gelehrt wird), keine substantielle (ob geforscht wird, ob gelehrt wird).
    Noch eine Anmerkung: Auch Wiss. Mitarbeiter, Doktoranden etc. sind wissenschaftlich tätig - können die auch so frei entscheiden, was sie tun und lassen?

  • #9

    tmg (Freitag, 11 Oktober 2019 10:48)

    @imZug: die Vorstellung, man könnte per controlling überprüfen, ob Wissenschaftler nachdenken, ist
    reichlich abwegig. In der Regel forschen Wissenschaftler, weil sie forschen WOLLEN. Das ist in einer Schraubenfabrik anders.

  • #10

    Mannheimer Studi (Mittwoch, 16 Oktober 2019 13:15)

    Das beste an diesem Beitrag ist, dass das unsägliche Wort von der Prostitution nicht wiederholt wurde. Gut so.

  • #11

    Laubeiter (Dienstag, 29 Oktober 2019 15:39)

    Der Autor hat Kritik geübt am Ergebnis der Suche nach einem Präsidenten für Univ. 1, der von Univ. 2 geholt werden sollte. Hier bekommt er Raum für eine Erklärung und sagt u.a., er spräche sich gegen Zielvereinbarungen aus, weil sie jüngere KollegInnen belasteten. Meine Fragen: Verhandelt der Kandidat für das Amt des Präsidenten an Univ. 1 mit ProfessorInnen der Univ. 2 Zielvereinbarungen? Hat die scheidende Präsidentin von Univ. 1 allen ProfessorInnen und nur einigen Zielvereinbarungen verhandelt? Welche der 11 EXUs in der ExStra verhandeln mit ihren ProfessorInnen Zielvereinbarungen?