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Quid pro quo

Bildungsrat und KMK-Staatsvertrag: Morgen treffen sich die Kultusminister, um über die große Reform der Bildungspolitik zu verhandeln. Die Fronten sind verhärtet, doch plötzlich zeichnet sich ein möglicher Kompromiss ab.

Wo die Minister sich treffen: das Sekretariat der KMK in Berlin. Fotonachweis: siehe unten.

ANFANG AUGUST SCHRIEB Anja Karliczek (CDU) einen Brief an Hessens Kultusminister Alexander Lorz (ebenfalls CDU). Ihr sei viel daran gelegen, schrieb die Bundesbildungsministerin dem amtierenden KMK-Präsidenten, die noch offenen Punkte bei den Verhandlungen um den Nationalen Bildungsrat "in einem fairen und konstruktiven Austausch" rasch zu klären. "Ich rege daher einen Kaminabend vor der 367. Kultusministerkonferenz am 17./18. Oktober an."

 

Doch der von Karliczek für heute vorgeschlagene Kaminabend wird nicht stattfinden. Die CDU-/CSU-regierten Länder haben ihn abgesagt. Zum jetzigen Zeitpunkt ergebe ein solches informelles Treffen keinen Sinn, hatte Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann schon Mitte September kommentiert. Eisenmann koordiniert die Bildungspolitik der Landesregierungen mit Unionsbeteiligung. Und deren Vorstellungen zur Stimmenverteilung im Bildungsrat, sagte Eisenmann, passten noch nicht zu denen von Karliczek.

 

Nein, sie fängt nicht gut an, die KMK-Sitzung, die eigentlich die Entscheidung bringen sollte: über den Bildungsrat, aber auch über die Zukunft der groß angekündigten Reform der Kultusministerkonferenz selbst. Morgen Mittag geht es offiziell los, ab 13.30 Uhr tagt das Plenum der Kultusministerkonferenz in der Berliner Taubenstraße.  

 

Kommt es zur Kampfabstimmung 

über den Bildungsrat?

 

Es könnte hoch hergehen. Denn die meisten SPD-Minister wollen nach anderthalb Jahren Verhandlungen den Kompromiss mit Karliczek. Es ist nicht so, dass bei ihnen allen mit einem Mal die große Liebe für das neue Gremium ausgebrochen ist, das die Große Koalition in ihrem Vertrag versprochen hatte (mehr zum Bildungsrat und seinen geplanten Aufgaben finden Sie hier). Doch wie ihr Koordinator, Hamburgs SPD-Bildungssenator Ties Rabe neulich sagte: "Es ist der Öffentlichkeit doch nicht mehr zu vermitteln, warum wir nach zwei Jahren immer noch nicht zu einer Einigung gekommen sind." Rabe hatte deshalb im September angekündigt,  einen nicht mit den Unionsländern abgestimmten Vorschlag zur Abstimmung zu bringen – in der KMK, die Konsens im Zweifel über Funktionalität stellt, ein absolut ungewöhnliches Vorgehen.  

 

Rabes Vorschlag liegt dicht an dem, was Karliczek in ihrem Schreiben an den KMK-Präsident Lorz formuliert hatte: 16 Stimmen für die Länder, 13 für den Bund und drei für die Kommunen. Eine Stimmenverteilung, der für beide Seiten eine Zumutung darstellen würde und womöglich gerade deshalb eine Chance hat. Eine Zumutung für den Bund, weil Karliczek damit von der ursprünglich verlangten "Augenhöhe" mit den Ländern abweicht. Und eine Zumutung für die Länder, die als Träger der Kultushoheit lange darauf aus waren, den Bund mit maximal sechs Stimmen auf den Level der Kommunen zu stellen und sich selbst mit 16 Stimmen die Mehrheit zu sichern. 

 

Doch Eisenmann lehnt die neue Stimmenverteilung bislang ab und verwies wiederholt auf den Beschluss (besagtes 16:6:6), den die Länder im Frühsommer in Wiesbaden gefasst haben. Ihr SPD-Kollege Rabe sieht darin jedoch lediglich eine Verhandlungsposition der Länder, von der man selbstverständlich im Rahmen eines Kompromisses abweichen könne. 

 

Das Potenzial für
Überraschungen ist da

 

Das Potenzial für Überraschungen ist gegeben. Neulich hatte Schleswig-Holsteins CDU-Bildungsministerin Karin Prien im Interview hier im Blog Anja Karliczek für ihr Entgegenkommen gelobt. Sie glaube, dass man am Ende auf der Grundlage des BMBF-Vorschlages einschlagen könne. Sie könne nur an alle ihre Kolleginnen und Kollegen appellieren, sagte Prien, "gerade bei den anstehenden Entscheidungen, die so grundlegend sind, diese alten Kategorien und dieses anachronistische Lagerdenken hinter sich zu lassen."

 

Zuletzt sickerte durch, dass die kommunalen Spitzenverbände gar nicht sechs Stimmen haben wollen, sondern drei – womit die in Wiesbaden beschlossene Stimmenverteilung ohnehin obsolet wäre. Auch Eisenmann sagte zuletzt, aus ihrer Sicht sei es offen, was die KMK-Sitzung bringe.

 

Den ehemals für alle Minister geplanten und dann abgesagten Kaminabend haben die CDU-/CSU-Länder jedenfalls jetzt zu einem reinen Unions-Ministertreffen umgewandelt, heute Abend will man zusammensitzen und an der gemeinsamen Linie arbeiten. Karliczek wollte eigentlich auch dazukommen, muss jedoch kurzfristig mit der Kanzlerin zum deutsch-französischen Ministerrat nach Toulouse. 

 

Die Sozialdemokraten verwenden derweil viel Energie darauf, in Hintergrundgesprächen deutlich zu machen, dass das Problem mit dem nicht zustandekommenden Bildungsrat inzwischen ein rein unionsinternes sei. 

 

Umgekehrt betonten die Unions-Minister vor der KMK-Sitzung, dass vor allem die SPD-Seite beim zweiten großen Thema, dem noch länger als der Bildungsrat versprochenen neuen umfassenden Ländervereinbarung, auf der Bremse stehe.

 

KMK-Staatsvertrag oder
Ländervereinbarung?

 

Tatsächlich gibt es mehrere SPD-Minister, die immer noch mit der angestrebten Form der Ländervereinbarung fremdeln. Ein Staatsvertrag soll es eigentlich werden, schon aus Symbolgründen. Der letzte, das sogenannte Hamburger Abkommen, stammt von 1964. Ein neues KMK-Vertragswerk, das alle 16 Länderparlamente verabschieden müssten, würde das dringend benötige Aufbruchssignal in die Öffentlichkeit schicken. 

 

Doch genau das mit den 16 Länderparlamenten ist auch das Problem: eine enorme Hürde. Hinzu kommt, dass es zwei SPD-Kultusminister waren, die von Bremen (Claudia Bogedan) und Niedersachsen (Grant Hendrik Tonne), die mit ihrem Beschluss, aus den nationalen Vergleichsarbeiten VERA 3 und VERA 8 auszusteigen, die KMK, die doch mit dem Staatsvertrag noch mehr Vergleichbarkeit beschwören will, in arge Erklärungsnot gebracht haben. Das passte irgendwie nicht zusammen, wie so vieles in der KMK zurzeit nicht zusammenzupassen scheint.  

 

In ihrem Interview hier im Blog hatte Karin Prien gesagt, man müsse Bildungsstaatsvertrag und Nationalen Bildungsrat im Zusammenhang sehen. "Der Staatsvertrag ist eine alte CDU-Forderung, ich sehe eine große Bereitschaft auf der B-Seite, Nägel mit Köpfen zu machen." Mit B-Seite sind die Unionsminister gemeint. Und Prien fügte hinzu: "Wenn auch die A-Seite bereit ist, hier die entscheidenden Schritte nach vorn zu machen, dann sollten wir auch beim Bildungsrat den Kompromiss suchen." Die SPD-Minister, die A-Seite, sagen ja zum Staatsvertrag, dazu auch das lange staatsvertragskritische Bayern, und alle Unionsminister nicken beim Bildungsrat: Wäre das ein denkbares Quid-pro-Quo?

 

Ein solcher Tauschhandel würde zumindest gut mit den weiteren Spezifika von Rabes Bildungsrats-Vorschlag zusammenpassen. Dass alle Beschlüsse eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen erfordern sollen, galt bereits als gesetzt. Darüber hinaus schlägt Rabe jedoch anstatt eines Vetorechts für jedes einzelne Bundesland, das wegweisende Entscheidungen im neuen Gremium faktisch verhindern würde, ein Länderquorum vor – wiederum in Anlehnung an Karliczek. Soll heißen: Für einen Beschluss wären mindestens 13 Länderstimmen nötig. Auf dieses Länderquorum würden sich die CDU-Länder jedoch, wenn überhaupt, vermutlich nur dann einlassen, wenn parallel der KMK-Staatsvertrag käme. Denn dann könnten die Länder als eine schlagkräftigere Einheit agieren, als das bislang häufig der Fall ist – und verhindern, dass der Bund sie bei einem 13-Stimmenquorum gegeneinander ausspielen könnte. 

 

Es wäre ein reformatives Gesamtpaket: Hier der Bildungsrat für die konsensuale Festlegung der großen Linien der Bildungspolitik unter Mitwirkung  von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Dort die Kultusministerkonferenz, die dank ihrer Reform und mit der Rückendeckung des Bildungsrates in der Lage ist, ein in sich stimmiges, vergleichbares Bildungssystem zu entwickeln – ohne darüber die Kultushoheit abzuschaffen. 

 

43 Artikel, die es
in sich haben

 

Dafür müsste es aber auch mit der KMK-Reform vorangehen. Der bekannte Bildungsrechtler Hans-Peter Füssel vom DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung hat jetzt im Auftrag der Länder bereits einen Entwurf ausgearbeitet, Überschrift: "Überlegungen zu einem Staatsvertrag/einer Ländervereinbarung". Schön ergebnisoffen formuliert, doch wenn man sich die derzeit 24 Seiten anschaut, sieht das Ganze in Struktur und Wording doch sehr nach einem Staatsvertrag aus. 

 

Und der ist durchaus ambitioniert formuliert. Die Artikel reichen von der Definition gemeinsamer Strukturen im Bildungssystem über die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen bis hin zur gegenseitigen Zusicherung einer gemeinsamen Qualitätssicherung. Es werden unter anderem Aussagen getroffen zu Bildungsstandards, Bildungsberichterstattung, Schulleistungsstudien, Bildungsstatistik, zu Integration und Inklusion, zu Bildung in der digitalen Welt, zu Ferienregelungen und Noten, zu Ganztagsschulen und zur Lehrerbildung. Kurz gesagt: Die derzeit 43 Artikel des Vertrages haben es in sich, sie könnten tatsächlich das erhoffte Signal des Aufbruchs werden. 

 

Der Druck, genau dieses bereits in der aktuellen Sitzung auszusenden, indem sich die Minister zumindest auf die Textform Staatsvertrag einigen, ist groß. Denn verabschieden die Kultusminister jetzt keinen wegweisenden Beschluss, fallen sie noch deutlicher hinter den selbstgesteckten Zeitplan bis zur großen KMK-Reform zurück. Bis Ende 2020 soll der Staatvertrag ratifiziert werden, doch dafür muss nicht nur er fertig geschrieben und vereinbart sein. Vor allem müssten dafür auch die Ausführungsvereinbarungen zu jedem einzelnen Artikel stehen, die die sehr grundsätzlichen Aussagen des Staatsvertrages auf die Ebene ihrer politischen Umsetzung heben würde. 

 

Und genau hier liegt das Problem. Exemplarisch ausgearbeitet haben die Kultusministerien nämlich gerade mal die politischen Erklärungen zu vier Artikeln. Immerhin handelt es sich um zwei absolut zentrale Themen: die Regelungen zur gymnasialen Oberstufe und zum Abitur sowie zur Lehrerbildung und zur Einstellung von Lehrkräften. Solange es jedoch so wenige ausgearbeitete Themen sind, so argumentieren sie vor allem auf Seiten der SPD, wie sollen wir uns dann schon auf die endgültige Rechtsform der Vereinbarung festlegen?

 

Aus der CDU heißt es, so schnell wie es jetzt dank DIPF-Wissenschaftler Füssel mit dem Entwurf des Staatsvertrags gegangen sei, verbunden mit dem hohen Tempo, in dem die Amtschefs die zwei Beispielthemen ausgearbeitet hätten, so zügig könnte es jetzt mit der Ausarbeitung der übrigen zehn Themen weitergehen. Wenn man denn nur wolle.  

 

Schaffen die Minister den 

Durchbruch beim Abitur?

 

Und tatsächlich: So ambitioniert bereits der Staatsvertrags-Entwurf, so spannend lesen sich die politischen Erklärungen zu den vier Staatsvertrags-Artikeln, die die obersten Ministerialbeamten, die Amtschefs, für ihre Chefs bereits ausgearbeitet haben. Spannend – und teilweise ebenfalls bemerkenswert weitgehend.  

 

So wollen die Länder dem Entwurf zufolge längerfristig die Entwicklung bundeseinheitlicher Lehrpläne für die Fächer der Oberstufe diskutieren, was einer Revolution gleichkäme. Schon kurzfristig wollen die Länder eine genaue Zahl verpflichtend zu belegender und in die Gesamtqualifikation einzubringender Fächer einschließlich ihrer Gewichtung festlegen. Auch die Zahl der zu wählenden Fächer auf erhöhtem Anforderungsniveau soll vereinheitlicht werden. Sogar auf die gleiche Zahl der Klausuren und die Gewichtung der schriftlichen Leistungen innerhalb der Gesamtnote sollen die Länder sich verständigen. Wobei an dieser Stelle erneut betont werden muss: Es handelt sich bislang lediglich um einen Entwurf für die Minister, diese haben noch nicht darüber entschieden.  

 

Das gleiche gilt für ein Kernvorhaben der KMK-Reform: Dem Entwurf zufolge wollen die Länder in Zukunft einen noch festzulegenden, verpflichtenden Prozentsatz aller Abituraufgaben in Deutsch, Mathematik und Englisch bzw. Französisch aus ihrem gemeinsamen Aufgabenpool ziehen. Der Prozentsatz, so ist aus der KMK zu hören, müsse bei mindestens 50 Prozent liegen, alles andere wäre nicht ausreichend. Die Aufgaben dürfen dann nicht mehr verändert werden, auch Rahmenbedingungen für die Abiturprüfungen von der Aufgabenstruktur über die Arbeitszeiten bis hin zu den erlaubten Hilfsmitteln sollen bundesweit die gleichen werden. Ab wann diese weitreichenden Änderungen kommen sollen, ist ebenfalls noch offen. Aber es wäre ein deutlicher Schritt in Richtung eines von den Ländern selbst verantworteten Zentralabiturs, wie Susanne Eisenmann es im Sommer gefordert hatte. 

 

Viele schöne Worte für
die Lehrerbildung

 

Die Passagen zur Lehrerbildung sind dagegen wesentlich weniger konkret. Die Länder, heißt es da, würden ihre "Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Lehrerbildung" gemeinsam fortsetzen, "indem sie die einschlägigen Vorgaben fortlaufend an den aktuellen und künftigen Herausforderungen überprüfen und bei Bedarf anpassen." Auch würden sie nach einer gemeinsamen Lösung suchen, "wie die einzelnen Phasen der Lehrerbildung besser miteinander verzahnt, die Lehrkräfte in der Berufseingangsphase stärker unterstützt und ihre diagnostischen und methodischen Kompetenzen weiter verbessert werden können." Der Entwurf verspricht darüber hinaus, dass die Länder belastbare und verlässliche Zahlen zum Lehrerbedarf bereitstellen (siehe hierzu das Ende des Artikels) und dass sie den Hochschulen auf der Basis dieser Zahlen ausreichend Ressourcen für ausreichend Lehramtsstudienplätze und auch genug Referendariatsplätze zur Verfügung stellen wollen. Auch eine bessere Begleitung der Lehramtsanwärter wird angekündigt, um die Abbrecherquote zu senken. 

 

Kurios mutet an, dass die Länder sich der den Ministern vorgelegten Erklärung zu folge verpflichten sollen, ihre bereits 2013 getroffene Vereinbarung "zur Erhöhung der Mobilität von Lehrkräften bei den Einstellungsverfahren in den Vorbereitungs- und in den Schuldienst" konsequent umzusetzen. Kurz gefasst steckt in dieser Ankündigung zugleich das bisherige Kernproblem der KMK: Die Länder schließen Vereinbarungen, und dann steht es ihnen frei, sich daran zu halten oder nicht. Genau das, so zumindest der Plan, soll ein neuer Bildungsstaatsvertrag ändern. 

 

Angehende Lehrer, die nach dem Studium oder nach dem Referendariat in einem anderen Bundesland bewerben, sollen künftig nicht mehr einfach so wegen angeblich unzureichender Qualifikation abgelehnt werden können, sondern es soll ihnen zumindest ein Weg aufgezeigt werden, wie sie die fehlenden Teile ihrer Ausbildung nachholen können. Dazu wollen die Länder dem Entwurf zufolge eine neue Vereinbarung schließen. 

 

Mal sehen, mit welchen Botschaften die Kultusminister am Freitag vor die Presse treten werden. Können Sie den Durchbruch bei Bildungsrat und/oder Staatsvertrag vermelden? Oder müssen sie mit gut klingenden Worten verpacken, dass es noch immer nichts geworden ist mit den lange versprochenen großen Sprüngen?

 

Spannung vor der Veröffentlichung

des IQB-Bildungstrends

 

Womöglich kommt ihnen zur Hilfe, dass es noch mehr Nachrichten zu vermelden geben wird. Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2018 zum Beispiel, die das KMK-eigene Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen am Freitag veröffentlicht. IQB-Leiterin Petra Stanat wird sie ebenfalls am Freitag in einer Pressekonferenz mit Eisenmann, Rabe und Lorz vorstellen. Wie gut haben die deutschen Neuntklässer die Bildungsstandards in Mathematik, Biologie, Chemie und Physik erreicht? Wie fallen die Ergebnisse im Vergleich zur letzten Erhebung aus? Viel hängt von der Tendenz ab: Nachdem der Bildungstrend 2016 in den meisten Bundesländern spürbar schwächere Ergebnisse für die damaligen Viertklässler in Deutsch und Mathe gezeigt hatte, würde ein Rückgang bei den Neuntklässlern den Eindruck verfestigen, dass sich die Kompetenzen der Schüler auf breiter Basis verschlechtern.  

 

Bleibt ein Thema, mit dem die Kultusminister sich ebenfalls seit langem herumschlagen und bei dem sie schon vergangenes Jahr Besserung gelobt hatten: die Prognose des künftigen Lehrerbedarfs. Nach der heftigen Kritik an veralteten Zahlen hatte die KMK im Oktober 2018 beschlossen, künftig jedes Jahr eine neue Berechnung vorzulegen. Die nächste Berechnung wäre also jetzt fällig.

 

Neulich hatte bereits die Bertelsmann-Stiftung gewarnt, dass der Lehrermangel nochmal um 11.000 größer sein werde, als die KMK es im vergangenen Jahr prognostiziert hatte. 26.300 Grundschullehrer sollen jetzt laut Stiftung 2025 fehlen. Ob die Kultusminister zum gleichen Ergebnis kommen werden?


NACHTRAG AM 16. OKTOBER UM 12.00 UHR

Der Deutsche Philologenverband (DPhV) hat die Kultusminister aufgerufen, die KMK-Reform jetzt umzusetzen. Die Verbandsvorsitzende Susanne Lin-Klitzing appellierte per Pressemitteilung an die Ressortchefs: "Haben Sie den Mut, die KMK in ein zukunftsfähiges und auf Expertise beruhendes System zur Steuerung der Bildungspolitik zu entwickeln und verwalten Sie nicht nur die unterschiedlichen Bildungsinteressen der Länder!" Ein Bildungsstaatsvertrag werde die anstehenden Probleme nicht lösen können, "aber er und die Ergebnisse der anstehenden Kultusministerkonferenz werden zeigen, wie ernst es den Ländern und der KMK tatsächlich damit ist, strukturelle Bildungsungleichheiten zwischen den Ländern... endlich anzugehen... – oder eben auch nicht!"

 

Der DPhV verlangte "eine kritische Rückschau auf 20 Jahre empirische Bildungsforschung und die anschließenden bildungspolitischen Maßnahmen", angefangen mit Pisa 2000. Wenn sich nun beim IQB-Bildungstrend kein anderes Ergebnis zeige als in den Jahren zuvor, seien die KMK "und insbesondere die Bildungspolitiker der leistungsschwächeren Länder ihrer politischen Steuerungsaufgabe, im Interesse der Schülerinnen und Schüler Bildungsgerechtigkeit zwischen den Ländern herzustellen, nicht gerecht geworden", sagte Lin-Klitzing. Sie mahnte zudem eine Bestandsaufnahme an, wie weit die Kultusminister dabei gekommen seien, die schulischen Abschlüsse inklusive dem Abitur "auf höherem Leistungsniveau zwischen den Ländern vergleichbarer zu gestalten". Der Bildungsstaatsvertrag werde den Erwartungen der Öffentlichkeit nur gerecht werden, wenn er mehr enthalte, als dass die Bundesländer sich mit höherer Verbindlichkeit als bisher an bereits gemeinsam getroffene Verabredungen halten wollten.

 

Lin-Klitzing erneuerte die Forderung, die "ernsthafte Reform der KMK" mit einer dreijährigen Amtszeit des jeweiligen KMK-Präsidenten oder der KMK-Präsidentin zu flankieren. "In der Bildungspolitik müssen die dicken Bretter langfristig gebohrt werden, das kann solide nicht in einer einjährigen Amtszeit gelingen!" Bisher wechselt die KMK-Präsidentschaft jedes Jahr zwischen den Bundesländern. 


NACHTRAG AM 17. OKTOBER, 20 UHR:

Die SPD-Kultusminister haben auf Initiative von Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe ihren Antrag zum Bildungsrat zur Abstimmung gestellt – und sind an Gegenwehr der unionsregierten Länder gescheitert. Damit lässt die Einigung für das neue Gremium weiter auf sich warten. Auch zum Staatsvertrag wurde kein Grundsatzbeschluss getroffen. Immerhin sollen die Amtschefs die politischen Erklärungen zu der Vereinbarung weiter ausarbeiten. Im Dezember will man dann mit beidem den nächsten Anlauf nehmen. Eine enttäuschende Bilanz. Mehr folgt. 


Foto: Das Verwaltungsgebäude der ehemaligen Patzenhofer-Brauerei, heute sitzt hier unter anderem das Sekretariat der KMK. Jörg Zägel: "Berlin, Mitte, Taubenstrasse 10, Patzenhofer-Brauerei.jpg", CC BY-SA 3.0.

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Kommentare: 2
  • #1

    Marc Ehrlich (Mittwoch, 16 Oktober 2019 17:46)

    Sehr geehrter Herr Wiarda,
    gewiß ist es gut, wenn Sie hochaktuell und (wie immer) bestens informiert über Dinge im Bildungswesen berichten. Viele Dinge sind aber hochkomplex und diffizil. Da hätte man mitunter doch die klare (auch historische) Einordnung und Wertung eines "Urgesteins" wie G. Turner.
    MfG.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 16 Oktober 2019 17:58)

    Lieber Marc Ehrlich,

    vielen Dank für die Rückmeldung. Das eine schließt das andere doch nicht aus, oder?

    Viele Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda