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Die Abbruch-Drohung

Der Länderstreit um den Bildungsrat eskaliert. Bayerns Ministerpräsident erwägt offen den Ausstieg aus den Verhandlungen.

Aus dem Bildungsrat aussteigen? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Foto: Max Pixel - cco.

BAYERNS MINISTERPRÄSIDENT Markus Söder (CSU) ist immer für eine Überraschung gut. Wobei, wenn man ehrlich ist, das, was er heute verkündete, sich bereits länger abgezeichnet hatte. "Ich glaube wir müssen aus diesem Nationalen Bildungsrat überlegen auszusteigen", sagte Söder laut dpa am Donnerstag kurz  vor Beginn der Ministerpräsidentenkonferenz in Grainau. "Es läuft in eine falsche Richtung. Es wird ein bürokratisches Monstrum, das am Ende aus Berlin in die kleinen Schulstuben hineinregiert und in die Klassenzimmer." Das könne nicht sein. "Wir wollen, dass die Klassenzimmer nach wie vor regional gestaltet werden und nicht zentral verwaltet werden."

 

Wenn auch nicht überraschend, so ist Söders Ansage doch bemerkenswert. Bemerkenswert, weil es ausgerechnet sein Vorgänger als bayerischer Ministerpräsident Horst Seehofer war, dank dessen Unterstützung es die Einrichtung eines Nationalen Bildungsrates überhaupt in den GroKo-Koalitionsvertrag geschafft hatte. Söder sagt nun, der Bildungsrat sei eher ein Modell zum Scheitern. Auch wenn er im Koalitionsvertrag stehe, sehe er doch "wenig Chancen auf eine gute Umsetzung in der Realität."

 

War der monatelange Streit um
die Stimmenverteilung nur vorgeschützt?

 

Womit wir beim wenig überraschenden Teil von Söders heutiger Äußerung angekommen sind. Seit Monaten sind die Regeln und Rahmenbedingungen für das neue Gremium, das über Empfehlungen mehr Verbindendes ins föderale Bildungssystem bringen soll, eigentlich ausverhandelt zwischen Bund und Ländern – unter aktiver Beteiligung des bayerischen Kultusministeriums, nebenbei bemerkt.

 

Doch streiten sich die Länder untereinander – ebenfalls seit Monaten –über die Stimmenverteilung zwischen Bund, Länder und Kommunen in dem Rat. Die Zugeständnisse, die das Bundesbildungsministerium von Anja Karliczek (CDU) im Laufe der Zeit machte, reichte vor allem Unionsländern wie Bayern und Baden-Württemberg nicht. Vergangene Woche dann war es sogar zu einer Kampfabstimmung in der Kultusministerkonferenz gekommen. Ergebnis: Alle SPD-regierten Länder stimmten für einen von Hamburg vorgelegten Kompromissvorschlag mit dem Bund, alle unionsregierten Länder dagegen. In Wirklichkeit geht es bei dem Konflikt nicht nur um die Stimmenverteilung an sich, sondern um die Frage, ob es den Bildungsrat überhaupt geben sollte.

 

Doch scheuten sich selbst die Unionsländer, die Verhandlungen um den Bildungsrat in aller Offenheit abzubrechen – eben weil er im Koalitionsvertrag stand. Mit dieser Zurückhaltung scheint es nach dem KMK-Streit von vergangener Woche vorbei zu sein. 

 

Baden-Württembergs CDU-Kultusministerin
springt Söder bei

 

Deutlicher als bislang meldete sich in Reaktion auf Söders Vorstoß denn auch Baden-Württembergs CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann zu Wort. Sie halte den Nationalen Bildungsrat für ein überflüssiges Gremium", sagte Eisenmann, die auch die unionsgeführten Bildungsministerien in der KMK koordiniert. "Wir brauchen kein Gremium, das auf Bundesebene Vorgaben für landeshoheitliche Aufgaben entwickelt." Deshalb teile sie die kritische Einschätzung Söders. Viel wichtiger sei, dass sich die Länder in einem Staatsvertrag auf "verbindliche und einheitliche Standards für deutschlandweit vergleichbare Bildung" einigten, "zum Beispiel für einheitliche Schulabschlüsse in allen Schularten". Darauf, so Eisenmann, "sollten wir uns konzentrieren". Nur wenn die Länder über den Staatsvertrag solche gemeinsamen Lösungen hinbekämen, habe der Bildungsföderalismus eine Überlebenschance.

 

Dem Bildungsrat will die Kultusministerin offenbar wie Söder jetzt kaum noch eine Überlebenschance zugestehen. 

 

Bayerns Ministerpräsident verwies auf die verhakten Verhandlungen, etwa was Stimmrechte und Organisationsfragen angehe. Es finde eine "Überbürokratisierung" statt. Freilich sagte Söder nicht, an welcher Stelle genau er die Überbürokratisierung befürchtet. Der von Bund und Ländern weitgehend konsentierte Vertragsentwurf zum Bildungsrat sieht tatsächlich sogar eine im Vergleich etwa zum Wissenschaftsrat schlanke Struktur vor. Wesentliche Organisationsfragen sind in den Verhandlungen ebenfalls nicht mehr offen.

 

Erstaunlich war Söders Aussage über die in der Dauerkrise steckende Kultuministerkonferenz. Diese sei ein "super Instrumentarium", sagte der Regierungschef laut dpa. Zudem gebe es die Möglichkeit, mit weiteren Staatsverträgen im Bildungsbereich voranzukommen.

 

Hamburgs SPD-Bildungssenator:
"Sinnlose Taktiererei"


Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der zugleich Sprecher der SPD-geführten Bildungsministerien ist, sagte heute auf meine Anfrage, eine erfolgreiche Bildungspolitik basiere auf klaren Zielen und Strategien. "Es ist mir absolut unerklärlich, wieso die Union vor zwei Jahren als wichtigstes Instrument der Bildungspolitik den Nationalen Bildungsrat in den Koalitionsvertrag schreibt und jetzt gleichzeitig seine Beerdigung fordert." Das sei keine seriöse Bildungspolitik, sondern "sinnlose Taktiererei". Auch wenn es noch viele offene Fragen beim Bildungsrat gebe, sei das Anliegen, mehr Einheitlichkeit, Vergleichbarkeit und gemeinsame Strategien zu entwickeln, grundsätzlich richtig.

 

Der SPD-Senator sprach von einem handfesten Streit zwischen Bundesbildungsministerin Karliczek und den Unions-Landesministern als Ursache. "Offensichtlich sind die CDU-/CSU-regierten Länder sogar bereit, den Nationale Bildungsrat komplett platzen zu lassen." Rabe hatte vergangene Woche die Kampfabstimmung in der KMK initiiert.

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Kommentare: 4
  • #1

    Manfred Schmidt-Umbach (Freitag, 25 Oktober 2019 09:14)

    Gegenfrage: ist es nicht viel mehr sinnlose Taktiererei, wenn man an einem als sinnlos erachteten Gremium festhält?

  • #2

    Ein Förderalismuserfahrener (Freitag, 25 Oktober 2019 14:42)

    Es stellt sich die Frage, wer es als "sinnlos" erachtet - und wem es nützt, wenn es nicht zustande kommt. M.E. dem von allen vorgeblich unterstützten Ziel von mehr Vergleichbarkeit jedenfalls nicht...

    Ich empfehle jedem, der deren Notwendigkeit und Dringlichkeit bezweifelt, eine mehrfachen berufsbedingten Umzug mit schulpflichtigen Kindern, jeweils mit Wechsel des Bundeslandes von Ost nach West und/oder Nord nach Süd! ;-)

  • #3

    Thomas Höhmann (Samstag, 02 November 2019 19:34)

    Ich sehe vor allem zwei unterschiedliche Ansätze in der Bildungspolitik: a) Leistung soll sich lohnen, und b) Kein Kind zurücklassen!
    Da die beiden Ansätze niemals gleichzeitig befriedigt werden können, wird es auch keine Abschlüsse geben, aus denen man auf die Leistung zurückschließen kann. Auch dieser innere Widerspruch kann nicht aufgelöst werden, und so stellt er das Bildungssystem als Ganzes infrage.

  • #4

    HGH (Freitag, 08 November 2019 14:02)

    Wie die Geschichte der gescheiterten Versuche zur Einrichtung eines Bildungsrats zeigt, ist er entweder als Expertengremium ohne Committment der Länder zur Wirkungslosigkeit und letztlich zum Scheitern verurteilt, oder seine Einrichtung scheitert an der Bereitschaft der Länder, ihre föderale Alleinzuständigkeit zugunsten eines Bildungsrats selbst zu beschränken und dort bildungspolitisch aktiv mit den Experten zusammenzuarbeiten für Empfehlungen mit gewisser politischen Bindewirkung. Dass der Bund als Treiber die Gelegenheit nutzt, um aus seiner verfassungsrechtlichen Nische im Bereich der Bildungszuständigkeit herauszukommen, erleichtert die Lösung nicht. Die Koalitionäre aus der Groko hätten besser zur rechten Zeit einen Blick auf die Geschichte des Scheitern geworfen.