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Ökonomenlob für Billigheimer

Forscher des ifo-Instituts haben eine Liste mit angeblich besonders effizienten Hochschulen veröffentlicht. Wer sie sich genauer anschaut, findet Erstaunliches. Ein Gastbeitrag von Gerd Grözinger.

Foto: Olichel / pixabay - cco.

VOR KURZEM HABE ich zu meinem großen Erstaunen erfahren, dass ich weit im hohen Norden an einer Spitzenuniversität arbeite. Das ifo-Institut will herausgefunden haben, dass neben so renommierten Institutionen wie der TU und der LMU München, der Universität Heidelberg oder der FU Berlin auch etwas unbekanntere Einrichtungen wie die Universität Flensburg, die Universität Lübeck und die Universität Koblenz-Landau relativ gesehen am effizientesten gewirtschaftet haben. Zumindest zwischen 2004 und 2015 und im Vergleich der insgesamt 70 untersuchten staatlichen Einrichtungen. 

Gerd Grözinger, Soziologe und Volkswirt, ist Professor für Sozial- und Bildungsökonomik an der Europa-Universität Flensburg. Foto: privat.

Was ist der Hintergrund einer solchen Aussage? Ökonomen wie die des ifo nutzen gern ein Instrument aus der Produktionstheorie, die sogenannte Data Envelopment Analysis. Darin werden Inputs mit unterschiedlichen Kombinationen von Outputs in Beziehung gesetzt und eine Umhüllungskurve der effizientesten Kombinationen gebildet. So könnte zum Beispiel viel Lehre kombiniert mit wenig Forschung besonders effizient sein oder genau das Gegenteil oder irgendetwas dazwischen.  

Alles, was unterhalb dieser Kurve liegt, wäre dann nach dem Verständnis der


Forscher weniger effizient als möglich. In diesem Fall gut für Schleswig-Holstein: Mit Flensburg und Lübeck gehören gleich zwei der drei Landesuniversitäten zur Spitzengruppe, eine für Kenner der Hochschulszene erst einmal erstaunliche Einordnung.

 

Hochzitierte Publikationen und Absolventen
als Messgrößen von Effizienz?

 

Schauen wir uns die Sache also etwas genauer an. Als Inputgrößen wurden in der ifo-Studie, wie so oft bei wirtschaftswissenschaftlichen Produktionsstudien, Ausgaben und Personal genommen, als Output wählten die Forscher die Zahl der Absolventen sowie die Anzahl der hochzitierten Publikationen. Und da geht es schon los: Tatsächlich ist es nämlich fragwürdig, ob der Wissenschaftsindikator "hochzitierter Publikationen" geeignet ist, Forschungsaktivität angemessen widerzuspiegeln. In Analogie zum Sport habe ich schon einmal bei einer empirischen Untersuchung zur amerikanischen Forschungsförderung argumentiert, dass kein Spitzensport ohne Breitensport zu haben ist. Zugutehalten kann man dem ifo, dass die Angemessenheit dieses Indikators in der aktuellen Studie immerhin diskutiert wird. Dagegen heißt es bei dem Indikator "Absolventen" nur lapidar: "Auch wenn Indikatoren, welche die Qualität der Lehre messen, von gleicher Relevanz wären, bietet die aktuelle Datenlage dafür bisher noch keine zufriedenstellende Lösung an."

 

Und damit sind wir bei der Crux der ganzen Angelegenheit angelangt. Mit einer simplen Data Envelopment Analysis wie die jetzt publizierte werden im Bereich der Lehre einfach nur Billigheimer prämiert. Und die Europa-Universität Flensburg – so der korrekte Name – ist ohne eigenes Verschulden ein solcher: Relative Unterfinanzierung war und ist unser Schicksal. Ich habe als Hochschulforscher dazu früher immer mal wieder in regionalen Zeitungsbeiträgen mit Vergleichsdaten aufmerksam gemacht. Mittlerweile erkennt selbst das Land das Problem an. In der aktuell gültigen Ergänzungsvereinbarung zum Hochschulvertrag steht geschrieben: „Um die zusätzlichen Aufgaben bewältigen zu können, hat die Landesregierung beschlossen, die Grundfinanzierung der Hochschulen stufenweise und dauerhaft ab 2016 bis 2019 anzuheben und damit die im Vergleich zu anderen Hochschulen in Norddeutschland und im Bundesvergleich bestehende Unterfinanzierung deutlich zu verringern.“   

 

Wie unsinnig derart simple Input-Output-Berechnungen sind, die nicht die Qualität der Lehre berücksichtigen, zeigt ein zweites, ebenfalls kürzlich publiziertes Beispiel nicht weniger deutlich. Forscher aus Deutschland und Italien haben staatliche Universitäten ihrer Länder mit derselben Methode, der Data Envelopment Analysis, verglichen und, oh Wunder, das Ergebnis ist: Die Einrichtungen in Italien "perform significantly better in terms of output maximization than German universities". Auch Italien ist nämlich ein Billigheimer. Der Industriestaatenverband OECD führt in seinem jährlichen Bericht "Bildung auf einen Blick" auf, dass in Italien pro Vollzeit-Studierendem jährlich 11.589 US-Dollar (kaufkraftbereinigt) ausgegeben werden, und ohne F&E-Anteil 7.577 Dollar.

 

Folgt man der ifo-Logik, müssten
alle an Italiens Hochschulen wollen

 

In Deutschland sind es dagegen 17.429 bzw. 9.863 US-Dollar. Das ist international noch nicht wirklich berauschend, aber doch erheblich mehr als in Bella Italia. Deshalb flieht man als Hochschulangehöriger vom schönen Süden auch mehr, als dass es einem dorthin zieht. Im internationalen Vergleich zeigt sich "in Italien ein Übergewicht (57 Prozent) der Ausreisemobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern", berichtete der DAAD in der aktuellen Ausgabe von "Wissenschaft weltoffen". Mittlerweile stellen Italiener in Deutschland die größte Gruppe ausländischer Wissenschaftler.

 

Ein Billigheimertum in der Lehre wie südlich der Alpen macht sich natürlich dann doch auch am Arbeitsmarkterfolg bemerkbar. So schreibt die OECD über Beschäftigungschancen: "Insbesondere Italien weist hohe Nichterwerbsquoten für die Absolventen des Tertiärbereichs aus, dort sind mehr als 20 Prozent von ihnen nicht im Arbeitsmarkt." Und auch beim Einkommen hapert’s erheblich. In Deutschland verdienen Hochschulabsolventen durchschnittlich 169 Prozent im Vergleich zu einem Einkommen mit Sek II-Abschluss, in Italien nur 139 Prozent.

 

Die langfristigen Folgen der Hochschulunterfinanzierung können noch dramatischer sein und weit über diese auf individuellen Karrieren basierten Angaben hinausgehen. So liest man in der von vielen Experten als am profundesten angesehenen Darstellung der Eurokrise unter anderem: "Italy had one overarching, debilitating problem: Italian productivity was declining. The efficiency with which Italian businesses were using their machines and workers was falling. Italy’s workforce was much less educated than the Japanese workforce, and the Italian R&D rate— at 1.3 percent of GDP— was one-third the Japanese rate. The consequences were predictable. The once-vibrant industrial corridors of central and northern Italy had become pale shadows of their former selves." Und später: "The Italian population’s lag in academic achievement had become a severe handicap because education was increasingly essential to benefit from technological advances."

 

Keine Frage: Langjährige Unterfinanzierung im Tertiärbereich führt in modernen Gesellschaften in eine wirtschaftliche Abwärtsschleife, aus der nur schwer wieder herauszukommen ist. Womit wir wieder bei der ifo-Studie angelangt sind: Wir sollten uns bei der Hochschulfinanzierung in Deutschland und anderswo von den falschen ökonomischen Propheten nicht irreführen lassen und aufhören, Billigheimertum mit Effizienz zu verwechseln!

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Kommentare: 8
  • #1

    Felix S (Dienstag, 26 November 2019 11:37)

    Vielen Dank für diesen kritischen Kommentar! Ein Hinweis: Im Link auf die OECD-Studie hat sich ein Fehler eingeschlichen, sie ist hier zu finden: https://www.oecd-ilibrary.org/education/bildung-auf-einen-blick_19991509

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 26 November 2019 12:13)

    @ Felix S: Vielen Dank für den Hinweis, mein Fehler. Wird gleich korrigiert.

  • #3

    tmg (Dienstag, 26 November 2019 12:21)

    Ein sehr erhellender Artikel. Vielen Dank.

    Es ist bei diesem ranking so wie bei vielen anderen. Genaueres Hinsehen zeigt, welch Unfug vorliegt. Ein schönes aktuelles Beispiel für ranking-Schrott ist das neueste Ökonomenranking der FAZ. Auf die Liste der sog. einflussreichsten Ökonominnen in Deutschland schafft man es auch, wenn man -neben einer Minianzahl von Zitationen - eine Handvoll überregionale Presserwähnungen bekommen hat, in denen erwähnt wird, dass die Person Ökonomin ist, die selbst aber nichts mit einer Tätigkeit als Ökonomin zu tun haben müssen. Etwa Mord, Bankraub, Guinessrekord im Biertrinken, etc. Man prüfe einmal die letzten Plätze auf dieser Liste.
    https://blogs.faz.net/fazit/2019/11/25/faz-oekonomenranking-2019-frauen-11056/

  • #4

    René Krempkow (Mittwoch, 27 November 2019 09:28)

    Ein sehr schöner Gastbeitrag, mit dem wieder einmal deutlich wird, dass eine Betrachtung von Kosten ohne Qualität zumindest im Bildungsbereich nicht weit führen kann!
    Es gibt allerdings seit längerer Zeit und aktuell wieder verstärkt Bestrebungen, die Situation bzgl. der Informationslage zur Qualität der Lehre an Hochschulen zu verbessern. So gab es erst im Sommer dieses Jahres einen Workshop des Projekts „Leistungsmessung und -beurteilung für Universitäten, Indikatoren und ihre Interdependenzen in Forschung und Lehre“ des Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover, in dem dessen Ergebnisse vorgestellt und diskutiert wurden (weitere Info: www.dzhw.eu/services/meldungen/detail?pm_id=1545).

    Im Frühjahr 2020 wird zudem ein Buch zum Thema "Leistungsbewertung in der Wissenschaft" (herausgegben von Isabell Welpe, Jutta Stumpf-Wollersheim, Nicholas Folger und Manfred Prenzel) im DeGruyter-Verlag erscheinen, das das Thema Leistungsbewertung auf Meta-, Meso- & Mikroebene in den Bereichen Forschung, Lehre und Third Mission betrachten wird, und welches u.a. aus den Projektergebnissen einer gleichnamigen BMBF-Förderinitiative entstand.

    Ich bin gespannt, ob es den Forschern des ifo dann gelingt (so wie in diesem Gastbeitrag Gerd Grözinger exemplarisch zeigt, dass es sehr wohl gelingen kann), über Ihren Tellerrand zu schauen und die aktuellen Forschungsergebnisse der einschlägigen Hochschul- und Wissenschaftsforschung in ihre Arbeit einzubeziehen, wenn sie wieder einmal über Hochschulen schreiben. ;-)

  • #5

    Mannheimer Studi (Mittwoch, 27 November 2019 09:36)

    Das ist wohl auch ein Korrolar der Ablehnung jeglicher Berichterstattung über die (Grundlagen-)Forschung der Herren Ordinarien in den Universitäten. Längst diskreditierte Forschungsmethoden werden in weniger an Forschung und mehr an Öffentlichkeitswirksamkeit interessierten Arbeiten genutzt. Omitted Variable Bias ist nun wirklich kein neues Konzept innerhalb der empirischen VWL.

    @tmg: Erhellend ist der Artikel also nur, wenn man nichts vom Fach versteht. Vielleicht erklären Sie uns also mit welchen Forschungsartikeln welcher Ökonomin in der von ihnen verlinkten Rangliste Sie welche Probleme sehen. Sonst frage ich mich schon, warum Sie sich gerade die Liste mit den Damen gegriffen haben.

  • #6

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 27 November 2019 09:41)

    Guten Morgen und kurzer Hinweis an alle: Falls hier im weiteren Verlauf namentlich die Leistungen bestimmter WissenschaftlerInnen namentlich diskutiert werden sollten, erwarte ich im Gegenzug auch, dass die Diskutierenden mit Klarnamen operieren. Sonst werde ich die Beiträge nicht freischalten. Ich bitte um Verständnis. Viele Grüße und einen schönen Tag!

  • #7

    tmg (Mittwoch, 27 November 2019 15:30)

    @Mannheimer Studi: Sie scheinen traumatische Erlebnisse mit Professoren hinter sich zu haben. Anders sind ihre typischen Einlassungen in diesem Blog fast nicht erklärbar. Ich wünsche Gute Besserung.

  • #8

    Mannheimer Studi (Mittwoch, 27 November 2019 15:46)

    Im Gegenteil. Meine Erfahrung ist, dass ernsthafte Menschen gewillt sind ihre Kritik zu begründen und ihre Argumentation auf Nachfrage zu erklären. So kann sich dann jeder Leser sein eigenes Urteil bilden, ob eine Kritik gerechtfertigt ist.