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Warum geben andere Länder mehr Geld für Bildung aus als wir?

Laut Bildungsfinanzbericht erreichen die öffentlichen Bildungsausgaben 4,2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Wie interpretiert man so eine Zahl? Und was folgt daraus für die Bildungspolitik?

Foto: Nattanan Kanchanaprat / pixabay - cco.

ES IST ALLES eine Frage der Perspektive, auch die Lehren aus dem Bildungsfinanzbericht, den das Statistische Bundesamt vergangene Woche veröffentlicht hat. 

 

Zuerst die Zahl: 2018 haben Bund, Länder und Gemeinden 138,6 Milliarden Euro für Kitas, Schulen und Hochschulen ausgegeben. 

 

Perspektive eins: Das sind satte 4,6 Milliarden Euro mehr für die Bildung als im Jahr davor, eine Steigerung um 3,5 Prozent gegenüber 2017 und um fast 31 Prozent seit 2010. Pro Einwohner unter 30 Jahren, also den Hauptnutznießern der Bildungsmilliarden, investierten die öffentlichen Haushalte 1300 Euro mehr als 2010. 

 

Perspektive zwei: Der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben an der Wirtschaftsleistung stagnierte auch im Jahr 10 nach dem Dresdner Gipfel, bei dem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Aufbruch in die "Bildungsrepublik" beschworen hatte. Mit 4,2 Prozent liegt er nur homöopathisch über den 4,1 Prozent 2009. Länder wie Schweden oder Finnland erreichen dagegen um die sieben Prozent, selbst Großbritannien schafft laut europäischem Statistikamt 5,7 Prozent. 

 

Perspektive drei: Dass sich die höheren deutschen Bildungsausgaben statistisch nicht deutlicher bemerkbar machen, liegt daran, dass auch die Wirtschaft in den vergangenen Jahren so stark gewachsen ist. Trotzdem ist der Geldsegen für Kitas, Schulen und Hochschulen ja real.

 

Perspektive vier: Der Zuwachs ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, die Unterfinanzierung der Bildungseinrichtungen bleibt krass, man denke etwa an den Sanierungsstau, der allein an den Hochschulen auf 35 Milliarden Euro und mehr geschätzt wird. Das Kalkül der Finanzminister zu Beginn des Jahrzehnts, der damals erwartete Geburtenrückgang werde automatisch die Schulen sanieren, wenn man ihnen nur nicht zu viel Geld wegnehme ("demografische Rendite"), ist krachend am Babyboom und neuer Einwanderung gescheitert.  

 

Perspektive fünf: Es ist ganz egal, wieviel Geld man in die Bildung steckt, das versickert sowieso, und die Qualität der Schulen und Hochschulen wird dadurch auch kaum besser.

 

Zwei Fragen und
ein paar Gedanken

 

Ich lasse das mal an der Stelle und möchte nur noch eine weitere – meine eigene – Perspektive mit Ihnen teilen. Grundsätzlich finde ich, wir diskutieren in der Bildungspolitik zu einseitig über Geld und zu wenig über die Ziele und den Weg dorthin. Was genau ich damit meine, werde ich in einem meiner ersten Beiträge im neuen Jahr ausführen, aber heute will auch ich nochmal über Geld reden. 

 

Zwei Fragen. Erstens: Warum gelingt es den Bildungspolitikern in einer Reihe anderer wohlhabender Länder, mehr Geld für ihren Zuständigkeitsbereich loszueisen? Was sagt das aus über die Verfasstheit unseres Bildungsföderalismus, aber auch über den tatsächlichen Stellenwert von Bildung in unserer Gesellschaft abseits aller schönen Reden? Ich habe darauf keine Antwort, nur die Feststellung, dass sie offenbar nicht allein im üblichen Bildungsausgabenwunderland Skandinavien und seinem Gesellschaftsmodell zu finden ist. Großbritannien habe ich bereits erwähnt, aber auch Frankreich, Österreich, Niederlande: Sie alle geben laut Eurostat (das die staatlichen Bildungsausgaben leicht anders berechnet als die deutschen Statistiker) deutlich mehr für Bildung aus als die Deutschen. 

 

Zweitens: Wieso verengen wir dann auch noch die politische Debatte über die notwendige Bildungsfinanzierung so sehr? Und zu dieser zweiten Frage habe ich durchaus, wenn schon nicht Antworten, dann doch gleich eine Reihe von Gedanken. Denn die reflexartig erhobene, zweifellos richtige und nie zum falschen Zeitpunkt kommende Forderung nach mehr staatlichen Bildungsausgaben – nach dem immer dringend nötigen, aber sich (übrigens unabhängig vom jeweiligen politischen Lager) anscheinend nie ereignenden großen Sprung nach vorn – sie verstellt den Blick auf das, was man in der Zwischenzeit alles tun könnte. Oder eben auch lassen sollte. 

 

Lassen sollte man es zum Beispiel, die Gebührenfreiheit an den Kitas auch für Besserverdiener voranzutreiben, wie dieses Jahr in vielen Bundesländern geschehen im Vorgriff auf die 5,5 Bundesmilliarden aus dem Gute-Kita-Gesetz. Denn damit entziehen wohlmeinende Bildungspolitiker dem Bildungssystem Geld, und zwar an seiner empfindlichsten und bedürftigsten Stelle. Kein Bildungsbereich ist laut Bildungsfinanzbericht seit 2010 so gewachsen wie die Kindertagesbetreuung, die öffentlichen Ausgaben dafür kletterten um 81,2 Prozent. Aber wir alle wissen: Das reicht noch längst nicht. Wer mehr Chancengerechtigkeit und eine besser Sprachförderung für alle Kinder will, muss weiter heftigst in die frühkindliche Bildung investieren, und dafür braucht es jeden Euro, auch von Leuten, die es sich leisten können. Auch um die Gebührenfreiheit jener zu finanzieren, die nicht über die nötigen Mittel verfügen. 

 

Auch Baden-Württemberg hat nicht seine
skandinavische Ader entdeckt, aber immerhin

 

Lassen sollte man darüber hinaus als Wissenschaftspolitiker, jegliche Debatte über sozialverträgliche Studiengebühren auszuweichen – es sei denn, man weist nach, dass man die Hochschulen aus eigener Kraft angemessen finanzieren kann. 

 

Schwierig wird es auch, wenn man Hochschulen erst finanziell an der kurzen Leine führt, die Grundmittel herunterfährt und den Drittmitteldruck erhöht, um sich dann öffentlichkeitswirksam Sorgen um die Unabhängigkeit der Wissenschaft von Unternehmensinteressen zu machen. 

 

Ein positives Beispiel, wie man es im Rahmen des Möglichen machen kann, bietet dagegen gerade das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg. Nein, auch hier hat die Finanzpolitik nicht ihre skandinavische Bildungsader entdeckt. Im Gegenteil: Vor einigen Jahren zwang die grüne Finanzministerin Edith Sitzmann auch ihre grüne Kollegin aus dem Wissenschaftsministerium, Theresia Bauer, Millionen einzusparen. Woraufhin diese Studiengebühren für Studierende aus Nicht-EU-Staaten einführte. Die Zahl der internationalen Studierenden befindet sich seitdem nicht im freien Fall, ebenso wenig eingetreten ist das, wovor Gebührenkritiker sonst gern mahnen: Das Land hat nicht seinen eigenen Finanzierungsanteil weiter zurückgeschraubt.

 

Die Stuttgarter Regierungskoalition hat angekündigt, von 2021 bis 2025 die Hochschuletats weiter steigen zu lassen, um 3,5 Prozent pro Jahr. Inklusive Zins und Zinseszins bedeutet das nach Regierungsangaben zwischen 2021 und 2025 1,8 Milliarden Euro zusätzlich für die Hochschulen. Deren Rektoren dennoch zu Recht sagen, dass das noch nicht reicht – ich verweise auf Perspektive vier. Ja, auch im Südwesten ginge mehr, wobei im Vergleich der Bundesländer schon 3,5 Prozent zusätzlich pro Jahr sehr viel sind (unter anderem gibt es die sonst noch in Berlin). 

 

Auch hat sich die baden-württembergische Landesregierung dagegen entschieden, die Kitas für alle kostenfrei zu stellen. Man wolle auf den qualitativen Ausbau der Kinderbetreuung setzen, teilte Grün-Schwarz mit. Als unabhängiger Beobachter kann man nur sagen: Das wollen wir erstmal sehen. Fest steht jedenfalls: Dem Reflex, die Bildungseinrichtungen des Landes ohne Not von zusätzlichen Geldquellen abzukoppeln, hat die Regierung auch an dieser Stelle widerstanden. Auch wenn das natürlich erstmal Sympathiepunkte vor allem bei denen gebracht hätte, die sich ihre Beiträge hätten sparen können. Das Land selbst will zwischen 2020 und 2021 den Haushalt des Kultusministeriums von 12,2 auf 12,5 Milliarden Euro hochfahren. 

 

Die Leistung der
Hochschulen anerkennen

 

Meine Schlussfolgerung: Die Bildung braucht in Deutschland einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert, nur dadurch werden die Bildungsminister in den Kabinetten überall im Land mehr Durchsetzungskraft entwickeln. Doch was die Ressortchefs unabhängig davon brauchen, ist die Fantasie und den Mut, den Bildungseinrichtungen auch auf anderen Wegen Einnahmen zu ermöglichen. 

 

Ans Ende dieses Artikels will ich bewusst das aus meiner Sicht ebenfalls erfreuliche Beispiel einer Universität setzen, die in den vergangenen Tagen viel Kritik erfahren hat: die Technische Universität München. Die ist notorisch gut darin, von Unternehmen Forschungsgelder einzuwerben. Spektakulär war zuletzt der Vertrag mit Facebook, der der TUM 7,5 Millionen Dollar in Aussicht stellt für ein im Oktober eröffnetes Ethik-Institut. Jetzt wurde unter anderem bekannt, dass Facebook die 7,5 Millionen in fünf Jahrestranchen zahlt. Gerät dadurch die Forschungsfreiheit unter Druck, weil so Drohszenarien möglich werden, wie einige befürchten? Hinterfragt wird auch, welchen Einfluss der Konzern auf Personalfragen hat und auf die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. 

 

Damit kein Missverständnis entsteht: Es ist wichtig, genau hinzuschauen und Transparenz einzufordern. Aber was beim Tenor derartiger Debatten verloren zu gehen droht, ist die grundsätzliche Anerkennung der Leistung, die mit solch einem Drittmittel-Coup verbunden ist. Wenn Hochschulen sich am Ende fast nur noch dafür rechtfertigen sollen, dass in der Drittmittel-Akquise erfolgreich sind (weil sie sich Privatunternehmen "andienen"), dann wird das Folgen haben. Dann werden auch hier, um sich den Ärger zu ersparen, Finanzierungsquellen nicht mehr angebohrt, die zuerst der Forschung, indirekt aber auch der Lehre zugutekommen. In einem Land, das nur 4,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in staatliche Bildungsausgaben investiert, ist das ganz sicher keine gute Idee. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jessy (Freitag, 20 Dezember 2019 21:13)

    Hi und vielen Dank für den interessanten Artikel und die tolle Webseite! Ich schaue fast täglich bei dir vorbei :-) Schön finde ich auch, dass alles perfekt über das Smartphone abrufbar ist. Vielleicht zum aktuellen Thema passend, was ich gerade entdeckt habe. Aber irgendwie dann doch wieder :-) hier (https://no-single.de/kurioses) steht, dass Google (oder auch Alphabet!?) mittlerweile so viel wert, wie 38 (!) Afrikanische Länder und Microsoft ist wertvoller als Estland, Litauen, Lettland, Weißrussland, Polen, die Ukraine, die Republik Moldau und die Slowakische Republik zusammen. Das kann doch wohl nur ein Fake sein, oder???
    Dann könnten diese Firmen ja ganze Länder aufkaufen, oder??

    LG,
    Jessy