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Was den Lehrermangel wirklich lindert

Warum die Idee einer Lehrerbildungsakademie wenig taugt und warum staatliche Planungsfantasien schon immer zum Scheitern verurteilt waren: ein Gastbeitrag von Falk Radisch.

Falk Radisch ist Professor für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der Universität Rostock und leitete die bislang einzige Studie, die individuelle Studienverläufe von Studierenden in Lehramtsstudiengängen analysiert hat. Foto: privat.

STAATLICHE LEHRERBILDUNGSAKADEMIEN mit einem dualen Studium seien eine Lösung für den Lehrkräftemangel – so konstatierten es Mathias Brodkorb, Katja Koch und Klaus Zierer kürzlich in der ZEIT

 

Die vorgeschlagene Idee, die zu einer "Neu-"Ausrichtung der Lehrkräftebildung führen soll, ist nicht wirklich neu. Bewusst oder unbewusst nimmt sie Anleihen sowohl bei anderen europäischen Staaten wie der Schweiz als auch bei der ehemaligen DDR. Tatsächlich bietet der Vorschlag auch einige hochinteressante positive Aspekte. Allerdings verursacht der aktuelle Artikel, vermutlich aufgrund seines provokant-essayistischen Stils, auch Fragezeichen, vor allem was die argumentative Herleitung des Vorschlags und seine Begründung betrifft.

 

Die AutorInnen rekurrieren gleich zu Beginn darauf, dass es ein regelrechtes "Gedränge" in den Schulen gäbe, wenn nur alle, die ein Lehramtsstudium aufnehmen, auch "in den Klassenzimmern landen" würden. Diese Aussage ist so nicht haltbar. Folgendes zeigen die nüchternen Zahlen: Der Lehrkräftebedarf unterliegt den üblichen Schwankungen, die etwa aus den Ingenieursstudiengängen hinlänglich bekannt und auch für das Lehramt zahlreich beschrieben worden sind.

 

Planungsfantasien sind
seit jeher zum Scheitern verurteilt

 

Es gibt Phasen, in denen es einen hohen (Ersatz-)Bedarf gibt, und Phasen, in denen die Berufsaussichten von Nachwuchslehrkräften weniger rosig aussehen. Die aktuelle Verschärfung in Form eines immensen Ersatzbedarfes hat sicherlich Gründe, die man an anderer Stelle umfangreich analysieren kann.

 

Festzuhalten bleibt, dass die grundständige Lehrkräfteausbildung noch nie in der Lage war – und auch nie in der Lage sein wird – auf diese konjunkturellen Schwankungen so zu reagieren, dass zwischen Angebot und Bedarf nur eine gleichbleibende, möglichst geringe Lücke bestünde. Solche Planungsfantasien sind seit jeher zum Scheitern verurteilt. Schon deshalb, weil Lehrerbildungssysteme (egal, ob universitär oder anders organisiert) aufgrund ihrer Größe und organisationalen Ausbreitung träge und in Zeiträumen organisiert sind, die jenseits von kurzfristiger Reaktionsfähigkeit liegen.

 

Sicherlich lassen sich hier Flexibilisierungen einbauen, aber beispielswiese konterkariert die von den AutorInnen geforderte personelle Ausstattung mit starrem und kaum flexibilisierbarem W3- und A14-Personal solche Ansätze.

 

Eine der Folgen der Starrheit eines solchen Systems besteht darin, dass die Politik die Kapazitäten sparsam, also grob und niedrig, kalkuliert und in der Regel an einem Durchschnittsbedarf in bestimmten Zeiträumen (zum Beispiel über fünf oder zehn Jahre) und oftmals auch an anderen Kriterien orientiert plant. Abbruchquoten finden dabei zumeist keine oder doch eine höchst unrealistische Berücksichtigung. Das führt dazu, dass selbst bei voll ausgeschöpften Kapazitäten und bei 100 Prozent Abschlussquote eine Überlast an Neu-Lehrkräften faktisch kaum auftreten wird – vor allem nicht angesichts des momentan enormen und weit über den Ausbildungskapazitäten liegenden Ersatzbedarfs.

 

Die Gründe für den Studienabbruch sind vielschichtiger,
als Brodkorb, Koch und Zierer es darstellen

 

Man könnte jetzt noch auf die sich verändernde Studienbereitschaft für das Lehramt (etwa bundesweit rückläufige BewerberInnenzahlen) eingehen oder auf die Unterschiede in Studienbereitschaft und Abschlussquote zwischen den Lehramtsabschlüssen und zu anderen Fächern. Ein weiteres Problem kommt hinzu, mit dem vor allem Mecklenburg-Vorpommern zu kämpfen hat: die (nachvollziehbar) äußerst geringe Bereitschaft von AbsolventInnen, eine der zahlreichen freien Stellen in ländlichen Räumen zu besetzen.

 

Womit deutlich geworden sein sollte: Die von den AutorInnen dargestellten Gründe für einen Studienabbruch wird der vielschichtigen Realität nicht gerecht. Die mangelnde Übereinstimmung zwischen Erwartung und Studienrealität, die mangelnde Ausrichtung der Studienabläufe an den Bedürfnissen angehender Lehrkräfte sind bedeutende Aspekte, aber bei weitem nicht die einzigen. Und so wie das Spektrum der Gründe umfangreicher ist, liegen der Entscheidung für einen Studienabbruch meist mehrere, miteinander verwobene und aufeinander bezogene Ursachen zugrunde.

 

Eine Komplexitätsreduzierung, wie sie die AutorInnen vornehmen, ist als Analyse weder zutreffend noch zielführend. Und so geht es weiter: Wenn die AutorInnen eine "Praxisferne" kritisieren, die "kaum zu überbieten" sei, mag da etwas dran sein oder auch nicht. Eine nüchterne Analyse würde in jedem Fall zu einem sehr viel differenzierteren Bild führen. Auch ist "Praxisnähe" nicht immer das bessere Konzept, wie man aus diversen Studien zur Qualität und Umsetzung von Praxisanteilen in der Lehramtsausbildung weiß.

 

Zum Glück ist die Landschaft in Deutschland hier in den vergangenen Jahren viel bunter und diverser geworden als offenbar von den AutorInnen wahrgenommen. Sie in ihren Details zu beschreiben, würde wiederum den Rahmen sprengen. Die pauschalisierende Kritik geht aber leider ins Leere, so berechtigt sie an einigen Standorten und in einigen Punkten sein mag.

 

Warum nutzen die Behörden den Leerlauf zwischen
Studium und Vorbereitungsdienst nicht produktiver?

 

Nächster Punkt. Die AutorInnen schreiben, die differenten Zeitläufe von Studium und anschließendem Vorbereitungsdienst führten zu "unfreiwilligen Auszeiten" für die Studierenden führen. Sicherlich ein treffendes Argument. Gleichwohl bleibt die Frage, warum die einstellenden Schulbehörden den entstehenden Zeitkorridor der "Auszeit" nicht produktiv nutzen und beispielsweise die angehenden ReferendarInnen auf die folgende stärker praktisch ausgerichtete Ausbildungsphase vorbereiten. So ließe sich auch der angebliche "Praxisschock" (der laut vorliegenden Studien übrigens nach dem Vorbereitungsdienst sehr viel stärker einsetzt als bei Aufnahme des Vorbereitungsdienstes) abzufedern.

 

Soviel zur Argumentation von Mathias Brodkorb, Katja Koch und Klaus Zierer. Ohne Zweifel haben sie Recht, wenn sie den enormen Reformbedarf in der Lehrkräftebildung kritisieren und in einem zweiten Schritt diskutieren, ob die vollständige Durch-Akademisierung und die Einteilung in drei Phasen noch sinnvoll und zeitgemäß sind. Doch eine pauschale Ablehnung des aktuellen Lehrkräftebildungssystems erscheint mir wenig hilfreich. Man sollte nicht vergessen, dass die Akademisierung und die Phasierung der Lehrkräftebildung einst durchaus mit nachvollziehbaren Argumenten vorgenommen wurden.

 

Nur weil etwas in der momentanen Form nicht funktioniert, heißt es nicht, dass es generell nicht funktioniert und mithin nicht sinnvoll reformierbar wäre. Vielmehr sollten sich Bildungspolitik und Wissenschaft mit den Anforderungen und Erwartungen an ein modernes Lehrkräftebildungssystem auseinandersetzen und dann verschiedene Möglichkeiten hinsichtlich Vor- und Nachteilen, Kosten und Nutzen genau analysieren.

 

Wir sollten uns erstmal auf zwei
Kernprobleme konzentrieren 

 

Um meiner ausführlichen Kritik einen produktiven Vorschlag folgen zu lassen, möchte ich mich im Folgenden auf zwei Kernprobleme konzentrieren, die nicht nur aktuell drücken, sondern von so grundsätzlicher Natur sind, dass sie bleiben werden.

 

1. In nahezu allen bundesdeutschen Flächenländern bestehen Probleme, neue Lehrpersonen in abgelegenen ländlichen Regionen zu rekrutieren.

 

2. Die Bildungswissenschaften stellen eine hochkomplexe und inhaltlich so umfangreiche Säule der Lehrerbildung dar, dass man ihr auch durch einen größeren Anteil im Studium kaum gerecht werden könnte.

 

Zu Problem 1: Egal, in welchem System man Lehrkräftebildung organisiert, werden immer erhebliche Probleme bestehen, angehende Lehrkräfte mit abgelegenen Arbeitsorten in Kontakt zu bringen. Es ist nicht absehbar, dass die Städte an Attraktivität verlieren werden, im Gegenteil. Doch weisen ländliche Schulen als Arbeitsorte durchaus Vorteile auf, kleinere Schulhäuser und Klassen zum Beispiel, familiärere Kollegien, ein enger und vertrauensvollerer Elternkontakt, weniger störendes Verhalten im Unterricht.

 

Doch sind diese Vorteile bei den Studierenden kaum bekannt und nur schwer vermittelbar. Es kommt also darauf an, bereits in der Ausbildung Kontakte zu ländlichen Schulen aufzubauen. Denkt man vorhandene Ansätze weiter, sollten Studierende also für ihre praktischen Ausbildungsphasen (Praktika, Vorbereitungsdienst) bereits zu Beginn des Studiums Vereinbarungen mit Schulen abschließen.

 

Diese Vereinbarungen sichern beiden Seiten einerseits die Durchführung der Praktika zu und könnten andererseits Beschäftigungsperspektiven nach dem Studienabschluss in Aussicht stellen.

 

Hierin läge dann auch gleich eine Antwort auf Problem 2: Um im Sinne einer guten Ausbildung sicherzustellen, dass nicht nur eine einzige Schule im Rahmen von Praktika "gesehen" wird, müssten diese Vereinbarungen mit Netzwerken geschlossen werden. Für die Zusammensetzung der Netzwerke wäre wichtig, dass maximal eine Schule aus einem städtischen Raum und mindestens zwei Schulen aus ländlichen Räumen Teil des Netzwerkes sind.

 

Darüber hinaus könnte in den Vereinbarungsgesprächen diskutiert werden, welche Fächerkombinationen und Ausbildungsinhalte aus einem "Wahlpflicht"-Bereich der Bildungswissenschaften notwendig oder wünschenswert wären, um die vorhandenen Kompetenzen in den Schulen zu ergänzen oder zu erweitern.

 

In der Gesamtschau brächte all dies sicherlich entscheidende Vorteile bei der Verteilung von Neu-Lehrkräften in den ländlichen Raum und auch bei der Ausrichtung bildungswissenschaftlicher Inhalte an den Bedarfen der "Abnehmenden". Und das allerbeste: er wäre nahezu kostenneutral zu haben – was von dem Modell, das Mathias Brodkorb, Katja Koch und Klaus Zierer vorschlagen, zwar behauptet wird, aber kaum realistisch zu erwarten ist.

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Kommentare: 3
  • #1

    Dieter Hölterhoff (Freitag, 27 Dezember 2019)

    Zurück zur alten PH in dualer Form? Ein interessanter Gedanke. Die Frage sind nicht die Didaktiken sondern der fachwissenschaftliche Anteil, der in Kooperationen mit FHn oder Universitäten erforderlich, isnbesondere, wenn dieses Modell für die gesamte Lehrkräfteausbildung übernommen würde, also einschließlich der beruflichen Bildung. Nur an die Grundschulen und die Sek I zu denken, ist zu kurz gedacht. Insbesondere für die Gymnasiallehrkräfte ist mehr Bildungsiwssenschaft erforderlich. Damit würde wieder einmal zementiert, dass für die genannten Schulformen eine Akademie reicht. Da noch nicht alle Länder bereit sind, die Lehrkräfte gleich zu besolden, darf es in der Ausbildungsorganisation keine Unterschiede geben. Solche Akademien wären auch ein Weg, dass Seiteneinsteigerproblem zu lösen.

  • #2

    René Krempkow (Montag, 30 Dezember 2019 23:03)

    Ich finde es wichtig, dass Falk Radisch auf die Vielschichtigkeit der Gründe hinweist, warum Lehramtstudierende nicht bis (zu diesem) Abschluss weiterstudieren. Ich möchte daher noch eine Facette hierzu beisteuern:
    Mittels Absolventenstudiendaten mehrerer Jahrgänge habe ich analysiert, welche Faktoren die Übergänge nach dem Bachelor bestimmen, und dies auch separat für die angestrebte Abschlussart Lehramt. Dies erbrachte einige evt. für die obige Diskussion interessante Ergebnisse:

    So geht zwar eine bessere Bewertung der Vorbereitung auf den Beruf erwartungsgemäß mit einer erhöhten Weiterstudienneigung (nach dem Bachelor) in der angestrebten Abschlussart Lehramt einher, was die Argumentations Radischs stützt. Für die didaktische Qualität der Lehre findet sich jedoch ein erwartungswidriges Ergebnis: Hier studieren diejenigen häufiger auf Lehramt weiter, die dies schlechter bewerten. Vermutlich ist es damit zu erklären, dass die angehenden Lehrer höhere Ansprüche an die didaktische Qualität stellen und sie daher kritischer bewerten als andere Absolventen.* Aber das konnte bislang nicht sicher festgestellt werden.

    Interessant wäre daher sicherlich zu erfahren, ob sich hier spezifische Besonderheiten des polyvalenten Studienmodells (der Bachelor ermöglicht sowohl den Zugang zum Master of Education und damit zum Lehrerberuf, als auch zum Master im jeweiligen Fachstudium) im Unterschied zur klassischen Lehramts-Staatsexamensausbildung widerspiegeln, oder ob es generelle Besonderheiten des Lehramts sind. Dies konnte mangels einer entsprechenden Vergleichsgruppe mit den verfügbaren Daten noch nicht untersucht werden.
    Ggf. könnten aber an anderen Hochschulen ähnliche Analysen zur Beantwortung dieser Frage angeregt werden?

    (Dieser Diskussionsbeitrag basiert auf Ergebnissen eines Artikels, der in der Zeitschrift "Qualität in der Wissenschaft - QiW erschien und auch als Volltext verfügbar ist, in URL: www.researchgate.net/publication/321670385).

    *Tatsächlich bewerteten diejenigen weiterstudierenden Absolventen, die einen Lehramtsabschluss anstreben, die didaktische Qualität im Schnitt negativer als die übrigen. Die Bewertung „sehr gut“ vergaben sie sogar nur halb so oft. Die Wichtigkeit der einzelnen Aspekte der Lehr- und Studienqualität für die Absolventen wurde aber leider nicht erfragt, so dass die o.g. Vermutung nur eine (wenngleich begründete) Vermutung bleiben musste.

  • #3

    Mascha Hansen (Freitag, 03 Januar 2020 20:27)

    Zum Vorschlag von Mathias Brodkorb, Katja Koch und Klaus Zierer frage ich mich: wen sollen Studierende, die noch keinerlei fachliche oder pädagogische Ausbildung haben, denn schon 10 Stunden pro Woche unterrichten? Und was wollen sie da unterrichten können? Chemie? Sport? Englisch? Selbst wenn sie zunächst nur unterrichtsbegleitend eingesetzt würden: ohne fachliche oder pädagogische Sicherheit ist der Praxisschock erst recht unvermeidbar. (Und welche "hochkarätigen Wissenschaftler" wollen denn wohl an Akademien forschen und lehren, wenn Ihnen die wertvolle Semesterferienforschungszeit dann noch auf 12 Wochen gekürzt wird?). Sinnvoller wäre es, die Flexibilisierung, die Herr Radisch hier anspricht zu stärken: z. B. durch Aufbaustudiengänge für Absolvent*innen, die ihre bereits erworbene Fachkenntnis mit pädagogischem und bildungswissenschaftlichem Know-How anreichern wollen: das könnten interessante duale Studiengänge werden, unbedingt auch bezahlt. Gerade in den ländlichen Räumen würden sich hier so bereits berufserfahrene Leute gewinnen lassen, die auch vor Ort in die Schulen gehen wollen. Überhaupt sind sogenannte "mature students" in Deutschland zu selten ...