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Blick zurück (16)

Totgeglaubte neu belebt

Nach mehr als dreißig Jahren sollen auch die Hochschulen in Bayern und Baden-Württemberg wieder selbständige Studentenvertretungen bekommen. – erschienen in der ZEIT am 31. März 2010.

Studenten editieren im de.Wikipedia.Kontor, Hamburg   Foto: Gnom / CC BY-SA 4.0.

DER MANN, DEM er den Ärger zu verdanken hat, sitzt zwei Plätze weiter. Es ist später Nachmittag, eben sah es im Hörsaal V47.01 der Universität Stuttgart noch so aus, als könnte Peter Frankenberg, Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg, sich zurücklehnen. Sein auf dem Höhepunkt des Bildungsstreiks versprochener Bologna-Kongress neigte sich müde dem Ende zu; das Ziel des CDU-Politikers, öffentlichkeitswirksam Führungsstärke zu demonstrieren, schien fast erreicht.

 

Doch jetzt plötzlich häufen sich aus dem Halbrund der 500 geladenen Studenten, Rektoren und Bildungsexperten die unangenehmen Fragen: Wieso dauernd die Hochschulbudgets gekürzt würden. Warum Frankenberg so wenig auf die Meinung der Studenten höre. Und immer wieder, wie das nun sei mit der Wiedereinführung "Verfasster Studierendenschaften". Es ist ein sperriger Begriff, einer mit enormer Sprengwirkung.


Seit über 20 Jahren beschäftigte ich mich mit Hochschulen, Bildung und Wissenschaft. Viel ist passiert in dieser Zeit, vieles davon durfte ich als Journalist begleiten. Der Blick zurück zeigt, wie aktuell einige meiner Themen von einst geblieben sind – obwohl sich fast alles verändert hat. Machmal allerdings auch, weil sich fast gar nichts verändert hat. Der 16. Teil einer Serie. Einen Überblick über die gesamte Serie "Blick zurück" finden Sie hier 


Hans-Peter Liebig sitzt neben seinem Minister auf dem Podium und macht eine Miene, als habe er nichts damit zu tun, dass sein Dienstvorgesetzter rot anläuft. Dabei hat der Rektor der Uni Hohenheim den politisch so brisanten Streit um rechtlich selbstständige Studentenvertretungen kurz vor dem Kongress kräftig angeheizt. "Die Mitwirkungsrechte der Studenten am Hochschulleben müssen gestärkt werden", hatte Liebig per Nachrichtenagentur verkündet. Der massige Mann mit dem zerknautschten Anzug ist nicht irgendwer: Bis Ende März leitet er die Konferenz der Uni-Rektoren im Ländle.

 

Liebig weiß: Auch mehr als drei Jahrzehnte nach ihrer Abschaffung in Baden-Württemberg und Bayern sind die Verfassten Studierendenschaften unter Konservativen als 68er-Albtraum verschrien; mit seiner Forderung, sie wieder einzuführen, begibt er sich in direkte Konfrontation mit seinem Minister.

 

Vorerst aber muss der an diesem Nachmittag die Konfrontation mit den Studenten überstehen. Er persönlich könne hier gar nichts entscheiden, schnarrt der CDU-Politiker gerade, in Baden-Württemberg gehörten Minister immer noch zur Exekutive, und über die Studierendenschaften entscheide die Legislative, sprich: der Landtag.

 

Es sind die sperrigen Begriffe und großen Schlagwörter, um die es den streikenden Studenten im vergangenen Herbst ging: die Redemokratisierung der Hochschulen nach Jahren vermeintlich neoliberaler Umtriebe; die Wiederbelebung der fast schon tot geglaubten Gremienuniversität. Es sind bundesweite Forderungen, so wie auch die Umwandlung der Hochschulen in Präsidialsysteme mit Hochschulräten ein bundesweiter Trend ist.


Wie der ASTA organisiert ist

Die Verfasste Studierendenschaft gibt den Mitwirkungsrechten der Studenten eine feste Struktur. Wesentliche Bestandteile sind das Studierendenparlament, dessen Mitglieder von der Gesamtheit aller Studenten gewählt 

werden, und der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta), der wiederum vom Studierendenparlament bestimmt wird und als Studentenregierung mit Geschäftsstelle und Beratungsangeboten fungiert.



 

Doch nirgendwo steht den Studentenvertretern ein in ihren Augen eklatanterer Beweis für ihre gefühlte Machtlosigkeit zur Verfügung als in den beiden Südstaaten. Dabei geht es bei den Verfassten Studierendenschaften, oberflächlich betrachtet, um eine formaljuristische Frage (siehe auch Kasten): Wie dürfen, wie müssen Studentenvertreter organisiert sein, um ihre Arbeit möglichst wirkungsvoll tun zu können?

 

In 14 von 16 Bundesländern lautet die Antwort: in einer Verfassten Studierendenschaft. Auch wenn deren Modelle sich im Detail unterscheiden, lassen sich Gemeinsamkeiten festhalten. Eine Verfasste Studierendenschaft ist eine sogenannte rechtlich teilselbstständige Körperschaft, in der alle Studenten einer Hochschule mit ihrer Immatrikulation automatisch zu Mitgliedern werden.

 

Sie erhebt einen eigenen Semesterbeitrag, den sie nach eigenem Gutdünken und ohne inhaltliche Kontrolle der Hochschule ausgeben kann. Für Mitarbeiter, für die Anschaffung von Druckmaschinen oder für politische Seminare. Da alle Studenten zahlen müssen, haben ihre gewählten Vertreter an großen Universitäten erstaunlich hohe Summen, oft eine halbe Million Euro und mehr, im Jahr zur Verfügung.

 

In Baden-Württemberg und Bayern dagegen sind die Asten, sofern vorhanden, universitäre Gremien: Ausgaben jeglicher Art müssen sie von der Uni-Verwaltung genehmigen lassen. "Da kommt es vor, dass Asta-Vertretern Reisekosten nicht gestattet werden, weil sie auf ein Seminar zum Thema studentische Selbstbestimmung fahren wollen", sagt Thomas Warnau vom bundesweiten Studierendenverband fzs. Der übrigens wird auch nur von Asten außerhalb Baden-Württembergs und Bayerns finanziert, weil die Südstudenten dafür von ihren Hochschulen kein Geld bekommen. "Beim Studentenstreik war es genauso", sagt Warnau. "Da hatten wir eine Art umgekehrten Finanzausgleich. Die Nordstudenten haben die Protestaktionen im Süden mitbezahlt."

 

Dass Geld Macht ist, wissen auch die Rektoren und haben sich daher jahrzehntelang gegen die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaften gestemmt. An ihrer Seite stand in den vergangenen Jahren stets Minister Frankenberg, der mit Recht auf die extrem niedrige Wahlbeteiligung von meist 10 bis 30 Prozent, die bei studentischen Wahlen die Regel ist. Das zeige doch, dass die Mehrheit der Studenten sich von Verfassten Studierendenschaften gar nicht repräsentiert fühle. "Im Übrigen hängt der Grad der Mitwirkung keineswegs von ihrer Struktur ab. Und die Struktur Verfasster Studierendenschaften ist veraltet."

 

Und doch ist etwas anders dieses Mal: Denn so antiquiert Begriffe wie "Verfasste Studierendenschaft" oder "Mitbestimmung" gegenüber Konzepten wie dem der "unternehmerischen Hochschule" oder Auszeichnungen wie "Hochschulmanager des Jahres" klingen mögen, nach all den öffentlichen Sympathien, die die Uni-Besetzungen ausgelöst haben, wäre es gefährlich für Politiker und Hochschulchefs, sie zu ignorieren.

 

Hohenheims Rektor Liebig hat das erkannt und sich mit seinem bundesweit gestreuten Plädoyer zur Überraschung der studentischen Funktionäre an die Spitze der Bewegung gesetzt. Der hat doch Hintergedanken, raunen sie. "Ach was", sagt der 65-Jährige entspannt grinsend. Im Januar gibt er auch die Leitung in Hohenheim ab. Vielleicht muss ja ein Rektor erst am Ende seiner Laufbahn angekommen sein, bis er sich traut, seinen eigenen Minister zu provozieren.

 

"Erst mal will ich festhalten, dass ich gar nicht von der Einführung Verfasster Studierendenschaften gesprochen habe", sagt Liebig – auch wenn seine Forderung nach "rechtlich selbstständigen Studentenvertretungen" im Grunde auf das Gleiche hinausläuft. "Eine Reform hätte viele Vorteile. Die Studenten hätten endlich ein eigenes Budget und gesetzlich verbriefte Mitwirkungsrechte, die keine Hochschule nach Belieben wieder kassieren könnte. Und die Landesregierung hätte Ansprechpartner, die wirklich mit Legitimation und Selbstbewusstsein die gesamte Studentenschaft vertreten." Ein Kollege Liebigs, der namentlich nicht genannt werden will, sagt: "Der muss ja mit den Folgen seines Tuns nicht mehr leben."

 

Weil aber die politische Großwetterlage so ist, kann auch er sich nicht dem Gespräch entziehen, zu dem Liebig Rektoren und Studenten im Mai eingeladen hat. "Wir werden versuchen, zu einer Verständigung zu kommen", sagt Liebig. Wie viele seiner acht baden-württembergischen Kollegen so wie er unabhängige Studentenvertretungen für eine gute Idee halten, vermag er nicht zu sagen. "Am Ende können wir nur ein öffentliches Votum abgeben. Was das Ministerium daraus macht, liegt nicht in unserer Hand", sagt Liebig harmlos – wohl wissend, welche Klischees und Assoziationen das Thema immer noch wachruft. Welche das sind, kann man im Telefonat mit Karl-Dieter Grüske erfahren.

 

Dank des neuen Hochschulgesetzes darf sich der Rektor der Uni Erlangen-Nürnberg seit Kurzem "Präsident" nennen. Die Frage, was er von Verfassten Studierendenschaften halte, beantwortet er mit einem gereizten "Gar nichts". Solche Konstrukte führten zu Zwangsmitgliedschaften und Zwangsbeiträgen, das sei undemokratisch, so was wolle er seinen Studenten nicht zumuten.

  

"Die Rektoren und Politiker
müssen uns nicht fürchten"

 

Dennoch sitzt Grüske in einer Kommission von Rektoren, Studenten und Ministerialbeamten, die ihm der liberale bayerische Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch eingebrockt hat und die eine Reform der studentischen Mitwirkung erarbeiten soll. Er wolle den Studenten klarmachen, dass sie bereits ausreichend Mitwirkungsrechte hätten, hält Grüske dagegen und formuliert eine gewagten These: Die Entwicklungsphase, in der sich Studenten befänden, ermögliche ein konstruktives Mitarbeiten oft gar nicht, vielen Gremien blieben sie schon jetzt fern. Zudem mündet die Verfasste Studierendenschaft automatisch in der Forderung nach einem allgemeinpolitischen Mandat, und das lehnen wir auf das Entschiedenste ab."

 

Das "allgemeinpolitische Mandat", noch so ein Schlagwort, über dessen Bedeutung es enorme Meinungsverschiedenheiten gibt: Für linksgerichtete Studenten beschreibt es die Erkenntnis, dass die Hochschulen so tief geprägt sind von der Gesellschaft um sie herum, dass eine Diskussion über Bildung nicht bei den rein hochschulpolitischen Fragen stehen bleiben dürfe. Für Konservative symbolisiert es die Sorge, dass Verfasste Studierendenschaften von Linken gekapert werden könnten, die dann mit Studentengeld gegen die Ausbeutung kolumbianischer Kaffeebauern oder die US-Kriegsführung agitierten.

 

Die schrillen Töne der einen sind wie die Umarmungstaktik der anderen Hinweise, dass noch dieses Jahr eine Rückkehr Baden-Württembergs und Bayerns in den Kreis der Länder mit selbstständigen Studentenvertretungen möglich sein könnte. Dafür spricht auch, dass die Studentenvertreter alles tun, um den Anschein von Extremismus im Keim zu ersticken. Stichwort allgemeinpolitisches Mandat: "So weitgehend sind unsere Forderungen gar nicht", sagt Malte Pennekamp von der bayerischen Landes-ASten-Konferenz.

 

Stichwort Zwangsmitgliedschaft: "Wir erörtern, ob auch ein Modell wie in Sachsen-Anhalt, bei dem die Studenten nach dem ersten Semester ihren Austritt erklären können, akzeptabel wäre." Stichwort Zwangsbeiträge: "Ich könnte mir vorstellen, die Höhe der Beiträge von der Wahlbeteiligung abhängig zu machen", sagt Simon Munder, Asta-Vorsitzender in Hohenheim. "Nur wenn die Mobilisierung der Studenten für die Wahl gelingt, gibt es Geld."

 

Unter Druck gerät Peter Frankenberg auch vonseiten seiner Ministerkollegen. So lässt sich Niedersachsens CDU-Wissenschaftsminister Lutz Stratmann gern mit dem Satz zitieren, dass er die Verfasste Studierendenschaft für eine äußerst hilfreiche Konstruktion halte – und für einen unverzichtbaren Ausdruck universitärer Demokratie. "Nur durch eine eigene Organisation haben die Studenten die politische Kraft, die sie wirklich zu gleichberechtigten Partnern macht." Ängste vor einer vermeintlichen Radikalisierung der Studenten kann er nicht nachvollziehen.

 

Gerade in Ländern mit Studiengebühren gelte: "Man kann nicht einen Beitrag der Studenten zu ihren Hochschulen verlangen und gleichzeitig ihre Rechte beschneiden." Auch Bayerns FDP-Minister Heubisch betont derzeit, wo immer sich die Gelegenheit bietet, dass er die Mitwirkungsrechte der Studenten "auf jeden Fall" verbessern wolle und für konstruktive Lösungen offen sei, "solange die Grenzen politisches Mandat und Zwangsmitgliedschaft nicht überschritten werden".

 

Die nächsten Monate werden also, hochschulpolitisch gesehen, spannend im Süden. Asta-Mann Pennekamp sagt: "Es handelt sich um ein Vertrauensproblem. Wenn wir den Rektoren und Politikern vermitteln, dass sie eine moderne Form der Verfassten Studierendenschaft nicht fürchten müssen, werden sie am Ende zustimmen."

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