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Milliarden-Streit: Minister drohen mit der Streichung von Medizin-Studienplätzen

KMK-Präsidentin Hubig fordert in Schreiben an die Regierungschefs der Länder, die Wissenschaftsministerien nicht auf den Reformkosten für die Gesundheitsberufe sitzen zu lassen.

Foto: Myriams-Fotos / pixabay - cco.

WENN SICH NÄCHSTE WOCHE die Ministerpräsidenten zu ihrer turnusmäßigen Konferenz treffen, dürfte es vor allem um ein Thema gehen: den Coronavirus und wie seine Ausbreitung eingedämmt werden kann. Für die Wissenschaftsminister der Länder könnte sich das bei aller aktuellen Sorge sogar als Chance erweisen, denn auch sie haben ein dringend zu lösendes Gesundheitsproblem: die Finanzierung grundlegender Reformen im Gesundheitswesen, die fast alle für nötig halten – deren Finanzierung aber an den Haushalten der Hochschulen hängen zu bleiben droht. Vielleicht haben die Regierungschefs dank Corona ja auch dafür ein offeneres Ohr als zuletzt?

 

Jedenfalls hat die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), im Auftrag ihrer Wissenschafts-Kollegen einen Brief an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) geschrieben. Söder ist zurzeit Vorsitzender der Ministerpräsidenten-Konferenz, und Hubigs Schreiben, das mir vorliegt, hat es in sich. Die Wissenschaftsminister drohen unverhohlen mit der Streichung von Medizin-Studienplätzen.

 

Zunächst argumentiert die KMK-Präsidentin sehr konziliant. Die "gesamtgesellschaftlich bedeutsame Stärkung" von Gesundheitsforschung und -versorgung sei ein gemeinsames Ziel von Bund und Ländern, von Wissenschafts- und Gesundheitspolitik, schreibt sie an Söder. Zentrales Element seien die breit angelegten Reformen in den Gesundheitsberufen, von den Novellierungen der Human- und Zahnmedizinerausbildung über die neuen Studiengänge für künftige Hebammen und Psychotherapeuten bis zur grundlegend reformierten Pflegeausbildung.

 

Die einen bestellen, die
anderen müssen es bezahlen

 

Auch die mögliche Akademisierung weiterer Gesundheitsberufe wie der Logopäden erwähnt Hubig – und kommt zum Punkt: "Während die entsprechende Gesetzgebung beim Bundesministerium für Gesundheit liegt, fallen die Kosten allein bei der Landeswissenschaftsseite an."

 

Die einen bestellen, die anderen müssen es bezahlen: Das ist der Vorwurf, den die Wissenschaftsminister intern seit Monaten erheben. Viele von ihnen hat es frustriert, wie ihre Bedenken im Herbst von ihren Chefs, den Ministerpräsidenten, beiseite gewischt wurden. Damals stimmte der Bundesrat vor allem auf Betreiben der Gesundheitspolitiker der Reform der Hebammen- und Psychotherapeuten-Ausbildung zu – ohne vorher mit dem Bund eine finanzielle Beteiligung auszuhandeln.

 

Ebenso ärgert die Wissenschaftsminister, dass sich ihre Kollegin im Bund, Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) nicht stärker (viele sagen sogar: gar nicht) für ihre Belange einsetze, sondern Gesundheitsminister Jens Spahn (ebenfalls CDU) das Feld überlasse. Der wiederum der letzte ist, der den Ländern aus seinem Etat freiwillig Geld für die Reformen geben würde.

 

Der über die KMK eingespielte Brief der Wissenschaftsminister an ihre eigenen Chefs ist, so skurril er zunächst anmuten mag, eine Art Ultima Ratio.

 

Und sie lassen Hubig eine Zahl zitieren, die sie eigens zu diesem Zweck haben berechnen lassen. Die auf die Landeswissenschaftsetats zukommenden Mehrkosten, schreibt die KMK-Präsidentin an die Ministerpräsidenten, betrügen "ca. eine Milliarde Euro p.a.", diese Kostenschätzung sei "bewusst konservativ" gehalten,  betont die KMK – wohl wissend, dass schon dieser Betrag spektakulär hoch ist. Und Hubig fordert: "Vor dem Hintergrund der nun angelaufenen Umsetzung der Vorgaben auf Landesebene ist hier dringend eine Lösung notwendig." Zumal, so Hubig, der Bund den Landeswissenschaftsressorts derzeit "eine Vielzahl an neuen, unbefristeten Aufgaben" beschert habe, womit sie wohl konkret auf die auf Dauer gestellte Exzellenzstrategie und den Hochschulpakt-Nachfolger Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken" anspielt.

 

Unverhohlene Drohungen
und verwegene Forderungen

 

Also was tun? Auf jeden Fall nicht mehr Projektmittel, lautet die Antwort der KMK, diese drohten "die Klarheit der föderalen Aufgabenverteilung und damit das Prinzip der demokratischen Verantwortlichkeit zu unterwandern". Statt dessen, fordern die Wissenschaftsminister, sollten ihre Chefs zur Finanzierung der Gesundheitsreformen vom Bund einen größeren Anteil am Steueraufkommen fordern.

 

Ein ziemlich verwegener Vorschlag angesichts der Tatsache, dass der Bund den Ländern mit der seit diesem Jahr geltenden Neuordnung des Länderfinanzausgleichs dauerhaft rund zehn Milliarden Euro mehr an jährlichen Steuern zuschiebt und deshalb der Meinung ist, dass es auf ziemlich lange Frist damit gut sei. Ziemlich verwegen auch insofern, weil die Landesfinanzministerien steigende Einnahmen, selbst wenn sie eine politische Zweckbestimmung hatten, in der Vergangenheit fast nie eins zu eins an die Ressorts weitergeleitet haben.

 

Zugleich fehlt den Wissenschaftsministern, die von ihren eigenen Chefs vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, auch fast jedes Druckmittel. Das wissen sie und drohen deshalb in Hubigs Schreiben ziemlich unverhohlen mit einer möglichen Streichung von Medizin-Studienplätzen, Zitat: Bei der angelaufenen Neustrukturierung der Zahnarzt-Ausbildung "wird beispielhaft deutlich, dass ohne eine gesicherte Finanzierung eine Umsetzung nur über eine Reduzierung von Studienplätzen möglich ist: Ohne ausreichende Finanzierung kann die Umsetzung entweder gar nicht erfolgen oder nur in unzureichender Qualität. Ähnliche Effekte sind auch in der humanmedizinischen Ausbildung zu befürchten."

 

Zur Strafe, wenn die Wissenschaftsministerien ihre Kosten nicht erstattet bekommen, gibt es weniger Medizin-Studienplätze, die schon jetzt so knapp sind? Politisch wenig wahrscheinlich, dass die Regierungschefs ihre Minister damit durchkommen ließen. Umso wahrscheinlicher, und das wissen auch die Wissenschaftspolitiker, dass andere Fächer an den Hochschulen die Zeche zahlen müssten. Wie gesagt: Das Poltern in Hubigs Brief kann nicht überspielen, dass die KMK schlechte Karten im Milliardenpoker hat. 


Gerade das macht den Kampf der Wissenschaftsminister, ihre Ausdauer, sich nicht unterkriegen zu lassen, so respektabel – und umso ärgerlicher, wie die Gesundheitspolitiker im Zusammenspiel mit den Regierungschefs die Wissenschaft im Regen stehen lassen. Vielen Hochschulen ist noch gar nicht klar, was da auf sie zukommt. Womöglich ist das ja der Schlüssel: Wenn die Studierenden, Forschenden, die Hochschullehrer und RektorInnen gemeinsam aufstünden und ihren Wissenschaftsministern öffentlich den Rücken stärkten.

 

Falls Corona den Ministerpräsidenten nicht schon bei ihrem bevorstehenden Treffen in wundersamer Weise zur Einsicht verhilft. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Edith Riedel (Sonntag, 08 März 2020 20:48)

    Der Bildungsföderalismus macht Wissenschaft und Bildung kaputt. Inhaltlich wird nicht gearbeitet, es geht nur um Machterhalt des Bundes bzw. der Länder. Hört auf damit!