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Staatsvertrag, Bildungsrat und Corona: Worüber die Kultusminister heute beraten

Schulen und Bildungseinrichtungen warten auf Ansagen der Bildungspolitik zum Umgang mit dem Virus; dabei gerät aus dem Blick, dass die Kultusminister bei zentralen Reformvorhaben auf die Zielgerade einbiegen. Schade eigentlich.

Wo die Minister sich treffen: das Sekretariat der KMK in Berlin. Fotonachweis: siehe unten.

WENN DIE KULTUSMINISTER sich heute Morgen zu ihrer turnusmäßigen Frühjahrssitzung treffen, wird mindestens eine fehlen. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Sie sei in Südtirol gewesen, bevor es als Corona-Risikogebiet eingestuft wurde, schrieb sie auf Twitter, doch halte sie sich an die Vorgaben, die ihr Bundesland für alle seine Mitarbeiter aufgestellt habe – und bleibe bis Donnerstag nächste Woche im Homeoffice.

 

Die vorbildliche Haltung Priens wird sicherlich bei ihren Kollegen in Berlin heute Thema sein. Genauso wie auch sonst das Virus und der Umgang damit die offizielle, aber auch die inoffizielle Tagesordnung bestimmen wird. Nicht nur, weil die Kultusminister eine gemeinsame Haltung zum Umgang mit dem Virus finden müssen: was die angekündigte "Notfallstrategie" für Prüfungen betrifft und die politisch mittlerweile fast unausweichlichen bundesweiten Schulschließungen.

 

Sondern auch, weil das Virus die Arbeit der Ministerialbürokratie und speziell der Kultusministerkonferenz (KMK) mit ihren vielen Arbeitsgruppen und Ausschüssen demnächst empfindlich einschränken dürfte. Wieso sollte es bei der KMK auch anders sein: Überall in Deutschland meiden Unternehmen und Behörden inzwischen Sitzungen und Besprechungen mit größeren Personenzahlen. Insofern dürfte schon heute auch der eine oder die andere Kultusministerin einen etwas größeren Abstand zur Nebenfrau bzw. zum Nebenmann einhalten.

 

Die KMK lädt zur
Corona-Pressekonferenz

 

Zu einer größeren Versammlung hat die KMK trotzdem eingeladen: Am späten Nachmittag will KMK-Präsidentin Stefanie Hubig (SPD) mit ihren Kollegen aus Hamburg und Baden-Württemberg vor der Presse die dann beschlossenen Corona-Maßnahmen vorstellen.

 

Wenn die Lage sich weiter verschärft, gefährdet Corona womöglich auch den Zeitplan zentraler Reformvorhaben, die heute in der KMK eigentlich im Mittelpunkt stehen sollten. Am wichtigsten: die "Weiterentwicklung der Zusammenarbeit der Länder in der Kultusministerkonferenz", zwar erst TOP 20 in der heutigen Sitzung, aber (trotz Virus-Ablenkung) das inhaltlich mit Abstand spannendste Vorhaben der KMK insgesamt zurzeit.

 

Der Entwurf eines neuen umfassenden Bildungsabkommens, das den Bildungsföderalismus auf eine neue Grundlage stellen soll, ist inzwischen weit gediehen. Mittlerweile spricht viel dafür, dass es kein Staatsvertrag wird, sondern eine Ländervereinbarung, die nicht das Okay aller 16 Länderparlamente bräuchte – und entsprechend weiter reichende Formulierungen enthalten könnte. An sich waren die meisten unionsgeführten Bildungsministerien lange für den Staatsvertrag, um dem Abkommen einen rechtlich verbindlicheren Status zu geben, doch scheinen sie aus den gerade genannten pragmatischen Gründen mehr und mehr auf die Linie vor allem der SPD-regierten Ressorts einzuschwenken.

 

Im Juni soll der Staatsvertrag
eigentlich beschlussfähig sein

 

Wie weit die Verhandlungen gekommen sind, lässt sich auch an deren weiteren Fahrplan ablesen: Noch insgesamt sechs Sitzungen der beiden an der Ausarbeitung beteiligten KMK-Arbeitsgruppen bis Ende Mai, und bei der Juni-Sitzung der Kultusminister soll das Vertragswerk dann beschlossen werden. Wenn  denn, siehe oben, Corona diesem Zeitablauf nicht einen Strich durch die Rechnung macht. 

 

Parallel geht auch die Arbeit am Konzept eines Bildungsrates weiter, der das im GroKo-Koalitionsvertrag vorgesehene, von Bayern und Baden-Württemberg zu Fall gebrachte Gremium ersetzen soll. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Bezeichnung "Bildungsrat" ist dabei noch keineswegs gesetzt, die Unionsministerien sprechen lieber von einem wissenschaftlichen Beirat.

 

Im Kern sind sich die Kultusminister jedoch einig: Das Gremium soll vor allem oder sogar ausschließlich aus Wissenschaftlern bestehen, die die gesamte Bildungskette abdecken. Sein Arbeitsprogramm soll sich der Rat in Abstimmung mit der Politik geben – wobei "die Politik" vor allem die Länder bedeutet. Denn das ist der wohl wichtigste Unterschied zum von der Unionsseite abgeschossenen "Nationalen Bildungsrat", wie er monatelang mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) verhandelt wurde: Der Bund wird, vor allem wenn es nach den Unionsländern geht, am Katzentisch sitzen. Oder formeller formuliert: nach Bedarf einbezogen. Wenn die Länder es wollen. Die Debatte dreht sich nun auch darum, wie groß dieser Bedarf bei den meisten bildungspolitischen Themen tatsächlich ist. Anfang Februar hatten die SPD-Minister ihre Vorstellungen zum Bildungsrat offiziell vorgestellt, sie geben einen recht guten Eindruck von dem, was zu erwarten sein dürfte. Sie hatten dabei für die Einbeziehung des Bundes plädiert und zudem eine "eigene Arbeitsstruktur" des Gremiums unabhängig vom Sekretariat der KMK gefordert.

 

Denn inhaltlich sollen die Mitglieder des Bildungsrates/wissenschaftlichen Beirates unabhängig agieren können, sonst würde sich vermutlich auch kein herausragender Forscher zur Beteiligung bereit erklären. Trotzdem bleibt das Spannungsfeld zwischen der nötigen Handlungsfreiheit des wissenschaftlichen Gremiums und dem Bestreben vieler Kultusminister, hier nicht durch ungefragte Empfehlungen vorgeführt zu werden. 

 

Bald sind die Leerstellen
im Abkommen dran

 

Da Bildungsabkommen und Bildungsrat inhaltlich eng verschränkt sind, ist in dem Vertragswerk auch eine Bezugnahme zum wissenschaftlichen Beratungsgremium vorgesehen – was wiederum zeigt, dass auch die Beschlussfassung beider Themen eng miteinander zusammenhängt, auch zeitlich.

 

Nun nochmal zur Ländervereinbarung. Der Entwurf ist inzwischen 31 Seiten lang. Fast ebenso lang ist allerdings die ebenfalls weit fortgeschrittene Ausarbeitung der "Politischen Vorhaben zu einem Staatsvertrag/einer Ländervereinbarung", die deren grundsätzlich gehaltenen Bestimmungen für die länderübergreifende Bildungspolitik der kommenden Jahre ausbuchstabieren soll. Acht zentrale Themen werden adressiert: "Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung sowie Schulstatistik", "Bildungsrat/wissenschaftlicher Beirat der Länder", "Primarbereich", "Sekundarbereich I", "Sekundarbereich II: Gymnasiale Oberstufe und Abitur", "Berufliche Bildung", "Lehrerbildung und Einstellung von Lehrkräften" sowie "Anerkennung von Abschlüssen".

 

Einige der Vorhaben sind sehr ambitioniert formuliert, andere noch eher allgemein gehalten. Und an entscheidenden Stellen stehen Lücken im Text, die bald einer politischen Entscheidung bedürfen. So heißt es beispielsweise unter "Sondermaßnahmen zur Gewinnung von Lehrkräften", es sollten gemeinsame Empfehlungen für Seiten- und Quereinsteigerprogramme entwickelt werden, aber hinter "bis zum Jahr..." folgt "xx".

 

Dass die entscheidenden Verhandlungsrunden unter den Amtschefs und Ministern noch bevorstehen, zeigt vielleicht am eindrücklichsten die Passage zur gymnasialen Oberstufe, der Abiturprüfung selbst und speziell der Frage nach den gemeinsamen Rahmenbedingungen. Diese sind grundlegend für die von den Kultusministern vielfach versprochene größere Vergleichbarkeit des Abiturs. 

 

Im Text bekunden die Länder ihre Absicht, "eine genaue Anzahl verpflichtend zu belegender und in die Gesamtqualifikation einzubringender Fächer einschließlich ihrer Gewichtung" fürs Abitur festzulegen. Doch mehr als der Zeitpunkt, ab wann diese dann noch zu bestimmende Anzahl verbindlich gelten soll, wird im Staatsvertragstext nicht genannt, und auch dort steht hinter "mit Wirkung ab dem Schuljahr..." noch "xx". Auch einheitliche Regelungen zur Leistungsermittlung in den vier Schulhalbjahren vor dem Abitur wollen die Kultusminister festlegen, inklusive der Anzahl von Klausuren und der Gewichtung der schriftlichen und der sonstigen einzubringenden Leistungen. Doch auch bei den Bestimmungen zum Umgang mit dem Abitur-Aufgabenpool wimmelt es noch von "xx". Und zwar bei sämtlichen Prozentwerten, die den Anteil der verpflichtend von allen Ländern in Deutsch, Mathe und Englisch (und in späteren Jahren auch in Biologie, Chemie und Physik) aus dem Pool zu ziehenden Aufgaben bestimmen sollen. Ebenso bei der Frage, ab wann diese Regelungen gelten sollen.

 

Das macht aber nichts, denn entscheidend ist, dass die Ministerium sich durch die Formulierung des Textes auferlegen, diese Leerstellen bis Juni (oder, siehe oben, später) zu füllen. Dann sind sie konkret. Dann müssten sich die Kultusminister auch öffentlich daran messen lassen – was die große Stärke der neuen Ländervereinbarung ist.

 

Allerdings müssen dazu eine Reihe von Ländern noch mehr Mut fassen – vor allem was selbstauferlegte Berichtspflichten angeht. Artikel 41 des Vertragsentwurfs sieht nämlich vor, dass über die im Abkommen "vereinbarten Schritte und Erfahrungen... regelmäßig öffentlich berichtet werden" soll. Doch drei Länder plädieren für die ersatzlose Streichung dieses Artikels. Verbunden damit, dass das Abkommen vermutlich kein Staatsvertrag wird, sondern eine Ländervereinbarung, wäre ihr dann jedoch das Schicksal eines zahnlosen Tigers garantiert. Insofern ist dringend zu hoffen, dass die drei Neinsager sich bald eines Besseren besinnen.



Foto: Das Verwaltungsgebäude der ehemaligen Patzenhofer-Brauerei, heute sitzt hier unter anderem das Sekretariat der KMK. Jörg Zägel: "Berlin, Mitte, Taubenstrasse 10, Patzenhofer-Brauerei.jpg", CC BY-SA 3.0.

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