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Bevor die Türen sich öffnen

Am Freitag besiegeln Bund und Länder die Umsetzung des Zukunftsvertrags. In den 16 Verpflichtungserklärungen steht, wie die Bundesmilliarden ausgegeben werden sollen. Doch ihren Inhalt haben die Wissenschaftsminister ohne Parlamente und Hochschulen verhandelt. Darüber gibt es jetzt noch einmal Streit.

SELBST IN CORONA-ZEITEN bewegen Bund und Länder selten an einem einzigen Vormittag Summen dieser Größenordnung – erst recht nicht für die Hochschulen: Wenn sich die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) diesen Freitag trifft, geht es um 13,84 Milliarden Euro. Und das ist allein der Bundesanteil. Um ihn zu bekommen, müssen die Länder nämlich denselben Betrag noch einmal obendrauf legen. Macht 27,68 Milliarden. Die gesamte Finanzierung des Hochschulpakt-Nachfolgeprogramms, das den programmatischen Titel "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" trägt, für die Jahre 2021 bis 2027. 

 

Was mit dem Geld geschieht, steht in den sogenannten Verpflichtungserklärungen, die jedes Land formulieren musste, um an die Bundesmilliarden zu kommen. Die Erklärungen sollen darlegen, wie genau die Länder die Ziele des Zukunftsvertrags umzusetzen wollen. Wenn die GWK sie am Freitag "zur Kenntnis" genommen hat, ist der Geldfluss offiziell besiegelt. 

 

Ein Geldfluss, der die Lage der Hochschulen, ihrer Beschäftigten und Studierenden entscheidend prägen wird. Nur dass die meisten Betroffenen bislang keine Ahnung haben, was genau das für sie heißt. Denn die Verhandlungen um die Verpflichtungserklärungen haben Bund und Länder hinter verschlossenen Türen geführt. Die Öffentlichkeit bekommt sie erst zu sehen, wenn jedes Detail darin festgezurrt ist. Und nicht nur die Öffentlichkeit. Auch viele Parlamente, die für die Haushaltsgesetzgebung zuständig sind, kennen die Dokumente bislang offiziell nicht. 

 

Wie das sein kann? Weil es die Regierungen von Bund und Ländern es so im Juni 2019 in einer Verwaltungsvereinbarung beschlossen haben, die ebenfalls und ganz legal ohne Beteiligung der Parlamente zustande kam. 

 

Opposition: Verfahren widerspricht
Haushaltshoheit des Parlaments

 

Auf der Zukunftsvertrags-Zielgeraden regt sich nun erneut Kritik an diesem Vorgehen. "Die intransparenten Informationspolitik im gesamten Verfahren hat es dem Bundestag kaum möglich gemacht, sachgerecht Stellung zu beziehen oder sich im Verfahren gestalterisch einzubringen", sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz, die Mitglied im Haushaltsausschuss ist. Auch wenn formal das Parlament bei Verwaltungsvereinbarungen keine Zuständigkeit habe, so hinterlasse das "bei mir gerade aus haushalterischer Sicht einen faden Beigeschmack." Immerhin steige der Bund "quasi indirekt in die Grundfinanzierung der Hochschulen ein und das zeitlich unbegrenzt, mit Bundesmitteln in Milliardenhöhe." Als Haushaltsgesetzgeber fast blind darauf hoffen zu müssen, "dass am Ende alles gut geht", widerspreche der Haushaltshoheit des Parlaments. 

 

Harsche Worte, die ähnlich auch aus anderen Oppositionsfraktionen kommen. "Bestehen keine verbindlichen und öffentlich dokumentierten Maßstäbe, lässt sich das Verfahren nicht kontrollieren und demokratisch legitimieren", sagt die linke Hochschulpolitikerin Nicole Gohlke. Und der FDP-Haushaltspolitiker Christoph Meyer sagt: "Zwar wurde im Haushaltsausschuss immer über den Fortgang  des Zukunftsvertrages berichtet, dies geschah allerdings immer erst hinterher, nachdem bereits alles feststand."

 

Harsch war auch die Kritik, die der Berliner TU-Wissenschaftler Peter Ullrich vergangene Woche im ZEIT-Newsletter Wissen3 formulierte. Die Intransparenz sei ein "Skandalon", schrieb Ulrich, der sich im Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft und in der Kampagne "Frist ist Frust" engagiert. "Kaum eine Verpflichtungserklärung der Länder wurde öffentlich diskutiert, keine einzige wurde nach Finalisierung und Übersendung ans BMBF der Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben."

 

Zeit dafür wäre genug gewesen: Die Verwaltungsvereinbarung sah vor, dass die Länder den Entwurf ihrer Verpflichtungserklärung bis 15. Januar erstellen und an den Bund schicken mussten. Das geschah zwar mitunter mit Verspätung, aber seit Monaten kursieren die Textfassungen zwischen den Ministerien – im Rahmen des sogenannten "Konsultationsverfahrens". 

 

Verzichtet der Bund auf
seinen Gestaltungsanspruch?

 

Um eigentlich was zu tun? Ein Nachweis der Gegenfinanzierung sei mit den Verpflichtungserklärungen nicht verbunden, teilte die Bundesregierung im März auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hin mit. Der Bund könne im Konsultationsverfahren "Empfehlungen und Vorschläge übermitteln". Weshalb Gohlke dem Bund "Laissez-Faire" vorwirft: "Er verzichtet auf seinen politischen Gestaltungsanspruch. Es werden große Summen über lange Zeiträume mobilisiert und an die Länder ausgeschüttet. Deren Verwendung wird aber nicht effektiv kontrolliert, da die erste Evaluierung erst für 2025 angesetzt ist." Der FDP-Politiker Christoph Meyer sieht das ähnlich: Die Verträge liefen "ziemlich lang", bevor überhaupt darüber entschieden werde, ob es Änderungen nötig seien.

 

Nachdem im Mai 2019 der Bundesrechnungshof am bisherigen Hochschulpakt massive Kritik geübt und von "Fehlentwicklungen, Verstößen und Intransparenz" bei der Mittelverwendung in den Ländern gesprochen hatte, hatte das BMBF signalisiert: Wir haben verstanden. Der parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel besuchte den Haushaltsausschuss und erläuterte bis ins Detail hinein, was alles im Zukunftsvertrag anders und besser laufen werde. Die Charmeoffensive hatte Erfolg: Während Oppositionspolitiker von der Bundesregierung trotzdem verlangten, den Zukunftsvertrag erstmal nicht zu unterschreiben, befand der zuvor ebenfalls kritische Unions-Chefhaushälter Eckhardt Rehberg plötzlich, Ministerin Anja Karliczek (CDU) habe in den Zukunftsvertrags-Verhandlungen mit den Ländern "eine massive Verbesserung der Rechte des Bundes gegenüber den Ländern durchgesetzt. Das ist ein deutlicher Fortschritt in den Bund-Länder-Beziehungen." 

 

Tatsächlich müssen die Länder jetzt im Rahmen eines jährlichen quantitativen Monitorings nachweisen, dass sie das Bundesgeld gegenfinanziert haben – und zwar zusätzlich zu ihrem normalen Hochschulbudget. "Hat ein Land weniger eigene Mittel bereitgestellt, als es Bundesmittel erhalten hat, oder unterschreitet in einem Land die Grundfinanzierung der Hochschulen im Sinne der vorliegenden Vereinbarung den für das Land festgelegten Basiswert, so muss das Land die Differenz innerhalb der zwei folgenden Jahre ausgleichen", heißt es in schönsten Bürokratendeutsch in der Verwaltungsvereinbarung. 

 

Allerdings fallen die Sanktionen, wenn die Länder die versprochene Gegenfinanzierung nicht bringen, vergleichsweise sanft aus: Rückforderungen von Bundesgeldern sind gar nicht erst vorgesehen. Und erst wenn ein Land auch in den folgenden zwei Jahren den nachgewiesenen Fehlbetrag nicht nachgezahlt hat, zieht der Bund ihn in künftigen Tranchen ab. "Die stets klammen Länder werden diese Laissez-Faire-Haltung dankbar aufnehmen, die Hochschulen sowieso, um sich größtmögliche haushälterische Flexibilität zu bewahren – im Sinne des Wettbewerbs und wieder einmal auf dem Rücken der Beschäftigten", schrieb dazu der Wissenschaftler Peter Ullrich, der darin das "zweite Skandalon" des Zukunftsvertrags sieht.

 

Bald kommt der nächste
Rechnungshof-Bericht

 

Hinzu kommt: Ausgangs- und Vergleichswert für die zusätzlichen Ländermittel ist die Grundfinanzierung im Jahr 2020 – was aus Sicht der Corona-geplagen Landesfinanzminister für dieses Jahr noch interessante Gestaltung-/Kürzungsmöglichkeiten zulässt. Was nicht heißt, dass die Hochschule in den Jahren danach auf der sicheren Seite sind. Sachsen-Anhalts Landesregierung etwa hat kürzlich angekündigt, dass die Hochschulen für die Jahre 2022 bis 2024  einen "Corona-Solidaritätsbeitrag" von sechs Millionen Euro ans Land zurückführen müssen. Das geht, weil sie insgesamt trotzdem noch höhere Zuschüsse als im Jahr 2020 erhalten. Niedersachsen hatte schon länger Einsparungen an den Hochschulen angekündigt.

 

Die grüne Haushaltspolitikerin Deligöz hatte den Bundesrechnungshof schon in der Sitzung des Haushaltsausschusses im Mai 2019, in der ihr CDU-Kollege Rehberg sich mit einem Male so zufrieden zeigte, gebeten, die Bund-Länder-Verhandlungen um den Zukunftsvertrag und die Verpflichtungserklärung weiter zu durchleuchten. Was die amtlichen Prüfer auch taten – ihr Bericht geht bald ins sogenannte kontradiktorische Verfahren, das heißt: Karliczeks Ministerium wird Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Spätestens zu den Haushaltsverhandlungen soll der fertige Bericht des Bundesrechnungshofs dann dem Bundestags-Haushaltsausschusss vorliegen. 

 

Was sagen eigentlich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen zu all dem? Tatsächlich hatten nämlich vergangenes Jahr SPD und CDU/CSU mit am lautesten verlangt, Lehren aus der mangelnden Einbindung des Parlaments an den Zukunftsvertrags-Verhandlungen zu ziehen und künftig explizite Beteiligungsrechte gesetzlich festzulegen. Bis zu besagter Mai-Sitzung 2019. Danach hieß es aus den GroKo-Fraktionen nur noch: Das Ziel bleibe zwar richtig, der Weg sei angesichts der Verfassungslage jedoch so komplex, dass man das nicht auf die Schnelle hinbekommen werde. Stattdessen wolle man einen an einem "grundsätzlichen Aufschlag arbeiten", der über den Wissenschafts- und Bildungsbereich hinausreicht. 

 

Selbst von diesem Aufschlag ist bis heute allerdings nichts zu sehen. Und der für den Zukunftsvertrag zuständige Berichterstatter der Unionsfraktion, Tankred Schipanski (CDU), äußert sich auf Anfrage milde: Die Bildungs- und Forschungspolitiker der Union sähen den Ausbau von dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen an den Hochschulen und die Verbesserung des Betreuungsverhältnisses als wichtige Schwerpunkte, um die Qualität von Studium und Lehre in der deutschen Hochschullandschaft flächendeckend zu verbessern. "Ich begrüße es nach wie vor, dass dies auch deutlich in der entsprechenden Verwaltungsvereinbarung verankert ist und somit auch fester Bestandteil der Konsultationen zwischen Bund und Ländern zur Ausgestaltung der Verpflichtungserklärungen der Bundesländer sein sollte." 

 

Auch GroKo-Abgeordnete können
nur hoffen und warnen

 

Und "in diesem Sinne", fügt Schipanski hinzu, gehe er davon aus, dass die Bundesländer in ihren Verpflichtungserklärung "auch mit verbindlichen, konkreten und quantitativ messbaren Zielgrößen die Umsetzung dieser Schwerpunkte nun gewährleisten und voranbringen. Der Zukunftsvertrag darf keine leere Hülle sein." Auch Schipanski kann nur "davon ausgehen", über die Texte der Verpflichtungserklärung wurde der zuständige Fraktionsberichterstatter bislang offiziell nicht unterrichtet – was bei aller Milde gewisse Untertöne in Schipanskis Statement erklärt. Er habe aber gegenwärtig "keine Informationen, dass die Wünsche der Parlamentarier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den Verpflichtungserklärungen nicht enthalten sind". 

 

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, äußert sich ebenfalls wenig kämpferisch, dafür mit Vorbehalt. Die Sozialdemokraten hätten sich für "klare Zielvorgaben" bei Abschluss des Zukunftsvertrags ausgesprochen: "konstant hohes Angebot an Studienplätzen, hohe Qualität der Lehre, mehr unbefristete Beschäftigung für Daueraufgaben". Und Kaczmarek fügt hinzu:" Wir werden das BMBF und die Länder daran messen, wie sie nachvollziehbar diese Ziele erreichen wollen und werden. Das wird für uns auch eine wichtige Diskussionsgrundlage für spätere Bund-Länder-Vereinbarungen sein." Was man immerhin als nett formulierte Warnung verstehen kann, vielleicht doch noch an den vergangenes Jahr versprochenen "großen Aufschlag" zugehen. Aber nur vielleicht. 

 

Unterdessen setzt sich das Ministerium von Anja Karliczek gegen die Kritik der Opposition zu Wehr. Um das Instrument der Verpflichtungserklärungen haben wir in der GWK intensiv gerungen", sagt ein BMBF-Sprecher. Es handele sich um einen guten Kompromiss und einen großen Fortschritt gegenüber dem Hochschulpakt. "Er wahrt die Länderhoheit über die Hochschulpolitik, ermöglicht, die Umsetzung länderspezifisch auszugestalten und erlaubt eine Beteiligung des Bundes an der strategischen Festlegung der Mittelverwendung." Das BMBF habe den Bundestag im Laufe des Konsultationsverfahrens mehrfach über den Stand des Verfahrens informiert und aus länderübergreifender Perspektive berichtet. Aber: "Eine Beteiligung des Bundestags an der Erstellung der Verpflichtungserklärungen würde von den Ländern zu Recht als Eingriff in die Länderhoheit gewertet." Viele Länder hätten aber beispielsweise ihre Hochschulen in die inhaltliche Ausgestaltung der Verpflichtungserklärungen einbezogen.

 

BMBF: "Hohes Maß an
Transparenz und Verbindlichkeit"

 

Die zentralen "Empfehlungen" im Hochschulpakt-Bericht des Bundesrechnungshofs – habe man im Zukunftsvertrag umgesetzt, betont Karliczeks Sprecher: von der jährlichen Berichterstattung der Länder über die Mittelbereitstellung und -verwendung bis hin zur öffentlich nachvollziehbaren und mittels Indikatoren überprüfbaren Umsetzung der Verpflichtungserklärungen. Die Vereinbarung gehe "mit einem hohen Maß an Transparenz und Verbindlichkeit einher".

 

Was allerdings selbst den Regierungsabgeordneten nicht auszureichen scheint: Im Februar 2020 beauftragte der Bundestags-Haushaltsausschuss den Rechnungshof zusätzlich, "die Umsetzung des Hochschulpaktes, den Übergangs zum Zukunftsvertrag Studium und Lehre weiter zu verfolgen sowie Parameter für das weitere Monitoring vorzuschlagen". Auf das zwischen Bund und Ländern vereinbarte Monitoring wollen sich die Parlamentarier augenscheinlich nicht verlassen.

 

Bayerns CSU-Wissenschaftsminister Bernd Sibler, der die unionsgeführten Landeswissenschaftsministerien koordiniert, springt Karliczek unterdessen zur Seite. "Ich kann nicht erkennen, dass Beteiligungsrechte verletzt wurden. Im Kern geht es doch bei den Verpflichtungserklärungen darum, wie wir unsere Hochschulpolitik in jedem einzelnen Land konkret mit Leben füllen." Für Bayern könne er sagen, dass der Landtag vor Unterzeichnung des Zukunftsvertrags "in aller Form" eingebunden gewesen sei. "Die Verhandlungsergebnisse wurden sowohl im Ministerrat als auch im Parlament vorgestellt."

 

Trotzdem könne er die Frage: "Was machen die da eigentlich?" verstehen, sagt Sibler. Doch habe man mit dem Instrument der Verpflichtungserklärung Neuland betreten, was die Verhandlungen dazu komplex gemacht habe. "Unter diesen Bedingungen musste ein guter Mix aus Information zwischen allen Beteiligten und konzentrierter Diskussion des Einzelfalls zur Beherrschbarkeit dieses neuen Konsultationsverfahrens gefunden werden. Ich denke, dass uns das im Ergebnis gelungen ist." Er gehe aber auch davon aus, dass Bund und Länder nach der abschließenden Beratung der Verhandlungsergebnisse in der GWK "das Verfahren noch genauer analysieren und unsere Schlüsse daraus ziehen werden".

 

Am Freitag gibt es erstmal ordentlich Geld für die Länder. Für sie passen die gegenwärtigen Verfahren insofern auf jeden Fall. Ob das auch für die Wissenschaftler an den Hochschulen, für die Beschäftigten und Studierenden gilt, werden sie dann auch irgendwann erfahren. Wenn die Verpflichtungserklärungen veröffentlicht werden. Und nichts mehr daran geändert werden kann.


200 Seiten Versprechungen

Was steht denn nun drin in den 16 Verpflichtungserklärungen? Abgesehen von ihrer Entstehung unter Ausschluss vieler Parlamente und der Öffentlichkeit: Was die offiziell noch nicht von der GWK abgenommenen Entwürfe angeht, ist der erste Eindruck so schlecht nicht. 

 

Zusammengenommen umfassen sie ein Dokument von rund 200 Seiten. Keine leichte Lektüre – wobei jede Erklärung immerhin einer in der Verwaltungsvereinbarung festgelegten Gliederung folgt. Und jedes Land weist mehr oder weniger übersichtlich die verlangten qualitativen und quantitativen Kennzahlen aus, an denen es sich messen lassen wird. All das macht die Erklärungen deutlich greifbarer als die vielen Seiten wenig konkrete Prosa, die vergangenes Jahr die außeruniversitären Forschungsorganisationen abgeliefert haben.

 

Die Verwaltungsvereinbarung verlangte einen deutlichen Ausbau der Dauerstellen an den Hochschulen – liefern die Länder das? Die zuständige GWK-Facharbeitsgruppe zumindest sagt: ja. Sie hat eine noch interne Auswertung der 16 Verpflichtungserklärungen erstellt, über deren Veröffentlichung die GWK-Minister am Freitag ebenfalls entscheiden werden. 

 

Der Auswertung zufolge gehen alle Länder in ihren Erklärungen explizit auf das Ziel, mehr unbefristete Jobs für Wissenschaftler zu schaffen, ein. "So werden mehr Dauerstellen in Studium und Lehre und die Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen des Personals, beispielsweise durch Steigerung des Anteils unbefristeter Beschäftigung, als wichtige Aspekte der Umsetzung genannt", berichtet die GWK-Facharbeitsgruppe. "Auch die Schaffung zusätzlicher Professuren wird von mehreren Ländern angestrebt."

 

Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, wer hier berichtet. Der Facharbeitsgruppe gehören Vertreter der Länder und des Bundes an. Man bescheinigt sich also quasi selbst die Auftragserfüllung.

 

Das Bündnis "Frist ist Frust" würde an dieser Stelle eher von Arbeitsverweigerung der politisch Handelnden sprechen. Initiiert vom Netzwerk für Gute Arbeit und von den Gewerkschaften ver.di und GEW, hatte das Bündnis schon im Vorfeld der Zukunftsvertrags-Verhandlungen unter anderem gefordert, die Schaffung von Dauerstellen verbindlich im Vertrag festzuschreiben, eine Obergrenze für die Lehrverpflichtung einzuziehen und die Beschäftigten in den Verhandlungsprozess einzubeziehen. "Nichts davon" sei umgesetzt worden, kritisieren die Bündnispartner jetzt. GEW-Vize Andreas Keller sagt: "Warum der Bund, der dauerhaft 50 Prozent der Gelder zahlt, den Ländern keine klaren Vorgaben macht, wie die Beschäftigungs- und 

Qualitätssicherungsziele des Zukunftsvertrages zu erreichen sind, ist unbegreiflich. Hochschullehre ist eine Daueraufgabe, für die Dauerstellen zu schaffen sind." Eine historische Chance sei vergeben worden, sagt "Frist ist Frust". In den Verpflichtungserklärungen fänden sich zwar blumige Bekenntnisse zu mehr unbefristeter Beschäftigung, aber keine mess-und überprüfbaren Ziele, sagt Keller. 

 

Demgegenüber berichtet die GWK-Facharbeitsgruppe, bei den in den Verpflichtungserklärungen genannten Personalmaßnahmen kämen "Gleichstellungsaspekten" eine große Bedeutung zu. "In einigen Verpflichtungserklärungen wird ein bestimmter Frauenanteil an Professuren, an zu besetzenden Dauerstellen oder am gesamten wissenschaftlichen und künstlerischen Personal angestrebt, in anderen wird auf hochschulindividuelle Zielzahlen oder die Anwendung des Kaskadenmodells verwiesen."

 

Auch weitere geplante Gleichstellungsmaßnahmen etwa zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Studium bzw. wissenschaftlicher Karrieren würden genannt. Was das Zukunftsvertrags-Ziel "bessere Studienbedingungen" angeht, wollen einige Länder mit Zukunftsvertrags-Geldern bestehende Strukturen etwa aus dem Qualitätspakt Lehre weiter "weiterentwickeln und absichern".

 

Hinzu kommt in vielen Ländern die Ankündigung, die rechnerischen Betreuungsverhältnisse und auch die qualitative Betreuungssituation von Studierenden zu verbessern. "Hierzu zählen neben dem Ausbau an unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen beispielhaft auch die Senkung der Lehrauftragsquoten, die Anhebung der Curricularnormwerte zur Kapazitätsberechnung oder die Weiterentwicklung von Beratungs- und Betreuungsangeboten für Studierende", schreibt das GWK-Facharbeitsgruppe.

 

So vielfältig die Gründe für einen Studienabbruch seien, seien darüber hinaus die geplanten Maßnahmen der Länder zur Sicherung des Studienerfolgs und zur Vermeidung von Studienabbrüchen. Und das sind nur einige der angestrebten Ziele.

 

Viele Länder wollen die Mittel des Zukunftsvertrages auch für die verstärkte Digitalisierung der Lehre einsetzen. Was Anja Karliczek mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen wird. Als die Landeswissenschaftsministern neulich ein zusätzliches 500-Millionen-Digitalpaket für die Hochschulen gefordert hatten, hatte sie dies abgelehnt und gekontert, dafür gebe es den Zukunftsvertrag. 



Nachtrag am 26. Juni:

Wie die GWK soeben mitteilt, hat sie die 16 Verpflichtungserklärungen wie erwartet offiziell zur Kenntnis genommen. Damit sei der letzte Schritt auf dem Weg zum Start des Zukunftsvertrags am 1. Januar 2021 getan. Zeitgleich hat die GWK die Texte der Erklärungen online veröffentlicht – inklusive eines Vorwortes, das dem im Kasten zitierten Bericht der GWK-Facharbeitsgruppe entspricht.


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Kommentare: 3
  • #1

    pb (Donnerstag, 25 Juni 2020 23:34)

    Was ist denn jetzt mit den Verpflichtungserklärungen auf den besagten 200 Seiten. Werden die morgen veröffentlicht?

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 26 Juni 2020 07:54)

    @pb: Laut Verwaltungsvereinbarung sollen die Erklärungen veröffentlicht werden. Der genaue Zeitpunkt ist nicht bestimmt. Ich würde aber davon ausgehen, dass dies sehr bald passiert.

    Viele Grüße
    Ihr J-M Wiarda

  • #3

    Karla K. (Sonntag, 28 Juni 2020 14:58)

    Was lässt sich aus den nun vorgelegten Verpflichtungserklärungen mitnehmen?

    (1.) Der Bund scheint kein wirkliches Interesse daran zu haben, den Ländern hinsichtlich einer zweckbezogenen Verwendung der Gelder genauer auf die Finger schauen zu wollen. Ebenso wenig ist bei den Ländern ein Interesse daran zu erkennen, ihrerseits ernsthafte Anforderungen an die Hochschulen zu formulieren.

    (2.) Es ist zu befürchten, dass die Länder einen mitunter nicht unerheblichen Anteil der Zukunftsvertrag-Gelder für bereits laufende Maßnahmen nutzen werden, um somit an anderer Stelle im Haushalt Gelder einsparen bzw. diese flexibler und noch unbeobachteter verwenden zu können.

    (3.) Der Konkretisierungsgrad der Verpflichtungserklärungen ist sehr unterschiedlich - sollten die Anforderungen der Verwaltungsvereinbarung nicht entsprechend nachjustiert werden, ist für die nächste Runde Verpflichtungserklärungen eine Nivellierung nach unten zu befürchten (insbesondere wenn es gilt, Erfolglosigkeit zu verschleiern).

    (4.) Bei Quoten, die im weiteren eigentlich zur (sanktionsbefreiten) "Erfolgsmessung" angedacht sind - Betreuungsrelation, Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse - scheint es kein ländereinheitliches Verständnis zu geben; stattdessen durften sich in einigen Wissenschaftsministerien kreative Rechenakrobat*innen austoben. Sehr schön auch die Verwendung von absoluten Zahlen, wo erst Quoten überhaupt aussagekräftig sein könnten.

    (5.) Hinsichtlich der Ermittlung von Studienplatzkapazitäten könnte es sehr spannend werden, ob der Ansatz, hoheitliche Gelder als kapazitätsneutral zu deklarieren, tatsächlich gerichtsfest ist.

    (6.) Die Ambitionslosigkeit hinsichtlich der Verringerung des (bereits kreativ schöngerechneten) Anteils befristeter Beschäftigungsverhältnisse ist teils atemberaubend: "Augenblicklich sind [...] 31,8 % der Stellen des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals unbefristet besetzt. Schleswig-Holstein möchte, dass sich die Quote des unbefristeten wissenschaftlichen und künstlerischen Personals bis zum Ende der Laufzeit dieser Erklärung dem Bundesschnitt von 33,3 % nähert und nicht absinkt." (S. 6f.). Chapeau vor so viel Chuzpe!

    (7.) Beim Thema "Gleichstellung" fällt den Ländern - wenn überhaupt - nicht viel mehr ein, als die gewohnten Absichtserklärungen und mutlose Verweise auf den Einsatz bisher bereits regelmäßig erfolgloser Instrumente. Traurig. Trostlos.

    Tränen überall: Während viele Betroffene ihre Zukunftvertrag-Hoffnungen begraben und fassunglos und frustriert von dannen ziehen, dürften in den Ministerien und den Hochschulleitungen die Leute über diesen Coup der nun legitimierten Verantwortungslosigkeit vor Freude in die Hände klatschen.