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Ist der Bildungsföderalismus noch zu retten?

Wie so viele Umfragen zuvor belegt auch das "ifo-Bildungsbarometer": Die Deutschen wollen mehr Zentralismus in der Bildung. Anstatt sich unverstanden zu fühlen, müssen die Kultusminister ihre lange versprochene Reform jetzt durchziehen. Sonst wird es eng für die KMK.

IM SEKRETARIAT der Kultusministerkonferenz (KMK) in der Taubenstraße in Berlin-Mitte werden sie heute Morgen genervt die Augenbrauen hochziehen. Ein paar hundert Meter weiter, am Kapelle-Ufer beim Berliner Hauptbahnhof, sitzt zur selben Zeit vielleicht gerade die Bundesbildungsministerin an ihrem Schreibtisch und lächelt vergnügt.

 

Der Grund: Wieder einmal hat eine repräsentative Meinungsumfrage ergeben, dass die Leute mit dem Bildungsföderalismus ziemlich fertig sind. 60 Prozent der 10.000 für das "ifo-Bildungsbarometer 2020" befragten Bundesbürger haben geantwortet, dass die wichtigsten bildungspolitischen Entscheidungen vom Bund und nicht mehr von den Ländern getroffen werden sollten.

 

Anders gesagt: Die Zukunft ihrer Kinder und deren Ausbildung will die Mehrheit lieber der CDU-Bundesbildungsministerin Anja Karliczek anvertrauen als Kultusministern wie Susanne Eisenmann (CDU, Baden-Württemberg), Ties Rabe (SPD, Hamburg) oder Stefanie Hubig (SPD, Rheinland-Pfalz), die dieses Jahr turnusmäßig den KMK-Vorsitz führt.

 

Wobei, so ehrlich muss man sein, die Leute damit keine Aussage über die konkrete Arbeit der Bundesbildungsministerin treffen – deren Name ist nämlich in der Liste der zehn bekanntesten Bundespolitiker soweit bekannt noch nie aufgetaucht. Es geht vielmehr um die weit verbreitete Gefühligkeit, dass mehr Zentralismus schon irgendwie zu besserer Bildung führen wird, die ganz tief drinsteckt bei vielen Menschen und die auch die öffentliche Berichterstattung über die Bildungspolitik seit vielen Jahren prägt.

 

Karliczek gibt Interviews,
die Kultusminister ärgern sich

 

Wie stark, erkennt man auch daran, dass Anja Karliczek in der öffentlichen Wahrnehmung immer dann am meisten punktet, dass sie es vor allem dann in die Hauptnachrichtensendungen und auf die vorderen Seiten der Tageszeitungen schafft, wenn sie sich über Schulpolitik äußert. Über ihre Sorgen um das Wohl von Schülern und Lehrern in Zeiten von Corona. Über – zur Not – Schule auch am Samstag. Über eine Maskenpflicht im Unterricht. Für nix davon ist sie zuständig, doch da fallen die meisten Zitate ab. 

 

Die Kultusminister hat Karliczeks öffentliche Meinungsfreude bei Themen, die allesamt in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, zuletzt extrem geärgert, doch beschwert haben sie sich darüber höchstens hinter verschlossenen Türen, denn sie kennen ja auch die öffentliche Meinung über den Bildungsföderalismus. 

 

Obgleich das "ifo-Bildungsbarometer" also im Grunde nichts Neues geliefert hat, ist es doch bitter für die Kultusminister. Sie finden, dass sie sich besonders seit Beginn der Coronakrise als Club merklich zusammengerauft haben, dass sie konferieren und sich koordinieren wie nie zu vor und dass sie von der Organisation der Abiturprüfungen bis zur Wiedereröffnung der Schulen für den täglichen Präsenzunterricht die großen Herausforderungen der vergangenen Monate miteinander bewältigt haben. Warum nur sehen die Leute da draußen das nicht?

 

Dass die Bildungspolitik besser funktionierte, wenn der Bund am Drücker wäre, ist auch erst einmal nur eine Hypothese. Doch kann der Bildungsföderalismus, kann die KMK als seine Verkörperung auf Dauer eine Zukunft haben, wenn seit vielen Jahren die Mehrheit der Deutschen beide eigentlich nicht will? Oder konzentriert sich die bundesdeutsche Bildungs-Macht eines Tages doch am Kappelle-Ufer und nicht mehr in den Büros der Kultusminister in Stuttgart, Hamburg oder Mainz?

 

Der einfachen Wahrnehmung eine ebenso
einfache Alternative entgegenstellen

 

Doch haben die Kultusminister eine Chance. Es muss ihnen gelingen, die allzu einfache Wahrnehmung "Bund ist zuständig für Bildungspolitik = mehr Vergleichbarkeit und Transparenz" zu durchbrechen. Sie müssen es schaffen, dieser Wahrnehmung eine nicht viel kompliziertere Alternative entgegenzustellen. Sie sollte lauten: Nur wenn die Länder zuständig sind, gibt es beides. Eine Bildungspolitik, die nah dran ist an den Schulen und Menschen vor Ort. Und eine Bildungspolitik, die zugleich einheitliche Qualitätsstandards bundesweit hochhält und ein Bildungssystem schafft, das transparent ist und von den Leuten verstanden wird. 

 

Genau das, zeigt das "ifo-Bildungsbarometer", wollen die Menschen nämlich. 88 Prozent sagen, ihnen sei die Vergleichbarkeit der Schulleistungen zwischen den Bundesländern wichtig. Ebenfalls 88 Prozent wollen deutschlandweit einheitliche Lehrpläne für die gymnasiale Oberstufe, 84 Prozent ein gemeinsames Kernabitur. 76 Prozent fordern regelmäßig Ländervergleiche bei den Schülerleistungen. 69 Prozent deutschlandweite Vergleichstests, die in die Schulnoten einfließen. 

 

Die Menschen wollen aber auch Schulen, die viel selbst entscheiden dürfen. Ihre Lehrkräfte zum Beispiel selbst auswählen (63 Prozent). Und selbst über die Verwendung ihrer Finanzmittel verfügen (54 Prozent).

 

Gleiche Standards und nah dran, das muss die Botschaft der Kultusminister sein. Mit den gleichen Standards jedoch haben sie sich, wenn es hart auf hart ging, in der Vergangenheit oft schwer getan. Einzelne Länder scherten aus den Ländervergleichen aus. Die Vereinheitlichung des Abis wurde gestreckt und verwässert, einheitliche Namen für die Schulformen der unterschiedlichen Bundesländer? Bislang Fehlanzeige. Auch einen bundesweit einheitlichen Corona-Stufenplan für die Schulen gibt es erst, nachdem die Kanzlerin und die Regierungschefs die Kultusminister nochmal an ihre Pflicht erinnert haben. 

 

Im Oktober will die KMK den seit langem angekündigten Bildungsstaatsvertrag, der voraussichtlich nur eine Ländervereinbarung wird, besiegeln. Zugleich einen Bildungsrat, der eine abgespeckte Version des gescheiterten Nationalen Bildungsrates sein soll und anders als dieser ohne Bund als gleichberechtigten Partner auskommt. Beide Vorhaben müssen Substanz haben. Für beide Vorhaben gibt es auch im "ifo-Bildungsbarometer" große Mehrheiten. Beide Vorhaben müssen Belege dafür werden, dass die Kultusminister den Ernst der bildungspolitischen Gemengelage verstanden haben. Das ist ihre Chance. 

 

Klar, der KMK wurde schon oft ihre letzte Chance angekündigt. Sie hat jedes Mal überlebt. Aber vielleicht geht es gar nicht so sehr um die Frage, ob es der Bildungsföderalismus schafft, sich trotz seiner Unbeliebtheit irgendwie doch immer weiter durchzuwursteln. Die Frage ist, ob die Kultusminister nicht selbst die Schnauze voll davon haben sollten. Die Frage ist, ob sie nicht selbst genau wissen, das sie der Öffentlichkeit den großen Wurf längst schuldig sind. Ihrem Gremium, der KMK, den Befreiungsschlag. Und der Bundesrepublik eine Bildungspolitik, die sich nicht ständig rechtfertigen muss, eigentlich sei sie ja besser als ihr Ruf. 

 

Wenn sie das schaffen, müssen sie sich nicht mehr über ifo-Umfragen ärgern. Und auch nicht mehr über Anja Karliczeks Interviews von der Seitenlinie. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Ruth Himmelreich (Mittwoch, 02 September 2020 13:09)

    Eine Bevölkerungsmehrheit mag sich mehr Zentralismus in der Bildung wünschen, die Landespolitiker (gleich welcher Partei) wünschen sich das aber ganz sicher nicht.

    Man muss doch nur einmal die Landtagstagesordnungen ansehen, in denen außer Bildung und Sicherheit nicht immer viel Gehaltvolles zu finden ist. Nimmt man die Bildung heraus - was bleibt dann noch? Die logische Konsequenz wäre, dass man nach einem solchen Schritt die häufig zu Vollzeitparlamenten aufgemendelten Landtage wieder in Teilzeiteinrichtungen umwandelt, und auch die Personalausstattung zurückführt. Und deshalb wird man sich mit Händen und Füßen dagegen wehren und absehbar verhindern, dass die Bundesparteien eine Zentralisierung der Bildung vorantreiben.

  • #2

    Martin Böschen (Donnerstag, 03 September 2020 09:34)

    Tatsächlich gilt die Schlussfolgerung von Ruth Himmelreich (Kommentar #1) nicht nur für eine Zentralisierung der Bildungspolitik im eigentlichen Sinne sondern auch für eine Schaffung von mehr Gemeinsamkeiten in der Bildungslandschaft: Wenn die Länder keine unterschiedlichen Schulformen, keine verschiedenen Lehrpläne und andere Spezifika mehr haben sondern sich auf gleiche Standards einigen, wird die Schlussfolgerung automatisch sein, dass eine Länderzuständigkeit nicht mehr gebraucht wird. Gleiches Ergebnis.
    Nah dran an den Bürgern können die Länder aufgrund ihrer Größe nicht leisten; nah dran sind die Schulen selbst, für die sich ja auch eine größere Autonomie - Personal, Finanzen - gewünscht wird. Für die großen Entschiedungen zu Strukturen sind die Länder zu klein, denn die Menschen leben in Deutschland und nicht in Brandenburg, Hessen oder im Saarland; auch beim Thema Bildung.