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Batterie-Forschungsfabrik: Rechnungshof wirft BMBF schwere Verfahrensfehler bei der Standortentscheidung vor

Prüfer sprechen vom "Anschein" einer Fokussierung auf Münster, die Ministerin sieht sich indes durch den Bericht persönlich entlastet.

Bundesrechnungshof in Bonn, Bundesforschungsministerin Karliczek. Fotonachweise: siehe unten.

BUNDESFORSCHUNGSMINISTERIN ANJA KARLICZEK unter Druck: Der Bundesrechnungshof übt schwere Kritik an der Vergabeentscheidung im Standortwettbewerb für die Forschungsfertigung Batteriezelle. Das angewandte Entscheidungsverfahren sei zum Teil ungeeignet und von Befangenheiten einbezogener Institutionen und Industrievertreter geprägt gewesen. Auch habe das BMBF durch eine unvollständige Aktenführung die Prüfung des Bundesrechnungshofes deutlich erschwert. Noch schwerer aber wiegt dieser Vorwurf der Prüfer: Es sei an vielen Stellen des Verfahrens der Eindruck entstanden, dass es eine Fokussierung auf den Standort in Nordrhein-Westfalen gegeben habe.

 

Die nordrhein-westfälische Stadt Münster, die im vergangenen Frühsommer den Zuschlag bekommen hatte, liegt im Nachbarwahlkreis der CDU-Politikerin Karliczek. Bis 2022 soll dort eine mit rund 500 Millionen Euro geförderte Batterieforschungsfabrik entstehen. Auch Karliczeks Heimatstadt Ibbenbüren

war an Münsters Bewerbung beteiligt.

 

Karliczek selbst äußerte in einer ersten Stellungnahme zum Bericht, es sei festzuhalten, "dass der Bundesrechnungshof die Entscheidung für die Forschungsfabrik Batteriezelle in Münster nicht in Frage stellt." Die Entscheidung für das Konzept Münsters "war und ist richtig", es sei das exzellenteste unter mehreren sehr guten Vorschlägen gewesen. Allein diese Exzellenz habe für das BMBF und für das an der Entscheidung ebenfalls beteiligte Bundeswirtschaftsministerium im Juni 2019 den Ausschlag gegeben.

 

Ministerpräsidenten hatten sich unmittelbar
nach der Entscheidung bei Merkel beschwert

 

Die Ministerpräsidenten aus Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg, alles Länder mit unterlegenen Bewerberstandorten, hatten genau daran von Anfang an Zweifel geäußert. Sie zeigten sich unmittelbar nach der Entscheidung irritiert und forderten in einem Schreiben an Kanzlerin Merkel, die fachlichen Gründe des Zuschlags für Münster müssten "transparent" und nachvollziehbar gemacht werden. Auch die Bundestagsopposition forderte Aufklärung, vermutete gar, Karliczek habe das Verfahren persönlich so gesteuert, dass ihre Heimatregion als Gewinner hervorging.

 

Karliczek musste dem Bundestagsforschungsausschuss mehrfach Bericht erstatten, dabei stellte sich immer deutlicher heraus, dass das Entscheidungsverfahren komplett aus dem Ruder gelaufen war. Gleichzeitig versicherte Karliczek immer wieder, dass sie sich selbst die ganze Zeit aus der Standortfindung herausgehalten habe. Bemerkenswert war, dass im vergangenen Oktober sogar eine Parteikollegin, die baden-württembergische CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann, den Rücktritt Karliczeks ins Spiel brachte. "Wenn sich die im Raum stehenden Vorwürfe bestätigen, worauf alles hindeutet", sagte Eisenmann damals, "ist Karliczek als Bundesforschungsministerin nicht mehr tragbar."

 

Ungleiche Behandlung der Wettbewerber
und schlechte Aktenführung

 

Dass der Bundesrechnungshof jetzt konstatiert, es habe zwar "sachlich bedeutsame Gründe" für die Münster-Entscheidung gegeben, doch sei an vielen Stellen "zumindest der Anschein" der Fokussierung auf NRW entstanden, ist fast schon die größtmögliche Kritik, die er üben kann. Die Prüfer betonen weiter, das BMBF hätte "den Grundsatz der Gleichbehandlung im Verfahren stärker beachten müssen".

 

Und es geht so weiter: Das BMBF habe die Entscheidung nicht ausreichend dokumentiert, sondern "den Grundsatz der Aktenmäßigkeit ungenügend beachtet". Es habe seine Entscheidungen unzureichend begründet und wesentliche für die Bearbeitung und Entscheidungsfindung bedeutende Ereignisse nicht dokumentiert.

 

Nach Auffassung der Prüfer scheint ein ziemliches Durcheinander in der Dokumentation des Verfahrens geherrscht zu haben. Zitat aus dem Bericht: "Die Unterlagen befanden sich fast ausschließlich im Referatslaufwerk und in den E-Mail-Postfächern der Beschäftigten sowie in Ordnern, die das BMBF im Herbst 2019" dem Bundesforschungsausschuss zur Verfügung gestellt habe. "Durch die unvollständige Aktenführung und Dokumentation wurde auch die Prüfung durch den Bundesrechnungshof deutlich erschwert."

 

Die wie immer bei Prüfberichten eingeholten Stellungnahmen des BMBF hätten die wesentlichen Beanstandungen nicht entkräften können, schreibt der Rechnungshof abschließend.

 

Karliczek sagte ihrerseits in ihrer heutigen Stellungnahme, der Bericht bestätige den "bekannten Sachverhalt. Es werden damit keine Vorwürfe erhoben, die nicht bereits in der Vergangenheit erörtert wurden." Auch werde durch den Bericht deutlich, dass sie sich aus dem Verfahren  zurückgezogen habe, als deutlich wurde, dass Münster im Rennen war. "Mein Agieren wird in dem Verfahren nicht kritisiert."

 

Die Ministerin versucht sich angesichts des für ihr Ministerium maximal ungünstig ausfallenden Prüfbericht merklich aus der Schusslinie zu ziehen. Das dürfte nicht so einfach werden – schon die Feststellung des "Anscheins" einer Fokussierung auf NRW wiegt politisch schwer. Auch dass ihr Ministerium in dem Bericht maximal inkompetent wirkt, fällt in jedem Fall auf die Leitungsebene zurück. 

 

Weitere wesentliche Kritikpunkte
des Rechnungshofes

 

o Das BMBF habe das im Verwaltungsverfahrensgesetz festgeschriebene Mitwirkungsverbot missachtet, indem es die Durchführung des Auswahlverfahrens an die Fraunhofer-Gesellschaft übergeben habe. Denn mehrere Fraunhofer-Institute seien selbst an Standortbewerbungen beteiligt gewesen und die Fraunhofer-Gesellschaft selbst Antragstellerin im Zuwendungsverfahren zur Errichtung der Forschungsfertigung Batteriezelle. Dass die letzte Entscheidung beim BMBF gelegen habe, sei nicht ausreichend gewesen, "um dem Anschein einer möglichen Befangenheit entgegenzuwirken, denn es bestand die konkrete Möglichkeit einer Einflussnahme der Fraunhofer-Gesellschaft auf das Verfahren und den Inhalt der Entscheidung". Ob sich das BMBF letztendlich davon habe beeinflussen lassen, sei unerheblich.

 

o Das BMBF habe auf sich abzeichnende Interessenkonflikte zu spät reagiert. So hätten bei allen Industrievertretern in der sogenannten Gründungskommission Interessenkonflikte vorgelegen, die bereits bei der Einberufung des Gremiums absehbar gewesen seien. Das sei auch dem BMBF spätestens seit Eingang der Standort-Bewerbungen bekannt gewesen und führte am Ende dazu, dass die entscheidende Sitzung der Kommission ohne Ergebnis vorzeitig abgebrochen werden musste. Die Prüfer schreiben: "Die Diskussion in der Gründungskommission konnte nicht als Grundlage für die Standortauswahl genutzt werden. Die Regelungen zum Umfang mit Befangenheit bei Begutachtungen waren verletzt worden."

 

o Ironischerweise kommt der Rechnungshof zum Ergebnis, dass die Hinzuziehung der Gründungskommission für die Auswahlentscheidung gar nicht erforderlich gewesen wäre. Das BMBF hätte sie selbst treffen können auf der Grundlage der vorher im Austausch mit den Industrievertretern festgelegten Kriterien. Durch rechtzeitiges Handeln des Ministeriums hätten die Schwierigkeiten rund um die letzte Sitzung der Kommission vermieden werden können. 

 

o Zwar hätten mehrere Bundesländer im Vorfeld und auch während des Auswahlverfahrens immer wieder den Kontakt zum BMBF gesucht, doch bei einigen sei der Kontakt "besonders eng" gewesen und habe zu einer Weitergabe von Informationen vor dem Auswahlverfahren geführt. Das Land NRW habe vom BMBF detaillierte Informationen zum benötigen Grundstück und Gebäude erhalten. "Die anderen Länder erhielten diese für die spätere Bewerbung wichtigen Informationen nicht." Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung sei nicht erkennbar gewesen. Karliczek räumt ein, dass es "nicht immer geschehen" sei, dass die relevanten Informationen an alle Wettbewerbsteilnehmer weitergegeben wurden, auch wenn nur ein Teilnehmer nach ihnen gefragt habe. Das sei "ein Defizit in diesem Verfahren, das auch der Bundesrechnungshof zu Recht anspricht. Niemand sollte jedoch bevorteilt werden."

 

o Weiter berichten die Prüfer. Die am Ende entscheidenden Kriterien für die Standortauswahl seien zum Teil nicht hinreichend konkret gewesen "und damit nicht prüfbar formuliert", was die Auswertung und Beurteilung der Kriterienerfüllung erschwert habe. Hinzu komme, dass ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung in den Bewerbungsunterlagen gar nicht ausreichend dargestellt gewesen sei. 

 

o Dass die Fraunhofer-Gesellschaft zur Auswertung der Bewerbungen eine Nutzwertanalyse erstellt und das BMBF dabei die Auswahl der Methodik allein Fraunhofer und der Gründungskommission überlassen habe, kritisieren die Rechnungshof-Prüfer ebenfalls. Da die Auswertung eine wesentliche Entscheidungsgrundlage gewesen sei, "hätte sich das BMBF selbst damit auseinandersetzen müssen". Das galt umso mehr angesichts der vorhandenen Interessenkonflikte. Und: Die Verwendbarkeit der Nutzwertanalyse sei schon deshalb eingeschränkt gewesen, "weil diejenigen, die sie erstellt haben, befangen waren".

 

o Beim Ausfüllen des Bewertungsschemas durch Fraunhofer seien erhebliche Probleme aufgetreten, was auch das BMBF bestätigt habe. Der Rechnungshof berichtet, die Wertungen der Kriterien sei mehrfach verändert worden, was zu jeweils anderen Rangfolgen der Standorte geführt habe – "wobei der Standort Münster im zeitlichen Verlauf jeweils um einen Platz nach vorne rückte". Der Diskussionsprozesss und die Gründe für die Änderungen seien kaum nachvollziehbar, da weitgehend undokumentiert. Das BMBF betont demgegenüber, es habe sich bei seiner Entscheidung gar nicht auf die Nutzwertanalyse gestützt, und die Fraunhofer-Gesellschaft habe die Wertungsspalte gar nicht ausfüllen sollen. "Dennoch ist die Nutzwertanalyse mit ihren Wertungen mehrfach von der Fraunhofer-Gesellschaft fortgeschrieben und dem BMBF vorgelegt worden", entgegnen die Prüfer, die dem BMBF auch die Behauptung, die Auswertung gar nicht für die Entscheidungsfindung genutzt zu haben, nicht abnehmen. Schließlich habe sich das Ministerium darauf berufen, dass Fraunhofer drei Bewerbungen für besser geeignet gehalten habe als die übrigen, und nur diese drei Bewerbungen dann in die engere eigene Betrachtung gezogen. 

 

o Letztlich habe die Standortentscheidung des BMBF auf "einer nicht belastbaren Auswertung" der Fraunhofer-Gesellschaft, der BMBF-eigenen Einschätzung der Kriterien "Kompetenz", "volkswirtschaftlicher Nutzen" und "ökologischer Ansatz" in Bezug auf die Standorte Münster, Ulm und Salzgitter bestanden und in den hinzugenommenen Kriterien "internationale Vernetzung" und die "Passfähigkeit" zur IPCEI-Maßnahme des Bundeswirtschaftsministeriums. Eine unabhängige Auswertung und Bewertung aller Bewerbungen anhand der in den Bewerbungsunterlagen festgelegten Kriterien habe gefehlt, "das BMBF hätte diese vor der Entscheidungsfindung noch einmal selbst oder mithilfe einer unabhängigen Stelle vornehmen müssen". Und: Um den Grundsatz der Gleichbehandlung zu wahren, hätte es allen Bewerbern die Möglichkeit geben müssen, ihre Bewerbungen in Bezug auf die zusätzlichen Kriterien nachzubessern. 

 

Karliczek verspricht
umfangreiche Verbesserungen

 

Schon im Vorfeld der absehbaren Veröffentlichung des Rechnungshof-Berichts hatte Karliczek sich in den vergangenen Tagen in Pressestatements auffällig selbstkritisch gezeigt – was von Beobachtern als Anzeichen für eine extrem kritisch ausfallende Wertung der Prüfer interpretiert worden war. Jetzt sagt sie: Im Entscheidungsverfahren zur Forschungsfabrik "hätte man jedoch viel früher und viel klarer in den Fokus nehmen müssen, dass in der sogenannten Gründungskommission Fachleute aus der Wirtschaft saßen, die auch Interessen von Wettbewerbern vertraten. Sie waren damit befangen." Alles richtig. Doch wer ist "man", wenn nicht die Leitung des Ministeriums selbst?

 

Karliczek fährt fort: Die Experten zu hören, sei notwendig und richtig gewesen. Doch: "Der Eindruck, sie würden unabhängig begutachten oder gar entscheiden, hätte vermieden werden müssen."

 

Vor allem betont die Ministerin, auch wenn ihr Haus "nicht alle Feststellungen des Bundesrechnungshofes" teile, "ist es mir ein Anliegen, dass wir nun im BMBF den Bericht auch als Chance sehen und auf dessen Basis unsere Lehren für künftiges Verwaltungshandeln ziehen." So sei auch für das BMBF selbst deutlich geworden, dass schwierige Großverfahren klar strukturiert werden müssten. Außerdem habe sie einen neuen Kontrollmechanismus im Ministerium etabliert. Bei Verfahren in einer Größenordnung ab 100 Millionen Euro müsse von Beginn an die Innenrevision beteiligt werden, auch die Aktenführung werde verbessert und nachvollziehbarer werden.

 

Ob sie die Ministerpräsidenten der betroffenen Länder damit besänftigen wird? Und die Oppositionsparteien im Bundestag? Den Koalitionspartner SPD? Die nächsten Tage werden spannend. 

 

Die grüne Innovationspolitikerin Anna Christmann nannte den Prüfbericht in einer ersten Reaktion "eine schallende Ohrfeige für Ministerin Karliczek". Karliczek und ihr Ministerium habe wesentliche Beanstandungen nicht entkräften können. "Der Versuch des Ministeriums, die massive Kritik am Verfahren als Beschwerde enttäuschter Standorte abzutun, ist krachend gescheitert. Der Bundesrechnungshof hat Karliczek damit ein einer Forschungsministerin absolut unwürdiges Verfahren attestiert." Es sei hochnotpeinlich, wie das BMBF selbst gegenüber dem Rechnungshof versuche, die offenkundig vorhandenen Rangfolgen bei der Nutzwertanalyse "durch Sprachakrobatik wegzuargumentieren. Transparente Fehleraufarbeitung sieht anders aus." Der Schaden sei unwiederbringlich, und Karliczek müsse für sich bewerten, wie handlungsfähig sie "nach diesem vernichtenden Urteil des Rechnungshofs als Forschungsministerin noch sein kann".

 

Angefordert hatte die Untersuchung im vergangenen November der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Ihm ging der Bericht des Rechnungshofes gestern offiziell zu.


Wolkenkratzer: "Bonn, Adenauerallee 83, Bundesrechnungshof, Luftaufnahme (2017)", CC BY-SA 4.0. – BMBF/Laurence Chaperon.

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