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Vorteil Studium

Die OECD gibt Deutschlands Berufsbildung gute Noten.
Trotzdem hält das Narrativ von der angeblichen Gleichwertigkeit
zum Hochschulstudium der Realität nicht stand.

ANJA KARLICZEK FROHLOCKTE. "Die berufliche Bildung ist ein Karrieretreiber", kommentierte die CDU-Bundesbildungsministerin am Dienstag, als der Industriestaatenverband OECD seinen jährlichen Ländervergleich "Bildung auf einen Blick"  veröffentlichte. Die von BMBF und Kultusministerkonferenz herausgegebene Pressemitteilung trug sogar den leicht pathetischen Titel: "Ein guter Tag für die berufliche Bildung."

 

Tatsächlich bescheinigte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher der Bundesrepublik, das Berufsbildungssystem mit der dualen Ausbildung als Kern bleibe "Deutschlands große Stärke, denn insgesamt funktioniert die Abstimmung zwischen Bildung und Arbeitsmarkt gut und der Übergang ins Erwerbsleben klappt." Doch es gibt eben auch einen Arbeitsauftrag: "Deutschlands traditionsreiche Berufsbildung braucht Digitalisierung und Modernisierung – dann bleibt sie auch im 21. Jahrhundert stark."

 

Deutschland hat eine im internationalen Vergleich äußerst niedrige Jugendarbeitslosigkeit. 88 Prozent der 25- bis 34-Jährigen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung hatten vergangenes Jahr einen Job. Das ist ein sehr guter Wert. Aber – wie die OECD zugleich betont – bei den Absolventen eines Studiums ist der Anteil exakt genauso hoch. Zusätzlich haben die Jungakademiker jedoch ein um zwei Drittel höheres Einkommen.

 

Das lässt Karliczeks auch gestern wiederholtes Mantra, "beide Wege – der berufliche oder der akademische – sind gleichwertige Wege mit Karrierechancen", dann doch übertrieben klingen. Zumal Bildungsforscher immer wieder warnen, dass es in Zeiten eines grundlegenden technologischen Wandels – also jetzt – Menschen mit einer spezifischen Ausbildung deutlich schwerer fällt als Hochschulabsolventen, sich den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt anzupassen. Worauf die OECD mit ihrer Warnung anspielt.

 

Die hohe Beschäftigungsquote und der extreme Einkommensvorteil von Hochschulabsolventen haben übrigens auch die starke Akademisierungswelle der vergangenen zehn Jahren überstanden: Von 2009 bis 2019 stieg der Anteil junger Hochschulabsolventen um fast acht Prozentpunkte auf 33 Prozent – während weniger junge Menschen eine Ausbildung machen wollten.

 

Und die Studienanfängerquote erreicht laut OECD-Definition sogar 45 Prozent und nähert sich dem  internationalen Schnitt (49 Prozent). Eine großartige Leistung und ein Kraftakt des Bildungssystems und speziell der Hochschulen.

 

Die noch passendere Überschrift über der Pressemitteilung hätte am Dienstag also womöglich "Ein guter Tag für die akademische Bildung" gelautet. Doch das scheint derzeit nicht zur politischen Agenda im BMBF zu passen.

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen Drei.



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Kommentare: 4
  • #1

    Django (Donnerstag, 10 September 2020 16:03)

    Was ich nie verstehe: Wenn immer mehr ein Studium aufnehmen und keine Lehre machen - wer macht dann die Arbeit, für die man eine Lehre braucht und bei der ein Studium nicht hilft?

  • #2

    Josef König (Donnerstag, 10 September 2020 23:10)

    Schwieriges Thema, daher nur drei kurze Anmerkungen:
    1) wer studieren will, soll es auch tun - und hoffentlich auch beruflich gut vorankommen;
    2) nicht jede/r ist studierfähig.
    3) es gibt einen hohen Bedarf an sowohl selbständigen wir unselbständigen Handwerkern, vom Elektriker, Fliesenleger usw., und leider wartet man auf qualifizierte Handwerker dringend, wenn man sie braucht. Auch das sind ehrbare Berufe mit guten Aussichten.

  • #3

    McFischer (Freitag, 11 September 2020 10:33)

    Ein Fehler in der Diskussion Lehre vs. Studium (vgl. Nida-Rümelins "Der Akademisierungswahn") liegt immer darin, den Arbeitsmarkt als etwas statisches zu betrachten: 'Deutschland braucht in fünf Jahren X Klempner und Y Bauingenieure - wenn mehr junge Menschen BauIng studieren statt Klempner werden, haben wir ein Problem'.
    Die Anforderungen ändern sich (schnell), Arbeitsmärkte haben sich internationalisiert, wo der Heizungsbauer früher, nun ja, Heizungen (Gas, Öl) eingebaut hat, sind es heute komplexe Klimatisierungen. Da ist ein Studienhintergrund gar nicht schlecht - und die Praxis ist in FH-Studiengängen ja oft mit dabei.

  • #4

    René Krempkow (Freitag, 11 September 2020 17:56)

    Das Thema ist ein Dauerbrenner der Bildungspolitik, daher hier (wie vor längerer Zeit schon einmal geschehen) der Hinweis auf ein Buch zum Thema, das m.E. die meisten Facetten dieser Diskussion aufgreift und auch mittels empirischer Fakten diskutiert:

    Wolff-Dietrich Webler (Hg.) (2016): Leiden Sie unter Überakademisierung? – Notwendige Akademisierung oder „Akademisierungswahn”? – Oder ein Drittes? (www.universitaetsverlagwebler.de/webler-2017)