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Weil nicht alles ist wie immer

Die Erwartungen an den informellen Schulgipfel im Kanzleramt gestern Abend waren hoch. Und nein, es folgte keine totale Enttäuschung. Trotzdem ist das, was Konkretes herauskam, angesichts der Lage zu wenig.

DAS REICHT NICHT. Wenn man die Statements aus dem Bundeskanzleramt und aus der Kultusministerkonferenz (KMK) verfolgt, könnte man fast denken, es herrschten Zeiten wie sonst auch.

 

Dabei hatte es vor dem zweiten informellen Schulgipfel mit Kanzlerin Merkel, diesmal unter Beteiligung aller Kultusminister, hohe Erwartungen und, zumindest auf Seiten der Länder, hochfliegende Pläne gegeben. Ein Signal, so hofften auch Bildungsexperten, Lehrer- und Elternverbände, sollte von Berlin ausgehen: dass die Unterstützung der Schulen und ihre technologisch-didaktische Weiterentwicklung höchste Priorität in und – ganz wichtig – auch nach der Coronakrise hat. 

 

Doch was Regierungssprecher Steffen Seibert dann im Anschluss an das Treffen gestern Abend zu berichten hatte, klang einfach nur nach routiniertem Verwaltungshandeln. Sieben "Handlungsstränge" seien identifiziert worden, darunter  "ein weiterer zügiger Ausbau" der Breitbandanschlüsse für alle Schulen, die Ausstattung aller Lehrkräfte und "bei Bedarf" von Kindern mit Laptops oder Tablets (für zweimal 500 Millionen Euro) sowie die Beteiligung des Bundes an Ausbildung und Finanzierung von IT-Administratoren in den Schulen (für nochmal 500 Millionen). Bei ersterem ist es peinlich, dass die Politik den Willen zum Ausbau überhaupt nochmal betonen muss, bei letzteren wäre eine solche Ankündigung noch vor einem halben Jahr unvorstellbar gewesen. Nun haben wir sie aber schon zum wiederholten Male gehört. Bei allen drei genügt es in der Pandemie nicht, ohne genauen Ziel-Zeitpunkt aus den Bund-Länder-Gesprächen zu gehen. 

 

Kommen die Lehrer-Laptops

noch dieses Jahr?

 

Das fand offenbar auch KMK-Präsidentin Stefanie Hubig (SPD) und hob in ihrem Pressestatement gestern Abend immerhin demonstrativ hervor, dass die Bundesregierung "noch dieses Jahr" die Beschaffung der Lehrer-Endgeräte ermöglichen wolle. Doch bedeutet das "das Schaffen der "entsprechenden Voraussetzungen" noch nicht, dass die Geräte auch noch dieses Jahr kommen, weshalb die KMK-Präsidentin hinzufügte, dass es bei den Lehrergeräten"ebenso schnell" laufen solle wie bei den Schülergeräten. 

 

Die, auch wenn das meiste Bundesgeld bereits verplant ist, noch längst nicht alle angeschafft sind. Die erste politische Absichtserklärung, ärmere Schüler mit Laptops & Co auszustatten, stammt übrigens vom 23. April – ist also genauso fünf Monate alt. In fünf Monaten wiederum ist der heiße Corona-Winter schon zu einem guten Teil um. 

 

Was die Administratoren angeht, befinde sich die Bund-Länder-Vereinbarung zu deren Finanzierung  "kurz vor dem Abschluss", sagte Hubig. Die Schulen, so sehen es die Planungen vor, sollen entweder externe Dienstleister mit der Administration beauftragen können oder eigene IT-Mitarbeiter einstellen. Im Gegenzug für das Bundesgeld versprechen die Länder, die Lehrerfortbildung verbindlich auszubauen.

 

Mit dabei gestern Abend neben Kanzlerin Merkel und den Kultusministern waren auch SPD-Chefin Saskia Esken, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Helge Braun (CDU), der Chef des Bundeskanzleramts.

 

Karliczek sagte heute, der Bund werde die 500 Millionen für die Lehrer-Endgeräte, die aus EU-Mitteln kommen sollen, "erst einmal vorstrecken." Ansonsten zählte aber auch sie vor allem Geldbeträge auf, die in Rahmen des Digitalpakts schon lange vor dem gestrigen Gipfel zugesagt worden waren. Und auch sie sagte: Sie wolle einräumen, "dass wir in den nächsten Wochen noch die eine oder andere rechtliche Frage zu klären haben werden. Ebenso Fragen der Finanzierung." Trotzdem habe es "ein Programm dieser Art... in der Geschichte der Bildungspolitik in Deutschland noch nicht gegeben."

 

Im Bundestag sehen einige das anders. Die grüne Bildungspolitikerin Margit Stumpp sprach von "den Besitzstandwahrern", die sich "auf Kosten schneller und dringender Hilfen für die Schulen vor einer möglichen zweiten Infektionswelle" durchgesetzt hätten. Womit Stumpp die Kultusminister meinte. "So energisch Merkel und Esken in der ersten Runde des Treffens noch waren, so konsequent wurden sie nun ausgebremst. Während die KMK-Präsidentin im Vorfeld richtigerweise noch die Grenzen des Bildungsföderalismus diagnostizierte, wurde sie von ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Kultusministerien wieder zurückgepfiffen." Womöglich eine zu einseitige Zuweisung von Verantwortung, denn wenn die GroKo wollte, könnte auch sie mehr Druck machen – vor allem, indem sie öffentlichkeitswirksam weiteres Geld auf den Tisch legen würde – zum Beispiel für Luftfilter.

 

Was der Abend tatsächlich brachte: Als weiterer Handlungsstrang wurde gestern von Seibert "ein von der KMK erarbeiteter einheitlicher Rahmen für die schulischen Infektionsschutzmaßnahmen" genannt, wo dann selbst erfahrene Beobachter in Verwirrung geraten: Welchen jetzt? Haben die Kultusminister nicht gerade neulich erst ihren Handlungsrahmen aktualisiert? Gestehen sie damit ein, was die meisten Experten längst sagen: dass er eben nicht einheitlich genug ist?

 

Tatsächlich ging es aber wohl um das, was KMK-Präsidentin Hubig gestern Abend in ihrem Pressestatement zu Protokoll gab: Die Kultusminister hätten Verständnis für die Fragen und Sorgen von Schülern, Eltern und Lehrkräften, "wie der Schulbetrieb in der nun beginnenden kühleren Jahreszeit unter vertretbaren hygienischen Bedingungen und unter Wahrung des Infektionsschutzes aufrechterhalten werden kann". Weshalb die KMK, um auf Grundlage wissenschaftlicher Expertise beraten zu können", zu einem Fachgespräch über Lüftungshygiene eingeladen habe. Und das immerhin richtig schnell: Schon morgen wird beraten. 

 

Ehrgeizige Pläne, aber noch
sehr viele Fragen offen

 

Die letzten drei Handlungsstränge – "Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Lernen", die "schrittweise Bereitstellung einer Bildungsplattform durch den Bund" sowie "hochwertige digitale Bildungsmedien, insbesondere Open Educational Resources, und die Entwicklung intelligenter tutorieller Systeme" (ITS) waren im Wesentlichen das, was die Kultusminister gestern an neuen Konzepten mit ins Kanzleramt gebracht hatten – und die einen erstaunlichen Ehrgeiz zeigen. Vorerst aber erschöpfte sich der Ehrgeiz darin, dass BMBF und Kultusministerkonferenz zu den Kompetenzzentren eine Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene bilden wollen.

 

Dagegen ist nichts zu sagen, das ist der normale Gang der Dinge, und die Chancen stehen gut, dass am Ende schon etwas dabei herauskommt. Was – ebenso wie die Kompetenzzentren – ein großer Fortschritt wäre. Nur haben sich beide Seiten offenbar weder auf die Finanzierungssummen verständigt noch auf einen Zeithorizont. Auch hier ist Hubigs Erklärung selbst durchaus eine gewisse Ungeduld anzumerken, wenn sie in Sachen "praxisorientierten Lernprogrammen", "hochwertigen Bildungsmedien" und den ITS anmerkt, diese müssten "rasch in die Schulpraxis gebracht werden". Aber wann ist rasch?

 

Dass das nächste Spitzentreffen im Kanzleramt erst Anfang 2021 geplant ist, erhöht den Optimismus nicht. Und es entspricht auch nicht der Aufbruchstimmung, die Merkel, Esken und andere nach dem ersten Treffen mit den Kultusministern selbst geschürt hatten. Natürlich: Die Kanzlerin und die Kultusminister waren und sind eine ungewöhnliche Kombination, trotzdem schien sich hier ein in Corona-Zeiten wichtiges Diskussionsforum zu entwickeln. Doch galt jetzt offenbar auch bei der Terminplanung: fast wie in normalen Zeiten.

 

Erfreulich immerhin ist, dass Bund und Länder gestern Abend noch einmal ihr Commitment wiederholten: Sie seien "gemeinsam entschlossen, eine erneute flächendeckende Schließung der Schulen möglichst zu verhindern", wie Seibert es formulierte. Gleichzeitig lässt aber die Formulierung dann doch aufmerken: Offenbar ist weder für die Bundeskanzlerin noch für die Kultusminister die Option der bundesweiten Schulschließungen wirklich vom Tisch. Wenn das so ist, müssen aber ganz schnell klare Kriterien her, wann und unter welchen Umständen Kitas und Schulen dann doch flächendeckend dichtgemacht werden könnten. Die einzig richtige Ansage, wenn Bund und Länder die zuletzt vielbeschworene "Priorität" für Kinderrechte in der Coronakrise ernstmeinen, würde lauten: als allerletztes.

 

Leider gab es diese genau Ansage jedoch gestern Abend nicht. 

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Kommentare: 2
  • #1

    AndreasBade, Berlin (Mittwoch, 23 September 2020 15:54)

    Eine kleine Anekdote als Ergänzung. Ein befreundeter Lehrer hat einen Klassensatz (25) Endgeräte für Schüler beantragt. Bewilligt und sofort geliefert wurden dann 18.
    Keine Chance auf weitere Geräte. Schilda lässt grüßen. Da wiehert der Amtsschimmel.

    Insgesamt geht es bei allem guten Willen in Teilen viel zu
    langsam. Vor sechs- acht Wochen wurde der Präsenzunterricht wieder aufgenommen und heute trifft man sich zu einem Fachgespräch zur Lüftungshygiene.
    Ab Morgen wird es übrigens extrem kühl. Wie sich da ständiges Querlüften mit der Gesunheit unserer Kinder vereinbaren lässt ist mir ein Rätsel.

  • #2

    Lehrerkind (Donnerstag, 24 September 2020 10:11)

    Auch mit Masken für die Lehrkräfte läuft es nicht wirklich gut. Die Lehrer*innen erhalten von ihren Dienstherren keine Masken gestellt, es gebe Lieferschwierigkeiten. Seit Monaten leben wir in einer Pandemie, die Schulen sollen offen sein, aber Masken für die Lehrer können nicht organisiert werden. Wertschätzung und Sorge für Arbeitnehmer*innen scheint keine Priorität zu sein.