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So war das nicht gedacht

Um den Länder-Proporz zu wahren, werden die für bedürftige Kinder vorgesehenen 500 Millionen für digitale Endgeräte nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt und nicht nach Bedarf. Das vertieft die digitale Spaltung und verhindert echte Chancengleichheit. Ein Gastbeitrag von Ernst Dieter Rossmann.

Foto: Pixabay.

DIE ABSICHT WAR unbedingt löblich, als der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD am 22. April diesen Jahres auf Initiative der SPD ein 500 Millionen Euro-Programm des Bundes zur "Sofortausstattung von benachteiligten Schülerinnen und Schülern" beschloss. Die Beteiligten hatten so einen dramatischen Mangel an Chancengleichheit aufgespürt und politisch aufgegriffen: die Grundversorgung aller Kinder mit digitalen Endgeräten, um die Teilnahme an digitalen Lernangeboten überhaupt möglich zu machen. Hinzu kommen die Erweiterung ihrer Lernwelten und die digitale Ertüchtigung der Schulen.

 

Nachdem sich die 250 Euro als Zuschuss für die rund zwei Millionen Kinder und Jugendlichen in den Bedarfsgemeinschaften in der Umsetzung sehr schnell als blauäugig herausgestellt hatten, sollte die Verteilung nach Bedürftigkeit durch die Schulleitung vor Ort erfolgen, die ja schließlich, so die Argumentation der Verantwortlichen, die Bedarfslagen an ihren Schulen und bei ihren SchülerInnen am besten kennen würden. 

 

Damit war jedoch die Rutschbahn in ein Verteilungsdestaster eingeschlagen, das immer weiter weg von dem ursprünglichen Ziel führte, die digitale Chancengleichheit allen benachteiligten SchülerInnen in gleichem Umfang zu ermöglichen. Das Sozialkriterium wurde ad acta gelegt und stattdessen wurden die Mittel einmal mehr nach dem Grundprinzip des Königsteiner Schlüssels von 1949 verteilt, der nun einmal gar nichts mit sozialer Gerechtigkeit und sozialer Unterstützung zu tun hat, sondern seine Zuteilungsquoten zu einem Drittel nach Einwohnerzahl der Länder und zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen in den jeweiligen Ländern festlegt.

 

Für bedürftige Kindern in Bayern
434 Euro mehr als in Bremen

 

Ob es aus dem Bedürfnis nach Schnelligkeit im Mittelabfluss und  um der leichten Administrierbarkeit willen geschah oder ob schierer Egoismus und erpresserischer Druck einiger Gewinnerländer aus der Lega-Süd-Schiene (namentlich das CSU-gefährte Bayern und das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg ) dahintersteckte, mögen die Bildungshistoriker herausfinden. Die Bundesministerin hat es offensichtlich geschehen lassen und die SPD-Länder standen unter dem Zwang der Einstimmigkeit. Öffentlicher Protest ist allein von der Bildungssenatorin aus Bremen überliefert. Und die hatte auch allen Grund dazu.

Ernst Dieter Rossmann ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.


Legt man als Sozialkriterium die Zahl der Kinder und Jugendlichen in einer Bedarfsgemeinschaft nach dem Sozialgesetzbuch II zu Grunde, wie es zum Beispiel die Gesellschaft Chancengleichheit in einer kürzlich vorgestellten Übersicht dargestellt hat, so machen diese in Bayern 6,2  Prozent aller Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahre aus und in Baden-Württemberg 8,1  Prozent, während Länder wie Bremen mit 31,6 Prozent und Berlin mit 27 Prozent 


oder auch das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen mit 18,6  Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 13,8 Prozent liegen. 

 

Doch sind diese realen sozialen Verhältnisse in den Bundesländern und die ganz konkreten Bedarfe in den Familien und bei den Kindern und Jugendlichen in keiner Weise in die Zuteilung der Mittel eingegangen. Es ist einfach skandalös, dass Bayern für seine bedürftigen 136.000 Kinder und Jugendlichen einen Summe von 78 Millionen Euro zugewiesen bekommen hat, was pro Kind dann 572 Euro bedeutet, und Bremen als gegensätzliches Extrem für seine 34.803 Kinder bei einem Gesamtbetrag von 4,8 Millionen Euro nur 138 Euro pro Kind erhält. Ein Bundesland wie Bayern hat damit nach einer überschlägigen Rechnung rund 41 Millionen Euro zuviel erhalten und seine Zuweisung vollkommen grundlos verdoppeln können, Baden Württemberg immerhin 25 Millionen Euro zu viel, was immer noch mehr als 50 Prozent überschießende Zuweisung sind. Demgegenüber haben Bremen mit 4,3 Millionen und Berlin mit 18 Millionen jeweils 45 Prozent weniger erhalten, als ihnen von der Sache und der Zahl der Betroffenen her zustehen. 

 

Was jetzt noch zu tun ist

 

Diese gewaltigen Mitnahmeeffekte für die wohlhabenden Länder können nicht die Absicht der einst so gut gemeinten Initiative gewesen sein. Da muss jetzt nachgearbeitet werden. Einen Fehler darf man in der Politik machen, aber den Fehler zu erkennen und nichts dagegen zu tun, ist sträflich und untergräbt Glaubwürdigkeit und Vertrauen – ganz zu schweigen von der digitalen Spaltung, die mit den bisherigen Entscheidungen in der Schülerschaft noch weiter verstärkt wird. 

 

Natürlich wird es sehr schwer sein, den Gewinner-Ländern die krass überzahlten und ja schon ausgegebenen Mittel vollständig wieder abzunehmen, aber die gravierendsten Ungerechtigkeiten sollten durch die Länder doch noch heilbar sein. Die Länder, die durch die Systematik des Königsteiner Schlüssel angesichts ihrer Bedarfe extrem benachteiligt worden sind, sollten zumindest auf den Durchschnittssatz aller Bundesländer in Höhe von 277 Euro nachträglich angehoben werden. Eine Gesamtsumme von rund 85 Millionen Euro, die es hier für die sechs betroffenen Länder dazu noch bräuchte, sollte sich durch die Gewinner-Länder finanzieren lassen. 

 

Darauf muss auch der Bund mit aller Entschiedenheit drängen. Immerhin will er ja mit weiteren 500 Millionen Endgeräte für die Lehrkräfte finanzieren und zusätzliche Mitteln für Kompetenzzentren und weitere Vorhaben bereitstellen, womit er abermals die Länder massiv unterstützt. Die Bund-Länder-Verhandlungen hierzu sollen bis in das nächste Jahr hineinreichen. Hilfreich ist, dass es ohnehin erst im nächsten Frühjahr einen abschließenden Bericht an den Bund geben soll, wie die Initiative für Schüler-Endgeräte die gewirkt hat und ob und wie das Ziel wirklich erreicht worden ist, alle bedürftigen Kinder und Jugendlichen entsprechend auszustatten. Für viel Zeit zur Besinnung und Korrektur ist also gesorgt.

 

Drei Fragen zum Grundsätzlichen

 

Drei grundsätzliche Fragen müssen aber nach diesem Debakel schon jetzt gestellt werden. 

 

1. Ist der Königsteiner Schlüssel tatsächlich geeignet, in diesem wie auch in anderen Bildungsinitiativen Chancengleichheit in und zwischen den Bundesländern herzustellen – oder braucht es dazu nicht endlich sozial gestützte Indikatoren für die Verteilung, wie sie ja auch ursprünglich eingeplant waren? 

 

2. Welche Chancen bieten die neu gefassten Bildungs- und Teilhaberechte für die Ausstattung von Kindern in bedürftigen Familien – von den allgemeinen Lernmitteln über die technische digitale Ausstattung bis hin zu individuellen pädagogischen Fördermaßnahmen? Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat auf diese Möglichkeiten nach Paragraph 28 des des Sozialgesetzbuches II schon nachdrücklich hingewiesen. Auch ein entsprechendes Urteil des Landessozialgerichts in Nordhein-Westfalen ist hier sehr ernst zu nehmen. Digitale Chancengleichheit beginnt nun einmal mit der Bereitstellung von technischen und pädagogischen Mitteln und Hilfen. 

 

3. Wenn es denn bislang keinen Nationalen Bildungsrat gibt, der in solchen Fällen auf das Grundrecht auf Chancengleichheit pochen könnte, dann muss sich jedenfalls der Länderrat der Kultusministerkonferenz sehr schnell der Frage annehmen, wie in Zukunft sozial gestützte Indikatoren auch in gemeinsamen Fördermaßnahmen von Bund und Ländern eingeführt werden können. Einige Länder setzten sie ja schon vielfach sehr differenziert im schulischen Bereich ein. Was dort richtig ist, kann im Verhältnis der Länder untereinander und mit dem Bund nicht falsch sein.

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Kommentare: 1
  • #1

    Martin Rist (Donnerstag, 01 Oktober 2020 23:18)

    Es wäre so einfach:

    Mittel zum Aufstocken des Bildung und Teilhabe Paket stecken (der Name ist Programm!).

    Die digitalen Medien die für die schulische Nutzung benötigt werden, förderfähig machen und den Kommunen/Schulträgern auf Basis bestehender, lange funktionierender Prozesse die Fördermittel zukommen lassen.*

    Es ist sowieso überfällig: Schon vor Corona haben Sozialgerichte geurteilt, dass diese Mittel gefördert werden müssen, wenn es sich Familien nicht leisten können.

    *Es gab Kommunen die das schon vor Jahren gemacht haben, bis sie gestoppt wurden => weil nicht förderfähige Lernmittel (laut Definition Bildung und Teilhabe Paket). Es sind dann meist die leistungsfähigen Eltern in einer Solidargemeinschaft oder über den Förderverein mit eingesprungen.