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Da bleibt was hängen

Die Freie Universität Berlin (FU) rollt den Fall um die Plagiatsvorwürfe gegen Franziska Giffey noch einmal auf. Mit Konsequenzen für die Politikerin. Aber welche Konsequenzen hat die Sache eigentlich für die FU? Ein Kommentar.

"KOPFSCHÜTTELN ÜBER DAS VORGEHEN DER FU", titelte der Tagesspiegel, Beobachter an der Freien Universität und bundesweit sprechen von einer "Peinlichkeit" für das FU-Präsidium um Günter M. Ziegler, das vergangenen Freitag mitgeteilt hat, dass es den Plagiatsfall gegen Franziska Giffey aufrollen werde.

 

Angefangen hatte alles mit Recherchen der Online-Plattform VroniPlag Wiki, die im Februar 2019 berichtete, bereits auf 49 von 200 Seiten der Doktorarbeit Giffeys verdächtige Textstellen identifziert zu haben. Woraufhin Giffey mitteilte, sie habe nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet – gleichzeitig aber die FU, an der sie promoviert hatte, um die Einleitung eines Prüfverfahrens gebeten habe. 

 

Während die von der FU eingesetzte Prüfungskommission ermittelte, kündigte Giffey an, im Falle einer Aberkennung ihres Doktortitels von ihrem Ministeramt zurückzutreten. Im Oktober 2019 kam die Kommission zu dem Ergebnis, die Dissertation erhalte eine größere Zahl von Stellen, die als "objektive Täuschung" zu bewerten seien und auf bedingten Vorsatz hindeuteten. Doch seien die Vergehen qualitativ und quantitativ weniger gravierend als von VroniPlag Wiki dargestellt. Woraufhin das Präsidium entschied, Giffey eine Rüge zu erteilen, aber ihr den Titel zu lassen. 

 

CDU-Fraktion präsentierte neues

Rechtsgutachten zum Fall der SPD-Politikerin

 

Und jetzt die Kehrtwende der FU-Chefetage – nur in Ansätzen und kryptisch begründet mit dem Satz, im Schlussbericht der Prüfungskommission sei die Minderschwere des Falls, die Voraussetzung für die Rüge war, nicht "dargetan" worden. Wenige Tage, nachdem der Staatsrechtler Ulrich Battis der FU bestätigt hatte, dass das Erteilen einer Rüge als Strafe in einem Plagiatsfall rechtens sei – allerdings nur in einem minderschweren Fall. Richtig unter Druck geraten war das Präsidium, nachdem die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ein Gutachten des Bonner Juraprofessors Klaus Gärditz präsentiert hatte, demzufolge die Überprüfung durch die FU eine "auffällige Summation erheblicher Rechtsverstöße" aufgewiesen habe. Giffey hätte der Titel entzogen werden müssen, befand Gärditz ("ein klarer Fall"), der eine Rüge "feststellende Rechtsakt" sei rechtswidrig gewesen.  

 

Um es ganz klar zu sagen: Ich kann und werde nicht bewerten, ob es gerechtfertigt gewesen wäre, Giffey aufgrund ihrer Verfehlungen den "Doktor" abzuerkennen. Ich bin nicht in der Lage zu beurteilen, ob das universitäre Prüfverfahren rechtlich in Ordnung ging oder nicht. Doch verursacht das Vorgehen des FU-Präsidiums bei mir in gleich mehrfacher Hinsicht Unbehagen.

 

Giffeys Karriere als Politikerin stand wegen des Plagiatfalls schon einmal am Scheideweg. Sie war bereit, Konsequenzen zu ziehen. Monatelang war sie in ihrer politischen Arbeit behindert, dann kam das Prüferergebnis, und sie blieb im Amt. Einen hohen politischen Preis hat sie dennoch bezahlt, weil sie auf die aussichtsreiche Kandidatur zum SPD-Bundesvorsitz verzichtete. 

 

Ist es angemessen und verhältnismäßig, sie wegen Verfahrensfehlern, die ganz offenbar (und im Gegensatz zu ihrer Doktorarbeit!) nicht in ihrer Verantwortung liegen, noch einmal durch denselben öffentlichen Prozess zu zerren – und sie erneut persönlich und beruflich schwer zu beschädigen? 

 

Wird jetzt auch geklärt, welche Verantwortung das 
FU-Präsidium an dem Verfahrensschlamassel trägt?

 

Seit Beginn des Prüfverfahrens gab es zu Recht Warnungen an die Berliner Politik, namentlich an den SPD-Wissenschaftssenator und den aktuellen Regierenden Bürgermeister Michael Müller, sich aus der Sache herauszuhalten. Was bedeutet es eigentlich, wenn nun offenbar ein wesentlicher Anlass für das Neuaufrollen des Falles durch das FU-Präsidium darin besteht, dass die Berliner CDU ein Rechtsgutachten präsentiert hat – von einem angesehenen, unabhängigen Wissenschaftler verfasst, keine Frage, aber aus dem politischen Raum heraus?

 

Die Konsequenzen für Giffey, die nächstes Jahr Regierende Bürgermeisterin werden will, werden in jedem Fall bedeutsam sein – egal, wie es jetzt weitergeht. Die für sie bittere Ironie ist, dass die Aberkennung des Doktortitels im Oktober 2019 wohl ihre bundespolitische Karriere gestoppt hätte, ein Comeback mit einer Kandidatur fürs Berliner Spitzenamt aber trotzdem möglich gewesen wäre.

 

Doch jetzt würde es ihr sogar wenig nützen, wenn sie von sich aus auf den Doktortitel verzichten würde – weil dies als Schuldeingeständnis gesehen werden und im Wahlkampf wohl auch so dargestellt werden würde.

 

Auch die Wissenschaft nimmt Schaden, weil, egal wie es jetzt weitergeht, der Eindruck hängenbleibt, es sei mit einem Plagiatsfall nicht von Anfang an entschieden und korrekt genug umgegangen worden

 

Doch welche Konsequenzen gibt es für das FU-Präsidium, dessen Handling der Causa Giffey in den gegenwärtigen Schlamassel geführt hat? Es wäre gut, wenn beim Neuaufrollen des Falls das Versagen auf FU-Seite und die Frage der dafür Verantwortlichen gleich mit aufgeklärt würde. Sehr wahrscheinlich ist das indes nicht.

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Kommentare: 6
  • #1

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 11 November 2020 13:00)

    Hinweis: Bei einer Diskussion über Personen akzeptiere ich nur Kommentare mit Klarnamen oder solche, die mir vorab per Mail übermittelt wurden.

  • #2

    Liberaler (Donnerstag, 12 November 2020 18:08)

    @ Jan-Martin Wiarda Das ist Ihr gutes Recht, denn Sie betreiben diesen Blog. Aber es ist dann auch das gute Recht potentieller Whistleblower, ihre vertraulichen Informationen nicht bei Ihnen zu veröffentlichen, sondern andernorts -- dort, wo man begriffen hat, wie wichtig Whistleblower sind für eine freie Gesellschaft.

  • #3

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 12 November 2020 19:47)

    @Liberaler:

    Es bedrückt mich, dass auch unter den Kommentaren in meinem Blog der Ton rauer wird, weniger wertschätzend. Das ist leider ein Trend in der öffentlichen Debatte insgesamt. Warum kann man nicht häufiger unterschiedlicher Meinung sein, ohne einander zugleich etwas unterstellen zu müssen? Wirklich schade. Whistleblower sind wichtig – sehr wichtig. Aber sie können sehr gern (und tun das zum Glück auch häufiger) per Alias-Mailadresse schreiben, ohne ihre Identität preiszugeben. Ich habe selten erlebt, dass Whistleblower sich direkt in einem öffentlichen Kommentar auf einer Website betätigen. Klar, das gibt es. Viel häufiger erlebe ich aber, dass Menschen sich in der Kommentarspalte hinter einem Pseudonym verstecken, um Unterstellungen und unbewiesene Behauptungen von sich zu geben, für sie sie nie mit ihrem Namen einstehen würden. Und das finde ich, abgesehen von manch unnötigen Tonverirrungen, einfach nicht in Ordnung. Am Ende stehe ich dann als Betreiber einer Website sogar dafür gerade. Also: Kritik in jeder Hinsicht immer, davon lebe ich. Aber Menschen – auch die, über die ich hier im Blog schreibe – haben Rechte, und die möchte ich gern beachtet sehen.

    Viele Grüße
    Ihr J-M Wiarda

  • #4

    Liberaler (Freitag, 13 November 2020 07:38)

    @Wiarda

    Natürlich kommt es häufig vor, dass sich Leute in Kommentarspalten wichtig machen oder einfach Dampf ablassen: Schwadronieren über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben. Ich ärgere mich ebenfalls darüber!

    Aber es gibt eben auch Insider, die genau wissen wovon sie schreiben, jedoch gerade deshalb unerkannt bleiben möchten. Genau hier liegt doch die Logik des Whistleblowing (im weiteren Sinn von Insiderinformationen).

    Erfahrene Leser erkennen in der Regel schnell, welche Kommentatoren Schwadronierer sind und welche Insider mit legitimem Schutzinteresse. Ich persönlich halte es so, dass ich zu Themen, die mich wirklich interessieren, selbst dann mal eine Kommentarspalte überfliege, wenn das Verhältnis Schwadronierer : Legitime Insider 20 : 1 beträgt. Wer Goldkörner finden will, muss schürfen.

    Betr. "Rechte": Sie schreiben hier über Leute, die sich geradezu ins öffentliche Leben drängen. Und die deshalb selbst in der Qualitätspresse Kritik hinnehmen müssen: Verfolgen Sie nicht, was z.B. FAZ und Tagesspiegel zum Thema "Giffey" schreiben?

    Freilich sehe ich auch: Sie sind Freiberufler, kein Konzern. Haben Sie versucht, einen Presserechtler zu finden, der Ihren Blog pro bono betreut? Haben Sie mal mit relevanten NGOs gesprochen, die Sie protegieren könnten? Ein Blog, wo Insider geschützt auspacken können, wäre Gold wert fürs deutsche Wissenschaftssystem.

    Mit "unbewiesenen Behauptungen" wäre ich vorsichtiger. Lesen Sie mal Karl Popper zum Thema Verifikation versus Falsifikation in der Wissenschaftsgeschichte. Der Positivismus ist lange überholt!

    Und wenn es um im weiteren Sinn politische Themen geht, wie meistens in Ihrem Blog, dann zählen relevante Erfahrungen, themenspezifisches Urteilsvermögen und Menschenkenntnis. Nur ganz selten läßt sich in politischen Diskussionen ein Standpunkt stichfest "beweisen". Warum wohl pflegen kluge Politiker Geschichtsbücher zu lesen (oder Biographien)? Weil Geschichte das Urteilsvermögen in menschlichen Dingen schult! Gerade weil man in der Historie fast nie etwas “beweisen” kann. In der Mathematik kann man "beweisen"; aber die hat mit menschlichem Handeln nichts zu tun.

    Ich habe Ihren Blog vor allem wegen der gelegentlichen Goldkörner unter den anonymen Kommentaren gelesen. Klar sind die manchmal rau im Ton: Fand ich ok, weil sie offensichtlich von Menschen kamen, die Interna kannten, tief im Thema steckten, mit Leidenschaft bei der Sache waren. Leute dieses Typs sind in der Regel zu zeitknapp und zu selbstbewußt, um sich abzumühen mit Alias-Adressen oder redaktionellen Änderungen. Also dürfte es Goldkörner künftig bei Ihnen kaum mehr geben.

    Daher werde ich Ihren Blog in Zukunft seltener lesen und nicht mehr kommentieren. Ich wäre überrascht, wenn ich der einzige Leser wäre, der so reagiert.

  • #5

    Working Mum (Montag, 16 November 2020 10:02)

    @Liberaler: Ich glaube, das es sehr viele Leser*innen gibt, die diesen Blog gerade wegen des überlegten und transparenten Vorgehens von Herrn Wiarda bisher gelesen haben und das auch in Zukunft tun werden. Ich zähle in jedem Fall dazu.

  • #6

    K. Bahns (Montag, 16 November 2020 12:58)

    Es ist schlimm, daß dieses leidige Thema im Wahlkampf in Berlin benutzt wird. Genauso schlimm ist, daß wenig klare Zeichen in Richtung Qualitäts-Sicherung bei Promotionen gesetzt werden. Es gibt in diesem Land einfach zu viele Promovenden. Fatal ist dazu der unsägliche Dammbruch gegenüber Fachhochschulen.
    Im konkreten Fall kommt flankierend die Nachricht über
    den Verlust des Beamtenstatus beim Ehemann. Sehr,
    sehr schade.