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Die Krise als Chance für Schule

Müssen ältere Schüler bald wieder teilweise zu Hause lernen? Egal, was die Regierungschefs diese oder nächste Woche beschließen: Corona hat die Schulen in die Mitte der gesellschaftlichen Debatten katapultiert. Das ist gut so. Ein Kommentar.

Bild: Wokandapix, Pixabay.

HEUTE NACHMITTAG WOLLEN MERKEL und die Ministerpräsidenten eine Zwischenbilanz im "Wellenbrecher"-Shutdown ziehen. Dass die bisher beschlossenen Maßnahmen ein Riffchen waren im Vergleich zum Riesen-Riff, das die Märzwelle brach, wird keiner bestreiten. Die Geschäfte sind offen, viel mehr Leute gehen weiter ins Büro – und anders als im Frühjahr wurden die Kitas und Schulen nicht zugesperrt.

 

Das heißt nicht, dass die Beschlüsse von vor zwei Wochen auf keinen Fall wirken werden. Noch ist es für eine solche Bilanz ohnehin zu früh. Das heißt aber in jedem Fall, dass das Runterbringen der Infektionszahlen diesmal mehr Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Zu viel Zeit? Das ist die entscheidende Frage, um die es heute und auch nächste Woche gehen wird, wenn sich die Runde der Regierungschefs erneut virtuell trifft. Es gilt, um jeden Preis eine Überlastung der Intensivstationen zu vermeiden.

 

Die Lehrerverbände pushen seit Wochen und zunehmend schrill für ein Ende des täglichen Präsenzunterrichts, der RKI-Chef berichtete vor dem Wochenende, dass vermehrt Corona-Fälle in Schulen auftreten. Während die Kultusminister sich weiter gegen den Einstieg in ein Mischmodell aus Vor-Ort und Digitalbeschulung sperren. Sie wissen: Die meisten Schulen sind nicht so weit, die sozialen Verwerfungen wären wie im Frühjahr erheblich.

 

Es ist zu hoffen, dass die Kitas und Grundschulen  weiter jeden Tag für alle Kinder offenstehen werden. Denkbar ist, obgleich vermutlich noch nicht diese Woche, dass die Kultusminister von ihren Chefs die Ansage erhalten, die älteren Schüler in den Wechselbetrieb zu schicken – trotz der enormen Beeinträchtigungen, die dies bedeuten würde. Umgekehrt sind die Corona-Fälle unter älteren Jugendlichen eben auch deutlich häufiger, womit sie stärker zur Pandemie-Dynamik beitragen, auch die meisten Ausbrüche geschehen an weiterführenden Schulen.

 

Während Kinder zu den größten Verlierern der Pandemie gehören, zählen Kitas und Schulen zu den Institutionen, die eine gesellschaftliche Aufwertung erfahren haben. 

 

Doch egal, wie es weitergeht und so paradox es klingt: Während Kinder zu den größten Verlierern der Pandemie gehören, zählen Kitas und Schulen zu den Institutionen, die durch die Krise – zumindest oberflächlich betrachtet – eine enorme gesellschaftliche Aufwertung erfahren haben. Nie gab es so emotionale Bekenntnisse von Regierungschefs, nie so viele Leitartikel führender Meinungsmacher, dass Kitas und Schulen unverzichtbar seien als Lernorte, als soziale Orte, als entscheidende Ankerpunkte der Gesellschaft insgesamt.

 

Aus manchen Äußerungen mag viel schlechtes Gewissen wegen der Behandlung der Jüngsten vor allem in der ersten Welle sprechen, aber auch viel ehrliche Einsicht ist dabei.

 

Woraus sich eine Riesenchance ergibt: Dass tausende Schulen hierzulande marode sind, die technische Ausstattung indiskutabel und der Lehrermangel eklatant, dass uns all das noch dazu besonders jetzt in der Pandemie auf die Füße fällt, kann man, wenn man es sich leicht machen möchte, einzig und allein vermeintlich unfähigen Kultusministern vorwerfen.

 

Oder man ist ehrlich und gibt zu: Ihre Position am Ende der Hackordnung vieler Landesregierungen und, folglich, die bis ans Kaputtsparen grenzende Knauserigkeit vieler Finanzminister, sobald ihre Kultus-Kollegen aufliefen, spiegelte schlicht die gesamtgesellschaftliche Indifferenz wider, mit der Bildungseinrichtungen seit Jahrzehnten kämpfen.

 

Wer politisch an die Spitze drängte, wer es auf die ersten Zeitungsseiten schaffen wollte, redete, ostentative Bildungsgipfel ausgenommen, über alles Mögliche, Sicherheit, Finanzen, Wirtschaft, aber nicht über Kinder, Kita, Schulen, solchen Kram. Weil der öffentliche Erwartungsdruck fehlte.

 

Das ist in der Krise anders geworden. Noch warten wir allerdings darauf, dass sich die Rhetorik auch in eine finanzielle Priorisierung der Schulen abseits zusätzlicher Endgeräte-Millionen ummünzt. Bei konkreten Sicherungsmaßnahmen für die Schulen folgten die meisten Länder bisher weiter der vertrauten Linie: möglichst wenig Geld ausgeben.

 

Damit sich auch das ändert, müssten wir es aber auch als Gesellschaft erstmal selbst ernst meinen. Und die Bildungspolitik der Regierungschefs jetzt, vor allem aber auch nach der Krise an ihren Schulschwüren messen. Dann, nur dann, könnte die Coronakrise einen nachhaltigen Bildungsaufbruch bedeuten.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel. Er wurde heute Morgen aktualisiert. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Dr. Anne-Babett Woelke-Westhoff (Montag, 16 November 2020 11:29)

    Sehr geehrter Herr Wiarda!
    Vor 3 Tagen bekam ich diese gewiss sehr bedenkenswerte Stellungnahme, in der mit großer Erfahrung als engagierter pensionierter Gymnasiallehrer die Entwicklungen im Land, aber auch hier bei uns vor
    Ort beobachtet und sehr konstruktiven Gedanken vorgestellt werden:

    "Zu dem aktuellen Thema der Teilung von Schülergruppen für einen sog. Hybridunterricht nehme ich in den Medien wahr,
    dass eigentlich alle nur über ein alternierendes Wochen- oder gar Monatsmodell sprechen.
    Dass dabei die Sorgen um Benachteiligungen etc. groß sind und auch die Probleme digitaler Ersatzformen bedeutsam werden,
    ist für mich offensichtlich und Bedenken sind nachvollziehbar.

    Aber bei einem alternierenden Tagesmodell mit üblichen Stundenplan werden diese Probleme an weiterführenden Schulen deutlich reduziert;
    vor allem wenn ggf. zusätzlich für unterstützungsbedürftige Schülerinnen und Schüler an dem Tag ohne Präsenzunterricht in Jugendzentren u.ä. Einrichtungen Betreuungsmöglichkeiten angeboten
    werden.
    Übliche Formen von Aufgaben, analog wie digital, können für den übernächsten Tag zur Bearbeitung an dem unterrichtsfreien Tag in angemessenem Umfang zur Bearbeitung gestellt werden und wieder in den
    Unterricht am Folgetag einfließen.
    Die Bedeutung des Funktionierens digitaler Technik wird wieder auf ein für die jeweilige Situation der Schulen realistisch praktikables Maß reduziert.
    Mit der halbierten Schüler-/innenzahl im Präsenzunterricht wird die Intensität des Lernprozesses erhöht und im Zusammenspiel mit den Aufgaben für den Zwischentag ohne Schulpräsenz wird der durch die
    Halbierung des Präsenzunterrichts entstehende quantitative Schulzeitverlust qualitativ weitgehend kompensiert.
    An welchem Tag dann Gruppe A und B der jeweiligen Klasse Unterricht nach welchen Stundenplan haben, muss natürlich klar kommuniziert werden incl. ggf. notwendiger Vertretungspläne.
    Ein solcher tageweise alternierender Hybridunterricht entspräche den Empfehlungen des RKI bei den aktuell hohen Infektionszahlen,
    nähme mehr Rücksicht auf berufstätige Eltern als die zur Zeit zunehmenden spontanen Quarantäneanordnungen,
    würde die Entwicklung digitaler Unterstützung von Lernprozessen ein vor Ort zur Zeit machbares Maß konzentrieren,
    würde das Gedränge im ÖPNV auflösen und damit auch die unseligen Diskussion um unterschiedliche Schulanfangszeiten.

    Dies Modell könnte und sollte offensiver von Schulen gefordert, erprobt, „remonstriert“ werden.
    So könnte man doch eine wirklich empfehlenswerte Entwicklung anstoßen, die bestimmt hilfreich wäre.

    Für Grundschulen würden wir allerdings nach heutigem Kenntnisstand die Normalität durchgehenden Präsenzunterrichts mit vollen Klassen möglichst aufrechterhalten und durch den flächendeckenden Einsatz
    von Luftfiltergeräten schnellstmöglich unterstützen."

    Diese Überlegungen muss man den Verantwortlichen in den Schulministerien und den ausführenden Schulen nur dringend anempfehlen. Aus eigener Wahrnehmung kann ich dies nur ausdrücklich bestätigen (aus
    der Beobachtung hier vor Ort, wo es im alternierenden System damals unmittelbar nach dem Lockdown sehr gut lief, was sowohl Schüler wie auch Lehrer, und insbesondere der Direktor, retrospektiv immer
    wieder betonen). Der effektive Lerngewinn liegt schätzungsweise bei 70-90% der sonst anzunehmenden regulären Beschulung, also unbedingt begrüßenswert, bei gleichzeitigem effektiveren Infektionsschutz
    für alle Beteiligten.
    Herr Prof. Trelenberg schrieb dazu ganz konkret: „Wir haben das Modell in der Erweiterten Schulleitung ausführlich besprochen. Es liegt fertig in der Schublade und wir könnten morgen beginnen. Es ist
    sogar so variabel, dass man die jüngeren Schüler (aus den bekannten Gründen) täglich kommen lassen kann und die älteren alle zwei Tage.“ und fasste es in dem Brief an seine Direktoren-Kollegen im
    Anhang zusammen,- den ich mit seiner Erlaubnis hier mitschicke.
    Es sind also konkrete Ansätze, - die nur auf die Umsetzung warten.
    Dies wäre wahrscheinlich die einzige Chance, um einem kompletten erneuten Lockdown der Schulen zu entrinnen,- darum bitte ich alle ausdrücklich um Unterstützung.