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"Das geht jetzt sehr ins Eingemachte"

Haben die Universitäten Milliarden an Hochschulpakt-Geldern gebunkert oder nicht sachgemäß eingesetzt? Morgen will sich der Haushaltsausschuss des Bundestages mit diesen Vorwürfen des Bundesrechnungshofs befassen. Der Finanzwissenschaftler Salvatore Barbaro war selber mal Wissenschaftspolitiker – jetzt hat er die Wirkungen des Hochschulpakts wissenschaftlich untersucht. Ein Interview.

Foto: Wolfgang Mennel, Pixabay.

Herr Barbaro, Sie waren fast neun Jahre Staatssekretär in der rheinland-pfälzischen Landesregierung, zunächst für Finanzen, später für Wissenschaft. Anfang 2019 sind Sie an die Universität Mainz zurückgekehrt. Vom Chefposten zurück ins Forschungsglied: Haben Ihre Uni-Kollegen Sie das spüren lassen?

 

Als Finanzwissenschaftler interessierte ich mich für Fragen der Finanzpolitik. Dass ich für fast ein Jahrzehnt die Finanzpolitik von einer praktischen Seite erlebt habe, ist eine hilfreiche Erfahrung. Dabei war ich die ganze Zeit der Universität weiter verbunden. Auch als Staatssekretär habe ich regelmäßig Aufgaben in der Lehre übernommen.

 

Jetzt wieder selbst zu lehren und zu forschen: ein Kulturschock oder lang gehegter Traum?

 

Es ist schlicht eine Rückkehr in meinen alten Beruf, den ich von der Pike auf gelernt habe. Und Forschung und Lehre sind außerordentlich erfüllende Aufgaben.


Salvatore Barbaro, 46, war seit 2010 Finanzstaatssekretär und von 2016 bis Ende Februar 2019 Staatssekretär im Ministerium
für Wissenschaftsministerium von
Rheinland-Pfalz. Danach kehrte der
SPD-Politiker in die Wissenschaft zurück und ist jetzt Professor an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

Foto: privat.



Eines Ihrer ersten Forschungsprojekte beschäftigte sich ausgerechnet mit dem Hochschulpakt, dessen Verlängerung Sie zuletzt selbst als Staatssekretär mitbegleitet haben. Hatten Sie da etwas aufzuarbeiten für sich? 

 

Der Hochschulpakt ist aus akademischer Sicht sehr interessant, weil er ein Nebeneinander von konditionierten und unkonditionierten Finanzhilfen vorsah. Finanzhilfen sind Zahlungen einer Regierungsebene an eine andere, in diesem Fall vom Bund an die Länder. Alle Länder haben sie in konditionierter Form bekommen, sie mussten also, um das Geld zu bekommen, bestimmte Ziele nachweisen – vor allem in Form zusätzlich aufgenommener Studienanfänger. Die Hälfte der Länder hat zusätzlich noch unkonditionierte Hilfen erhalten, also einfach so, ohne festgelegte Gegenleistung. Das erlaubt eine Reihe von empirischen Untersuchungen, die es eher selten gibt.

 

Wieso haben denn manche Länder einfach so Geld erhalten?

 

Bei Einführung des Hochschulpaktes stand der Bund 16 Ländern mit unterschiedlichen Ausgangslagen gegenüber. Im Westen rechnete man mit einer starken Nachfrage nach Studienplätzen, in den ostdeutschen Ländern wurden eher sinkende Zahlen erwartet. In dieser Situation war ein Kompromiss nur zu erreichen, indem die neuen Ländern und die Stadtstaaten Mittel unabhängig davon erhielten, wie viele zusätzliche Studienplätze sie einrichten. Schließlich brauchte die Verabschiedung des Hochschulpaktes die Zustimmung aller Länder.

 

Sie sagen: Das Nebeneinander von Hilfen mit und ohne Konditionen mache die Untersuchung des Hochschulpakts so spannend. Was genau wollten Sie herausfinden?

 

Finanzhilfen sind ein Ausdruck des sogenannten Fiskalföderalismus, also der Verteilung der staatlichen Finanzen zwischen Bund und Teilstaaten. Als Teildisziplin der Finanzwissenschaft ist das ein sehr gefragtes Thema. Finanzhilfen, die Bedingungen stellen, greifen in das Preisverhältnis öffentlicher Leistungen ein. 

 

"Finanzhilfen führen auch

zu unerwünschten Effekten."

 

Preisverhältnis öffentlicher Leistungen? Können Sie das mal konkret machen? Wozu führt es, wenn der Bund den Ländern Geld für zusätzliche Studienplätze bietet?

 

Dass konditionierte Finanzhilfen auch zu unerwünschten Effekten führen, ist bekannt. Sie machen die Schaffung von Studienplätzen relativ günstig und Investitionen anderswo, zum Beispiel in Schulen oder in die berufliche Bildung, relativ teurer. Es kann dann passieren, dass viel mehr Studienplätze geschaffen werden, als ursprünglich intendiert. Und das wiederum kann dazu führen, dass der Staat in anderen Bereichen weniger leisten kann als zuvor.  

 

Und was ist mit den unkonditionierten Finanzhilfen – also das Geld, das die Ostländer und die Stadtstaaten einfach so erhalten haben?

 

Hier schauen wir, ob sich der sogenannte „Flypaper-Effekt“ einstellt. 

 

Der Flypaper-Effekt"?

 

Weil es bei unkonditionierten Finanzhilfen keinerlei Verpflichtung gibt, sie für irgend etwas Bestimmtes auszugeben, kommt es bei ihrer Verwendung zu Sonderlichkeiten. Das ist in vielen Untersuchungen nachgewiesen. Die Mittel bleiben dann bildlich gesprochen einfach da stecken, wo sie zufällig landen. Daher der Name. Der Nobelpreisträger des Jahres 2017, Richard Thaler, sah hierin eine Anomalie. 

 

Und was heißt das für den Hochschulpakt? Was haben die ostdeutschen Länder und die Stadtstaaten mit dem Geld gemacht?

 

Genau das ist eine interessante Frage – mit einem überraschenden Ergebnis: Stadtstaaten und ostdeutsche Länder sind völlig unterschiedlich mit den unkonditionierten Finanzhilfen umgegangen. Während die unkonditionierten Hochschulpaktgelder in den Stadtstaaten ganz überwiegend im Hochschulbereich gelandet sind, floss von den gleichen Mitteln in den ostdeutschen Ländern der größte Teil anderswohin.

 

"Das Framing erklärt den Unterschied."

 

Wie erklären Sie sich das?

 

Das geht jetzt sehr ins Eingemachte. Aber ich versuche es mal so knapp wie möglich: Die politische Erwartungshaltung in den Stadtstaaten war eine andere als in den ostdeutschen Ländern. In den Stadtstaaten erwarteten die Hochschulen und viele andere, dass möglichst alle Mittel zum weiteren Ausbau verwendet werden. In den neuen Ländern gab es diesen öffentlichen Druck nicht. Dieses Drumherum, das "Framing" erklärt den Unterschied. Unkonditionierte Finanzhilfen haben also neben ihrer de-jure- auch eine de-facto-Disponibilität. Und anhand des Hochschulpaktes zeigen wir, dass diese Unterscheidung in empirischen Arbeiten relevant ist.

 

Oft heißt es, die Betreuungsrelationen, also die Zahl der Studierenden pro Professur, habe sich trotz des Hochschulpakts über die Jahre immer weiter verschlechtert. Stimmt das?

 

Das höre ich auch immer wieder. Es hängt natürlich vom Vergleichszeitraum ab. Nimmt man das Jahr 2005 als Basisjahr des Hochschulpaktes, dann weist die amtliche Statistik fast flächendeckend eine Verbesserung der Betreuungsrelation auf. Aber hier ist Vorsicht geboten. Das Hochschulwesen hat sich zum Teil stark verändert und es ist nicht a priori klar, was die Ursache für diese Verbesserung ist. 

 

Dann vermuten Sie mal.

 

Regressionsanalytisch kommt man zum Ergebnis, dass die Verbesserungen auf die Expansion im FH-Bereich und in den Geisteswissenschaften zurückzuführen sind. Wir haben also nicht zwingend eine Verbesserung der Betreuungsrelation, wenn ich die massiven Verschiebungen im Hochschulsektor in den vergangenen 15 Jahren berücksichtige.

 

Anders formuliert: Die FHs haben überdurchschnittlich mehr Personal erhalten, während die Universitäten mit immer mehr Studierenden pro Prof klarkommen mussten?

 

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Verbesserung der Betreuungsrelation einerseits und der Expansion im FH-Bereich bzw. in den Geisteswissenschaften andererseits.

 

Warum sind in den vergangenen Jahren überhaupt mehr zusätzliche Studienplätze an Fachhochschulen entstanden als an Universitäten?

 

Zunächst: Hätte es diese Expansion auch ohne den Hochschulpakt gegeben? Legt man die KMK-Prognose 2005 zugrunde, welche ja auch die Basis für den Hochschulpakt war, dann war diese Expansion im FH-Bereich nicht intendiert. Es spricht einiges dafür, dass das Design des Hochschulpaktes dazu geführt hat, dass die zusätzlichen Studienplätze insbesondere im FH-Bereich und in den Geisteswissenschaften entstanden sind. Wir nennen das price-shifting fungibility: Die Länder erfüllen die Anforderungen zur Erlangung der Finanzhilfen, tun dies aber zu möglichst niedrigen Kosten. Das ist übrigens gesamtwirtschaftlich alles andere als verwerflich. 

 

"Steigende Studierendenzahlen allein

sind sicher noch kein Erfolg."

 

Die Länder taten das Mindeste und nicht das Sinnvollste, um das Maximum an Bundesgeldern herauszubekommen? Hat der Hochschulpakt insofern insgesamt seinen Sinn und Zweck verfehlt? 

 

Sinn und Zweck des Hochschulpaktes war, den Anforderungen steigender Studierendenzahlen finanziell gerecht zu werden. Das ist zunächst gelungen. Ob der Hochschulpakt erfolgreich war, hängt ansonsten davon ab, woran man den Erfolg misst. Dazu kann ich wenig sagen. Aber steigende Studierendenzahlen allein sind sicher noch kein Erfolg, schließlich standen die hierfür notwendigen Finanzmittel anderen Bereichen nicht zur Verfügung. Was man sagen kann: dass es trotz der vielen finanziellen Anstrengungen nicht gelungen ist, die MINT-Fächer, insbesondere im universitären Bereich, signifikant zu stärken.

 

Sind Sie bei alldem eigentlich als ehemals politischer Beteiligter ganz objektiv?  

 

Anhand eines mathematischen Modells werden Daten analysiert. Das sind die üblichen Methoden meiner Disziplin. Solch formale Ausarbeitungen können richtig oder falsch sein.

 

Der Bundesrechnungshof (BRH) hat den Hochschulpakt nach dem vorigen Jahr in einem zweiten Bericht erneut scharf kritisiert. Den Hochschulen warfen die Prüfer vor, sie hätten bis Ende 2018 mindestens 3,7 Milliarden an Ausgabenresten gebunkert, außerdem hätten Sie das Geld teilweise gar nicht für die Verbesserung der Hochschullehre eingesetzt. Nehmen Sie die Hochschulen in Schutz?

 

Der Bericht des BRH ist durchaus bemerkenswert. Wir haben in Deutschland, wie auch in anderen föderalen Systemen, eine Aufweichung des Prinzips klarer Aufgabenzuordnungen. Je mehr Aufgaben an die Länder gingen, desto mehr hätten sie vom Umsatzsteueraufkommen bekommen müssen. Das ist aber ausgeblieben, der Ausgleich über die Umsatzsteuer wurde zunehmend durch die Einführung von Finanzhilfen ersetzt. Um das zu ermöglichen, wurde das Grundgesetz ein paar Mal geändert. Wir nennen es den Wandel vom Layer-Cake- zum Marble-Cake-Föderalismus. 

 

Wieso denn das?

 

Weil das Bild des Marmorkuchens so gut passt. Wir beobachten diesen Trend in den meisten OECD-Staaten: Die Zentralregierungen und ihre Teilstaaten verständigen sich immer stärker auf Mischfinanzierungen statt klarer Aufgabenteilungen. Damit wird leider ein wesentlicher Vorteil des Föderalismus ausgehebelt: die klaren Zuständigkeiten der einzelnen staatlichen Ebenen und ihre den Aufgaben entsprechende Steuerfinanzierung.  

 

Hat der Bundesrechnungshof Recht, wenn er diese Entwicklung kritisiert – in diesem Fall anhand des Hochschulpakts?

 

Für diese Auffassung gibt es zumindest beachtliche Argumente. Allerdings obliegt es einem Rechnungshof nicht, die Entscheidungen von Bundestag und Bundesrat zu den eben genannten Grundgesetzänderungen zu kritisieren. Mir scheint, dass ein eher grundsätzlicher Konflikt auf dem Rücken der Hochschulen ausgetragen wird. 

 

Sie meinen, indem der Bundesrechnungshof fordert, die Hochschulen müssten erst ihre Rücklagen auflösen, bevor sie zusätzliches Geld aus dem neuen Zukunftsvertrag erhalten?

 

Was die Rücklagen angeht, so kann ich da kein fundamentales Problem erkennen. Die Finanzhilfemittel fließen in die jeweiligen Kapitel der Landeshaushalte. Sie machen übrigens in der Regel nur einen einstelligen Prozentsatz an den Gesamtausgaben für die Hochschulen aus. Was die Länder davon heute ausgeben, und was davon in den kommenden Jahren etwa zur Finanzierung der notwendigen Infrastruktur, sollte deren Entscheidung sein. Auf jeden Fall haben die Länder die Mittel entsprechend der Hochschulpakt-Vereinbarungen bekommen. Ich kann auch nach Lektüre des Berichtes kein Problem mit der Ordnungsmäßigkeit und der Rechtmäßigkeit erkennen. Und das sind ja die Prüfungskriterien.

 

An der Stelle geht der Rechnungshof also zu weit?

 

Man mag die Gewährung von Finanzhilfen kritisch sehen, aber deshalb kann man sie nicht zu Zuwendungen deklarieren. Der Bund steht nicht über den Ländern und gewährt nicht Mittel danach, ob die Länder brav waren. Wir sind hier nicht in Ungarn. Eine Überwachung und Billigung der Haushaltswirtschaft der Länder durch den Bund ist  systemfremd. Die Alternative zu Finanzhilfen sind Umsatzsteuerpunkte, so wie es unser Grundgesetz auch vorsieht. Dieser Weg steht in unserer föderalen Ordnung Bund und Ländern offen, wenn man eine Alternative zu den Finanzhilfen sucht. Ansonsten kann man nur dazu appellieren, den neuen Zukunftsvertrag wissenschaftlich begleitend zu evaluieren. Immerhin geht es um Milliarden und um die Weiterentwicklung unseres Hochschulsystems.

 

Wie erklärt sich eigentlich, dass in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik die Hochschullehre seit so vielen Jahren im internationalen Vergleich so krass unterfinanziert ist?

 

Internationale Vergleiche sind sehr schwierig, ich rate sehr davon ab, sich solche Aussagen zu eigen zu machen. Die Arbeitsmarktzahlen sprechen im Übrigen nicht für einen schlimmen Zustand unserer Lehre. Zudem ist mir der Zusammenhang von guter Lehre und Geld deutlich zu simplifizierend. 

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Kommentare: 1
  • #1

    René Krempkow (Dienstag, 17 November 2020 14:21)

    Es ist in der Tat interessant, mit den Analysen von Herrn Barbaro bereits früher festgestellte Trends bestätigt bzw. sogar noch verstärkt zu sehen. So wurde in einer Schwerpunktstudie zum Jahresgutachten 2019 der EFI (Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung) bereits als Ergebnis früherer Analyen zusammenfassend formuliert:

    "Wird die Entwicklung der Hochschulfinanzierung in den letzten Jahren mit der Entwicklung der Studierendenzahlen verglichen, wird deutlich, dass insbesondere seit 2010 praktisch keine Erhöhung mehr in den Hochschulausgaben insgesamt stattgefunden hat und die Landeszuschüsse, wenn auch unterschiedlich in den Bundesländern, sogar mehr oder weniger stark gesunken sind. Dies wurde dann zwar durch unterschiedlichste Programme vor allem des Bundes (Hochschulpakt, Qualitätspakt Lehre, Exzellenzinitiative etc.) sowie zeitlich befristete Fördermittel von Bund und Ländern in der Summe aufgefangen. Trotzdem sind angesichts steigender Studierendenzahlen (zwischen 2005 und 2015 um etwa 25%) die verfügbaren Mittel pro Studierende kaum gestiegen oder wurden sogar reduziert." (Gilch u.a. 2019, S. 126)

    Dies gilt v.a. auch für die Aussagen zu den neuen bzw. östlichen Bundesländern. Demnach "stellt sich in diesen Bundesländern die Lage der Hochschulfinanzierung besonders schwierig dar. So blieb die Entwicklung der Hochschuleinnahmen insgesamt nach einer jüngsten Analyse auf der Basis der amtlichen Hochschulstatistik in den letzten zehn Jahren (2005 bis 2015, dem letzten verfügbaren Jahr) in allen betreffenden vier Bundesländern deutlich hinter der fast aller anderen Bundesländer zurück. Ähnliche Entwicklungstendenzen zeigten sich auch bereits in früheren Analysen zur Hochschulfinanzierung." (Gilch u.a. 2019, S. 127)

    Angesichts dessen erscheinen mir die Aussagen von Herrn Barbaro, man kann "nur dazu appellieren, den neuen Zukunftsvertrag wissenschaftlich begleitend zu evaluieren", und "Internationale Vergleiche sind sehr schwierig, ich rate sehr davon ab, sich solche Aussagen zu eigen zu machen" etwas sehr wohlfeil. Hier scheint dann wohl doch die Rolle als ehemals politischer Beteiligter durch.

    Man könnte nun aus diesem Anlass eine ausführliche Debatte über den Stellenwert der Lehre im deutschen Wissenschaftssystem sowie den Zusammenhang von guter Lehre und Geld führen (und auch, inwiefern der Zusammenhang von Arbeitsmarktzahlen und guter Lehre deutlich zu simplifizierend ist ;-)). Aber dies würde den Rahmen hier sprengen und wäre ggf. Thema eines eigenen Beitrags...