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"Wir müssen nicht die besten Freunde der Regierung sein"

Sie zählt zu den wichtigsten Terminen im parlamentarischen Jahr und dauert meist bis tief in die Nacht: die jährliche Bereinigungssitzung des Bundestagshaushaltsausschusses. Heute ist es wieder soweit, und die Fachpolitiker werden wie immer gebannt zuschauen, was Haushaltspolitiker wie Eckhardt Rehberg und Swen Schulz mit ihren Etats machen. Ein Gespräch über Geld, Macht – und das schwierige Verhältnis zwischen Bund und Ländern.

Eckhardt Rehberg, Swen Schulz (von links). Fotos: Kay Herschelmann.

Herr Rehberg, Herr Schulz, der Bundestag gliedert sich in Fraktionen, Regierung, Opposition. Unter Haushaltspolitikern dagegen scheinen politische Lager eine geringere Rolle zu spielen. Vor kurzem haben Sie zum Beispiel in einem gemeinsamen Beschluss aller Fraktionen Bundesforschungsministerin Anja Karliczek gemaßregelt. Gibt es eine Art Korpsgeist unter Haushaltspolitikern?

 

Swen Schulz: Da ist was dran. Im Gegensatz zu anderen Fachausschüssen des Bundestages, in denen ich Mitglied war, gibt es im Haushaltsausschuss ein anderes – gemeinsames – Grundverständnis. Vor allem, was die besondere Bedeutung von Bildung und Forschung betrifft. Ich weiß nicht, wie du das wahrnimmst, Eckhardt, aber wenn es um den Etat der zuständigen Ministerin geht, arbeiten wir alle für das gleiche Ziel. Wir wollen möglichst viel Geld für Zukunftsthemen zur Verfügung stellen, wir wollen aber auch, dass die Mittel anständig eingesetzt werden. Darauf schauen wir, und deshalb gibt es auch immer wieder mal einstimmige Resolutionen, die mehr Kontrolle einfordern. 

 

Eckhardt Rehberg: Das erlebe ich genauso. Der Haushalt ist das Königsrecht des Parlaments. Bei uns geht es viel sachbezogener zu als in manch anderem Bundestagsausschuss. Außerdem stehen uns ein paar Instrumente zur Verfügung, die andere nicht haben: Maßgabenbeschlüsse, die die Regierung über Legislaturperioden hinweg bindet. Oder Haushaltssperren, die nur wir Haushälter wieder aufheben können. Wir können beim Bundesrechnungshof Berichte anfordern. Diese Privilegien sind besonders, und die daraus folgende Verantwortung verbindet uns alle. Normalerweise gehen wir auch gern über Fraktionsgrenzen hinweg ein Bierchen trinken und stimmen uns ab. Wegen Corona ist das jetzt natürlich schwieriger. Und wegen der AfD: Seit die dabei ist, leidet die Sachbezogenheit unter uns Haushaltspolitikern doch merklich.

 

Braucht man als Haushaltspolitiker ein besonders dickes Fell? Fachpolitiker nehmen Sie häufig als rechthaberisch, besserwisserisch und manchmal pfennigfuchserisch wahr. 

 

Schulz: Es gehört nicht zu unseren Aufgaben, die besten Freunde der Bundesregierung zu sein. Im Sinne der Gewaltenteilung ist das Parlament nicht dafür da, einfach abzunicken, was die Regierung uns vorlegt, erst recht nicht im Haushaltsausschuss. Wir nehmen unser Mandat als Volksvertreter ernst, und da kann es zu Konflikten kommen. 

 

Rehberg: Als Haushälter muss man nicht beliebt sein, sondern respektiert. Und respektiert werden wir. Auch eine Affinität für Zahlen ist wichtig. Sie müssen die wichtigsten Daten im Kopf haben. Es geht darum, aus Zahlen Politik zu machen. Und schließlich brauchen Sie als Haushaltspolitiker Durchhaltevermögen. Unsere berühmt-berüchtigte Bereinigungssitzung einmal im Jahr dauert meist die ganze Nacht, bis vier oder fünf Uhr früh, dann haben wir 13, 14 Stunden hinter uns. 


Swen Schulz, 52, SPD, ist Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages und dort zuständig für den Etat des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Foto: Kay Herschelmann. 

Eckhardt Rehberg, 66, CDU, ist seit 2005 Mitglied im Deutschen Bundestag und seit

 2015 haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Foto: Kay Herschelmann.



Schulz: Es ist ja auch nicht so, dass die anderen immer nur die tollen Ideen haben und wir sie dann ausbremsen. Im Gegenteil: Gute Ideen helfen wenig, wenn sie finanziell nicht seriös unterlegt sind. Dafür sind wir zuständig, und wenn ich mir die vergangenen Jahre anschaue, dann haben wir gerade in Sachen Bildung und Forschung viel ermöglicht. Das sehen sicher auch die Kolleginnen und Kollegen in den Fachausschüssen so. 

 

Rehberg: Und wir realisieren nicht nur Ideen der anderen, wir unternehmen auch eigene Initiativen. Wir Haushaltspolitiker haben dafür gesorgt, dass in den letzten vier, fünf Jahren in Ostdeutschland ein Dutzend neuer Forschungseinrichtungen entstanden sind, darunter das erste DLR- und das erste Fraunhofer-Institut in der Lausitz, und zwar schon vor dem Kohlekompromiss. Insofern ärgert es mich, wenn die grüne Fraktionsvorsitzende, Katrin Göring-Eckardt, die aus Thüringen kommt, behauptet, das vergangene Jahrzehnt sei in der Hinsicht gar nichts passiert. Dass noch nicht alle Konzepte umgesetzt wurden, liegt vor allem daran, dass einige Länder noch ihren Finanzierungsanteil schuldig sind.

 

"In den Wochen vor der Bereinigungssitzung verlasse

ich am liebsten gar nicht mehr mein Büro."

 

Das klingt fast so, als würden Sie zu den Fachpolitikern gehen und sagen: Lasst uns mal zusammen ordentlich Geld ausgeben. 

 

Rehberg: Das wäre für einen Haushaltspolitiker das Ende. In den Wochen vor der Bereinigungssitzung verlasse ich am liebsten gar nicht mehr mein Büro, weil sonst ständig jemand was will. Es gehört zu den Unarten des Berliner Politikbetriebs, dass manche auch dann nicht den Mund halten können, wenn es dringend geboten ist, mal den Mund zu halten. 

 

Habe ich Sie vorhin richtig verstanden, dass Sie als Haushaltspolitiker bei Ausgaben für Bildung und Forschung besonders großzügig sind und zugleich besonders kritisch?

 

Rehberg: Zumindest kann man sagen, dass wir in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten massive Budgetzuwächse gerade für die Forschung hatten. Und auf der anderen Seite führt so ein stetiger Aufwuchs natürlich auch dazu, dass man irgendwann dazu neigt, Gelder zu hüten oder zu horten. 

 

Sie sprechen von der Haushaltssperre gegen Helmholtz-Zentren, die Sie seit 2018 wiederholt verhängt haben?

 

Rehberg: Ich spreche von einem Bericht des Bundesrechnungshofs, demzufolge die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und besonders Helmholtz hohe Summen an sogenannten Selbstbewirtschaftungsmitteln über Jahre angespart haben. Weshalb wir gesagt haben: Ihr bekommt künftig erst dann euer ganzes Geld, nachdem ihr das Geld, was ihr schon habt, ausgegeben habt. 

 

Schulz: Wenn der Bund der Forschung Milliarden bereitstellt, dann wollen wir auch, dass dieses Geld bestimmungsgemäß ausgegeben wird und nicht in irgendwelchen Schatztruhen verschwindet. Bei den Hochschulen ist das ja nicht anders.

 

"Einige der Beispiele, wofür die Hochschulen

Paktmittel ausgegeben haben, sind haarsträubend."

 

Auch denen warf der Bundesrechnungshof erst neulich vor, Ausgabenreste aus dem Hochschulpakt in Höhe von mindestens 3,7 Milliarden Euro vor sich herzuschieben.

 

Schulz: Das können wir als Ausschuss nicht einfach so stehen lassen. Und einige der Beispiele, wofür die Hochschulen Paktmittel ausgegeben haben, von neuen Parkplätzen bis zu irgendwelchen Räumen der Stille, sind haarsträubend. Geld, das der Bund den Ländern überweist, damit die Hochschulen damit neue Studienplätze aufbauen und die Lehre verbessern können, muss dann auch da ankommen, wo es gebraucht wird.  

 

Rehberg: Teilweise fragt man sich, was in Landesregierungen vorgeht, die so agieren, dass der Bundesrechnungshof überhaupt solche Beispiele finden kann. Mir kann keiner erzählen, dass das alles unbemerkt von den politischen Verantwortlichen passiert ist. Oder nehmen Sie den Digitalpakt Schule. Im Sommer haben wir einen Bericht bekommen, in dem bei fast allen Ländern stand: keine Mittel abgeflossen. Da kann ich die Länder nur fragen: Warum strengt ihr euch nicht mehr an? Ich hätte erwartet, dass sie gerade jetzt bei Fragen der Digitalisierung massiv unter Druck stehen und die 720 Millionen für dieses Jahr ganz schnell abfließen. Doch stattdessen kamen Forderungen aus den Ländern, der Bund müsse ganz schnell noch mehr Geld nachschieben. 

 

Die Länder behaupten, der Bund erschwere ihnen das Ausgeben durch zu komplexe Vorgaben.

 

Rehberg: Stopp. Komplex finden die Länder, dass wir ihnen die Bundesmittel nicht einfach so rüberschieben wollen, sondern nachfragen, was genau sie mit dem Geld machen, das ja nicht ihres ist. Übrigens darf der Bundesrechnungshof seit einer Grundgesetznovelle von 2017 genau dies tun: die Verwendung der Mittel in den Ländern kontrollieren. Seitdem lesen sich seine Berichte spannender als jeder Krimi. 

 

Schulz: Der Vorwurf, der Bund mache es den Ländern zu schwer, trägt nur solange, bis man feststellt, dass die Länder vielfach nicht einmal ihre eigenen Investitionsmittel ausgegeben bekommen. Die Frage ist doch: Welche Verantwortung nehmen die Länder selbst überhaupt noch wahr? Ich kenne Länder, wo die Aufwüchse für Bildung und Forschung in den vergangenen Jahren ausschließlich über Bundesmittel kamen.

 

Sind Ihre Vorwürfe nicht etwas einfach? Die Länder kritisieren, im Vergleich zum Bund seien sie seit vielen Jahren massiv unterfinanziert. 

 

Rehberg: Womit wir bei einem meiner Lieblingsthemen wären! Die Behauptungen der Länder sind nicht zutreffend. Allein zwischen 2016 und 2019 haben sie 31 Milliarden Euro an Überschüssen angehäuft. Davon kann der Bund nur träumen.

 

Schulz: Genau das versuche ich meinen Freunden in den Bundesländern auch klar zu machen, wenn sie mal wieder allzu schnell mit der Forderung dabei sind, der Bund solle dieses oder jenes finanzieren. Von wegen: "Wir Länder sind so arm." Das haben die Länder so eingeübt. Tatsächlich aber läuft die Entwicklung genau in die andere Richtung: mit relativ gut ausgestatteten Ländern und einem Bund, der sein Geld zusammenhalten muss.

 

Aber es war unter anderem Ihre Partei, die SPD, die für die Aufhebung des sogenannten Kooperationsverbots getrommelt hat mit dem Argument, die Länder könnten ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben nicht mehr finanzieren. 

 

Schulz: Stimmt. Und inzwischen haben wir das Grundgesetz so gestaltet, dass Kooperationen zwischen Bund und Ländern in allen Fragen der Bildung möglich sind. Das ist gut! Das ändert aber nichts daran, dass Kooperationen auf Gegenseitigkeit beruhen und nicht darin bestehen dürfen, dass der Bund Geld gibt und die Länder damit machen, was sie wollen. 

 

Rehberg: Das war der Grund, weswegen wir gegen den großen Krach der Länder darauf bestanden haben, dass sie angefangen mit dem Digitalpakt Schule gemeinsame Bildungsprogramme künftig zu 50 Prozent mitfinanzieren müssen. Sonst kommt es zu diesem seltsamen öffentlichen Gebaren der Länder, dass sie ständig mehr fordern, weil sie die politische Verantwortung haben, aber die Finanzierung andere leisten sollen. Ich will jetzt kein Länder-Bashing machen, aber genau deshalb bin ich kein Fan der Idee, den Ländern über zusätzliche Umsatzsteuerpunkte mehr Geld zu geben. Der Bericht des Bundesrechnungshofs zum Hochschulpakt zeigt: Wir müssen genau darüber nachdenken, wie der Bund in einem föderalen Staat Bildung und Forschung so mitfinanzieren kann, dass nicht die Länderhaushalte profitieren, sondern Bildung und Forschung. Das gilt umso mehr, je knapper der Bund in den nächsten Jahren bei Kasse sein wird.  

 

"Wir brauchen mehr Mitspracherechte

für die Parlamente."

 

Warum beschäftigt sich der Haushaltsausschuss eigentlich so viel mit den Ausgaben für Schulen und Hochschulen? Passieren die wirklichen Skandale nicht in ganz anderen Ressorts? Ist das wie bei der Polizei, die Parksünder aufschreibt, weil sie gegen die Raser nichts ausrichten kann?

 

Schulz: Diesen Eindruck teile ich nicht. Ich finde, dass wir uns im Haushaltsausschuss alles sehr intensiv anschauen. Auch andere Ministerien kommen bei uns nicht ungeschoren davon. Vielleicht bekommen manche das in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik nur nicht so mit. 

 

Rehberg: Es gibt aber einen Unterschied etwa zum Sozialbereich. Wenn der Bund  zu einem großen Teil die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger finanziert, dann fließt das Geld ohne Umwege über die Landeshaushalte an die Landkreise und kreisfreien Städte. Und die Grundsicherung im Alter, die wir allein übernommen haben, ist ein Anspruch, den jeder einzelne hat und der garantiert so ausbezahlt wird. Es existiert also ein viel direkterer Bezug des Bürgers zum Bund an der Stelle.

 

Schulz: Hinzu kommt, dass nur in der Bildung und Forschung die Regierungen von Bund und Ländern Verwaltungsvereinbarungen in langfristig dreistelliger Milliardenhöhe abgeschlossen haben, ohne dass das Parlament mit am Tisch sitzt. Das ist vom Demokratieprinzip her schief, darüber müssen wir reden. Solange wir nicht früher eingebunden werden als Abgeordnete und Haushälter, müssen wir hinterher umso unbequemere Fragen stellen. 

 

Rehberg: Sie müssen nur mal ein paar Ministerpräsidenten in großer oder kleiner Runde reden hören. Da erzählt Ihnen dann ein Herr Ramelow oder ein Herr Kretschmann, dass der Bundestag für sie überhaupt nicht wichtig sei. Nichts läge mir ferner, als den Föderalismus zugunsten eines Zentralstaats abzuschaffen – aber das kann, da bin ich ganz bei Swen Schulz, nicht das Ende der Geschichte sein. 

 

Schulz: Wir brauchen mehr Mitspracherechte für die Parlamente und mehr Kontrolle, was mit den Milliarden für Bildung und Forschung passiert. Eigentlich sollte das im ureigenen Interesse der Länder sein. 

 

Kann es sein, dass die Fachpolitiker sich nur scheinbar mächtig vorkommen, tatsächlich aber die Haushaltspolitiker auch die Bildungs- und Forschungspolitik bestimmen?

 

Schulz: In allererster Linie sind wir Dienstleister. Wenn die Regierung ihren Haushaltsentwurf vorstellt, schauen zuerst die Fachpolitiker drauf und wenden sich dann an uns Haushälter mit der Bitte, an dieser oder jener Stelle zusätzliche Schwerpunkte zu setzen. 

 

Das ist der Zeitpunkt, ab dem Herr Rehberg sein Büro nicht mehr verlässt?

 

Schulz: Das ist der Punkt, an dem wir einen gewissen Gestaltungsspielraum haben und, ich will das gar nicht verhehlen, wo wir selbst nicht frei sind von eigenen Meinungen. Weshalb die von Herrn Rehberg angesprochene Bereinigungssitzung im November so wichtig ist – weil wir genau dann nochmal Prioritäten setzen und Mittel neu vergeben können. 

 

Rehberg: Und bei dieser Prioritätensetzung, ich verweise nur auf die diversen Bund-Länder-Vereinbarungen sind Bildung und Forschung in den vergangenen Jahren beileibe nicht schlecht weggekommen. Wieviel Prioritätensetzung bei über 300 Milliarden Euro neuen Schulden, die der Bund aktuell aufnehmen muss, dieses und nächstes Jahr noch möglich sein wird, ist eine andere Frage. 

 

Das mit den knapper werdenden Budgets erwähnen Sie jetzt schon zum zweiten Mal.

 

Rehberg: Aus gutem Grund. Wir müssen aufpassen, dass der Bund in den nächsten Jahren zu allererst die Aufgaben, für die er originär zuständig ist, erfüllen kann. 

 

Müssen sich die Studierenden und Forschenden, die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen Sorgen machen?

 

Schulz: Das müssen sie nicht – gerade weil wir ja rechtzeitig durch die neuen Bund-Länder-Vereinbarungen Verlässlichkeit geschaffen haben. Die bleiben gültig. An das Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm, den Zukunftsvertrag, wird keiner mehr rühren. Der ist fest bis 2027. Der Pakt für Forschung und Innovation steht sogar bis 2030. Auch die verschiedenen Sondervermögen für Digitalisierung oder Schulsanierungen sind gut gefüllt. 

 

Faktisch können all diese Programme mit jedem neuen Bundeshaushalt gekürzt werden. 

 

Rehberg: Das Parlament ist der Haushaltsgesetzgeber, ja. Aber ich kann mir keine politische Konstellation nach der nächsten Bundestagswahl vorstellen, die vor oder nach 2027 den Hochschulpakt aufkündigen wird. Der noch dazu ein Vertrag mit allen 16 Ländern ist. Den kann man gar nicht einseitig aufkündigen. 

 

Schulz: Wenn wir uns die vergangenen 20 Jahre anschauen, hat jede Bundesregierung, egal welcher Couleur, einen Schwerpunkt auf Bildung und Forschung gelegt. Was wir allerdings nicht versprechen können, ist, dass es in den nächsten Haushalten immer noch einen Schlag obendrauf geben wird. 

 

"Kritiker sollten sich einfach mal den

gesamten Bundeshaushalt anschauen und die vier Grundrechenarten einsetzen."

 

Opposition und Gewerkschaften kritisieren, dass der BMBF-Haushalt schon 2021 schrumpfen soll. 

 

Schulz: Wir reden über 0,35 Prozent! Wenn sich die Kritiker vor solchen öffentlichen Verlautbarungen bei uns Haushältern einmal erkundigen würden, könnten wir ihnen gern erklären, dass diese Kürzung rein technischer Natur ist. Denn parallel gibt es erhebliche Zusatzinvestitionen für Künstliche Intelligenz, für Wasserstoff, für Quantentechnologie, für 5G. Hinzu kommt: Durch die Krise und die diversen Nachtragshaushalte sind die BMBF-Ausgaben in diesem Jahr massiv gestiegen, von 17 Milliarden 2019 auf über 20 Milliarden. Angesichts der Tatsache, dass dieses Niveau 2021 gehalten wird, finde ich die Behauptung, die Koalition kürze bei Bildung und Forschung, schon originell.  

 

Rehberg: Verwegen ist das. 2020 haben wir allein eine halbe Milliarde als Überbrückungshilfe für die Forschungseinrichtungen reingepackt, die fehlen 2021. Oder nehmen Sie die Sonderhilfen für die Studierenden, die Förderung der Impfstoffentwicklung. Und die Investitionen in Energie- und Klimaforschung stehen nicht im BMBF-Haushalt, aber das macht sie nicht weniger wertvoll. Die Kritiker sollten sich einfach mal den gesamten Bundeshaushalt anschauen und die vier Grundrechenarten einsetzen. 

 

Die ganze Zeit reden wir über die Komplexitäten des Föderalismus und seine Auswirkungen auf Bildung und Forschung. Können Sie der deutschen Finanzierungssystematik eigentlich auch etwas Positives abgewinnen?

 

Schulz: So komplex die föderale Bildungsfinanzierung ist, sie garantiert zugleich Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit. Das ist das große Plus, das Deutschland hat. 

 

Rehberg: So anstrengend die Debatten, die wir mit den Ländern führen, für alle Beteiligten sind, sie bedeuten immer wieder den Antrieb, gemeinsam die Schwachstellen anzugehen. So hat uns Corona den Rückstand der Schulen in Sachen Digitalisierung schmerzlich aufgezeigt, was jetzt dazu führt, dass wir die Investitionen in die Infrastruktur beschleunigen. Ein bisschen Druck hat noch nie geschadet. Und das arbeitsteilige System unserer Forschungseinrichtungen von Max Planck bis Fraunhofer ist meiner Kenntnis nach weltweit einzigartig. Bund und Länder haben es gemeinsam geschafft, Deutschland für hochkarätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler äußerst attraktiv zu machen.  

 

"Ich sage mal: Wir haben uns kraftvoll enthalten."

 

Der FDP-Politiker Thomas Sattelberger hat die außeruniversitären Forschungseinrichtungen mal als fette Katzen bezeichnet, die durch das viel Geld träge geworden seien. Vorhin haben Sie selbst die hohen Rücklagen kritisiert, die Helmholtz & Co aufgehäuft hatten – und die Sie zu Ihrer Haushaltssperre veranlasst haben. 

 

Rehberg: Der Hintergrund für die hohen Ausgabenreste besteht im Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das 2012 verabschiedet wurde und den Forschungsorganisationen die Übertragung von Betriebsmitteln ins nächste Jahr erlaubte. Ich war damals als Haushaltsberichterstatter für die Forschung zuständig und schon skeptisch, das weiß ich noch.

 

Schulz: Ihr habt aber zugestimmt. Wir als SPD haben uns damals enthalten.

 

Rehberg: Ihr wart in der Opposition, aber eigentlich wart ihr dafür.

 

Schulz: Ich sage mal augenzwinkernd: Wir haben uns kraftvoll enthalten.

 

Rehberg: Die alten Bund-Länder-Vereinbarungen waren in der Hinsicht auch nicht gut, weil der Bund bei Fehlentwicklungen nur zuschauen konnte. Die neuen Verträge sind jetzt viel stringenter. 

 

Der Bundesrechnungshof warnt aber auch beim Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm Zukunftsvertrag, dass es nicht viel besser laufen werde.

 

Rehberg: Das schauen wir uns jetzt in aller Ruhe an. Wir müssen aber auch ein bisschen aufpassen. Nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Das heißt, den nächsten Haushalt für 2022 werden wir erst im Frühjahr 2022 im Bundestag beschließen. Schneller ist das nach einer Wahl nicht machbar. Insofern sollten wir jetzt etwas großzügiger sein, damit die Hochschulen nicht unnötig unter Druck geraten. 

 

Also keine Haushaltssperre für die Hochschulen wie für Helmholtz?

 

Rehberg: Wir werden uns das alles gut überlegen. Im Übrigen haben wir auch bei Helmholtz den Sturm ausgehalten, und bei Helmholtz haben die Auflagen durchaus gefruchtet. 

 

Schulz: An der Stelle muss man auch so fair sein, dass die Ausgabenreste der Hochschulen sich von Bundesland zu Bundesland extrem unterscheiden. Wir sollten also handeln – aber mit Augenmaß, damit nicht die Falschen bestraft werden.

 

Hätten Sie eigentlich weniger Ärger mit den Pakten, wenn das BMBF eine andere Chefin hätte?

 

Rehberg: Das hat damit nichts zu tun. Der Hochschulpakt ist entstanden, als Annette Schavan Ministerin war. 

 

Schulz: Und die war nun wirklich eine einflussreiche Ministerin. Das mit der mangelnden Kontrolle der Bund-Länder-Programme ist nicht abhängig von Personen, sondern von den Strukturen.

 

"Mir ist es ziemlich gleich, ob

Frau Karliczek sich freut oder nicht."

 

Wollen Sie damit sagen, Frau Karliczek sollte sich eigentlich darüber freuen, dass der Haushaltsausschuss ihr ständig wegen der Pakte im Nacken sitzt? Weil sie dann ihrerseits bei den Ländern mehr Druck machen kann?  

 

Rehberg: Mir ist es ziemlich gleich, ob Frau Karliczek sich freut oder nicht. Mir geht es um die Sache, und die besagt, dass wir als Abgeordnete eine Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung haben. Als Vertreter der Steuerzahler, so einfach ist das. 

 

Sie, Herr Schulz, haben es vorhin gesagt: In den drei Wissenschaftspakten, die Bund und Länder vergangenes Jahr vereinbart haben, stecken dreistellige Milliardenbeiträge, genauer: 160 Milliarden bis 2030. Ist es angesichts solcher Summen gerechtfertigt, flankierend auch einen Hochschulsozialpakt aufzulegen für Wohnheime, Mensen und andere soziale Infrastrukturen? Das Deutsche Studentenwerk beziffert ein solches Programm auf 3,4 Milliarden Euro. 

 

Schulz: Von mir aus gern. Ich bin jederzeit dabei, die SPD-Fraktion unterstützt diese Forderung ebenfalls. Womöglich müsste man noch nicht einmal zusätzliches Geld ausgeben, sondern nur einen Teil des vorhandenen Geldes entsprechend umsteuern.  

 

Herr Rehberg, die Studierendenwerke haben gerade im Auftrag des BMBF die Überbrückungshilfe administriert. Ist es da nicht an der Zeit, dass sich der Bund an der Finanzierung der Studierendenwerke beteiligt?

 

Rehberg: Ich warne davor, dass wir uns erneut auf den Pfad begeben, dass der Bund immerzu für ureigene Länderaufgaben Geld geben soll. Im Übrigen können die Länder schon jetzt Studierendenwohnheime aus der sozialen Wohnraumförderung des Bundes finanzieren – ohne Probleme.

 

Warum machen sie es dann nicht?

 

Rehberg: Das müssen Sie die Länder fragen. Genauso wie es angesichts der angespannten Mietsituation in Ballungsräumen ohne weiteres möglich wäre, für studentisches Wohnen etwas von der halben Milliarde Euro auszugeben, die die Länder zusätzlich über die Umsatzsteuer für den sozialen Wohnungsbau erhalten haben. Umgekehrt muss man aber auch sehen, dass viele Studierende möglicherweise nicht so arm sind, wie wir denken. Die BAföG-Ausgaben gehen auch deshalb zurück, weil die Einkommen der Eltern in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind.

 

Schulz: Das sehe ich anders. Der Grund für die niedrigeren BAföG-Ausgaben liegt darin, dass die letzte Erhöhung zu schwach ausgefallen und hinter den Bedarfen geblieben ist. Da sollten wir nachbessern, und zwar schneller, als wir es bislang in der Koalition verabredet hatten.

 

Rehberg: Wir haben die Sätze und Freibeträge massiv aufgestockt, das sollten wir nicht kleinreden. Für alles Weitere müsste man erstmal Einvernehmen mit dem Bundesfinanzministerium herstellen, dessen Chef ein SPD-Parteibuch hat. 

Womit wir doch einmal eine

Stelle gefunden haben, an der Sie sich nicht einig sind. Abgesehen davon, es ohne Kürzungen durch die Krise zu schaffen: Worauf

wird es in den nächsten Jahren in der Finanzierung von Bildung und Wissenschaft ankommen? 


Rehberg: Ich weiß noch, wie es Anfang der 90er Jahre an den ostdeutschen Hochschulen aussah. Ob Dresden, Rostock oder Greifswald: Das war desaströs. Insofern muss man mal konstatieren, dass wir viel geschafft haben seitdem. Aber es hat auch drei Jahrzehnte gedauert. Jetzt müssen wir wie anfangs erwähnt mehr Forschungseinrichtungen in die Fläche Ostdeutschlands bringen. Es bleibt wichtig, die gleichwertigen Lebensverhältnisse im Blick zu behalten – auch in der Forschung.  

 

Schulz: Zusätzlich sollten wir in den nächsten Jahren ein stärkeres Augenmerk auf die Fachhochschulen legen. Dass die Forschung an den Universitäten dank DFG und Exzellenzinitiative eine so entschiedene Förderung erfährt, ist schön. Aber bei der Förderung der Fachhochschulen kann und muss der Bund mehr leisten. Deshalb haben wir zum Beispiel im Haushaltsplan 2020 schon festgelegt, dass künftig mindestens ein Prozent der Bundesmittel der DFG an die Fachhochschulen gehen sollen. Das ist ein Anfang.

 

Viele Fachhochschulen fordern zusätzlich zur DFG die Gründung einer Deutschen Transfergemeinschaft, die sich auf anwendungsnahe Forschung konzentrieren soll.

 

Schulz: Wenn die Fachpolitiker meinen, wir sollten eine solche gründen, dann stehen wir dem sicherlich offen gegenüber. 

 

Dieses Interview erschien zuerst im DSW Journal 2-3/2020.

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Kommentare: 1
  • #1

    Michael Stünkel (Donnerstag, 26 November 2020 13:40)

    Die über Selbstbewirtschaftungsmittel hergestellte Überjährigkeit bedeutet keineswegs, dass die öffentlichen Mittel von den Forschungseinrichtungen nicht mehr bestimmungsgemäß ausgegeben werden, sondern lediglich, dass Ausgaben auf der Zeitachse verschoben werden (müssen). Dafür liegen i.d.R. seitens der Forschungseinrichtungen auch entsprechend nachvollziehbare Begründungen vor.