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Was ist los im Osten?

Die Dynamik der dritten Welle kommt bislang zum großen Teil aus den neuen Bundesländern – was genau geht dort gerade vor? Ein paar Zahlen.

UM ES GLEICH ZU SAGEN: Ich will und kann nicht erklären, warum das Coronavirus gerade vor allem in den östlichen Bundesländern eine so starke Dynamik entfaltet. Oder besser: warum die dritte Welle dort früher gestartet ist. Zuletzt haben die registrierten Neuinfektionen, nachdem sie seit Beginn des Teil-Shutdowns im Westen durchaus merklich gesunken waren,  nämlich auch dort wieder zugenommen. 

 

Im Osten allerdings war der Aufwärtstrend nie gebrochen. Ein paar Vergleichswerte, die dies belegen: Im Westen ging die Zahl der neuen Coronafälle zwischen Mitte November (Kalenderwoche 46), also genau ab dem Zeitpunkt, zu dem der Shutdown erste Wirkungen zeigen sollte, bis Ende November (Kalenderwoche 48) von knapp 114.000 auf gut 102.000 zurück. Nicht großartig, aber doch eindeutig nach unten.

 

Im gleichen Zeitraum stiegen die wöchentlichen Neuinfektionen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen zusammengerechnet um 6600 auf 21.098. Und bis zur vergangenen, der 50. Kalenderwoche weiter auf 29.955. 

 

Allerdings haben nach einer Stagnation in der 49. Kalenderwoche zuletzt eben auch die neuen Corona-Fälle in den alten Bundesländern wieder stark zugenommen: um gut 18.000 auf 121.178 – ein Wachstum, das mit 17,7 Prozent binnen Wochenfrist fast schon mit der Rate im Osten (18,7 Prozent) gleichgezogen hat.

 

Und nein, für die zwischenzeitliche Corona-Sonderkonjunktur Ost reicht Sachsen als Erklärung nicht aus. Selbst wenn man das Bundesland mit seiner gegen 400 gehenden Rekordinzidenz (doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt) mal außen vorlässt, bleibt ein stetes Fall-Wachstum in den neuen Bundesländern seit Mitte November übrig – und mehr als eine Verdopplung der wöchentlichen Neuinfektionen seitdem. 

 

In welchen Altersgruppen genau fand das meiste Wachstum in den vergangenen vier Wochen in Ost wie West statt?

 

Die Antwort überrascht nicht, wohl aber in ihrer Deutlichkeit: bei den Alten. Im Osten infizierten sich in der vergangenen Kalenderwoche nachweislich 163 Prozent mehr Über-80-Jährige mit dem Coronavirus als Mitte November – gegenüber besagter Verdopplung der Fälle insgesamt. Im Westen registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) im gleichen Zeitraum 84 Prozent mehr Fälle bei alten Menschen – während die anderen Altersgruppen zusammengenommen dort mit +2,2 Prozent nahezu stabil blieben.

 

Bei den Unter-20-Jährigen sanken die erfassten Neuinfektionen seit Mitte November im Westen sogar absolut, zwar nur um einige hundert (3 Prozent) auf 17.817, aber immerhin. Im Osten infizierten sich dagegen nachweislich 79,6 Prozent mehr Unter-20-Jährige als vier Wochen vorher.

 

Wie gesagt: Nur ein paar Beobachtungen, die lediglich mögliche Erklärungsansätze nahelegen. Mehr als vier Thesen hierzu habe ich deshalb nicht zu bieten.

 

1. Die östlichen Bundesländer hatten lange eine deutlich niedrigere Corona-Inzidenz als die westlichen. Unter Umständen hat dies manche Menschen scheinbar in Sicherheit gewogen und ihr Verhalten beeinflusst.

 

2. Im Zusammenspiel mit den lange niedrigeren Zahlen könnten auch politische Neigungen eine Rolle spielen. So zeigten Umfragen im Sommer, dass die Sorgen vor der Pandemie die Menschen im Westen stärker umtrieben als im Osten. Und als Ende Oktober der Teil-Lockdown beschlossen wurde, antworteten in einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Osten 43 Prozent, die Maßnahmen gingen zu weit – in Deutschland insgesamt nur ein Drittel. Was wiederum aber ein so großer Abstand nicht ist. Und um wieviel größer der Anteil beinharter Corona-Leugner im Osten tatsächlich ist, kann ich – abgesehen von Anekdoten – nicht einschätzen. Lautstärker und sichtbarer waren sie lange Zeit auf jeden Fall.

 

3. Bei Sachsen dürfte die Nähe zum (bis vor kurzem) Corona-Hochrisikogebiet Tschechien eine zusätzliche Rolle als Beschleuniger gespielt haben.

 

Und 4. Die Demografie des Ostens – relativ gesehen weniger Junge und  viele Alte – schlägt jetzt umso stärker durch, da das seit vielen Wochen exponentielle Fallwachstum bei den Über-80-Jährigen deren Coronazahlen mittlerweile so hochgeschraubt hat, dass diese auch die gesamtgesellschaftliche Statistik treiben.

 

Worin sich eine für unsere Gesellschaft beschämende Realität widerspiegelt: Der Schutz der Risikogruppen, vor allem der ältesten Generation, funktioniert nicht, die Kontrolle ist uns komplett entglitten. 


Anmerkung: Ich habe meinen Artikel am 15. Dezember um 17.45 Uhr auf verschiedene Anregungen hin um eine weitere These (hier nummeriert mit 2) ergänzt. Ich hatte sie zuerst nicht aufgeschrieben, weil ich wenige aktuelle Studien und Umfragen dazu kenne. Hierzu freue ich mich in den Kommentaren über Hinweise auf weitere Untersuchungen!

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Kommentare: 1
  • #1

    Simon Patzelt (Dienstag, 15 Dezember 2020 17:03)

    Eine Betrachtung dieser in Ost und West divergierenden Entwicklung war fällig. Wie wäre es denn, wenn man zu den
    schon genannten Punkten mal den leichtsinnigen (um
    nicht zu sagen: verantwortungslosen) Umgang auf Demos
    gegen die Corona-Maßnahmen bestimmter politischer Kräfte nennen würde?