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Eine Chance auch für die Universitäten

Wie das Promotionsrecht für HAWs auch die Qualitätsdebatte an den Universitäten in Schwung bringt. Ein Gastbeitrag von Martin Wortmann.

Martin Wortmann ist Präsident und Geschäftsführer der Rheinischen Fachhochschule Köln und Vorstandmitglied der Landesrektorenkonferenz NRW. Foto: RFH, Pillippe Moosmann.

DAS PROMOTIONSRECHT FÜR HOCHSCHULEN für angewandte Wissenschaften (HAW) wird heiß diskutiert – in Nordrhein-Westfalen so richtig, seit die HAWs es über ein gemeinsames Promotionskolleg erhalten sollten. Am Montag wurde der Vertrag zum "Promotionskolleg für angewandte Forschung in NRW" unterzeichnet, damit ist es offiziell errichtet.

 

Besonders von den deutschen Universitäten kam und kommt Widerspruch. Doch vernachlässigen die Kritiker das wissenschaftliche und innovative Potenzial dieses Projektes und lassen zugleich die eigenen Qualitätsprobleme gerne außer Acht. So fehlt es an Universitäten vielfach an revisionsfesten Kontrollmechanismen zur Sicherstellung der wissenschaftlichen Standards. Die jüngsten Äußerungen verschiedener Vertreter universitärer Einrichtungen sollen daher nicht unwidersprochen bleiben.

 

"Das jetzt geplante zentralistische Promotionskolleg der Fachhochschulen, das die Universitäten völlig ausschließt, wäre ein Rückschritt für den Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen", sagte zum Beispiel der Rektor der Universität Wuppertal in einem Interview der Westdeutschen Zeitung im Sommer. Der in der FAZ erschienene Artikel "Wissenschaft in Gefahr" schlug im Herbst in die gleiche Kerbe. Der Autor Christian Hattenhauer, Professor für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte an der Universität Heidelberg, meint: "Das Promotionsrecht steht ausschließlich den Universitäten zu, die in unserem bewährten Wissenschaftssystem nach dem Grundgesetz zu alleinigen Hütern der wissenschaftlichen Qualität des Promotionswesens berufen sind."

 

Haben die Universitäten gemerkt, dass das
Wissenschaftssystem sich verändert hat?

 

Doch das deutsche Wissenschaftssystem und die Hochschullandschaft verändern sich – offensichtlich unbemerkt von den Universitäten. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben seit ihrer Geburt vor über 50 Jahren eine rasante Entwicklung hingelegt. Waren sie in ihrer Konzeption rein auf praxis- und berufsorientierte Lehre ausgerichtet, so sind sie heute nicht nur lehr- sondern auch forschungsstark. Viele der in den Rektorenkonferenzen organisierten HAWs konnten wissenschaftliche Schwerpunktthemen entwickeln, die an den Universitäten kaum oder gar nicht gelehrt, geschweige denn erforscht werden. 

 

Der Bologna-Prozess schließlich hat klargestellt: Die Abschlüsse der HAWs sind bezogen auf universitäre Abschlüsse gleichwertig: Der Master berechtigt zur Promotion.

 

Dass die grundlegenden Unterscheidungen zwischen Universitäten und Fachhochschulen längst aufgehoben sind, bestätigte  das Bundesverfassungsgericht schon 2010 in einem Urteil. Und wie erfolgreich das HAW-Projekt ist, zeigt eine Zahl: Von den gut 2,9 Millionen Studierenden sind 1,075 Millionen an HAWs eingeschrieben – Tendenz stark steigend. Davon sind mehr als 400.000 angehende Ingenieure.

 

Diese beeindruckende Entwicklung ist den enormen Anstrengungen der Mitarbeiter der HAWs geschuldet. Trotz fehlender Forschungsgrundfinanzierung, hoher Lehrdeputate (im Vergleich das Doppelte zu Universitätsprofessuren) trotz eines fehlendemn Mittelbaus sind HAWs in der anwendungsorientierten Forschung führend und gerade für mittelständische Unternehmen attraktive Partner. Es ist daher nur logisch, wenn HAWs die eigenen Strukturen durch wissenschaftliche Mitarbeiter verstärken möchten.

 

Das Promotionsrecht wird HAWs
nicht zu kleinen Universitäten machen

 

Ein probates Mittel zu diesem Zweck sind Promotionen, und auch wenn viele an den Universitäten dies nicht hören wollen: Für die Profilbildung und Bereicherung der wissenschaftlichen Landschaft ist das HAW-Promotionsrecht daher unabdingbar. Es soll und wird HAWs nicht zu (kleinen) Universitäten machen, wie häufig behauptet wird. Es geht im Kern um ein Forschungsgebiet, dass die HAWs auszeichnet: die Anwendungsorientierung, den Transfer, die Innovation.

 

Letzteres nehmen auch gerne Universitäten für sich in Anspruch. Doch so attraktiv das Wort "Innovation" klingt – wenn es wirklich zu Veränderungen führt, dann wehren sich die Betroffenen häufig mehr emotional als rational. Die Chance Qualitätsstandards zu etablieren und damit auch den Universitäten Kontrollmechanismen für ihre eigenen universitären Promotionsverfahren an die Hand zu geben, ist doch mehr als reizvoll. Sie sichert vor Missbrauch, sprich: vor Plagiaten und Fälschung. 

 

Ein Problem, das sie Universitäten nicht kleinreden sollten. Schon 2009 berichtete die Welt: "Gegen fast hundert Hochschullehrer wird wegen Bestechlichkeit ermittelt. Die Kölner Staatsanwaltschaft vermutet, dass sie Doktortitel verkauft haben. Ihnen wird vorgeworfen, möglicherweise ungeeignete Kandidaten als Doktoranden angenommen zu haben. Der Betrug betrifft viele renommierte Universitäten."  Und dann kam Guttenberg, und, und, und …. Und die Möglichkeiten zu plagiieren haben sich seitdem durch die Digitalisierung sogar noch exponentiell ausgeweitet.

 

Fassen wir all das zusammen, dann kommen wir zu dem Schluss: Die Freiheit der Wissenschaft endet bei der Qualität und erst recht beim Betrug. Wir wissen nicht, wie viele Plagiate es wirklich gibt und wie viel Wissenschaftsbetrug stattfindet. Wir unterstellen erst einmal jedem Akademiker und jeder Wissenschaftlerin, dass er und sie sich an die Regeln der Wissenschaft halten. Das gilt für Universitäten wie für HAWs. Vorurteile helfen uns nicht. Universitäten sind keine Hochburgen der wissenschaftlichen Verfehlungen, und HAWs sind keine Prestige-Jäger.

 

Sehr wohl aber wollen unsere Hochschulen ein eigenes Forschungsprofil entwickeln – unabhängig von Universitäten, aber mit den gleichen Qualitätszielen. Daher brauchen wir dringend überprüfbare, allgemeingültige und revisionsfeste Qualitätsstandards. Das bedeutet, dass Hochschulen über Qualitätssicherungsverfahren verfügen, die es mit einer signifikant hohen Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass betrogen wird.

 

Der Aufbau des Promotionskollegs in NRW, dass das Promotionsrecht erhalten soll, wird hierfür ein Signal setzen. Denn die HAWs werden es sich nicht nehmen lassen, Vorreiter zu werden: für ein hohes und ein unbestechliches Promotionsniveau.

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Kommentare: 7
  • #1

    Reinhard Zeidler (Mittwoch, 16 Dezember 2020 19:40)

    Respekt für die an FH hart arbeitenden Kolleginnen und
    Kollegen! Der Beitrag entbehrt aber nicht einer gewissen
    Demagogie. Man kann doch nicht einige schwarze Schafe an den Universitäten zur Begründung nehmen, daß über FH eine neue Kultur für die Promotionen in diesem Lande zustande kommen soll. Der beabsichtigte Dammbruch mit
    FH-Promotionen ist genauso wenig nützlich wie der weitere Ausbau der Exzellenz-Initiative an den Unis.

  • #2

    Anne König (Donnerstag, 17 Dezember 2020 12:55)

    Danke, Herr Wortmann, für die klaren Worte. Und an Kollegen Zeidler gerichtet: Es werden hier zwei Themen miteinander verknüpft: Das überfällige Promotionsrecht für forschungsstarke Bereiche von HAWen und eine Qualitätssicherung. Alle Bundesländer, die endlich, endlich, ein eigenständiges Promotionsrecht für HAWen ermöglichen, verknüpfen das aus meiner Sicht vernünftigerweise mit einer prozessorientierten Qualitätssicherung. Das ist sicher an vielen Unis auch der Fall, aber eben nicht überall.

    Ich möchte einen dritten Aspekt ergänzen: Die mangelnde Durchlässigkeit von HAW-Talenten hin zur Promotion und damit einhergehend ein Nachwuchsmangel besonders für die HAW-typischen Fachgebiete. Ein paar Zahlen aus Berlin (letzte Statistik 2017): Die Hälfte aller Bachelor- und 30 Prozent aller Masterabsolvent*innen dieser Stadt kommen von HAWen. Auf die n=6.981 Masterabsolvent*innen der Universitäten kommen n=2.335 Promotionen pro Jahr, das sind 33 Prozent. Laut letzter HRK-Umfrage sind darunter jährlich nur durchschnittlich n=6 kooperative Promotionen mit einer Berliner HAW und einer/einem HAW-Masterabsolvent*in. Das sind weit unter einem Prozent, und wenn wir alle (meist ehrenamtlichen, da keine Deputatsreduktion und ggf. noch nicht einmal Mitglied des Promotionsausschusses) Anstrengungen der HAW-Kolleg*innen, Talente über Kooperationen mit Uni-Kollegen außerhalb von Berlin zu organisieren, addieren, bleibt das unter einem Prozent. Da ist nichts mit dem bildungspolitischen Anspruch "kein Abschluss ohne Anschluss". Und damit auch kein Nachwuchs für unsere Fachgebiete.

    Ein Dammbruch wird höchste Zeit. Es wird keine Flut kommen. Aber Qualität.

    Prof. Dr. phil. (FH) Dipl.-Ing. (FH) Dipl.-Päd (Uni) Anne König
    Vorsitzende Hochschullehrerbund Landesverband Berlin e.V.

  • #3

    Thorben Sembritzki (Freitag, 18 Dezember 2020 11:19)

    Vielen Dank für diese differenzierte Argumentation, die leider immer noch vielerorts viel zu emotional geführt wird.
    Nur ein Hinweis zu den Zahlen der HRK: diese beruhen auf Angaben der Universitäten und nicht der kooperierenden FHs/HAWs. Man darf also davon ausgehen, dass diese Erhebung mehr als nur lückenhaft ist. Eine deutlich aussagekräftigere Grundlage bietet das Nacaps-Datenportal des DZHW, das den Anteil kooperativer Promotionen bei ca. 7% auszeichnet (siehe https://nacaps-datenportal.de/indikatoren/C5.html). Die Befragung der Promovierten ermöglicht auch erstmals einen umfassenden Vergleich der Betreuungssituation von Promovierenden an Unis und FHs/HAWs.

  • #4

    R. Zeidler (Freitag, 18 Dezember 2020 18:37)

    Es gibt natürlich an FH's leistungsstarke Kolleginnen und Kollegen, wie man von eigenen Absolventen wohl weis. Es gibt aber in D'land einfach viel zu viele DoktorandInnen. Der eigentliche "Dammbruch" an den FH's ist aber der,
    daß durch die Hintertür der Promotionen einfach die Gleichstellung der dortigen ProfessorInnen zu denen an
    den Universitäten erzwungen werden soll. Das kann es
    nicht sein. Vernünftige kooperative Promotionen sind
    natürlich eine sehr gute Angelegenheit.

  • #5

    tmg (Freitag, 18 Dezember 2020 19:05)

    wenn die Kollegen an den FHs so forschungsstark sind, warum schlägt sich das nicht in Rufen auf eine Professur an einer Universität nieder?

  • #6

    Prof. Dr. Rolle (Freitag, 18 Dezember 2020 19:57)

    #tmg
    Weil die Kollegen nicht an einer Universität lehren und forschen möchten!

  • #7

    tmg (Freitag, 18 Dezember 2020 21:43)

    @Prof. Dr. Rolle
    Ja, so wird es wohl sein