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New Learning bildungspolitisch verankern

Wie muss Lernen neu gedacht werden, um Menschen für das Leben in einer digitalisierten Gesellschaft auszurüsten? Ein Gastbeitrag zum "Hagener Manifest" von Ada Pellert.

Ada Pellert ist Wirtschaftswissenschaftlerin und seit 2016 Rektorin der Fernuniversität Hagen. 
Foto: Volker Wiciok/FernUniversität.

DIE REPUBLIK DISKUTIERT über Hybridunterricht und darüber, welche technische Ausstattung und welche pädagogischen Konzepte dafür geeignet sind. Das ist erfreulich. Denn die Diskussion spiegelt den Kern einer Initiative wider, die uns auch an der FernUniversität in Hagen bewegt: Das Lernen neu zu denken. Unter dem Schlagwort New Learning wollen wir diskutieren, wie zeitgemäßes Lernen aussieht, wie wir es weiterentwickeln können und vor allem weiterentwickeln müssen – nicht als Notlösung in der Corona-Pandemie, sondern als Notwendigkeit und Reaktion auf einen digitalen Transformationsprozess, der schon die Arbeitswelt und unser Leben revolutioniert hat. Unser Bildungssystem hingegen – das hat Corona gezeigt – kommt mit den notwendigen Veränderungsprozessen viel zu langsam voran.

 

Gemeinsam mit Bildungsfachleuten, mit Forscherinnen und Forschern der FernUniversität, Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft haben wir in einem Positionspapier, dem Hagener Manifest, Ideen und Ansätze zu New Learning zusammengetragen: Es geht uns vor allem darum, die Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen und sie zu befähigen, in ihrer digitalen Lebensrealität lebenslang zu lernen.

 

Inzwischen haben über 900 Menschen das Anfang Oktober veröffentlichte Manifest unterzeichnet. Auf einem virtuellen Kongress haben sich jüngst Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Lehrpraxis sowie Politikerinnen und Politiker bis hin zu Studierenden über New Learning ausgetauscht.

 

Vernetzung neu denken

 

Unser Anliegen ist es, die bildungspolitische Debatte um New Learning aktiv voranzutreiben, den Wissenstransfer zwischen Bildungsinstitutionen, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zu unterstützen und neue bildungspolitische Vernetzungsinitiativen anzustoßen. Wir müssen aufhören, mit dem Finger auf andere zu zeigen, und endlich alle mehr Kooperation für eine neue, gemeinschaftliche Bildungspolitik wagen. Sonst drehen wir uns weiter im Kreis. 

 

Der deutsche Bildungsbereich ist fragmentiert, bürokratisiert, ungemein rechtlich reguliert, schwerfällig in der Governance und in seinen Abstimmungsstrukturen. 

Verordnungen dürfen in einer so fundamental krisenhaften und anhaltenden Situation nicht der zentrale politische Kommunikationsakt bleiben. Unkonventionelle Vernetzung ist gefragt, hier könnten die Ministerien auf den verschiedenen Ebenen eine wichtige moderierende Rolle spielen. 

 

Es gibt gute Beispiele dafür: Die nationale Weiterbildungsstrategie etwa wird gemeinsam unter der Federführung von Arbeits- und Bildungsministerium vorangetrieben und umfasst viele institutionelle Akteurinnen und Akteure. Ein erster Anfang. Eigentlich bräuchten wir eine nationale Strategie des Lernens. Verabschieden wir uns von den überkommenen Trennungen in berufliche, akademische und allgemeine Bildung. Die Disruption durch Digitalisierung nimmt keine Rücksicht auf Versäulungen und Segmentierungen. Die überkommenen Strukturen liegen mehr und mehr quer zu den Bedürfnissen und Anforderungen der Lernenden. Diese gehören aber in den Mittelpunkt. Um sie zu begleiten und zu unterstützen, bedarf es vor allem Zeit, Informationen und Beratung. Adaptive Technologien helfen uns, Lernprozesse zu personalisieren, indem sie beispielsweise individuelle Empfehlungen zum Lernverlauf geben und dadurch eigene Lernpfade aufzeigen.

 

Wir müssen außerdem berücksichtigen, dass Lernende inzwischen stärker als bislang an ihrem Lernprozess beteiligt sind – an den Inhalten, an den Lernzeiten, an der Art und Weise, wie sie sich Inhalte aneignen: Sie nutzen etwa Erklärvideos, Podcasts oder interaktive Tools über Social Media. Dennoch fehlt es vielfach an grundlegenden Konzepten für partizipatives innovatives Lernen. Zum anderen haben sich auch die Anforderungen des Arbeitsmarktes gewandelt. Kompetenzen, die für das Lernen und Arbeiten der Zukunft relevant werden, nehmen derzeit noch keinen hohen Stellenwert in den Curricula ein. Aspekte von Agilität, Vernetzung, aber auch Fähigkeiten wie eine flächendeckende Data Literacy werden noch zu wenig in den Bildungseinrichtungen eingeübt. New Work erfordert New Learning! 

 

Experimentierfeld Universität

 

Um einen neuen Konsens für gute Bildung umzusetzen, können die Hochschulen initiativ werden: Sie besitzen mehr Autonomie als Schulen und sollten den Schulen daher bei der Weiterentwicklung aktiv helfen. Im Zuge von Neuerungen gehören auch die akademischen Bildungsabschlüsse ausgeweitet. Neben Bachelor und Master bedarf es staatlich anerkannter Abschlüsse für kürzere, abgeschlossene Lerneinheiten oder als Nachweis über informell erworbene Kompetenzen beispielsweise beim Umgang mit digitalen Tools im Studium. Das schafft Anreize fürs Lernen in unterschiedlichen Lebensphasen, hilft im beruflichen Fortkommen auch später im Leben.

 

Von Studierenden der FernUniversität höre ich immer wieder, dass sie sich erst durch das Studium im Beruf umorientieren konnten. Sie haben erlebt, dass ihnen Bildung, Weiterbildung und Lernen helfen, in einer zunehmend wissenschaftsbasierten Gesellschaft besser zurechtzukommen. Oft mussten sie dazu schulische Lernerfahrungen vergessen lernen und erlebten im Gegenzug eine nachhaltigere Form des Lernens in der Erwachsenenbildung – und vor allem, dass Lernen durch den Einsatz digitaler Medien Spaß macht. 

 

Voraussetzung dafür ist auch, die technische Infrastruktur in den Bildungseinrichtungen, allen voran in den Schulen, zu verbessern und Lehrkräfte weiterzubilden. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es bereits viele Engagierte im System gibt. Die muss man vernetzen, sie fortlaufend weiterbilden und andere damit einbeziehen. Noch einen Schritt vorher fangen wir idealerweise in Krippe und Kita damit an, mehr pädagogisches Personal einzustellen und weiterzubilden. Sonst verstärken wir die existierende Bildungsungerechtigkeit, das ergeben auch Studien des Zentrums für pädagogische Berufsgruppen- und Organisationsforschung (ZeBO Hagen) der FernUniversität.

 

Durch unser Fernlehre-System und Blended-Learning-Modell engagieren wir uns an der FernUniversität seit fast 50 Jahren im Sinne des lebenslangen Lernens – und erforschen auch Bildungskonzepte der Zukunft. Dafür stehen neben dem ZeBO Hagen unter anderem der Forschungsschwerpunkt "Digitalisierung, Diversität und Lebenslanges Lernen (D²L²)", der sich insbesondere damit beschäftigt, wie Hochschulen angemessen auf die Veränderungen durch Digitalisierung reagieren können. Wir würden uns gerne als Plattform zur Vernetzung vieler Akteure und Akteurinnen im Bildungsbereich mit ähnlichen Anliegen – in Theorie und Praxis – anbieten. Auch darum haben wir das Hagener Manifest initiiert und sind froh, dass sich daraus schon eine engagierte Community entwickelt hat. Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass NewLearning in immer mehr Einrichtungen des Bildungssystems praktisch umgesetzt wird, und dass uns auch die Politik dabei unterstützt.  

 

Wer sich uns anschließen möchte, ist herzlich eingeladen. Mehr Infos finden Sie auf https://fernuni.de/hagener-manifest – oder schreiben Sie uns an hagener.manifest@fernuni-hagen.de.   


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Kommentare: 5
  • #1

    Felix Wehmeyer (Montag, 21 Dezember 2020 20:18)

    Warum überschreibt man derartige Projekte mit wenig motivierenden Titeln wie "New Learning"? Das demotiviert mich ganz einfach, die vielleicht guten Ideen genauer anzusehen. Schade!

  • #2

    Gerd Faulhaber (Dienstag, 22 Dezember 2020 18:54)

    Solche Manifeste bringen mich auf die Palme. Anmaßend in den Zielen und abwertend gegenüber dem Status quo gleichermaßen.
    Im Übrigen ließe sich damit ein Bildungs-Bullshit-Bingo locker erstellen:
    - New Learning
    - Lernen neu denken
    - digitale Transformation
    - lebenslang lernen
    - Vernetzung neu denken
    - Governance
    - Disruption (darf auf keinen Fall fehlen)
    - Versäulungen und Segmentierungen
    - adaptive Technologien
    - usw, usw
    Tut mir Leid, aber so macht man eine im Grunde gute Idee kaputt.

  • #3

    Joachim Rennstich (Dienstag, 22 Dezember 2020 22:58)

    Danke für den Beitrag. Der Link unten ist nicht korrekt. Der müsste lauten < https://www.fernuni.de/hagener-manifest>. Ich bin genau so begeistert wie viele von neuen Lehrvermittlungs- und Lernmöglichkeiten. Allerdings fällt mir auch immer wieder auf, wie wichtig es ist, Old Learning Kompetenzen als Basis für New Learning sicherzustellen. Wer Erklärvideos als Erweiterung zur eigenständigen Auseinandersetzung mit Texten nutzt, wird den eigenen Lernerfolg stark vertiefen können. Wer denkt, das wäre eine Abkürzung zum Wissensgewinn, irrt gewaltig. Den Film gucken hat noch nie das Buch lesen ersetzt. Für manche Klausur mag es dann mehr als gereicht haben. Und das ist auch bei uns an den HS Realität. Aber wirkliches Lernen - empirisch bestätigt - geht anders. Ohne Old bleiben die Potentiale des New Learning weitgehend ungenutzt. Daher brauchen wir ja auch die hier erwähnte Data Literacy im Tandem mit einer erweiterten Informations Literacy.

  • #4

    F. Wehmayer (Donnerstag, 24 Dezember 2020 09:47)

    @J.Rennstich: Schreiben Sie doch einfach mal mit Begriffen im Deutschen, was Sie meinen. "Data literacy" heißt ja wohl "Datenkompetenz", aber was ist "Data Literacy im Tandem mit einer erweiterten Informations Literacy"? "New learning" kann ja nicht aus einem Gebräu von Englisch und Deutsch bestehen.

  • #5

    Bernd Käpplinger (Mittwoch, 30 Dezember 2020 21:41)

    Mir erschießt sich nicht das wirklich Neue an dem Manifest und auch diesem Text? Dass Lernende im Mittelpunkt stehen sollen, wird schon seit Dekaden gefordert und gehört quasi zum Grundwortschatz pädagogischer Folklore. Bringt uns das wirklich weiter, wenn man diese Folklore nun noch mit dinglischen Begriffen modernistisch garniert und mit Digitalisierungsappellen abschmeckt?
    Amüsanter fand ich da denn Hinweis von dem Kommentator Herrn Faulhaber hier in der Kommentarleiste mit "Bildungs-Bullshit-Bingo".