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Bitte nicht die Panik zum Ratgeber machen

Alle Corona-Maßnahmen verpuffen? Wenn man die vorhandenen Zahlen genauer anschaut, sieht man: Die Trendwende war vermutlich längst da. Es gibt neben all der Sorge also auch ein bisschen Grund zur Hoffnung.

"ES IST ERNST", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Beginn des ersten Lockdowns in einer Fernsehansprache. "Nehmen Sie es auch ernst."

 

Der Satz ist heute wahrer denn je, zumal viele ihren Bewegungsradius offenbar immer noch deutlich weniger eingeschränkt haben als im ersten Lockdown.

 

Von Panik allerdings hat Merkel damals nichts gesagt. Und sie wird es auch nie tun. Weil sie viel zu bedächtig ist. Und weil Panik immer ein schlechter Ratgeber ist.

 

Deshalb schauen wir einmal kurz – ernst, besorgt, aber ohne Panik – auf die aktuellen Corona-Zahlen. Und die legen nahe, nachdem die Nachmeldungen nach den Feiertagen durch sind und die Testzahlen wieder hochgehen: Vermutlich haben wir seit mehreren Wochen einen durchgängigen Abwärtstrend beim tatsächlichen Infektionsgeschehen. Was hieße, dass die langersehnte Trendwende längst da war. Und dass es neben all der Sorge auch ein bisschen Grund zur Hoffnung geben würde.

 

Meine Vermutung stützt sich auf zwei Beobachtungen.

 

Erstens: Die Kurve bei den gemeldeten Neuinfektionen, am besten ausgedrückt durch die 7-Tages-Inzidenz (neue Fälle pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen), fiel zwischen Heiligabend und Neujahr dramatisch ab, in der Folgewoche immer noch etwas. Um dann einen plötzlichen, kräftigen Sprung nach oben zu machen und zuletzt erneut zurückzugehen. Woraus man ableiten kann: Das dramatische Minus der letzten Dezembertage setzte sich zusammen aus einem echten Rückgang kombiniert mit weniger Tests und aufgeschobenen Infektionsmeldungen. Der nicht ganz so starke Wiederanstieg danach war bedingt durch die zusätzlichen Test und den Schwall Feiertags-Nachmeldungen, was den eigentlich weitergehenden Rückgang des Infektionsgeschehens überdeckte. In den letzten Tagen dann waren die Nachholeffekte durch, und der dahinter verborgene Rückgang wurde wieder offen sichtbar. Die spannende Frage ist nun, ob und wie lange er in dem verhaltenen Tempo, das er vermutlich die ganzen vergangenen drei Wochen hatte, weitergeht. 

 

Zweitens: Die These, dass der tatsächliche Rückgang etwa zu Weihnachten begonnen hat und seitdem kontinuierlich war, lässt sich sehr gut anhand Entwicklung der in den Intensivstationen behandelten Corona-Patienten untermauern. Diese läuft der Entwicklung der Neuinfektionen immer einige Tage hinterher und sinkt seit dem 3. Januar durchgängig – laut DIVI-Intensivregister um mittlerweile knapp 700 (12 Prozent) auf heute 5.074.

 

In all den Debatten über den nicht ausreichend harten Lockdown –und ich teile diese Einschätzung, was etwa die fehlende Homeoffice-Pflicht angeht, während andere Ideen wie die mögliche Aussetzung des ÖPNV vermutlich extrem kontraproduktiv wären – ist es gut, zwischendurch auch mal Luft zu holen und die vorhandenen Zahlen genau anzuschauen. 

 

Ob ich Recht habe (worauf ich in diesem Fall besonders hoffe!) und die Abwärtsbewegung seit längerem stabil ist, werden wir bis Mitte nächster Woche wissen: weil dann sowohl die Zahlen der gemeldeten Neuinfektionen als auch der Intensivpatienten weiter und die Zahlen der gestorbenen Covid-19-Patienten endlich auch zurückgehen sollten. Bis dahin gilt trotz der zusätzlichen Gefahren durch die Virusmutationen: Bitte nicht die Panik zum Ratgeber machen. Bitte die anstehenden zusätzlichen Maßnahmen differenziert und ohne Hektik diskutieren. 

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Kommentare: 3
  • #1

    Lothar Reitemeyer (Freitag, 15 Januar 2021 17:08)

    Zur gesunkenen Zahl der Corona-Intensivpatienten meinte gestern Herr Lauterbach bei M. Illner, daß von den Alters-
    und Pflegeheimen die potentiellen Personen gar nicht mehr zu den Intensiv-Stationen geschafft werden. Hört ihm denn keiner zu?

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 15 Januar 2021 17:31)

    Lieber Herr Reitemeyer,

    ich habe Herrn Lauterbach nicht so verstanden, dass sich dadurch die Intensivstationen plötzlich leeren. Sondern er bezog sich auf das gesunkene Durchschnittsalter der Intensivpatienten. Ich hielte es auch nicht für plausibel, dass es ausgerechnet seit 3. Januar einen plötzlichen und gravierenden Strategiewechsel diesbezüglich gegeben hätte – und gravierend müsste er sein bei 12 Prozent weniger.

    Viele Grüße und vielen Dank für Ihr Interesse an meinem Blog
    Ihr J-M Wiarda

  • #3

    Jana (Montag, 18 Januar 2021 14:43)

    Lieber Herr Reitemeyer,
    hinzu kommt, dass es nach wie vor unglaublich viele Corona-Ausbrüche in Altersheimen gibt, die zu den vielen Intensivpatienten und Toten führen. Das liegt daran, dass wider besseren Wissens der Bundes- und Landesregierungen seit Oktober in keinem einzigen Land eine tägliche Schnelltestpflicht für Mitarbeiter sowie in einigen Bundesländer noch keine Schnelltestpflicht für jeden Besucher, der das Haus betritt, verordnet wurde und die Kosten dafür vom Bund übernommen werden (derzeit eines kompliziertes Verfahren mit den Krankenkassen). Auch der Einsatz von Hilfskräften (z. B. Bundeswehr) in Heimen bei Personalmangel findet kaum statt. Angesichts einer bundesweiten Pandemie erschreckend, während beim Hochwasser die Bundeswehr schon im Einsatz ist, bevor das Wasser da ist. Das gleiche gilt leider auch für die häusliche Pflege und Risikopatienten (hier vor allem Besucher). Solange kommt das Virus ungehindert in die Altenheime und kann sich drinnen rasant verbreiten, egal wie niedrig die Inzidenz außerhalb der Heime und der Wohnungen mit Risikopatienten ist. Auf die Impfung man da nicht warten. Jedenfalls hört keiner (vor allem die etablierten Medien) dem Patientenschützer Herrn Brysch zu, der darüber ganz viel erzählen kann, sondern leider nur Herrn Lauterbach.