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Ein Stufenplan für die Pandemie

Die Menschen brauchen inmitten der Corona-Maßnahmen eine Perspektive, und die Politik muss herauskommen aus dem Modus immer neuer Krisentreffen. Ein Vorschlag für ein langfristiges Pandemiekonzept – und einen Stufenplan für alle Lebensbereiche.

Perspektive durch Stufen. Bild: cocoparisienne / Pixabay. 

DIE GEMELDETEN INFEKTIONSZAHLEN sinken und werden es vermutlich weiter deutlich tun. Die Regierungschefs haben deshalb am Dienstag die vorerst letzte Chance zur Verschärfung der Maßnahmen – und auch dies nur, wenn sie parallel die Perspektive zu Lockerungen aufzeigen.

 

Um der in Kürze absehbaren Lockerungsdebatte den Wind aus den Segeln zu nehmen und ihr nicht in wenigen Tagen oder Wochen hinterherzulaufen, sollten Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten bei ihrer Konferenz einen Stufenplan beschließen, der Deutschland ohne immer neue Grundsatzdiskussionen durch die nächsten Pandemie-Monate bringt.

 

Gäbe es einen solchen Plan, würde die Bevölkerung die jetzt nötigen Verschärfungen vermutlich engagierter mittragen. Und den Regierungschefs bliebe mehr Zeit für Wichtigeres – anstatt in ständigen Krisentreffen über neue Eindämmungsmaßnahmen oder deren Rücknahme zu diskutieren. Wichtiger wären: größte Anstrengungen, um das Impfen zu beschleunigen. Eine großangelegte Strategie massenhafter Schnelltests begleitend zur Öffnung gesellschaftlicher Bereiche. Und vor allem der konsequente Schutz der Alten- und Pflegeheime, bis alle Bewohner zweifach geimpft sind.

 

Klare Schwellenwerte
für Bund und Länder

 

Wie aber könnte ein solcher Stufenplan aussehen? Erstens: Er müsste alle geltenden Freiheitseinschränkungen umfassen und alle von Schließungen betroffenen gesellschaftlichen Bereiche. Zweitens: Er müsste Grenzwerte definieren, ab wann welche Verschärfung gilt bzw. ab wann sie zurückgenommen wird – wodurch automatisch eine transparente politische Priorisierung erfolgen würde. Drittens: Ein Stufenplan würde nicht nur die gesellschaftlichen Bereiche integrieren, er würde auch das Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern regeln.



Der folgende Vorschlag ist nur eine Skizze, und sie soll zum Diskutieren anregen. Doch wie wäre der folgende Stufenplan: Bund und Länder verpflichten sich zu bundesweit geltenden und gleichen Maßnahmen und Schließungen (also zu all dem, was am Dienstag verabredet wird), wenn und solange die bundesweite 7-Tages-Inzidenz über 100 liegt. 

 

Fällt sie unter 100, können Bundesländer, in denen die Inzidenz ebenfalls unter 100 liegt, Lockerungen beschließen. Aber nur diese Länder. Diese Lockerungen folgen wiederum einem bundesweit verabredeten Stufenplan. Steigt in einem Bundesland die Inzidenz wieder über 100, gelten die bisherigen Maßnahmen. Steigt die Inzidenz bundesweit wieder über 100, ebenfalls. Und zwar dann wieder in allen Bundesländern. Natürlich müssten die Werte jeweils für einen bestimmten Zeitraum (sagen wir: eine Woche) unter- oder überschritten sein, bevor die Maßnahmen greifen oder aufgehoben werden. Dadurch gibt es für alle eine weitaus größere Planbarkeit als zurzeit.

 

Nun noch zur Lockerung der Maßnahmen in einzelnen Bundesländern bei Werten unter 100. Hier müssten die Regierungschefs Farbe bekennen, denn Stufen bedeuten Priorisierung. Die Kultusminister haben es als einziger politischer Bereich bereits vorgemacht – allerdings bislang ohne konkrete Inzidenzwerte.

 

Vorrang für 
Schulen und Kitas

 

Mein Vorschlag: Fällt in ganz Deutschland die Inzidenz unter 100, gilt in den Bundesländern: Wo die Inzidenz ebenfalls unter 100 fällt, dürfen die Grundschulen und Kitas in Voll-Präsenz öffnen. Ab einer Inzidenz von unter 75 gehen die weiterführenden Schulen in den Wechselbetrieb. Ab einer Inzidenz von unter 50 gehen alle Schulen in den Corona-Vollbetrieb. Ab einer Inzidenz von unter 25 wird die Maskenpflicht für alle Altersklassen im Unterricht aufgehoben, bleibt aber bis zu einer Inzidenz von unter 10 auf dem Schulgelände. Steigen die Inzidenzen, gelten die Verschärfungen analog.

 

Die Kultusminister haben sich bislang geweigert, solche konkreten Inzidenzen zu benennen, weil sie fürchteten, damit die einzigen zu bleiben. Das wäre in einem gesamtgesellschaftlichen Stufenplan jedoch nicht mehr der Fall. Weil parallel auch die anderen Lockerungen mit Grenzwerten belegt würden. Und weil die Regierungschefs dann beweisen könnten, dass sie ihr Versprechen, die Kitas und Schulen als Priorität zu behandeln, wieder in praktische Politik umsetzen wollen.  

 

Und was ist mit Büros, Hochschulen,
Handel oder Restaurants?

 

Auch hier ein paar Vorschläge: Fällt in ganz Deutschland die Inzidenz unter 100, entfällt in Bundesländern ab einer Inzidenz von unter 100 die (hoffentlich morgen verschärfte) Ausgangssperre, auch die Kontaktbeschränkungen werden etwas gelockert. Unter einer Inzidenz von 75 entfällt die (hoffentlich morgen beschlossene) Homeoffice-Pflicht, Bibliotheken und der Einzelhandel dürfen unter Auflagen öffnen. Unter einer Inzidenz von 50 werden die Auflagen für den Einzelhandel geringer und weitere Einrichtungen dürfen öffnen. Hochschulen können in die eingeschränkte Präsenzlehre wechseln. Unter einer Inzidenz von 35 dürfen Restaurants und Kinos unter Auflagen öffnen, an den Hochschulen werden mehr Lehrveranstaltungen angeboten. Und so weiter.

 

Wie gesagt: Der Stufenplan ist nur eine Skizze, die Reihenfolge der Maßnahmen lässt sich ebenso diskutieren wie die Höhe der einzelnen Grenzwerte. Zumal zu fragen wäre, ob anstelle der zeitweise unzuverlässigen Infektionsmeldungen nicht eine Kombination der offiziellen Inzidenzen, der Krankenhauseinweisungen und der Patienten auf den Intensivstationen sinnvoll wäre. Nur darf es nicht zu komplex in der Kommunikation werden.

 

Eine klare Perspektive und eine dauerhafte Strategie in der Pandemie sind in jedem Fall überfällig. Ein Stufenplan würde Hoffnung machen in diesen Wintertagen und – weil sie nicht in die immer gleichen Lockerungsdebatten investiert werden müsste – viel Kraft sparen. Die Frage ist: Haben Bund und Länder den Mut zu einem solchen – überlegten – Automatismus? Denn dann müssten auch sie sich daran halten.




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Kommentare: 1
  • #1

    Norbert Sack (Montag, 18 Januar 2021 20:09)

    Lieber Herr Wiarda,

    Vielen Dank für diese wertvollen Überlegungen.

    Nir eine Frage: Halten Sie die Fixierung auf den Neuinfektionswert für zielführend, wenn in absehbarer Zeit die eigentlichen Risikogruppen geimpft sind? Warum sollte man dann für eine Übergangszeit (und wir sprechen ja hoffentlich nur davon, bis zu einer gewissen Herdenimmunität im Spätsommer) nicht auch höhere Werte akzeptieren, solange die Kliniken nicht drohen überlastet zu werden?