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Wertlose Zahlen

Die gemeldeten Neuinfektionen bei Kita-Kindern sind seit Lockdown-Beginn stark unterdurchschnittlich gesunken, bei Schülern nur im Gleichschritt mit der Gesellschaft. Haben sich die Schließungen epidemiologisch gelohnt? Eine Antwort gibt die miese Datenlage nicht her. Das ist ein echtes Problem.

Grafik: OpenClipart-Vectors / Pixabay. 

GLAUBT MAN DER RKI-STATISTIK, waren die Schließungen von Kitas und Schulen ein Reinfall. Denn der Anteil der positiv getesteten Unter-5-Jährigen an allen neuen Corona-Fällen steigt seit Wochen und liegt inzwischen auf einem Allzeit-Hoch von 2,64 Prozent. Bei den 5- bis 14-Jährigen ist die Quote ebenfalls massiv angestiegen und erreichte in der gestern zu Ende gegangenen Kalenderwoche 5,45 Prozent – und damit wieder den Stand von Mitte Dezember.

 

Nun kann man argumentieren: Ja, aber das sind doch nur die relativen Zahlen. Die Anteile müssen zwangsläufig steigen, wenn (glücklicherweise!) die sehr hohe Zahl der Infektionen unter alten Menschen stark zurückgeht. Außerdem gibt es absolut gesehen doch deutlich weniger neue Fälle auch unter Kindern und Jugendlichen.

 

Was einerseits richtig ist: So hat sich die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen bei den Unter-5-Jährigen im Vergleich zu ihrem Höchststand in Kalenderwoche 51 (3111) mehr als halbiert (-58 Prozent) und lag zuletzt bei 1293. Da werden zwar noch einige Nachmeldungen hinzukommen, aber den Trend verändern sie nicht mehr. Allerdings: Gesamtgesellschaftlich sanken die Fallzahlen im selben Zeitraum von gut 175.000 auf knapp 49.000 (-72 Prozent), und auch bei den 30- bis 59-Jährigen gingen sie um 72 Prozent zurück. 

 

Woraus man folgern könnte: Nicht die Schließung von Kitas und Schulen hätte die Neuinfektionen insgesamt heruntergebracht, sondern die Neuinfektionen bei Kindern sanken infolge des allgemeinen Rückgangs.

 

Die wenigen Tests
sind das Problem

 

Was aber, könnte man nun gegenhalten, ist mit dem deutlichen Minus der gemeldeten Neuinfektionen bei den Kindern und Jugendlichen direkt nach den Schulschließungen? Zwischen Kalenderwoche 51 und 53 stürzte der Anteil der offiziell neuinfizierten Unter-5-Jährigen von 1,78 auf 1,25 Prozent regelrecht ab, bei den 5- bis 14-Jährigen ging es von 5,48 auf 3,72 Prozent runter. Einige hatten daraus schon unmittelbar den durchschlagenden Erfolg der Schließungen abgeleitet.



Doch die Antwort liegt in dem Wort "offiziell": Denn parallel mit dem Zusperren der Kitas und Schulen waren auch die Corona-Tests bei den Kindern und Jugendlichen massiv heruntergefahren worden, innerhalb von zwei Wochen auf lediglich ein Drittel, und seitdem haben sich die Test-Zahlen bei dieser Altersgruppe kaum erholt.

 

Der sprunghafte Rückgang zwischen Kalenderwoche 51 und 53 lässt sich also mit dem Test-Absturz gut erklären, aber was ist mit der im Vergleich zu allen Altersgruppen zögerlichen Entwicklung seitdem? Wie begründet es sich, dass der Anteil der Kinder und Jugendlichen an allen Neuinfektionen trotz der weiter niedrigen Test-Zahlen höher bzw. so hoch ist wie vor den Schließungen? Und wo lägen die gemeldeten Infektionszahlen bei den Kita- und Schulkindern wohl erst, wenn wieder so viel getestet würde wie Mitte Dezember?

 

Wir wissen es nicht – weil die Qualität der Meldezahlen so eklatant schlecht ist. Und weil sich daran in der Politik oder in der Wissenschaft über Wochen kaum jemand zu stören schien. Insofern ist natürlich auch die anfangs aufgestellte These, die Schließungen von Kitas und Schulen seien ein Reinfall gewesen, so nicht haltbar. Weil ihre Datengrundlage so erschreckend schlecht ist. 

 

Rheinland-Pfalz versus
Baden-Württemberg

 

Absehbar ist allerdings, dass mit allmählich öffnenden Kitas und Schulen die Tests wieder zunehmen. Bleibt zu hoffen, wenn dann die gemeldeten Infektionszahlen bei den Kindern und Jugendlichen ebenfalls stark steigen, dass dies dann nicht den Öffnungen zugeschrieben wird.

 

Im Gegenteil: Schon längst hätte eine Debatte starten müssen, warum die Zahlen bei den Jüngsten im Lockdown offenbar nicht so stark gesunken sind. Es könnte sogar sein, dass die zunehmenden Virusmutationen den Rückgang abgeschwächt haben – wir wissen es nicht. Das Argument, dass in vielen Bundesländern die Kitas und Schulen nur teilweise geschlossen waren, weswegen die Kinder weniger Kontaktbeschränkungen gehabt hätten, taugt hier zur Erklärung jedenfalls nicht wirklich. Denn der Anteil der Erwachsenen, die weiter ins Büro und an den Arbeitsplatz gehen, liegt weitaus höher.

 

Spannend ist auch, wenn man die beiden Länder mit den derzeit niedrigsten 7-Tages-Inzidenzen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, herauspickt. Nachbarländer, größtenteils ähnliche Demografie, doch während in Baden-Württemberg Kitas und Schulen relativ konsequent bis auf eine erweiterte Notbetreuung geschlossen waren, blieben die Kitas in Rheinland-Pfalz prinzipiell offen. Rückgang der gemeldeten Neuinfektionen bei den 0- bis 14-Jährigen in den vergangenen vier Wochen in Baden-Württemberg: 40 Prozent. In Rheinland-Pfalz: 24 Prozent. Aber: Baden-Württemberg kam auch von einem viel höheren gesellschaftlichen Infektionslevel. So nahm das Infektionsgeschehen dort seit Mitte Januar um gut 60 Prozent ab, in Rheinland-Pfalz um gut 40 Prozent. In beiden Ländern war also der Rückgang bei den Kindern und Jugendlichen nur etwa zwei Drittel so stark wie in der Gesellschaft insgesamt. 

 

Schluss mit den Rechenspielen. Sie enden erst, wenn deutlich mehr Kinder und Jugendliche getestet werden. Wenn es parallel dazu regelmäßige repräsentative Samples gibt. Bis dahin bleiben einzelne Indizien und Hinweise. Und die lassen vermuten, dass die Kita- und Schulschließungen mitnichten die erfolgreichste epidemiologische Maßnahme gewesen sein dürften. 


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Kommentare: 4
  • #1

    Nicole Berger (Montag, 15 Februar 2021 12:21)

    Eine kleine Korrektur - die Kriterien, welche Kinder die Notbetreuung besuchen dürfen, sind aktuell in Baden-Württemberg deutlich gelockert im Vergleich zum ersten Lockdown. An einigen Standorten führt dies insbesondere in den Kitas (weniger in den Grundschulen) zu einer hohen Auslastung. Verlässliche Zahlen dazu sind meines Wissens nach nirgends veröffentlicht. Von einer "strengen Notbetreuung" kann allerdings vermutlich keine Rede sein, was auch den Vergleich zwischen BW und RLP nicht aussagekräftig macht.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 15 Februar 2021 15:07)

    Liebe Frau Berger,

    vielen Dank für den Hinweis! Die Bedingungen in BW mögen gelockert worden sein, tatsächlich waren sie nach den Daten der Corona-KiTa-Studie aus dem Januar gab es jedoch trotzdem beträchtliche Unterschied im Betreuungsgrad etwa zu Rheinland-Pfalz, siehe hier auf Seite 16: https://corona-kita-studie.de/ergebnisse#c1

    So besuchten in RP in der 2. Kalenderwoche zum Beispiel 41 Prozent der Kinder ihre KiTa zu mehr als 50 Prozent der normalen Zeit, in BW nur 17 Prozent.

    Insofern ist der Vergleich meines Erachtens sehr valide.

    Viele Grüße
    Ihr J-M Wiarda

  • #3

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 15 Februar 2021 15:10)

    PS: Ich habe aber entsprechend der Definition der KiTA-Studie und Ihrem Hinweis das Wording zur Strenge der Notbetreuung angepasst.

  • #4

    Anderson (Dienstag, 16 Februar 2021 13:04)

    Sehr geehrter Herr Wiarda,
    nur eine Frage zu diesem Satz:
    "Zwischen Kalenderwoche 51 und 53 stürzte der Anteil der offiziell neuinfizierten Unter-5-Jährigen von 1,78 auf 1,25 Prozent regelrecht ab, bei den 5- bis 14-Jährigen ging es von 5,48 auf 3,72 Prozent runter."
    das Verb "stürzte ab" im 1. Halbsatz suggeriert ein viel stärkeres Sinken als im 2. Halbsatz. Rechnet man es nach, ist der Unterschied aber marginal: U5 sinkt auf 70%, Ü5: 68%. Vielleicht überarbeiten Sie diesen Satz nochmal?
    BG,
    Anderson