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Ein Chief Scientific Advisor für die Bundesregierung!

Die USA haben ihn, die Briten ebenfalls: Warum mit einer angesehenen Wissenschaftlerpersönlichkeit als Repräsentant auch in Deutschland die wissenschaftliche Politikberatung noch stringenter werden könnte. Ein Gastbeitrag von Norbert Arnold.

WISSENSCHAFTLICHE POLITIKBERATUNG spielt nicht erst seit der Corona-Pandemie eine große Rolle. Aber in der aktuellen Krise wird auch einer breiten Öffentlichkeit bewusst, wie wichtig Wissenschaft und Forschung sind – nicht nur in den Labors, sondern auch im politischen Raum. 

 

Bemerkenswert ist nicht nur, wie schnell Forscher Sars-Cov-2 analysiert und Diagnose-, Therapiemethoden und Impfstoffe entwickelt haben. Bemerkenswert ist auch, wie intensiv Wissenschaftler und Politiker interagieren, um Problemlösungsstrategien zu entwickeln – mit klarer Aufgabenteilung: Wissenschaft steckt mit ihren Forschungsergebnissen und daraus abgeleiteten Folgerungen einen "faktenbasierten Möglichkeitsraum" ab, in dem Politik verantwortlich handelt – unter Einbeziehung von Wertegrundlagen und in Abwägung unterschiedlicher Interessen. 


Norbert Arnold arbeitet in der Abteilung Wirtschaft und Innovation der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er studierte Biologie und Philosophie. Neben gesellschaftspolitischen Fragen befasst er sich vor allem mit Wissenschafts- und Forschungspolitik sowie Lifesciences, Bio- und Medizinethik. Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung.



In Deutschland ist wissenschaftliche Politikberatung seit langem fest etabliert. Viele verschiedene Forschungseinrichtungen, Beiräte, Sachverständigengruppen, Expertenkommissionen, Akademien, Forschergruppen und einzelne Wissenschaftler stellen ihre fachliche Expertise zur Verfügung. Im politischen Berlin lassen sich, je nach Definition, zwischen fünfzig und mehreren hundert Einrichtungen identifizieren, die in der wissenschaftlichen Politikberatung tätig sind. Diese institutionelle Vielfalt kann als Vorteil gewertet werden, spiegelt sie doch die fachliche Vielfalt der Wissenschaften und die Heterogenität der Aufgabenstellungen in der Politikberatung wider. Sie erweist sich jedoch als nachteilig, wenn eindeutige Antworten erwartet werden. Die Vielstimmigkeit der Wissenschaft hinterlässt in Politik und Öffentlichkeit einen dissonanten Eindruck, vermeidbar ist sie aber in vielen Fällen nicht. Wissenschaftliche Beratung wird immer auch zu unterschiedlichen Empfehlungen für politisches Handeln führen.



Dennoch lohnt es sich darüber nachzudenken, wie die wissenschaftliche Politikberatung stringenter gestaltet werden kann, ohne die gebotene Vielfalt wissenschaftlicher Sichtweisen einzuschränken. Eine Möglichkeit wäre etwa, einen Chief Scientific Advisor zu etablieren.

 

In den Vereinigten Staaten hat der Direktor des White House Office of Science and Technology Policy (OSTP) als Chief Scientific Advisor einen direkten Zugang zum Präsidenten und zur Regierung. Präsident Biden hat den bekannten Mathematiker und Biologen Eric Lander auf diese einflussreiche Stelle berufen. Stimmt der Senat zu, wird er als President’s Science Advisor nicht nur ein wichtiger Politikberater, sondern – zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten – auch Mitglied des Kabinetts.

 

Auch in Großbritannien berät ein Wissenschaftler als Government Chief Scientific Adviser den Regierungschef in wissenschaftlichen Fragen. Hinzu kommen Chief Scientific Advisers, die den Ministerien zugeordnet sind

 

Ein ähnliches System gib es auch in der Europäischen Union: Eine Gruppe aus sieben Chief Scientific Adivisors  steht gemeinsam mit einem Verbund europäischer Wissenschaftsakademien der Europäischen Kommission für die wissenschaftliche Beratung zur Verfügung.

 

Auf Landesebene findet sich in Baden-Württemberg ein interessanter Ansatzpunkt. Dort gibt es seit 1952 sogenannte Staatsräte, die ehrenamtlich Mitglied im Landeskabinett sind und – je nach Besetzung – Scharnierfunktionen zwischen Wissenschaft und Politik übernehmen können.

 

Eine angesehene Wissenschaftlerpersönlichkeit als Chief Scientific Advisor der Bundesregierung könnte die bisherigen guten Verbindungen zwischen Wissenschaft und Politik ergänzen und intensivieren. Mit Zugang zum Bundeskabinett würde ein Chief Scientific Advisor noch stärker als bisher Wissenschaft und Forschung in der Politik vertreten und ihre Ergebnisse für politisches Handeln fruchtbar machen – mit Vorteilen in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie und darüber hinaus in den vielen Politikfeldern, in denen (Natur-) Wissenschaften von grundlegender Bedeutung sind.


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Kommentare: 2
  • #1

    Th. Klein (Donnerstag, 25 Februar 2021 08:58)

    "Mit Zugang zum Bundeskabinett würde ein Chief Scientific Advisor noch stärker als bisher Wissenschaft und Forschung in der Politik vertreten und ihre Ergebnisse für politisches Handeln fruchtbar machen – mit Vorteilen in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie und darüber hinaus in den vielen Politikfeldern, in denen (Natur-) Wissenschaften von grundlegender Bedeutung sind." - Und genau da offenbart sich die riesige Schwachstelle dieser Konstruktion. Die Person kann nur einer Disziplin angehören und diese vertreten. Bzgl. Corona wäre die Beratung ja völlig unterschiedlich ausgefallen, je nach Besetzung durch jemanden aus den Bereichen Medizin, Sozialwissenschaften, Psychologie usw., selbst wenn es jemand mit "Systemblick" ist, bleibt der Bias. Noch schwieriger, wenn die Disziplin kaum Bezug zum Problem hat. Hier ist die Vielstimmigkeit und die Kanalisation über Beiräte, Akademien etc doch hilfreicher und auch fundierter.

  • #2

    W. Wollersheim (Donnerstag, 25 Februar 2021 14:52)

    "Die Vielstimmigkeit der Wissenschaft hinterlässt in Politik und Öffentlichkeit einen dissonanten Eindruck, ..." Das macht für mich die große Glaubwürdigkeit aus: Wissenschaft ringt um Erkenntnis und streitet mit Argumenten. In meinen Augen ist das vorbildhaft für eine Gesellschaft, die in Echokammern zu fragmentieren scheint. DArüber hinaus geht es auch um Rollenklarheit: Wissenschaft und Exekutive sind nicht identisch. Ein Chief Scientific Advisor mit Kabinettsrang verwischt diese Trennung. Keine gute Idee.