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"Viele Schulen waren auf den Distanzunterricht gut vorbereitet"

Der Bildungsforscher Olaf Köller über Schulleiter, die ihre Schule für die zweite Welle fit gemacht haben, über die mangelnde Unterstützung aus der Politik und über Kultusminister, die aus Druck wichtige Vergleichsarbeiten absagen.

Olaf Köller ist Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel. Foto: IPN/Davids/Sven Darmer.

Herr Köller, zusammen mit Kollegen haben Sie 800 Schulleiterinnen und Schulleiter aus ganz Deutschland befragt, wie gut im ersten Lockdown die Kommunikation mit ihren Schülern geklappt hat. Was kam dabei heraus?

 

Vor allem, dass die meisten Schülerinnen und Schüler erreicht wurden. Das war ja keineswegs so sicher gewesen. Und wenn man den Schulleitungen glaubt, haben sie zum Kontakthalten auch noch häufig digitale Medien eingesetzt. An über 50 Prozent der Schulen wurden E-Mails als Kommunikationsmittel genutzt, mehr als ein Drittel haben Cloud-Lösungen gehabt und 25 Prozent Videokonferenzen. Wobei Grundschulen häufiger analoge Wege nutzten als Sekundarschulen. Das mag mit ihren didaktischen Traditionen zu tun gehabt haben, noch stärker aber mit ihrer im Vergleich schlechteren technischen Ausstattung. Besorgniserregend, wenn auch aufgrund anderer Studien nicht überraschend war, dass den Schulleitungen zufolge der Kontakt zu sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern deutlich häufiger abriss.

 

Trotzdem insgesamt erstaunlich positive Ergebnisse. Inwieweit besteht eigentlich die Gefahr, dass die Schulleiter die Performance der eigenen Schule systematisch überbewerten?

 

Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass Lehrkräfte oder Schulleitungen sich in Umfragen zur Qualität ihrer Schule optimistischer äußern als Eltern und Schüler. Insofern haben wir es sicherlich mit einem positiv gefärbten Bild zu tun. Gleichwohl hat eine Befragung unter Achtklässler-Eltern im Rahmen des Nationalen Bildungspanels (NEPS) ebenfalls ergeben, dass die digitale Kommunikation mit der Schule recht gut funktioniert hat.  



Die von Ihnen befragten Schulleiter berichten außerdem, dass sie die im ersten Lockdown entstandenen Lernverluste im Sommer und Herbst durch Zusatzangebote ausgeglichen hätten. Ist die Formulierung "ausgeglichen" nicht reichlich euphemistisch? Was wissen Sie über die realen Lernstände?

 

Das ist schon richtig: Wir können nur sagen, dass es Sommerschulen, Mentoring oder Nachhilfekurse gegeben hat. Was sie gebracht haben, wissen wir nicht. Das ist etwas, was ich überhaupt sehr kritisch finde: Die Politik hat nicht nur keine Extra-Untersuchungen zum Leistungsstand nach Corona in den Schulen zugelassen. Noch dazu haben die Kultusminister die ohnehin regelmäßig vorgesehenen Erhebungen VERA 3 und VERA 8 mit Hinweis auf die zu große Belastung der Schulen ausgesetzt. Wir haben fast keine Daten.

 

Es gab aber doch neulich eine Untersuchung in Hamburg.

 

Da waren die Erhebungsmethoden vor und nach dem Lockdown aber so unterschiedlich, dass sich die Ergebnisse nicht wirklich gut vergleichen lassen. Immerhin deutet sie darauf hin, dass die in der Zeit der Schulschließungen entstandenen Lernrückstände insgesamt nicht so groß gewesen sein könnten. Allerdings steht zu befürchten, dass vor allem bildungsferne Kinder und Jugendliche noch stärker zurückfallen könnten. Eine neue NEPS-Auswertung zeigt bereits, dass lesestarke Kinder motivierter waren im Lockdown und sich und ihren Lernfortschritt besser selbst regulieren konnten als Kinder, die nicht so gern lesen.

 

"Der politische Wille
stand dem entgegen."

 

Werfen Sie den Blindflug der Politik vor?

 

Fest steht, dass sich die Kultusminister wegen des Drucks aus Teilen der Lehrer- und Elternschaft nicht getraut haben, die Vergleichsarbeiten durchzuziehen. Dabei wären VERA 3 und VERA 8 nicht nur hervorragende Gelegenheiten gewesen, die Folgen der Schulschließungen zu messen. Gleichzeitig hätten die Schulen zumindest in den dritten und achten Klassen diejenigen Schülerinnen und Schüler identifizieren können, die den größten Förderbedarf haben. Diese Chance wurde verpasst. Jetzt müssen wir warten, bis nächstes Jahr die Ergebnisse des Bildungstrends für die vierte Klasse kommen. Dann können wir auch einschätzen, welche Zusatzangebote wie gut geholfen haben. 

 

Fast unglaublich ist, dass 97 Prozent der Schulleiter angaben, ihre Schule hätte sich nach den Schulschließungen im Frühjahr 2020 gut auf den erneuten Lockdown vorbereitet. Viele Eltern berichteten da ganz Anderes. 

 

Deren Wahrnehmung aber möglicherweise beeinflusst war durch eine politisch geführte Debatte, die mit aller Gewalt auf Präsenzbetrieb gesetzt hat. Viele Schulen waren ja im Herbst durchaus gut vorbereitet, in den Distanzunterricht zu wechseln, sie hatten Erfahrungen mit Lernplattformen und Videosystemen gesammelt, sie hatten die Konzepte und die Kommunikationskanäle, um den Schülern die nötigen Rückmeldungen zu geben. Doch der politische Wille stand dem entgegen. 

 

"Wieviel einfacher wäre es gewesen, wenn die Kultusminister vor den erneuten Schulschließungen die Schulen mal den Ernstfall hätten proben lassen."

 

Aber als der Lockdown dann kam, hat doch vieles nicht geklappt, vielerorts sind schon am ersten Tag die Server zusammengeklappt.

 

Das kann man nicht den Schulen vorwerfen, sondern eher der Politik, die sich nicht rechtzeitig um die nötige Infrastruktur gekümmert hat. Wieviel einfacher wäre es gewesen, wenn die Kultusminister zwischen Mai und Dezember 2020, also vor den erneuten Schulschließungen, die Schulen mal den Ernstfall hätten proben lassen. Wenn an einem Distanzlerntag sich auf einmal tausende von Schülern in die Lernplattformen eingeloggt hätten, hätte man die Systemschwächen erkennen und beseitigen können, bevor es zu spät war. 

 

Apropos Technik: In ihrer Befragung berichten viele Schulleiter noch, dass vor allem viele Kinder aus benachteiligten Familien nicht die nötige technische Ausstattung fürs das digitale Distanzlernen hätten. Hat sich dieses Problem dank der Laptop-Programme von Bund und Ländern inzwischen erledigt? 

 

Kurzfristig wahrscheinlich ja. Aber was ist, wenn die Geräte kaputtgehen? Wer bezahlt den Ersatz? Und wer wartet sie? Jedes größere Unternehmen hat eigene IT-Kräfte, die sich um die technische Ausstattung kümmern. Die Schulen bekommen jetzt, wenn es gut läuft, ein paar Systemadministratoren anfinanziert. Die Nachhaltigkeit fehlt. Solange Bund und Länder die Digitalisierung der Schulen mit zeitlich befristeten Programmen erreichen wollen, muss das mittelfristig schiefgehen.  

 

Dieses Interview erschien gestern in einer gekürzten Fassung vorab in meinem Newsletter.


800 Schulleiter aus sieben Bundesländern

Die Studie "Kontinuität und Wandel der Schule in Krisenzeiten (KWIK) ist eine Kooperation der Universität Hamburg, des IPN Kiel und der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA). Die Forscher haben im Sommer und Herbst 2020 rund 800 Schulleiter von Grund- und Sekundarschulen in

sieben Bundesländern zum Unterricht in Zeiten der Corona-Pandemie befragt. Diesen Sommer wird die Befragung wiederholt, zusätzlich werden an den Schulen erstmals auch Lehrkräfte neben den Schulleitern interviewt. Dann soll es verstärkt auch um die didaktische Qualität des Distanzunterrichts gehen. 




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