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Was kommt nach dem Goodbye?

Eine parlamentarische Anfrage zeigt: Die Auswirkungen des britischen Ausstiegs aus Erasmus+ sind gravierend. Was die Bundesregierung vorhat – und warum das der Opposition nicht reicht.

Campus der britischen Oxford-University. Foto: Radcliffe Camera Panorama, CC BY-SA 4.0.

ES WIRD IMMER KLARER, wie dramatisch sich der Ausstieg Großbritanniens aus der EU und Erasmus+ auf den Bildungsaustausch auswirkt. Das zentrale Programm für Studienaufenthalte und Praktika ist seit dem 1. Januar weggefallen, die geregelte Anerkennung der Studienleistungen schon vorab ebenfalls. Und die finanzielle Unterstützung von bis zu 450 Euro pro Monat für aus Deutschland kommende Studierende bzw. bis zu 550 Euro für Praktikanten gibt es auch nicht mehr. Was ersteren auch deshalb besonders wehtun dürfte, weil sie jetzt auch Studiengebühren zahlen müssen.

 

So führt es die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP auf und ergänzt: Eine "belastbare Prognose", was das alles für die Austauschzahlen bedeutet, sei nicht möglich. Klar ist: Allein zwischen 2014 und 2018 sind fast mehr als 25.700 deutsche Erasmus+-Studierende ins Vereinigte Königreich gegangen. Nur nach Spanien und Frankreich wollten noch mehr. Umgekehrt kamen im selben Zeitraum gut 11.500 Briten per Erasmus+ nach Deutschland.

 

Und jetzt? Die Bundesregierung scheint es auch nicht so recht zu wissen. Zu dem von Großbritannien ersatzweise angekündigten "Alan Turing"-Mobilitätsprogramm seien "derzeit noch keine umfassenden Einzelheiten" verfügbar, schreibt der parlamentarische BMBF-Staatssekretär Thomas Rachel (CDU) in seiner Antwort an den FDP-Bildungspolitiker Jens Brandenburg. Auf EU-Ebene wiederum seien nach dem Ausstieg Großbritanniens "andere Abkommen für diesen Bereich" nach Kenntnis der Bundesregierung nicht vorgesehen. 

 

Auch beim BAföG gilt Großbritannien

jetzt als Drittstaat

 

Und die Bundesregierung selbst? Steht laut Rachel einer erneuten Teilnahme an Erasmus+ "weiterhin offen gegenüber". Ordnet in der Zwischenzeit aber deutsche Studierende, die ab diesem Jahr in Großbritannien studieren wollen, beim BAföG den Förderregeln für Drittstaaten außerhalb der EU und der Schweiz zu. Während es für das Alpenland also eine Ausnahme gibt, seien solche Änderungen für Großbritannien "derzeit nicht geplant".

 

Der FDP-Politiker Brandenburg kritisiert: Die Bundesregierung schaue "untätig zu, wie der deutsch-britische Bildungsaustausch gegen die Wand fährt. Die Bildungsministerin sollte sich jetzt für Alternativen zum auslaufenden Erasmus-Programm und ein mindestens binationales Rahmenabkommen einsetzen."

 

Bitter ist auch, dass Schottland und Wales gern bei Erasmus+ dabei geblieben wären, doch die Erasmus+-Verordnung die Teilnahme von Teilstaaten nicht zulässt.

 

Und was ist mit den Lehramtsstudierenden mit dem Fach Englisch, die ihren obligatorischen Studienaufenthalt in einem englischsprachigen Land bislang im Vereinigten Königreich absolviert haben? Die Bundesregierung hat hierzu keine Statistiken. Sie verweist aber unter anderem auf das DAAD-Programm "Lehramt.International", zu dem auch Stipendien für Studienaufenthalte "an Partnerhochschulen, u.a. im Vereinigten Königreich" gehörten. Zurzeit würden bundesweit zehn Kooperationen mit britischen Hochschulen gefördert. 

 

DAAD legt zehn Thesen zu den
Wissenschaftsbeziehungen mit Großbritannien vor

 

"Das reicht nicht einmal im Ansatz", warnt Jens Brandenburg. Als englischsprachige Erasmus+-Länder kämen jetzt nur noch Irland und Malta infrage. "Sie werden den Erasmus-Austausch mit dem Vereinigten Königreich aber kaum auffangen können."

 

Derweil hat der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) zehn Thesen vorgelegt, wie die Beziehungen mit britischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen künftig gestaltet werden könnten.

 

Darin fordert die Austauschorganisation unter anderem, die Übernahme von Studiengebühren im Auslands-BAföG zu erhöhen, und betont, die neue Erasmus+Programmgeneration ab 2021 solle in begrenztem Umfang auch Förderungen in Nicht-Erasmus-Partnerländer wie dem Vereinigten Königreich ermöglichen. Der DAAD werde mit den Hochschulen bis 2023 alternative Zugangswege und Finanzierungsmodelle für Studierende entwickeln. Verhandlungen über Kooperationsmodelle und Gebührenerlass würden bereits auf verschiedenen Ebenen geführt.

 

Zahl der internationalen Erstsemester insgesamt

brach um ein Fünftel ein

 

Am 22. März stellt der DAAD seine Thesen in einer virtuellen Gesprächsrunde zur Diskussion (Registrierung bis zum 19. März hier). Da wird es dann womöglich auch um die Frage gehen, wie dramatisch der Rückgang bei den internationalen Erstsemestern einzuschätzen ist. Im vergangenen Jahr kamen laut Statistischem Bundesamt 99.400 und damit 21 Prozent weniger junge Menschen zum Studieren nach Deutschland. 

 

Eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab zudem, dass im vergangenen Jahr 913 DAAD-Stipendiaten aus dem Ausland ihr geplantes Studium in Deutschland nicht antreten konnten, 32 haben es nicht fortführen können und 960 studierten online statt vor Ort. 2548 ausländische Studierende konnten ihr Studium in Deutschland dagegen starten. Auf deutscher Seite fiel für 29 Prozent der studentischen Stipendiaten der Auslandsaufenthalt aus, weitere 11 Prozent brachen ihre Auslandsstudium ab.

 

Der grüne Bildungsexperte Kai Gehring kritisierte, die Bundesregierung habe es auch Ein Jahr nach Beginn der Pandemie nicht geschafft, in allen deutschen Auslandsvertretungen corona-konforme Abläufe für die Visa-Vergabe und Einreise von Talenten zu entwickeln. "Einschränkungen bei der Visa-Vergabe bedeuten nicht nur negative wirtschaftliche Effekte, sondern schaden auch Deutschlands Ruf als weltoffenes und gut organisiertes Land." 

 

Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) forderte in ihrem am Donnerstag veröffentlichten, an die Politik gerichteten Zehn-Punkte-Papier "Zukunftsfähigkeit von Studium und Lehre sichern" unter anderem, strukturelle Hindernisse für internationale Studierende bei der Visa-Vergabe und der studentischen Krankenversicherung zu beseitigen.

 

Dieser Artikel erschien gestern in einer gekürzten Fassung vorab in meinem wöchentlichen Newsletter. 


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Kommentare: 1
  • #1

    Leander Kurscheidt (Freitag, 19 März 2021 12:05)

    Man muss meiner Meinung nach akzeptieren, dass ein Ausstieg aus erasmus+ auch ein Ausstieg aus einem einfachen und bezahlbaren Austausch der Studenten ist. Dies lässt sich nicht einseitig lösen. Ich weiß nicht ob die Wiederaufnahme Schottland und Wales so einfach und zeitnah möglich ist, aber es würde diese Teile zumindest wieder etwas an Europa binden ist und ist ein für mich realistischer Weg den Austausch anzukurbeln.

    Mit der Übernahme der Studienkosten subventionieren wir nur die Universitäten in Großbritannien. Es gibt bestimmt genügend Länder außerhalb der EU, welche Interesse an einem Austausch auf Augenhöhe haben. Vtl. kann man damit eine Brücke nach Asien schlagen.

    Europa muss sich um die Bindung Großbritanniens bemühen, aber dies kann nicht einseitig passieren.