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Nicht zu Ende gedacht

Kitas und Schulen dürfen nur offenbleiben, wenn alle Kinder und Erwachsenen zweimal wöchentlich getestet werden? So stand es in der Beschlussvorlage vor der heutigen Corona-Spitzenrunde. Warum das Ziel richtig und die Bedingung doch grundfalsch ist – und warum Bund und Länder so das nächste Fiasko riskieren würden.

DER START DES CORONA-GIPFELS verzögert sich. Zeit genug für einen kurzen Realitätscheck.

 

In der Beschlussvorlage stand, offenbar auf Initiative aus dem Kanzleramt, dass Schulen ab einer 7-Tages-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner schließen sollen und bei einer Inzidenz zwischen 100 und 200 nur dann offenbleiben dürfen, wenn alle Schülerinnen und Schüler und das Personal zweimal in der Woche auf das Coronavirus getestet wird.

 

Oberflächlich betrachtet eine eindeutige, vernünftige, ja sogar öffnungsfreundliche Regelung. So öffnungsfreundlich, dass in den sozialen Medien einige schon ein rotes Ausrufezeichen hinter die 200 setzen verbunden mit dem Kommentar: "Viel zu hoch!"

 

Überlegt man sich die Sache genauer, wird man indes schnell stutzig. Am treffendsten formulierte es bereits gestern Abend Henrike Roßbach von der Süddeutschen Zeitung. "Nur damit ich das richtig verstehe", schrieb sie auf Twitter. "Bund und Länder möchten also die Verfügbarkeit von Tests, für die sie selbst und niemand sonst zuständig sind, zur Bedingung für den Betrieb von Schulen und Kitas machen." Und Roßbach fügte hinzu: "Okay, das wird interessant morgen."

 

Man könnte auch sagen: Der Staat, der in der Pflicht steht, das Recht auf Bildung umzusetzen, stellt es unter den Vorbehalt, dass er selbst vernünftig seine Hausaufgaben macht. Und macht er sie nicht, bestraft er die Kinder dafür. So einfach ist das. 

 

Das Kanzleramt kann
sich die Hände reiben

 

Sollten die Länder dies mit beschließen, kann sich das Kanzleramt, das in offenen Bildungseinrichtungen schon Monate, bevor die dritte Welle begann, wesentliche Motoren der Pandemie sah, die Hände reiben. Denn dann würden die Ministerpräsidenten eine Bedingung eingehen, die sie absehbar nicht erfüllen können. Und das Kanzleramt könnte mit Recht darauf drängen, dass die Kitas und Schulen ab einer Inzidenz von 100 dichtmachen. Also jetzt. Hinzu kommt, dass sie in dem Fall anders als versprochen vermutlich sehr lange nicht mehr öffnen dürften.

 

Warum? Rechnen wir doch mal.

 

Es gibt laut Statistischem Bundesamt rund 10,9 Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland, außerdem etwa 820.000 Lehrkräfte. Ergibt rund 11,7 Millionen Personen und 23,4 Millionen Schnelltests pro Woche. Inklusive dem sonstigen Schulpersonal, das ja auch getestet werden muss, eher 24 Millionen Tests pro Woche. Jede Woche. 

 

Parallel dazu sollen auch die Unternehmen der Beschlussvorlage zufolge eine Selbstverpflichtung eingehen, ihre Beschäftigten regelmäßig zu testen. Was eigentlich eine eklatante Ungerechtigkeit ist, weil Kitas und Schulen ohne die zwei Tests pro Woche sofort schließen sollen, an Unternehmen aber mal wieder nur appelliert wird. Aber gut, immerhin hätte die Selbstverpflichtung den Vorteil, dass vermutlich nicht weitere 40 Millionen Selbsttests pro Woche für die Arbeitnehmer draufgehen würden. 

 

Dann private Treffen und Feiern, die über Schnelltests abgesichert werden sollen; die Gastronomie- und Reisebranche, die Kulturszene, die Hochschulen etc. die sich alle Hoffnungen haben, über Schnelltests ein Stück "Normalität" zurückerhalten zu können. 

 

Mehrere hundert Millionen Schnelltests
im Monat allein in Deutschland?

 

Womit wir, selbst solange letztere angesichts der dritten Welle von Öffnungsschritten nur träumen dürfen, von mehreren hundert Millionen Schnelltests im Monat allein in Deutschland reden. Von denen völlig unklar ist, ob und wann die Pharmaunternehmen in der Lage sein werden, sie zu liefern.

 

Auf das, was Roche & Co derzeit versprechen, sollte die zuständige "Task Force" unter der Leitung von Andi Scheuer und Jens Spahn sich jedenfalls später nicht berufen, man denke nur an die vollmundigen Versprechungen mancher Hersteller von Impfstoffen.

 

Das Ziel: "Mehr Sicherheit durch mehr Tests an Kitas und Schulen!", ist so richtig wie wohlfeil. Nur so, wie die Beschlussvorlage es beschreibt, wären die Test-Knappheit, das Verteilungschaos oder eher noch: der Verteilungskampf vorprogrammiert. Und inmitten dieses Kampfes würden die Kitas und Schulen stehen – nur dass für sie staatliche Stellen in den Finanz-, Gesundheits- und Kultusministerien mit Unterstützung von Andi Scheuer und Jens Spahn einkaufen sollen, während die Discounter den Markt leer räumen und die Großkonzerne, wenn sie ihre Selbstverpflichtung ernstnehmen, für ihre Beschäftigten ebenfalls einkaufen gehen.

 

Der Bundesschülersprecher Dario Schramm twitterte gerade einen Dialog mit einer Journalistin, die zu ihm gesagt habe: "Herr Schramm, der Bund sagt, er hat die Tests. Die Länder sagen, auch sie haben die Tests. Wo sind die Tests?" Schramms Antwort: "Auf jeden Fall nicht in den Schulen."

 

Auf jeden Fall nicht überall und ganz sicher nicht zwei pro Woche für alle.

 

Zusteuern auf den letzten
noch möglichen Vertrauensverlust

 

Daran wird sich übrigens auch über die Osterferien wenig ändern. Es ist dieses Szenario, auf das die Regierungschefs von Bund und Ländern, sollten sie sich für die zweimalige Testpflicht für alle Personen und Kitas ab sofort entscheiden, zusteuern. Sie steuern damit direkt auf geschlossene Bildungseinrichtungen und den letzten noch möglichen Vertrauensverlust zu.

 

Die Testpflicht an Kitas und Schulen ergibt dann einen Sinn, wenn der Staat es zugleich zu seiner Pflicht macht, die Tests bereitzustellen. Das und nur das darf heute Abend im Bund-Länder-Beschluss stehen. Verbunden mit dem Zusatz, dass die Regelung erst greift, wenn es nachweislich genügend Tests auf dem Markt gibt. Und zugleich müsste der Bund den Ländern zusichern, dass er sich an den geschätzten 500 Millionen Euro Testkosten pro Monat allein für die Schulen beteiligen wird. 

 

Steht es dort anders, sollten sich die Regierungschefs von Bund und Länder lieber ehrlich machen und gleich sagen, dass sie sich von der Priorität für offene Schulen in der Pandemie verabschiedet haben. Danach sah es in den letzten Wochen ohnehin zunehmend aus.


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Kommentare: 1
  • #1

    IB (Mittwoch, 24 März 2021 09:27)

    Ich weiß nicht wie, aber unsere (Grund-)Schule hat die Möglichkeit die Kinder und Lehrer zwei Mal pro Woche zu testen. Aber das alles bringt nichts, wenn die verweigerten Tests in der Schule ohne Konsequenzen bleiben und es keine Testpflicht zur Teilnahme am Präsenzunterricht gibt, wobei die Schule das Online-Format sowieso parat halten muss, da die Kinder von der Präsenzpflicht befreit sind. Das wäre doch mal was, wo man hinschauen könnte.