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Neue Lehre – neue Lernarchitekturen!

Nach der Pandemie beim Lernen "back to normal"? Bitte nicht! 
Ein Gastbeitrag von Andrea Frank und Lara Kolbert.

Beispiel Code University: Dort finden Studierende verschiedene Raumangebote zum Zusammenarbeiten – von der Sitznische bis zum Projektraum. Foto: Code University.

KINDER UND STUDIERENDE lernen aktuell nicht wie gewöhnlich in Klassen- und Seminarräumen, sondern in ihren Kinderzimmern und Studierenden-WGs. Lehrende und Lernende haben die Chancen digitaler Lernräume erlebt und gleichzeitig die Bedeutung der Schule und des Campus als Begegnungsorte erfahren. Lernen von zu Hause hat uns auf Abstand gebracht: räumlich und emotional. Lernen von zu Hause hat auch Türen geöffnet für neue Wissensquellen und Lernformen: analog und digital. 

 

Die Frage: "Wie und wo wollen wir in Zukunft lernen?", ist damit aktueller denn je. Jetzt heißt es, die Erfahrungen während der Pandemie als Chance für zukunftsorientierte Lernarchitekturen zu nutzen und diese in der Praxis umzusetzen!

 

Lernarchitektur beschreibt nicht den Raum allein. Lernarchitektur beschreibt die Wechselbeziehung von Architektur und Didaktik. Die bauliche Umsetzung erfolgt auf Grundlage didaktischer Prinzipien. Die Architektur passt sich der Pädagogik an – nicht umgekehrt. Was bedeuten also die neuen Anforderungen an das Lernen und Lehren für die Art und Weise, wie wir Schulen und Hochschulen neu bauen und neu nutzen?

 

Zur Didaktik: Die Debatte über ein anderes Verständnis vom Lernen und Lehren ist nicht neu. Schon seit über 30 Jahren wird mit dem "Shift from Teaching to Learning" die Entwicklung von wissensbasierter Lehre zu lernerzentrierter Lehre bezeichnet. Diese Entwicklung wurde als kompetenzorientierte Lehre weitergedacht. Kompetenzen verknüpfen eigenes Wissen mit der Fähigkeit, dieses Wissen anzuwenden. Der entscheidende Unterschied: Wissen kann gelehrt und übernommen werden – Kompetenzen entstehen im eigenen Handeln. Um Lernkompetenzen, soziale Kompetenzen und digitale Kompetenzen zu erlangen, braucht es Kommunikation, Kollaboration und digitale Lerngelegenheiten. Um diese Kompetenzen analog und digital zu erleben, sind entsprechende Räume an Schulen und Hochschulen notwendig. Während der Arbeitsmarkt schon lange nach solchen „Future Skills“ genannten Fähigkeiten verlangt, hat Corona ihre Bedeutung für Schülerinnen, Studierende, Lehrende wie auch Eltern im Alltag erst spürbar gemacht. Für die Gestaltung gesellschaftlicher Transformationsprozesse sind Future Skills besonders bedeutend. Warum braucht es wie in diesem Fall oft Jahrzehnte, bis die nötigen Bildungsreformen flächendeckend durchgesetzt werden? 

 

Hier kommt die Architektur ins Spiel. Institutionalisierte Räume – Räume, die immer auf gleiche Weise genutzt werden - bringen immer die gleichen Handlungen hervor. Das heißt, Veränderungen von Lernräumen sowie eine gelebte Veränderungskultur in den Organisationen machen Innovationen in der Lehre möglich. Durch eine flexible Raumausstattung müssen Lernende und Lehrende ihre Lernräume selbst gestalten können. Nicht nur in Berlin werden jedes Jahr viele neue Schulen gebaut. Die zentrale Frage darf dabei nicht sein. Wie viele Schülerinnen und Schüler brauchen Platz? Sondern die Fragen müssen lauten: Wie wollen wir in der Schule lernen, welche Anforderungen haben Schüler und Lehrkräfte und welche Räume, und Ausstattung brauchen sie dafür?

 

Klar ist: Eine zukunfts-, kompetenz- und lernorientierte Lehre braucht mehr Räume für forschendes und projektorientiertes Lernen und verschiedene Kollaborationsformen, weniger große Hörsäle und starre Klassenzimmer. Es müssen Hörsäle geplant werden, die nicht aus Stuhlreihen bestehen, sondern aus Tischinseln, um Vorlesung und Kollaboration zu verbinden - wie an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegen. Die Code University in Berlin stellt projektbasiertes Lernen in den Fokus, Sie hat ihre Lernräume bewusst in einem Gebäude mit verschiedenen Start-ups angesiedelt, um den Austausch zwischen Studierenden und Entrepreneuren zu fördern und Studierende können ihre eigenen Team-Spaces gestalten. In Ikarst in Dänemark ist aus einem Erweiterungsbau für die International School ein zentraler Treffpunkt für die gesamte Gemeinde geworden. Hier wird die Organisation von Flächen übersetzt in eine Organisation von Zeiträumen und verkörpert somit eine neue Nachhaltigkeit.

 

In Deutschland hat die Initiative Digitale Bildung der Bundeskanzlerin und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Verbindung von Lernort, Methodik und Qualifizierung als Gelingensmoment für digitales Lernen hervorgehoben. Der Stifterverband wird mit seiner neuen Förderinitiative "Lernarchitekturen - Impulse für zukunftsorientierte Bildung" einen Beitrag zu dieser Entwicklung leisten . Raum prägt die NutzerInnen und die NutzerInnen prägen den Raum. Daher fokussiert sich die Initiative auf zwei Handlungsfelder: den Neubau von Schule und Hochschule neu zu denken und zweitens Innovationen im Bestand zu ermöglichen. Der Stifterverband begleitet in Kooperation mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW Hochschulen bei der Planung von Neubauten. Dabei werden schon in der sogenannten Planungsphase 0 Lehrende und Lernende in die Ideenentwicklung einbezogen. Aber auch die bewusste und aktive Neunutzung bestehender Gebäude und Räumlichkeiten bietet großes Potenzial, um innovative Lehre und neue Lernformate möglich zu machen.  

 

Mit der Förderinitiative will der Stifterverband auch eine politische Diskussion zur Bedeutung zukunftsorientierter Lernarchitekturen für den Erfolg unseres Bildungssystems anstoßen. Denn es braucht jetzt den Diskurs, wie Lehre und Lernprozesse gestaltet werden sollen und wo! Mit den aktuellen Erfahrungen der Schülerinnen, Studierenden und Lehrenden müssen Lernarchitekturen für die Post-Corona-Zeit entwickelt werden, die Potentiale der Digitalisierung nutzen und die Lehrinnovationen des Shift from Teaching to Learning möglich machen – in Schulen und Hochschulen! 


Andrea Frank leitet den Programmbereich "Forschung, Transfer und Wissenschaftsdialog" beim Stifterverband. Foto: Damian Gorczany.

Lara Kolbert ist Kommunikationsdesigne-rin und Programmmanagerin im Stifter-verband. Foto: Hochschulforum Digitalisierung (HFD).



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Kommentare: 6
  • #1

    M. Martin (Dienstag, 30 März 2021 10:37)

    Es gibt meines Wissens nach keinerlei quantitative wissenschaftliche Evidenz dafür, dass die von den Autorinnen geforderten neuen "Lernarchitekturen" irgendwelche lernförderlichen Effekte hätten. Das Geld wäre wesentlich sinnvoller in Lehrerfortbildungen investiert.

  • #2

    Th. Klein (Dienstag, 30 März 2021 13:56)

    Ich habe über die "Campus der Zukunft"-Veranstaltungen ähnliche Beispiele kennengelernt. Leider lautet der Satz
    "Die Architektur passt sich der Pädagogik an" in der Umsetzung oft "Die Architektur passt sich dem Brandschutz an". Vieles, was in den Diskursen vorgeschlagen wird, lässt sich nicht umsetzen.

  • #3

    Michael Liebendörfer (Dienstag, 30 März 2021 18:12)

    Das klingt nach einem erfrischenden Ansatz!

    @M. Martin: wenn man das Geld nicht in neue Raumkonzepte investiert, wird man wohl kaum Evidenz in ihrem Sinne finden können. Daher ist etwas Mut hier schon ganz richtig.

    Wenn man an machen Hochschulen Studierende sieht, die versuchen, auf der Heizung Notizen zu ihrer Besprechung zu machen, weil es in 100 Metern Umkreis um den Hörsaal keine Tische gibt, dann muss man schon ein gewisses Potential erkennen.

  • #4

    Michael Kirch (Donnerstag, 01 April 2021 15:58)

    Vielen Dank für diesen Beitrag! Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Gestaltung von Lehr- und Lernräumen an Universitäten und Schulen und kann ihre Überlegungen ganz und gar bestätigen.

  • #5

    Michael Kirch (Donnerstag, 01 April 2021 16:02)

    Einige Forschungsergebnisse aus dem schulischen Bereich findet man in diesem Projekt:
    http://www.iletc.com.au/

  • #6

    Sybille Hebenstreit (Freitag, 02 April 2021 10:16)

    Super Ansatz, bitte mehr davon. Es wird Zeit in unsere Zukunft zu investieren. Packen wir’s an!