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Viel Jubel, wenig Durchbruch

Endlich wollte das BMBF mal wieder eine positive Nachricht zur Studienförderung veröffentlichen und erklärte die Pilotphase des neuen "BAföG digital" zum großen Erfolg. Doch die Wirklichkeit gestaltet sich bislang ernüchternd.

Schickes Portal: Screenshot der Website von "BAföG digital".

DIE BUNDESBILDUNGSMINISTERIN geriet ins Schwärmen. "Die Digitalisierung wird neue Möglichkeiten für das Lernen eröffnen", sagt Anja Karliczek (CDU) laut der Pressemitteilung ihres Ministeriums. "Die Digitalisierung kann aber auch unser Leben einfacher machen – so wie 'BAföG Digital'." Der Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik, Markus Richter, bekräftigte, die Verwaltung müsse sich an den Alltag der Menschen anpassen, "nicht andersherum. Mit dem digitalen BAföG-Antrag ersparen wir hunderttausenden Studentinnen und Studenten die leidige Zettelwirtschaft."

 

Zeit würde es. Mit der leidigen Zettelwirtschaft kannten sich nämlich bislang nicht nur die Schüler und Studierenden aus, sondern auch die Bearbeiter der Anträge in den Studentenwerken. Und das, obwohl per Gesetz bereits seit 1. August 2016 die digitale Beantragung der Ausbildungsförderung möglich sein musste. Schon damals war von "medienbruchfreien Prozessen" die Rede, "die zu vollständig auf elektronischem Weg durchgeführten Verwaltungsverfahren führen".

 

Doch erst rissen die meisten Länder zum Ärger des Deutschen Studentenwerks die Frist, und dann gestaltete sich der in der 25. BAföG-Novelle versprochene Umstieg im Alltag so komplex und unpraktisch, dass kaum jemand vom "e-BAföG" Gebrauch machte. Und die wenigen digitalen Anträge, die dennoch eingingen, mussten die Ämter dann wieder ausdrucken und die Daten per Hand übertragen, weil die Schnittstelle zur Antragsbearbeitungs-Software fehlte.  

 

Schöne neue
OZG-Welt?

 

Das soll und muss jetzt alles anders werden. Nicht nur weil es das Onlinezugangsgesetz (OZG) die Digitalisierung aller wesentlichen Behördengänge bis Ende 2022 verlangt, sondern weil die Politik im Angesicht von Corona- und Corona-App signalisieren will: Sie bekommt das nicht nur mit Ach und Krach hin, sondern richtig schick. Also ließ die Bundesregierung sogar noch Extra-Mittel aus dem Corona-Konjunkturpaket bis Ende 2022 springen, um die Umsetzung des OZG und auch die Entwicklung und flächendeckende Verbreitung von "BAföG Digital" zu beschleunigen.

 

"Besonders übersichtlich und datensparsam" sei das neue Tool gestaltet, noch dazu in einem "responsiven Design", lobt sich die Politik selbst. Über einen "Konfigurator" würden "mit einfachen und verständlichen Fragen" alle relevanten Formblätter zu einem Antrag zusammengefügt. Ein "dynamisches Formular" ermögliche es, dass Antragsteller nur relevante Fragen beantworten müssten. "Bürgerfreundliche Hilfetexte" unterstützen die Antragstellung. Nachweise könnten gleich oder später hochgeladen werden, per Computer oder Smartphone. Die Antragsteller könnten den Status ihres Antrags jederzeit online verfolgen. 

 

Seit Oktober 2020 war "BAföG Digital" in den ersten fünf Bundesländern am Start: in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Bis Ende April hätten bereits über 22.000 Schüler und Studierende das neue Verfahren für ihren "Antrag auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz" genutzt, teilte das BMBF Anfang Mai mit – was Ministerin Karliczek zu der Aussage veranlasste, die jetzt endende Pilotphase zwei "sehr erfolgreich" verlaufen.

 

Allerdings fehlte eine entscheidende Vergleichsgröße in der Mitteilung des BMBF: die Zahl der im selben Zeitraum in den fünf Bundesländern insgesamt gestellten BAföG-Anträge insgesamt. Noch frappierender: Auch auf Nachfrage konnte Karliczek Haus diese zunächst nicht liefern.

 

Nur gut 23 Prozent der Antragsteller
nutzten "BAföG digital"

 

Es dauerte zwei Wochen, dann meldete das Ministerium: "In den Monaten November 2020 bis April 2021 wurden in den fünf Pilotländern insgesamt 95.764 Anträge auf BAföG gestellt. Bei 22.447 Anträgen wurde dafür der neue, digitale Antragsassistent verwendet. Das entspricht 23,44 Prozent."

 

Mit anderen Worten: 76,56 Prozent der Schüler und Studierenden zogen es trotz der angeblich so überlegenen Bedienbarkeit und Nutzerfreundlichkeit des neuen Tools vor, ihren Antrag dennoch auf Papier einzureichen. Das kann viele Gründe haben, vor allem die mangelnde Bekanntheit von "BAföG digital". Allerdings schon ohne Kenntnis der entscheidenden Vergleichsgröße von einem "sehr erfolgreichen" Start zu sprechen, ist schon bemerkenswert. Erst recht vor dem Hintergrund der bisherigen Misserfolge auf dem Weg zur BAFöG-Digitalisierung seit 2016, die überhaupt erst zur Neuentwicklung geführt hatten.

 

Immerhin bleibt Karliczeks Ministerium auch angesichts der immer noch überschaubaren Digitalquote bei seiner Auffassung: Es stelle einen großen Erfolg dar, dass schon in der Pilotphase fast jeder vierte Antragstellende den digitalen Antragsassistenten genutzt habe, sagt ein BMBF-Sprecher. "Wir gehen davon aus, dass sich diese Zahl noch deutlich erhöhen wird, sobald das Tool bundesweit ausgerollt ist und damit zu einer deutlich höheren Bekanntheit gelangen wird. Wir wollen, dass die digitale Antragstellung der Regelfall wird. Den ersten Schritt dafür haben wir jetzt gemacht."

 

Studentenwerke: Noch immer kein
"durchdigitalisiertes BAföG aus einem Guss"

 

Inzwischen ist "BAföG Digital" auch in Hamburg, Brandenburg, Thüringen und dem Saarland verfügbar, laut BMBF sollen die übrigen Länder "sukzessive" bis zum Sommer folgen. Alle 16 Bundesländer hätten die nötige Verwaltungsvereinbarung mittlerweile unterzeichnet, das "Pilotverfahren" gehe jetzt in den "Realbetrieb" über. 

 

Bleibt die Frage, was künftig hinter der schicken Fassade mit den Anträgen passiert. Wenn man diesbezüglich beim Deutschen Studentenwerk (DSW), dem Dachverband der Studierendenwerke nachfragt, erlebt man die nächste Ernüchterung. "Fakt ist weiterhin auch mit ‚BAföG Digital‘, dass in den BAföG-Ämtern der Studentenwerke jeden Morgen die digitalen Anträge seitenweise für die Papierakten ausgedruckt werden müssen – weil es keine elektronische Akte gibt", sagt DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Also unter anderem auch die rund 53.000 Dokumente und Belege, die die 22.000 Antragsteller hochgeladen haben. So viel zum Thema Zettelwirtschaft.

 

Es sei ja positiv, sagt Meyer auf der Heyde, dass Bund und Länder nun beim digitalen BAföG-Anträg endlich an einem Strang zögen. Doch leider sei die Politik nicht auf die Forderungen eingegangen, erst die Anforderungen im BAföG zu vereinfachen, so dass nun ein sehr kompliziertes Gesetz unverändert digitalisiert werde. "Ein durchdigitalisiertes BAföG aus einem Guss, eine konsequente Bund-Länder-Kooperation nicht nur bei der Antragstellung, sondern auch beim BAföG-Bescheid und bei der BAföG-Akte: davon sind wir noch entfernt."



"Einer für alle"

Abgesehen von den arg großen Tönen ist die Entwicklung von "BAföG digital" tatsächlich ein hoffnungsvoll stimmendes Beispiel, wozu der Föderalismus in der Lage sein kann. 

 

Das im Rahmen der OZG-Umsetzung verfolgte Prinzip lautet nämlich: "Einer für alle". Bezogen auf den neuen Antragsassistenten bedeutet das: Sachsen-Anhalt hat die Entwicklung des Tools stellvertretend für alle Bundesländer zusammen mit dem auf Bundesseite federführenden BMBF begleitet und stellt es jetzt nach und nach allen anderen Ländern zur Verfügung. Und Sachsen-Anhalt wird den Online-Antrag auch dauerhaft für alle 16 Länder über den öffentlichen Dienstleister Dataport betreiben.  

 

Geschrieben wurde die Software in einem sogenannten "Digitalisierungslabor". Dabei hätten Schülerinnen, Schüler, Studierende und Eltern den BAföG-Antrag in allen Entwicklungsphasen zunächst getestet und ihr Feedback in den Prozess eingespeist, berichtet das BMBF. Auch die Bearbeiter in den Ämtern für

Ausbildungsförderung bei den Studierenden-werken und in den Kommunalverwaltungen seien in die Nutzertests eingebunden gewesen.

 

Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Armin Willingmann kommentiert trotz der nur 23 Prozent Nutzer ebenfalls, die Zahlen aus der Pilotphase "zeigen deutlich, wie gut der Assistent angenommen wurde und wo wir nachbessern müssen".

 

Wobei der zweite Teil seiner Aussage interessant ist: Wo muss denn seines Erachtens nachgebessert werden ? Bei der Bedienerfreundlichkeit für die Angehörigen der Antragsteller, sagt Willingmann auf Anfrage, also die Eltern vor allem, Ehe- und Lebenspartner. All diejenigen, deren Einkommen bei der BAföG-Berechnung auch eine Rolle spielt. 

 

Umso wichtiger, fügt der SPD-Politiker hinzu, sei es, dass jetzt nach und nach alle Bundesländer angeschlossen werden und dass wir 'BAföG Digital' stetig weiterentwickeln."



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