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Jetzt ist ein klares Bekenntnis gefragt

Es ist möglich, im Wintersemester komplett zur Präsenzlehre an den Hochschulen zurückzukehren. Doch dazu müssen sich Politik und Hochschulleitungen verpflichten, schon jetzt alles dafür Nötige zu tun. Im Herbst wird es zu spät dafür sein. Ein Gastbeitrag von Peter Burger.

STELL DIR VOR, die Corona-Pandemie ist vorbei – und trotzdem darf keiner zurück an die Uni. So darf es auf keinen Fall kommen. Unser dringender Appell als Hamburger DHV-Landesverband richtet sich daher an die Politik und Hochschulleitungen: Öffnet die Hochschulen zum Wintersemester wieder für Präsenzlehre und -forschung! Und schafft jetzt, wo noch Zeit bleibt, dafür die Voraussetzungen. Im Oktober ist es dafür zu spät. 

 

Darf man das in einer Pandemie fordern? Ja, man muss sogar – insbesondere zum Wohl unserer Studierenden! Denn nicht nur Schüler*innen und Lehrer*innen sind nach drei Halbjahren Homeschooling hoch belastet, sondern auch die Studierenden, wie der ergreifende Beitrag einer Studentin in diesem Blog mit dem Titel "Gebt uns Hoffnung!" zeigt.

 

Zudem befinden wir uns hoffentlich kurz vor dem Ende einer Pandemie, weshalb Zuversicht und Weitsicht benötigt werden, um eine Öffnungsoption zu schaffen. Trotzdem dominiert weiter die Vorsicht – und das Wintersemester wird vielerorts ohne oder nur mit marginalen Anteilen an Präsenzlehre geplant. Es geht uns nicht um die Öffnung mit der Brechstange, sondern um die Wahrnehmung einer einfachen Management- und Planungsaufgabe, um Öffnungsoptionen überhaupt zu schaffen und erhalten


Peter Burger ist Professor für anorganischer Chemie an der Universität Hamburg. Seit 2006 engagiert er sich im Akademischen Senat. Seit 2014 ist er Landesvorsitzender des Deutschen Hochschulverbands (DHV). 



Praktisch heißt das: Wir müssen jetzt die Weichen stellen, dass im Wintersemester wieder alle, die es wollen, in Präsenz lernen, lehren, forschen und arbeiten können. Dabei gilt es die Gesundheit aller Hochschulmitglieder bestmöglich zu schützen. Conditio sine qua non ist die Impfung aller Hochschulmitglieder. Und sollte die Pandemie wider Erwarten zurückkehren, können wir schnell auf den eingeübten Online-Modus zurückschalten.

 

Warum wir auf die Öffnung drängen

 

Die Corona-Pandemie hat den Hochschulen sehr viel abverlangt, um Lehre und Forschung aufrecht zu erhalten. Dies ist gut gelungen. Allerdings haben die Online-Lehre aus dem Home-Office und digitale Prüfungen nur als Notbehelf funktioniert. Der interaktive Austausch in der Präsenzlehre fehlt den Studierenden genauso wie den Lehrenden, aus didaktischen und sozialen Gründen. Forschung wurde durch Schließungen von Labors und Bibliotheken zum Teil stark verzögert. Damit unsere Nachwuchswissenschaftler*innen auf befristeten Stellen keinen weiteren Nachteil, etwa bei ihren Doktorarbeiten, erleiden, müssen diese Forschungen zeitnah nachgeholt werden können. Angesichts der langen Schließungen in diesem Jahr gibt es aber noch weiteren finanziellen Unterstützungsbedarf für Vertragsverlängerungen. Die möglichst frühe Wiederöffnung der Hochschulen würde deshalb zu einer wesentlichen Linderung der Situation beitragen. 

 

Die erforderliche Planungssicherheit kann es nur geben, wenn es von der Politik und den Hochschulleitungen das klare Signal zur Öffnung gibt. Für die nationale und internationale Zusammenarbeit in der Forschung und Lehre und insbesondere unsere ausländischen Studierenden ist diese Forderung ein Muss: Landeskultur erfährt man nicht am Zoom-Bildschirm!

 

Wie wir die Öffnung hinbekommen

 

Impfungen aller Hochschulmitglieder zum Vorlesungsstart: Für das Personal an Schulen gab es bereits eine erhöhte Impfpriorität, für die Beschäftigten an Hochschulen wurde diese am 29. April nachgezogen. Schüler wurden bislang aufgrund der fehlenden Impfstoffzulassung für die Gruppe der 12- bis 15-Jährigen nicht berücksichtigt.

 

Bundes- und Landesminister*innen haben allerdings bereits eine priorisierte Impfung der 5,3 Millionen Schüler*innen in der Altersgruppe von 12 bis 18 bis zum Schulstart (meist im August) gefordert. Für die beinahe drei Millionen Stu-dierenden in Deutschland, die übrigens bis zum Alter von 24 offiziell auch als Jugendliche gelten, sollte man exakt aus den gleichen Gründen jetzt entsprechende Planungen für den Start ins Wintersemesters (im Oktober) beginnen.

 

Änderung der Quarantäneregelung: Bei hoher Impfquote erscheint die Gefahr einer weiteren Übertragung gering, weshalb die Quarantäne von 14-Tagen für die Erst-Kontaktgruppe entfallen sollte. 

 

Anpassung der Eindämmungsverordnung: Die gegenwärtigen Vorgaben zur Abstandshaltung und die Begrenzung auf maximal 50 Teilnehmer in Innenräumen sind extreme Hemmnisse für die Nutzung der Seminarräume und Hörsäle. Bei hoher Impfquote, weiter fallenden Inzidenz- und R-Werten können diese Regeln gelockert werden. 

 

Impfschutz-Monitoring der Hochschulen und Tests: Die regelmäßige Auffrischung der Erstimpfung wird allgemein als notwendig erachtet. Da die Dauer des Impfschutzes nicht absehbar ist, sollten die Universitäten in regelmäßigen Abständen anonym die Impfquote ihrer Mitglieder erheben und Schnelltests anbieten.

 

Raumplanungen: Raumplanungen für den Vorlesungsbetrieb sind zeitaufwendig, ein Adhoc-Start erst im Oktober wird nicht gelingen. Deshalb müssen die Raumplanungen wie in den Vor-Corona-Jahren möglichst früh beginnen. Bei den Lehrenden sollte dazu zeitnah abgefragt werden, ob sie die Lehre in Präsenz oder online durchführen werden.

 

Öffentliche Kommunikation: Im öffentlichen Diskurs wird teilweise die These vertreten, dass es nach Corona keinen Weg zur normalen Präsenzlehre zurück geben werde. Beweise dafür wurden bislang nicht erbracht, auch wenn sicherlich viele Neuerungen die Corona-Zeit überdauern werden. Hochschulleitungen und Landesregierungen müssen sich deshalb bald klar dazu bekennen, denn nicht nur Studierende brauchen Hoffnung: Forschung und Lehre im Wintersemester erfolgt in Präsenz! 



Berlin macht die Hochschulen ein Stück weiter auf,

die Jusos fordern "endlich" ein Impfangebot für Studierende 

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) war erst neulich erst vorgeprescht und entschiedenere Öffnungsschritte von den Berliner Hochschulen verlangt. Nur dass die intern darauf verwiesen, dass dafür die rechtlichen Grundlagen fehlten.

 

Die hat der Senat gestern geliefert. Konkret: Vom 4. Juni an öffnen die Berliner Hochschulbibliotheken wieder für die Präsenzleihe, auch PC-Pools, Arbeitsplätze und Labore können wieder genutzt werden. Erlaubt werde zudem "grundsätzlich" die Durchführung von Praxisformaten in Gruppen mit bis zu 25 Personen – all das "unter dem Einsatz von Hygienekonzepten und Teststrategien", inklusive Maskenpflicht, wie es in einer gemeinsamen Mitteilung von Senatskanzlei und Landesrektorenkonferenz heißt.

 

Vom 18. Juni an würden die Hochschulen ihre Präsenzanteile in Studium und Lehre weiter erhöhen. Neben "Praxisformaten" sollen auch weitere Lehrveranstaltungen bis zu einer Obergrenze von 40 Personen und Prüfungen in Präsenz erlaubt sein. Auch die Mensen des Studierendenwerks Berlin starten im Juni nach und nach wieder, zunächst nur mit Essen "to go".

 

Studierenden, die an Präsenzveranstaltungen nicht teilnehmen können, muss ergänzend ein digitales oder hybrides Lehrangebot gemacht werden.

 

"Mit der fortschreitenden Berliner Impfkampagne wollen wir die Rückkehr auf den Campus für das kommende Wintersemester 

 

absichern", sagte Müller. "Denn auch wenn die Digitalisierung viele sinnvolle Einsatzfelder in Lehre, Forschung und Verwaltung findet, bleiben unsere Hochschulen auch in Zukunft Präsenzhochschulen."

 

Vor zwei Wochen hatte bereits Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer weitgehende Öffnungsschritte bekanntgegeben. Bei stabilen Inzidenzwerten 

unter 100 dürfen seitdem unter anderem wieder bis zu 100 Studierende an Lehrveranstaltungen teilnehmen – solange die im Freien abgehalten werden. Zwei Wochen später dürfen die Hochschulleitungen auch drinnen Präsenzlehre mit bis zu 100 Leuten erlauben, auch die Mensen und Cafeterien machen dann schrittweise auf. Nochmal zwei Wochen später sind, wenn die Rektorate zustimmen, sogar Vorlesungen & Co mit bis zu 250 Leuten möglich, drinnen wie draußen. 

 

Ganz so weit geht Berlin noch nicht. Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, sagte: "Die Leitungen aller Berliner Hochschulen wollen, dass ihre rund 200.000 Studierenden wieder Leben auf dem Campus erfahren." Die Gemeinschaft auf dem Campus sei durch Online-Formate nicht ersetzbar, weshalb jetzt erste "vorsichtige Öffnungsschritte" folgten. Ein wichtiger Baustein würden die weiteren Impfungen, auch für Studierende, sein. "Wenn die Entwicklungen weiter positiv sind, gibt es gute Chancen, dass möglichst viele Studierende und Beschäftigte im kommenden Wintersemester in die Hochschulen können."

 

Im Vorfeld des heutigen Impfgipfels forderten derweil die Juso-Hochschulgruppen, neben den Schüler*innen auch den auch Studierende "endlich" bundesweit ein Impfangebot zu machen. "Nachdem die Studierenden und viele andere junge Menschen seit über einem Jahr in Solidarität und zum Schutz in erster Linie der älteren Generationen Zuhause geblieben und konsequent in der Corona-Politik vergessen worden sind, muss morgen endlich wieder an sie gedacht werden", sagt Jule Miklis, Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen.

 

Einzelne Hochschulen werden unterdessen schon selbst aktiv. Wie zuerst ZEIT Wissen3 berichtete, will die Europa-Universität Viadrina eingeschriebene Studierende von der Betriebsärztin impfen lassen, sobald die Priorisierung der Impfreihenfolge ab dem 7. Juni dazu voraussichtlich die Möglichkeit gegeben sei, an der Hochschule Mittweida organisieren die Studierenden die Impfung selbst.




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