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Was ist mit den Kindern?

Die Corona-Zahlen sinken rapide. Auch bei den Schulkindern? Und was bewirkt die Rückkehr zum Präsenzunterricht? Eine Analyse der neuesten RKI-Zahlen.

ES WAR EINE SORGE prominenter Virologen: Was, wenn immer mehr Ältere geimpft sind, verschiebt sich das Infektionsgeschehen dann in die jüngeren Jahrgänge – und ganz besonders noch weiter hin zu den Kindern und Jugendlichen, die in den vergangenen Monaten ohnehin die höchsten Meldeinzidenzen hatten? Und was bedeutet das dann für die Schulöffnungen?

 

Zeit für eine Analyse, nachdem in den vergangenen zwei Wochen immer mehr Bundesländer entschieden haben, zum Präsenzunterricht in vollen Klassen und in allen Altersgruppen zurückzukehren – abhängig von den regionalen 7-Tages-Inzidenzen, aber weil die fast überall rapide sinken, in immer mehr Städten und Kreisen. Nur Berlins Landesregierung schloss zuletzt noch eine Abkehr vom Wechselunterricht vor den Sommerferien aus. Wie entwickeln sich die registrierten Neuinfektionen bei Kitakindern und Schülern unter 15, und welche Unterschiede zwischen den Bundesländern lassen sich feststellen?

 

1. Die gemeldeten Neuinfektionen bei den 
0- bis 14-Jährigen sinken rapide

 

In der vergangenen Kalenderwoche (21) registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) 1393 neuinfizierte 0- bis 4-Jährige und 3936 neuinfizierte 5- bis 14-Jährige. Die Zahlen sind noch als vorläufig zu betrachten und werden sich durch Nachmeldungen erfahrungsgemäß noch (leicht) erhöhen. Derzeit liegt das Minus im Vergleich zur Kalenderwoche 20 bei 39,8 Prozent bei den Kitakindern und 45,3 Prozent bei den Schulkindern. 


Aktualisierung siehe unten: 

Berliner Verwaltungsgericht ordnet Präsenzbeschulung im Regelbetrieb für klagende Grundschüler an


2. Der Anteil an allen gemeldeten Neuinfektionen bei den Kitakindern steigt, bei den Schulkindern sinkt er

 

In der Kalenderwoche 21 entfielen 4,8 Prozent aller gemeldeten Neuinfektionen auf 0- bis 4-Jährige – nach 4,4 Prozent in der Woche zuvor. Bei den 5- bis 14-Jährigen sank der Anteil an allen Neuinfektionen im selben Zeitraum leicht von 13,6 Prozent auf 13,5 Prozent. 

 

3. Relativ zur Gesamtbevölkerung mehr Meldefälle
bei den 0- bis 14-Jährigen

 

Die Zahl aller gemeldeten Neuinfektionen in Deutschland ging von Kalenderwoche 20 zu Kalenderwoche 21 von 52.861 auf 29.229 zurück. Das ergibt vorläufig ein Minus von 44,7 Prozent (der Rückgang wird durch Nachmeldungen aber noch etwas geringer werden). Da die Zahl aller gemeldeten Neuinfektionen unter den Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 14 um 44,0 Prozent sank, steigt ihr relativer Anteil an allen Fällen von 18,0 auf 18,3 Prozent.

 

4. Relativ zur mehrheitlich umgeimpften Bevölkerung
gleich viele Meldefälle bei den 0- bis 14-Jährigen

 

Anders stellen sich die Verhältnisse dar, wenn man die mehrheitlich geimpften Altersgruppen ab 60 außen vor lässt. Von den 0- bis 14-Jährigen ist logischerweise noch keine einzige Person geimpft. Von den 15- bis 59-Jährigen ist es die Mehrheit auch nicht. Und hier zeigt sich: Der Rückgang bei den Kindern und Jugendlichen (-44,0 Prozent) verläuft gleich schnell wie bei der übrigen mehrheitlich umgeimpften Bevölkerung (-43,9 Prozent).

 

Zwischenfazit: Keine Auffälligkeiten
bei Kindern und Jugendlichen

 

Die Sorge, dass der Rückgang der dritten Welle an den umgeimpften Kita- und Schulkindern vorbeigehen könnte, dass sich die Dynamik womöglich sogar noch verstärkt, lässt sich durch die aktuellen RKI-Zahlen nicht bestätigen. Die Meldeinzidenzen bei den 0- bis 14-Jährigen gehen exakt im Gleichschritt mit der übrigen (umgeimpften bis teilweise geimpften) Bevölkerung nach unten. Und das heißt: kräftig. Der leicht steigende Anteil an allen Neuinfektionen beruht allein auf der Tatsache, dass die Über-60-Jährigen dank ihrer bereits sehr hohen Impfquote noch rapidere Rückgänge zu verzeichnen haben. Mit Blick aufs Ausland ist diese Erkenntnis übrigens so überraschend nicht. In Israel etwa sind die Neuinfektionen bei Kindern und Jugendlichen parallel zur Gesamtgesellschaft bereits auf ein extrem niedriges Niveau gefallen – trotz komplett offener Schulen. Was aber machen die Schulöffnungen hierzulande mit den Inzidenzen?



5. Rückgang in allen Bundesländern,
aber unterschiedlich stark

 

Schleswig-Holstein hat seine Grundschüler seit vielen Wochen in immer mehr Kreisen in vollen Klassen jeden Tag zur Schule geschickt. Zuletzt befanden sich auch alle weiterführenden Schulen im Vollbetrieb unter Corona-Hygienebedingungen. Der Anteil der neuinfizierten Kinder und Jugendlichen im nördlichsten Bundesland lag zuletzt zwar bei 23,5 Prozent und damit etwas höher als in der Woche zuvor (22,0 Prozent). In absoluten Zahlen nahmen aber auch bei den 0- bis 14-Jährigen die neuen Corona-Fälle schnell ab: binnen einer Woche von 443 auf 267 (-39,8 Prozent).

 

In Bremen befinden sich die Grundschulen seit dem 17. Mai wieder im vollen Präsenzbetrieb. Bei den 5- bis 9-Jährigen gab es in der Hansestadt vergangenen Woche insgesamt 15 neue Meldefälle, acht weniger (-35 Prozent) als in der Woche davor. Hier lag der Anteil der neuinfizierten 0- bis 14-Jährigen insgesamt übrigens bei nur noch 14,5 Prozent – nach 18,2 Prozent in der Woche davor. 

 

In Mecklenburg-Vorpommern startete der Vollbetrieb für die meisten Grundschüler ebenfalls am 17. Mai. Rückgang bei den 5- bis 14-Jährigen zwischen Kalenderwoche 20 und 21: von 39 auf 13 (-67 Prozent). Auch in MV sank der Anteil der 0- bis 14-Jährigen an allen Fällen: von 17,3 Prozent auf 16,5 Prozent. Nimmt man diese drei Bundesländer zusammen, ergibt sich ein Rückgang bei den 5- bis 9-Jährigen in der vergangenen Woche um 46 Prozent (absolute Fälle: 138 runter auf 74). An allen gemeldeten Neuinfektionen stieg der Anteil der 5- bis 9-Jährigen in den drei Bundesländern von 7,4 auf 7,5 Prozent.

 

Nun Berlin – das Land, in dem sich noch alle Schüler komplett im Wechselunterricht befinden und dort nach Willen des Senats auch bleiben sollen. Hier ging die Zahl der neuinfizierten Kinder und Jugendlichen ebenfalls zurück: um 39,7 Prozent auf 267. Allerdings stieg der Anteil der Kinder und Jugendlichen an allen Fällen von 21,5 auf 22,5 Prozent der Fälle. 

 

In Bayern und Baden-Württemberg wiederum sank die Zahl der neuinfizierten 5- bis 14-Jährigen von Kalenderwoche 20 auf 21 zusammengenommen von 2127 auf 1066 (-49,9 Prozent). In der Altersgruppe 5- bis 9-Jährigen allein war der Rückgang sogar noch etwas höher: 52,5 Prozent. An allen gemeldeten Neuinfektionen sank der Anteil der 5- bis 9-Jährigen in den beiden Bundesländern von 6,1 auf 5,1 Prozent.  

 

6. Keine eindeutigen Auswirkungen
des vollen Präsenzunterrichts

 

Was aber bedeutet der exemplarische Vergleich einiger Bundesländer? Zunächst, was unstrittig ist: Überall gingen die 7-Tages-Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen stark zurück – dort, wo die Klassen voll besetzt waren, und dort, wo Wechselunterricht herrschte. Ebenfalls zeigt sich in den drei betrachteten Bundesländern, wo die meisten Grundschüler jeden Tag Präsenz haben, dass ihre Infektionszahlen im Gleichschritt mit der Gesamtbevölkerung sinken, es also keinerlei Hinweise gibt, dass die Rückkehr zur vollen Beschulung die Corona-Dynamik antreibt. Nimmt man im Gegenschnitt dazu Berlin, gilt: Das dort bevorzugte Model des reinen Wechselunterricht bringt keinerlei zusätzlichen epidemiologischen Gewinn. Der Inzidenz-Rückgang bei den Kindern und Jugendlichen ist im Vergleich zu den übrigen Altersgruppen in Berlin sogar geringer als in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern und ähnlich wie der in Schleswig-Holstein.

 

7. Der Einfluss der Pfingstferien 
in Bayern und Baden-Württemberg

 

Was aber ist in Bayern und Baden-Württemberg los, wo die Meldeinzidenzen bei den Kindern und Jugendlichen besonders stark zurückgingen? Ganz einfach: Dort sind Pfingstferien – während in Schleswig-Holstein, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin höchstens einzelne Tage ausfielen. Aus dem Minus von über 50 Prozent lässt sich aber deshalb nicht schließen, dass sich dort tatsächlich so viel weniger 5- bis 9-Jährige angesteckt haben – und erst recht nicht, dass das schon damit zu tun gehabt hätte, dass sie vergangene Woche nicht zusammen im Klassenzimmer hockten. Die Inkubationszeit bei Covid-19 beträgt nämlich meist fünf bis sechs Tage. Der wahre Grund ist viel prosaischer: Die Reihentests an den Schulen entfielen in Bayern und Baden-Württemberg komplett, weshalb weniger Infektionen entdeckt wurden.

 

Woraus zweierlei folgt: 1. Die Zahlen im Süden sind ein weiterer Beleg dafür, dass die Meldeinzidenzen bei den Kindern absolut gesehen nicht vergleichbar sind mit denen anderer Altersgruppen, weil die Kinder und Jugendlichen wegen der Pflichttests in den Schulen so viel besser durchleuchtet sind als die Erwachsenen. Wer also argumentiert, Kinder und Jugendliche würden sich häufiger anstecken als andere Altersgruppen, beruft sich auf eine Vergleichbarkeit von Inzidenzen, die nicht gegeben ist. 2. Auch an Schulen stecken sich Kinder und Jugendliche gegenseitig an, doch gleichzeitig verhindern offene Schulen viele Ansteckungen, weil die Reihentests Infektionen frühzeitig aufdecken – die zum Beispiel in den Ferien unerkannt bleiben.


Verfassungsbeschwerde gegen Wechselunterricht in Berlin

Kommt in den letzten Wochen vor den Sommerferien doch noch Bewegung in den Streit der rot-rot-grünen Landesregierung um den geplanten Wechselunterricht bis zu den Sommerferien? Je weniger Tage Schule bleiben, desto mehr erledigt sich die Debatte von selbst. Umgekehrt argumentieren viele Eltern, selbst kurz vor Ferienstart ergebe die Rückkehr zum vollen Präsenzunterricht noch Sinn – weil damit ein wichtiges Signal für die Zeit nach den Ferien gesendet werde. 

 

Am heutigen Montag lag die 7-Tages-Inzidenz in Berlin laut RKI bei 33. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte laut Tagesspiegel zuletzt darauf verwiesen, dass in der Hauptstadt die Inzidenz unter Schülern höher sei als im Durchschnitt, das könne man nicht wegdiskutieren. Was, siehe den obigen Abschnitt zu den Reihentests in den Schulen, man eben doch kann. Zumindest kann und muss man Müllers Aussage in Frage stellen. Sie lässt sich empirisch auf keinen Fall sauber belegen. 

 

Insofern ergibt es auch wenig Sinn, wenn die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey aktuell als Voraussetzung für die Rückkehr eine Inzidenz bei den Kindern und Jugendlichen von "deutlich" unter 50 nennt – eben weil sie wegen der Pflichttests etwas Anderes bedeutet als die 50 bei Erwachsenen.

 

Der Landesschulbeirat Berlin, in dem Schüler, Schulleitungen und Eltern vertreten sind, bezeichnete die Fortführung des Wechselunterrichts dennoch als "schmerzhaften, aber richtigen Mittelweg" angesichts der hohen Inzidenzwerte in den jüngeren Altersgruppen, der weiter hohen Belastung der Eltern und der erst teilweisen Impfung der Lehrkräfte.

 

 

Eine Berliner Grundschülerin hat derweil beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin im Eilantrag eine Beschwerde gegen den Unterricht im Wechselmodell ein. Weitere Anträge sollen diese Woche folgen.

 

Das Argument des Senats, durch den Wechselunterricht solle den Schulen organisatorische Kontinuität gesichert werden, sei als schwere Einschränkung des in der Berliner Verfassung garantierten Rechts auf Bildung "offensichtlich gesetzwidrig", teilte die "Initiative Familie" mit, die den Antrag nach eigenen Angaben "mit Spendenaufrufen und logistisch unterstützt". Es zeuge auch von einer "tiefen Missachtung der Bedürfnisse von Kindern nach Monaten der sozialen Isolation mit Schule und KiTa im Ausnahmezustand". 

 

In einem Standardschreiben an Eltern hatte Senatsverwaltung von Sandra Scheeres als weiteren Grund für den Verbleib im Wechselmodell angegeben, Unterricht in vollen Klassen könnte Öffnungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen gefährden. Die "Initiativ Familie" kommentiert: "Wir bedauern zutiefst, dass der Senat in allen gesellschaftlichen Bereichen Öffnungen vorsieht, sich aber nicht durchringen kann, Kindern und Jugendlichen gute Lernbedingungen und ein bisschen Normalität zu ermöglichen." Die gemeldeten Infektionen sänken rapide, und ein hoher Anteil der für schwere Verläufe von COVID-19 anfälligen Berliner Bevölkerung ist geimpft. "Das gilt auch für Lehr- und Erziehungskräfte. Alle Voraussetzungen für Schule im Regelunterricht sind erfüllt."

 

Mal sehen, ob der Verfassungsgerichtshof dies ebenfalls so sieht – und wann.



Nachtrag am 31. Mai, 18 Uhr: 

Das Berliner Verwaltungsgericht hat den Eilanträgen von zwei Grundschülern auf Wiederaufnahme des Präsenzbeschulung im Regelbetrieb stattgegeben, berichtete am Abend der RBB

 

Die beiden Kinder bzw. ihre Familien sahen durch den Wechselunterricht ihre Grundrechte verletzt und hatten eine Vollbeschulung gefordert. Das Verwaltungsgericht entschied nun laut RBB, dass die Antragstellerin und der Antragsteller "in ihren Bezirken eine Vollbeschulung unter Beachtung der im Übrigen geltenden infektionsschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen beanspruchen" dürfen. Wechselunterricht dürfe nur angeboten werden, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Schwellenwert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschreite. Der Senat habe "angesichts der rückläufigen Infektionszahlen nicht hinreichend dargetan", dass die Beschränkung des Schulunterrichts zur Erreichung der Eindämmung des Infektionsgeschehens erforderlich sei, erklärte das Gericht laut WELT.

 

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtes gilt nur für die Schülerin und den Schüler, die die Eilanträge eingereicht hatten. Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erhoben werden.

 

Es handelt sich nicht um die von der "Initiative Familie" angestrengte Verfassungsbeschwerde vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof. Diese läuft noch. Und auch wenn der Senat juristisch nicht gezwungen ist, als Konsequenz allen Schülern in Berlin vollen Präsenzunterricht anzubieten, erhöht der Gerichtsbeschluss noch einmal die politische Brisanz des einsamen Berliner Beharrens auf Wechselunterricht bis zu den Sommerferien. Und der Streit innerhalb der rot-rot-grünen Koalition über diese Frage dürfte noch mehr Nahrung bekommen.

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