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"Kommt zurück!"

Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer über klare Signale für ein Wintersemester in Präsenz, Lehrveranstaltungen ohne Abstandsregeln, aber mit 3 G – und über die Verantwortung der Politik, dafür jetzt die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Theresia Bauer (Grüne) ist seit 2011 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-WürttembergFoto: MWK Baden-Württemberg.

Frau Bauer, wenn Sie gerade Ihr Abi gemacht hätten und studieren wollten, würden Sie sich zum jetzigen Zeitpunkt ein teures Zimmer in ihrer künftigen Hochschulstadt mieten?

 

Unbedingt! Ohne jede Einschränkung. Weil das nächste Semester im Wesentlichen ein Präsenzsemester sein wird, und da würde ich dabei sein wollen.

 

Senden alle Hochschulen dieses Signal deutlich genug? Man kann den Eindruck bekommen, dass vor allem von den Wenn und Abers und den Vielleichts die Rede ist. 

 

Genau darüber habe ich gestern mit Rektorinnen und Rektoren der baden-württembergischen Hochschulen gesprochen. Wir alle müssen deutliche Worte und klare Botschaften verwenden, wenn bei den Studierenden ankommen soll: Es ist wichtig, auf den Campus zurückzukommen. Denn dorthin kehrt jetzt das Leben zurück. Gemeinsam sorgen wir deshalb dafür, dass in den nächsten Tagen auf jedem E-Mail-Account von Studierenden und Hochschulmitarbeitenden genau diese Botschaft zu lesen sein wird.

 

"Wenn es wieder losgeht in den

Hochschulen, seien Sie mit dabei."

 

Bereits gestern haben Sie als Ministerin einen Brief an die gesamte Hochschul-Community geschickt. 

 

Weil ich zweierlei sagen wollte. Erstens: Wenn Sie nicht schon geimpft sind, nutzen Sie die Zeit jetzt. Es gibt genügend Impfstoff, es gibt genügend freie Termine. Wer sich impft, schützt sich und andere und ermöglicht Leben auf den Hochschul-Campi. Zweitens: Wenn es wieder losgeht in den Hochschulen, seien Sie mit dabei. 

 

Um dann was für ein Hochschulleben zu erfahren?

 

Vielleicht wird es nötig sein, ein paar Großveranstaltungen im Digitalformat anzubieten, um bei den Raumkapazitäten die nötige Flexibilität zu erhalten. Auch werden die Hochschulen, ausgestattet mit den Erfahrungen der vergangenen Semester, das Studium, wo immer sinnvoll, mit digitalen Elementen anreichern. Aber die meisten Vorlesungen und praktisch alle Seminare und Übungen werden vor Ort stattfinden, die Bibliotheken, die Mensen und die Büros der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden offen sein. Die Menschen werden sich wieder begegnen.

 

"Als Politik müssen wir ebenfalls
eindeutig handeln." 

 

Lehnen Sie sich da nicht zu weit aus dem Fenster? An den Hochschulen hieß es zuletzt oft: Wir wollen ja. Aber dafür müsste die Politik mal weniger von uns fordern und selbst mutiger die Rahmenbedingungen schaffen: Stichwort Abstandsregeln und 3 G.

 

Das stimmt ja auch. Es reicht nicht, von den Hochschulen zu verlangen, dass sie eindeutige Botschaft senden. Als Politik müssen wir ebenfalls eindeutig handeln und die Hochschulen dabei unterstützen, dass die Rückkehr zur Präsenz organisierbar und lebbar wird. In dem Sinne sind in der Tat die zwei von Ihnen genannten Komponenten besonders wichtig. Deshalb haben wir in Baden-Württemberg schon Anfang Juli festgelegt, dass die Abstandsregel beim Gewährleisten der 3G – geimpft, genesen oder getestet – an den Hochschulen in vertretbarem Umfang reduziert werden oder, wo nötig, ganz aufgegeben werden kann. Das heißt: Es wird genug Platz da sein, dass alle Studierenden kommen können. Dafür müssen wir aber, und das ist das Zweite, eine entscheidende Frage klären.

 

Und die lautet?

 

Wie werden die 3 G überprüft? Und zwar so, dass es für die Hochschulen nicht zu einem bürokratischen Monstrum wird. Es kann ja nicht an jeder Seminarraum-Tür jemand zur Kontrolle stehen. Und während bei einer kleinen Veranstaltung noch vorstellbar wäre, dass die Hochschullehrer den Status der Studierenden überprüfen, ginge das bei größeren Veranstaltungen schon rein praktisch nicht. Und die Campus-Zugänge verrammeln und die Studierenden in langen Schlangen durch eine Einlasskontrolle lotsen? Absurd. Daher plädiere ich dafür, Stichprobenregelungen zu ermöglichen.

 

Ist es überhaupt realistisch, dass bis zu Semesterbeginn die meisten Studierenden doppelt geimpft sein werden?

 

Ja, natürlich. Seit Juni machen wir Werbekampagnen für die Impfungen. Als Ministerium haben wir den Hochschulen, die eigene Initiativen auf den Weg bringen wollten, geholfen, sei es in Kooperation mit den Impfzentren oder über ihre Betriebsärzte. Parallel haben wir versucht herauszubekommen: Gibt es noch irgendwo Studierende, die Schlange stehen müssen, um eine Impfung zu bekommen? Solche Berichte erreichen mich inzwischen nicht mehr. Jetzt geht es darum, diejenigen aktiv zu erreichen, die bislang schlicht nicht mitbekommen haben, dass sie einfachen Zugang zu Impfstoff haben. Wir sprechen auch gezielt  Internationale Studierende an.

 

"Wer nicht geimpft oder genesen ist und ohne Test auf den Campus kommt, beginge dann eine Ordnungswidrigkeit."

 

Und wenn im Wintersemester doch jemand erwischt wird, der nicht geimpft, getestet oder genesen ist? 

 

Wer nicht geimpft oder genesen ist, braucht dann einen aktuellen, zertifizierten Test, um auf den Campus zu kommen. Und das bedeutet: Wer den nicht hat, beginge eine Ordnungswidrigkeit. Das müssen wir so klar benennen und kommunizieren. Helfen würde uns aber auch, wenn wir wüssten, wie hoch die Impfquote an jeder einzelnen Hochschule ist. Die Kombination aus einer nachgewiesen hohen Impfquote und einer Stichprobenregelung würde das Modell optimal machen. Doch derzeit dürfen wir aus Datenschutzgründen gar nicht wissen, wie viele Studierenden welcher Hochschule geimpft sind. Das finde ich sehr verstörend, das ist gegebenenfalls gesetzlich zu ändern.

 

In Ihrem Brief an alle Hochschulangehörige äußern Sie außerdem die Erwartung, dass es bis Mitte September zu einem "Systemwechsel" im Umgang mit der Pandemie kommen werde. Was genau meinen Sie damit?

 

Wir diskutieren diesen Systemwechsel gerade, und allen ist klar, dass wir ihn politisch nur bundesweit gemeinsam hinbekommen werden. Ab etwa Mitte September können alle Menschen, die dazu überhaupt aus gesundheitlichen oder aus Altersgründen in Frage kommen, zweifach und damit voll geimpft sein. Wir wissen, dass wir es auch im Herbst mit der ansteckenderen Mutante zu tun haben werden, aber alle hatten bis dahin dann die Möglichkeit und das Angebot, sich vor einem schlimmen Krankheitsverlauf zu schützen. Womit ab diesem Zeitpunkt eine andere Ausgangslage gilt und alle, die die 3 G verlässlich nachweisen, das Recht haben, ins volle öffentliche Leben zurückzukehren. Das ist der Unterschied zum vergangenen Herbst, als wir noch keine Möglichkeit hatten, uns vor den schweren Folgen einer Erkrankung zuverlässig zu schützen. 

 

Hätten Hochschulen und Hochschulpolitik in den vergangenen zwei Monaten schon mehr Präsenz zulassen können angesichts der niedrigen Inzidenzen?

 

Hier in Baden-Württemberg haben wir den Hochschulen schon im Mai die Möglichkeit eingeräumt, mehr Präsenzveranstaltungen durchzuführen, und vereinzelt haben sie das auch gemacht. Ich habe aber Verständnis dafür, dass im laufenden Semester nicht im großen Stil auf Präsenz umgestellt worden ist – schon weil viele Studierende gar nicht da waren. Jetzt wünsche ich mir aber umso mehr, dass tatsächlich konzentriert daran gearbeitet wird, die Spielräume zu nutzen. Vielleicht werden die ja sogar noch größer.

 

"Wir haben jetzt ganz andere Voraussetzung
als im vergangenen Wintersemester."

 

Können Sie ausschließen, dass es am Ende kommt wie im vergangenen Wintersemester? Erst reden alle von möglichst viel Präsenz, und dann werden alle Pläne auf den letzten Drücker abgeblasen?

 

Wir haben jetzt ganz andere Voraussetzungen. Nicht, weil die vierte Welle an uns vorbeigehen wird, sie ist ja bereits erkennbar am Start. Doch wird diese vierte Welle anders aussehen – mit einer hohen Impfquote, mit genügend Impfstoff und anderen Krankheitsverläufen. Natürlich werden wir schauen müssen, wie sich die Krankenhauseinweisungen entwickeln. Wir müssen die Sicherheit und die Gesundheit der Menschen im Auge behalten, der Zugang zu einem funktionierenden Gesundheitssystem muss gesichert sein. Ich glaube aber, dass wir das hinbekommen. Und: Wir müssen mutig sein. Der Zustand an den Hochschulen ist einfach nicht mehr verlängerbar. Ein weiteres Digitalsemester fast ohne persönliche Kontakte und soziales Leben, das geht nicht mehr. Das können wir den Studierenden nicht antun.  



Präsenz-Bekenntnisse

Gemeinsam mit den Hochschulen wolle man für den Herbst mehr als 50 Präsenz des Studienangebots in Präsenz anbieten, verkündete Theresia Bauer diese Woche per Pressemitteilung. Die Richtschnur sei klar: Kleine und mittlere Veranstaltungen wie Seminare sollten eher in Präsenz stattfinden, große Vorlesungen mit mehreren hundert Hörern könnten auch weiter online angeboten werden. "Wir kehren den Grundsatz aus den Corona-Semestern also um", sagte Bauer. "Präsenz ist die Regel, Online die Ergänzung."

 

Dabei gelten laut Corona-Verordnung folgende Vorschriften: Wo Abstände eingehalten werden können, gibt es keine besonderen Auflagen (wie eine Maskenpflicht) und auch keine Beschränkung der Personenzahl, diese ergibt sich dann durch die Raumgröße, was dann allerdings laut Ministerium eine Beschränkung der Kapazitäten auf zehn bis 20 Prozent bedeuten würde.

 

Wo die 3G-Regel gewährleistet ist und Maskenpflicht gilt, können daher schon jetzt Veranstaltungen auch ohne Mindestabstand abgehalten werden – bist zu einer Gruppengröße von 35 Personen. Bei noch größeren Veranstaltungen gilt eine maximale Auslastung der räumlichen Kapazitäten bis 60 Prozent nach dem Schachbrettmuster, unterhalb einer Inzidenz von 50 sind sogar 75 Prozent möglich. 

 

Diese Regeln gelten in Baden-Württemberg schon seit Ende Juni.

 

Auch in anderen Bundesländern gab es zuletzt Bewegung. Bayerns Ministerrat beschloss diese Woche, dass ab sofort unterhalb einer 7-Tages-Inzidenz von 100 Präsenzveranstaltungen auch dann möglich sind, bei denen der Mindestabstand nicht zwischen allen Studierenden durchgängig eingehalten werden kann. Die FFP2-Maskenpflicht und andere Vorgaben gelten allerdings weiter.

 

Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) sagte, er bitte die Studierenden an den bayerischen Hochschulen, sich wieder auf einen Aufenthalt am Studienort einzustellen. Er wolle die Präsenzlehre an den Hochschulen im kommenden Semester wieder zum Regelfall machen. Der direkte Austausch vor Ort und das Miteinander seien ein wichtiger Bestandteil von Studium, Forschung und Lehre. Er sei "zuversichtlich", dass es dazu wieder kommen werde. Online-Lehrveranstaltungen sollten das Angebot dann "ergänzen".

 

In Berlin verständigten sich die Hochschulen und die für Wissenschaft  zuständige Senatskanzlei ebenfalls diese Woche auf Eckpunkte für das kommende Wintersemester, die allerdings im Vergleich zurückhaltender klingen. Analog zu anderen Bildungsbereichen soll demzufolge die allgemeine

Pflicht zur Einhaltung des Mindestabstands im Lehr- und  Forschungsbetrieb entfallen, "soweit es das aktuelle Infektionsgeschehen zulässt". Es gelten bei Veranstaltungen und Prüfungen die gängigen Schutz- und Hygieneregeln, eine generelle Teilnehmerobergrenze gibt es nicht. Die Hochschulen können sie aber je nach Lage festlegen. Für Präsenzveranstaltungen müssen die Hochschulen die Kontaktverfolgung sicherstellen. Nur wer geimpft, genesen oder getestet ist, könne die Angebote der Hochschulen wahrnehmen und Zugang zu den Services (wie den Leihbetrieb und Arbeitsplätze in den Bibliotheken oder die PC-Pools) erhalten. 

 

Schon seit Mitte Juni habe die Infektionsschutzverordnung des Landes Berlin keine grundsätzliche Einschränkung der Präsenzlehre mehr vorgesehen.

 

Allerdings: Anfang September wollen Hochschulen und Senatskanzlei gemeinsam bewerten, "ob vor dem Hintergrund des dann zu beobachtenden Infektionsgeschehens Anpassungsbedarf besteht". 

 

Zunehmend melden sich auch einzelne Hochschulen mit eigenen Bekenntnissen zur Präsenz im Wintersemester zu Wort. "Wir dürfen die Studierenden nicht mehr lange hinhalten", hatte Enrico Schleiff, Präsident der Frankfurter Goethe-Universität schon Anfang Juli im Interview gesagt. Der Senat der Universität Münster fasste in seiner letzten Sitzung vor den Semesterferien einen demonstrativen Beschluss für ein Wintersemester in Präsenz. "Diese klare Ansage ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings auch nötig, um die gleiche Verlässlichkeit bezüglich der Studienbedingungen herzustellen, wie es sie auch in den vorherigen Semestern gab", meint Rektor Johannes Wessels im Gastbeitrag.

 

Besonders entschieden gibt sich zum Beispiel auch die Universität Potsdam. Sie wolle ab Oktober "weitestgehend in den Präsenzbetrieb zurückkehren", verkündete sie in einer Nachricht an die Presse. Unipräsident Oliver Günther stelle dafür die Weichen: So gebe es in diesen Tagen an allen drei Uni-Standorten spezielle Impfangebote für Studierende. Weitere sollten folgen. "Als Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz für Governance, Lehre und Studium setzt Oliver Günther auf eine einheitliche Linie der Hochschulen in Deutschland und fordert verlässliche Vorgaben der Politik", teilte seine Universität weiter mit. 

 

Unterstützung erhält Günther von SPD-Wissenschaftsministerin Manja Schüle. "Wir haben in Brandenburg von Anfang darauf gesetzt, dass die Hochschulen verantwortungsvoll mit der Pandemie umgehen, deshalb gab es nie formale Schließungsanordnungen", sagte sie. "Und wir haben intensiv kommuniziert. Beides hat sich absolut bewährt. Für mich ist klar: Wissenschaft braucht Präsenz."





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Kommentare: 2
  • #1

    PB (Samstag, 31 Juli 2021 12:26)

    Chapeau Frau Bauer!

    Kein Wunder, dass Sie beim Deutschen Hochschulverband mehrfach zur besten Wissenschaftsministerin gewählt wurden.

    Es bleibt aber evtl. das Problem, dass die Hochschulen
    weniger "mutig" als das Ministerium sind, da die Regeln flexibel sind. Ob das in Baden-Württemberg auch der Fall ist, kann ich nicht beurteilen.

  • #2

    Seeblick (Montag, 02 August 2021 11:11)

    Vom Bodensee kann ich nur berichten: An der Uni Konstanz wurde das Statement in genau diesem Duktus weitergegeben, mit explizitem Aufruf zum Mut zur Präsenz. Und ich weiß auch von Studierenden, dass das so ankam und dieses klare Bekenntnis positiv aufgefallen ist. Hier das Video, betitelt sprechend "Back on Campus": https://www.youtube.com/watch?v=eVZGhbgTMUo