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"Demokratietheoretisch problematisch"

Könnten unabhängige Agenturen wie "D.Innova" die deutsche Forschungsförderung revolutionieren? Nein, sagt die Expertenkommission Forschung und Innovation. EFI-Vorsitzender
Uwe Cantner über die Verantwortung der Politik, ineffiziente Projektträger und eine Ministerialbürokratie, die sich die Struktur des preußischen Nationalstaats bewahrt hat.

Uwe Cantner, 61, ist seit 2019 Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Im Hauptberuf ist er Professor für VWL/Mikroökonomie und Vizepräsident der Universität Jena. 
Foto: David Ausserhofer.

Herr Cantner, die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) widmet dem Vorschlag eines ehemaligen Vorsitzenden ein ganzes Positionspapier – und widerspricht ihm dezidiert. Auch eine Art von Beziehungsbewältigung?

 

Das überinterpretieren Sie – hier gibt es nichts zu bewältigen. Unseren Policy Brief hatten wir schon länger mit viel Recherchearbeit in der Mache. Anlass waren die Rufe nach neuen Strukturen der Forschungs- und Innovationspolitik, unter anderem nach einer "D.Innova". Dass mein Vorgänger als EFI-Vorsitzender, Dietmar Harhoff, sich dann zwischenzeitlich auch zu dem Thema geäußert hat, hat damit nichts zu tun.

 

Dietmar Harhoff hat die Gründung vieler Agenturen vorgeschlagen, um die gesamte Forschungsförderung neu aufzustellen. Den Vorschlag hat wenig später sogar Bundeskanzlerin Merkel aufgegriffen. Sie sprach von kleineren, unabhängigen Forschungsagenturen, die "wie etwas freiere Satelliten" agieren könnten. Die EFI sagt nun: Vergesst es, das klappt nicht. 

 

So sagen wir das nicht. Wir plädieren für eine Differenzierung. Solange es sich um Einrichtungen wie die Agentur für Sprunginnovationen (SprinD) handelt, bei denen der Staat selbst unternehmerisch tätig wird und auch in Innovationsprozesse eingreifen will – weil private Unternehmen dies nicht angehen –, dann ist das eine gute Idee, und dann muss man eine solche Agentur auch privatwirtschaftlich aufstellen und ihr große inhaltliche Freiheiten geben. Der Staat agiert über die Agentur nicht politisch, sondern unternehmerisch. Anders sieht es aus, wenn der Staat ganz klassische F&I-Förderung betreibt, bei der es um die Unterstützung und Förderung von Innovationsprozessen anderer Akteure geht, insbesondere von Unternehmen. Diese Art der Forschungsförderung ist politisch und muss entsprechend auch politisch verantwortet werden. In Ministerien und im Parlament. Dies kann nicht in Agenturen ausgelagert werden.

 

Das richtet sich gegen die Transfergemeinschaft oder "D.Innova": Diesen Typ Agenturen halten Sie für ungeeignet.

 

Zunächst: Wir halten ihn für demokratietheoretisch problematisch. Man kann politisch-strategische Forschungsförderung nicht auslagern, das geht nicht. Die finanztechnische Abwicklung, die Administration von Programmausschreibungen, die aufgrund politischer Entscheidungen entstanden sind, können Agenturen dagegen sehr wohl übernehmen – womöglich auch deutlich besser als Ministerien. Aber das ist ja längst Praxis. In dem Sinne sind die vorhandenen Projektträger auch nichts Anderes als Agenturen.  

 

"Ineffizienz befördernde Komfortzonen"

 

Aber klappt denn das?

 

Darüber kann man diskutieren. Wir sagen: Natürlich muss die Projektabwicklung effizienter werden, auch bei den Projektträgern. So brauchen wir etwa mehr Wettbewerb der Projektträger untereinander. Und es kann nicht sein, dass die artgleiche Programme und Ausschreibungen von den immer gleichen Projektträgern begleitet werden, da entstehen Ineffizienz befördernde Komfortzonen. Aber die politische Entscheidung, was mit welchen Programmen gefördert wird, kann nur in den Ministerien getroffen werden.

 

Dafür müssten aber die Ministerien erst einmal agiler werden, das schreiben Sie ja selbst in Ihrem Papier. Und genau daran glauben Dietmar Harhoff und andere offenbar nicht mehr – und wollen die ministerielle Forschungsförderung zugunsten neuer Agenturen entmachten.

 

Die Problembeschreibung ist ja wiederum richtig: die Linienabhängigkeit, das Durchreichen von Entscheidungen von ganz unten nach ganz oben, intra- und interministerielle Abstimmungsmängel, dazu die nicht vorhandene Fehlerkultur, das entspricht gerade nicht einem agilen Handeln. Die ganze Welt ändert sich, nur die Ministerialbürokratie hat noch dieselbe Struktur wie zu Zeiten des preußischen Nationalstaates. Sämtliche Bundesministerien müssen komplett umstrukturiert werden nach modernsten Managementmethoden: dezentrale Entscheidung und Verantwortung, dezentrale Budgets, das Etablieren einer Fehlerkultur und am wichtigsten: Die Ministerien müssen endlich richtig kooperieren lernen. Diese Einwandskultur! "Hat das Wirtschaftsministerium einen Einwand?", wird heute gefragt. Nein! "Macht das Wirtschaftsministerium mit?", muss es heißen.

 

Und was genau macht Sie optimistisch, dass dieser Umbau gelingt? Er ist doch schon viele Male gescheitert. Genau deshalb ist überhaupt erst die Idee mit den Agenturen entstanden.

 

Ich sehe ja, dass das ein schwieriger Prozess ist, das Bohren ganz dicker Bretter. Ich sehe aber nicht, dass ein Auslagern in Agenturen da viel bringen würde. Diese würden letzten Endes der Kontrolle genau derselben Ministerien unterliegen, und nicht nur das: Sie hätten mit derselben doch agilitäts- und innovationshemmenden Regulierung zu kämpfen: beim Datenschutz, bei den öffentlichen Vergaberegeln. Lassen Sie uns doch in der neuen Legislaturperiode mal einen Anfang machen: bei einem neu eingerichteten  Ministerium müsste man von Anfang an strukturell und die Abläufe betreffend völlig anders, eben modern ansetzen und dann auch andere agilitätsfördernde Rahmenbedingungen schaffen. Das hätte Vorbildcharakter, die anderen Ministerien müssten dann nachziehen. So ein Vorstoß würde mich optimistisch stimmen.

 

Hat Deutschlands Innovationssystem wirklich noch Zeit, den Selbstfindungsprozess seiner Ministerialbürokratie abzuwarten?

 

Ich sage nicht, dass es einfach wird, zu agilen Ministerien zu kommen. Ich sage, dass die angebliche Alternative agiler Agenturen keine ist – das verlagert die Probleme nur, nach außen, löst sie aber kaum. Und ich beobachte schon, dass es in den Ministerien viele Mitarbeiter:innen gibt, die sich sehnlichst wünschen, dass endlich etwas in Bewegung kommt. Wenn jetzt neue Ministerinnen und Minister einziehen, die ein mehr Mut zum Ausprobieren mitbringen, könnte das doch die Gelegenheit sein, auf die wir so dringend warten. 




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Kommentare: 2
  • #1

    Peter Ritzenhoff, HAfM (Montag, 27 September 2021 11:26)

    Die Argumente von Herrn Cantner verstehe ich mehr als hilfreiche Hinweise, wie eine Innovationsagentur - sei es eine D.Innova oder eine Deutsche Transfergemeinschaft (DTG) - zu gestalten sei. Es ist sicherlich nicht hilfreich eine Flut von Agenturen zu schaffen. Eine Innovationsagentur soll ja gerade das Kompetenzgerangel innerhalb und zwischen Bundesministerien verringern. Dass dies ein ganz "dickes Brett" ist, ist klar. Dazu kommt, dass neben dem Bund auch die Länder ihren Beitrag leisten müssen. Aber die Zeit ist reif, das Thema einer Innovationsagentur nun anzupacken, um dem Innovationsgeschehen insbesondere im Mittelstand wieder Vorschub zu leisten.

  • #2

    Laubeiter (Mittwoch, 29 September 2021 09:26)

    Ich halte es mit der FDP: Der BMBF Etat, der an die FHG geht, führt dort zu so wenig Unternehmensgründungen, dass das Budget besser an eine Agentur gegeben würde. Eine Frage zur FHG hätte man Cantner schon stellen können, oder sind das zwei paar Schuh?