· 

Die übersehene Welle

Erfreulicherweise blieb der deutliche Anstieg bei den Corona-Neuinfektionen in der vergangenen Woche aus. Allerdings nur, wenn man alle Altersgruppen zusammennimmt. Bei den älteren Menschen nehmen die Fälle weiter stark zu – trotz hoher Impfquote. Was bedeutet das?

IN DIESEN TAGEN halten die bundesweiten Corona-Zahlen eine gute und eine schlechte Nachricht bereit. Die gute: Vergangene Woche sah es noch aus, als deute sich die Herbstwelle mit Macht an. Innerhalb weniger Tage hatte sich die Wachstumsrate bei den gemeldeten Neuinfektionen aus dem deutlichen Minusbereich ins Plus gedreht. Schrieb man diese Dynamik fort, wäre schon diese Woche mit zweistelligen Zuwächsen zu rechnen gewesen. Doch kurz vor dem Wochenende flachte die Kurve  ab – und ging zuletzt sogar wieder ins Minus. Insgesamt standen für die vergangene Kalenderwoche damit 3,8 Prozent mehr registrierte Neuinfektionen zu Buche – und heute meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) sogar einen leichten Rückgang bei der 7-Tagesinzidenz auf 63,6. So bleibt es vorerst also mindestens bei der Stagnation. 

 

Nicht so, und das ist die schlechte Nachricht, bei den älteren Menschen. Bei denen läuft die Herbstwelle fast ungebrochen durch. In der vergangenen Woche: +13,3 Prozent bei den 60- bis 79-Jährigen. Und sogar +20,4 Prozent bei den über 80-Jährigen. Und das obwohl in dieser Altersgruppe mindestens 84 Prozent vollständig geimpft sind. 

 

Seit Anfang Juli hat sich die Zahl der pro Woche neuinfizierten über 80-Jährigen damit um das Vierundzwanzigfache erhöht. Das ist ein stärkeres Plus als in jeder anderen Altersgruppe und sogar mehr als bei den so viel diskutierten Schulkindern zwischen 5 und 14 (rund das Einundzwanzigfache). Nur ist das lange kaum aufgefallen, weil die im Sommer erreichten Fallzahlen bei den Senioren so niedrig waren. Inzwischen sind diese aber auch absolut hoch: 4.401 neuinfizierte 60- bis 79-Jährige und 1.745 neuinfizierte über 80-Jährige. 

 

Der Anteil alter Krankenhauspatienten
steigt sprunghaft

 

Und weil ältere Menschen mit einer Covid-19-Erkrankung sehr viel häufiger ins Krankenhaus müssen, steigt auch ihr Anteil an den Krankenhaus-Einweisungen von Woche zu Woche. Inzwischen stellen sie trotz ihrer immer noch vergleichsweise niedrigen 7-Tages-Inzidenz (unter 30 im Vergleich zu gut 150 bei den Schulkindern) rund die Hälfte aller Krankenhauspatienten. Mit dramatischen Steigerungsraten. Konkret der Prozentsatz der 60- bis 79-Jährigen unter allen Hospitalisierungen in den vergangenen fünf Wochen (Kalenderwoche 34 bis 38): 19,9 Prozent, 22,3 Prozent, 23,9 Prozent, 23,3 Prozent, 27,2 Prozent. Und der über 80-Jährigen: 11,8 Prozent, 14,6 Prozent, 16,9 Prozent, 19,2 Prozent, 20,5 Prozent. 

 

Während der Anteil der Schulkinder zwischen 5 und 14 in den vergangenen Wochen stets zwischen zwei und drei Prozent pendelte.

 

Ein Hinweis ist an dieser Stellen noch wichtig: Sowohl bei den (ungeimpften) Alten als auch bei den ganz Jungen ist unklar, wie viele Patienten ursächlich wegen einer Covid-19-Erkrankung eingewiesen werden und bei wie vielen eine Infektion nur nebenbei festgestellt wird. Allerdings ist der Anteil nichtsymptomatischer Fälle bei Kindern und Jugendlichen traditionell deutlich höher – so dass sehr viele der jungen Krankenhauspatienten wegen einer anderen Haupterkrankung stationär behandelt werden düften. Während als "wahrscheinliche Impfdurchbrüche" vom RKI ohnehin nur symptomatische Covid-19-Erkrankungen gezählt werden.

 

Geimpfte Senioren müssen so häufig
ins Krankenhaus wie ungeimpfte Kinder

 

Schaut man noch tiefer in die Zahlen, stellt man darüber hinaus Erstaunliches (und Besorgniserregendes fest). Selbst mit doppelter Impfung sind über 60-Jährige statistisch gesehen deutlich weniger gut vor Krankenhausaufenthalten geschützt als umgeimpfte 0- bis 14-Jährige. Konkret: Für die Kalenderwochen 35 bis 38 verzeichnete das RKI bislang 4.034 Krankenhauseinweisungen von Menschen ab 60. Den Anteil der Patienten mit Impfdurchbrüchen gab das Institut für denselben Zeitraum mit 34,3 Prozent an, was etwa 1383 Fällen entspricht. Etwa 20,2 Millionen über 60-Jährige sind geimpft, womit sich eine Hospitalisierungsrate von 68,5 pro einer Million geimpfte Senioren ergibt.

 

Zum Vergleich die gut elf Millionen 0- bis 14-Jährigen, die zum ganz überwiegenden Teil noch nicht doppelt geimpft sind: 531 registrierte Krankenhauseinweisungen in den Kalenderwochen 35 bis 38 entsprechen einer Hospitalisierungsrate von 48,3 auf eine Million Kinder.

 

Das bedeutet nicht, dass die Impfungen bei den Senioren schlecht wirken, im Gegenteil: Die ungeimpften über 60-Jährigen kamen auf schon jetzt unglaublich hohe 690 Hospitalisierungen pro einer Million Einwohner. 

 

Schaut auf die Alten, gebt
den Kindern Freiheiten

 

Doch ergeben sich zwei Schlussfolgerungen. Erstens: Vergangenes Jahr setzte die Herbst-Welle erst Mitte Oktober so richtig ein. Es spricht einiges dafür, dass es dieses Jahr ähnlich kommt. Wenn es dann nicht gelingt, die Inzidenz unter den Senioren niedrig zu halten, wonach es derzeit nicht aussieht, drohen erneut sehr viele schwere Verläufe in dieser Altersgruppe. Was nun wirklich nicht überraschend käme, sondern sich seit vielen Wochen abzeichnete.

 

Trotzdem haben große Teile von Politik und Medien sich auf die Debatte über die angeblich innerhalb weniger Monate drohende vollständige Durchseuchung ungeimpfter Kinder und Jugendlicher konzentriert – und währenddessen den Älteren ein falsches Gefühl der Sicherheit vermittelt. Hierzu habe ich bereits vor einigen Wochen geschrieben. 

 

Zweitens: Wenn ungeimpfte Kinder und Jugendliche nicht häufiger schwer erkranken als geimpfte Senioren und offenbar auch Long Covid vergleichsweise seltener bei jungen Menschen auftritt, dann ist vollkommen unverständlich, warum sie nicht Geimpften gleichgestellt werden. Ja, die Infektionsrate unter Kindern und Jugendlichen ist deutlich höher – und hoffentlich holen die Alten nicht noch stärker auf (unter ungeimpften über 60-Jährigen errechnete der Spiegel neulich bereits eine 7-Tages-Inzidenz von 123). Doch kann, seit genügend Impfstoff für alle Erwachsenen da ist und diese sich schützen können, nur noch ausschlaggebend sein, wie gefährlich eine Infektion für die Schüler selbst ist. 

 

Hinweis: Ich habe einen Rechenfehler beim Vergleich der Krankenhaus-Inzidenzen korrigiert.



Die Entwicklung in den Ländern läuft auseinander

Die bundesweite 7-Tages-Inzidenz lag am heutigen Dienstag mit 63,6 um 3,3 Punkte höher als vor einer Woche. Das ist, siehe oben, positiv zu bewerten angesichts der Dynamik, die sich vor einigen Tagen noch abzuzeichnen drohte.

 

Doch verläuft die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich, womit sich ein weiterer, bereits in der Vorwoche erkennbarer Trend fortsetzt: Mehrere westliche Bundesländer verzeichnen Stillstand oder sogar noch kräftige Rückgänge im Vergleich zu vor sieben Tagen (Niedersachen +0,4 Prozent, Schleswig-Holstein -4,3 Prozent, NRW -7,4 Prozent, Rheinland-Pfalz -11,2 Prozent, Saarland -26,2 Prozent).

 

Während sämtliche Ost-Länder starke, teilweise drastische Anstiege zu berichten haben: Brandenburg +16,1 Prozent, Thüringen

23,5 Prozent, Sachsen-Anhalt +25,9 Prozent,  Mecklenburg-Vorpommern +43,9 Prozent, Sachsen +63,9 Prozent. 

 

Allerdings legen auch die Stadtstaaten Berlin (+23,5 Prozent) und Hamburg (+25,9 Prozent) überdurchschnittlich zu, allein Inzidenz-Spitzenreiter Bremen verzeichnet mit 114 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern ein minimales Plus um gut ein Prozent.

 

Woran liegen die so stark gegensätzlichen Entwicklungen? An der Impfquote allein (in Bremen am höchsten, im Westen insgesamt deutlich höher als im Osten) kann es nicht liegen.

 

Aber zu einem guten Teil womöglich schon: Denn so richtig wirken sich die Impfungen erst aus, wenn das Risiko der Älteren, sich zu infizieren steigt. Also genau jetzt. 



></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Ingo (Dienstag, 05 Oktober 2021 16:42)

    Ungeimpfte werden im Krankenhaus mehrmals getestet, Geimpfte in der Regel gar nicht mehr, höchstens bei eindeutigen Symptomen. Das alleine erklärt den Unterschied bei den Inzidenzraten.

  • #2

    Eleni (Mittwoch, 06 Oktober 2021 00:43)

    Das stimmt nicht! Mein doppelt geimpfter Schwiegersohn wurde während seines Aufenthalts im Krankenhaus täglich mit einem PCR Test getestet.

  • #3

    Silvia (Mittwoch, 06 Oktober 2021 14:47)

    @Ingo Das ist nicht korrekt. Alle Patienten werden bei Aufnahme unabhängig vom Impfstatus getestet.

  • #4

    Uli (Mittwoch, 06 Oktober 2021 15:14)

    Patienten werden bei Aufnahme getestet, aber nicht bei Entlassung, und einige bringen eine Infektion dann mit nach Hause. Darüber könnte man auch mal nachdenken.

  • #5

    Jan (Donnerstag, 07 Oktober 2021 03:49)

    Ich gebe Ingo Recht. Seit 25.08. gilt in Krankenhäuser 3G. Seitdem werden Patienten und Besucher getestet die Ungeimpfte sind. Allgemeine Tests werden für Alle nur noch bei Verdachtsfällen durchgeführt. Das ist nun mal die Order vom BMG.