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HU-Präsidentin Sabine Kunst tritt zurück

Bei ihrer Erklärung vor dem Akademischen Senat der Humboldt-Universität nennt sie das neue Hochschulgesetz als Grund und kritisiert die Neuregelung scharf. Sie will Ende des Jahres gehen.

Geht nach fünfeinhalb Jahren an der HU-Spitze: Sabine Kunst. Foto: HU/Matthias Heyde.

DER STREIT um das neue Berliner Hochschulgesetz eskaliert. Heute Vormittag hat Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität, ihren Rücktritt bekanntgeben. Die Weichenstellungen in der Novelle halte sie für "gut gemeint, aber schlecht gemacht", sagte sie vor dem Akademischen Senat der HU. "Die Änderungen in ihre Gesamtheit gefährden die exzellente Weiterentwicklung der Humboldt-Universität und letztendlich den Wissenschaftsstandort Berlin." Auf der Grundlage ihrer Erfahrungen und Überzeugungen könne sie diese politische Entscheidung nicht mit tragen und trete deshalb zum Ende des Jahres von ihrem Amt zurück.

 

Der neue Paragraf 110 des Anfang September beschlossenen Gesetzes legt fest, dass Postdocs, Juniorprofessoren und Hochschuldozenten grundsätzlich Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung haben. Was genau das bedeutet, darüber gab es in den vergangenen Wochen Debatten und Irritationen zwischen Hochschulen und Politik.

 

Die rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen hatten die neue Regelung noch kurz vor Verabschiedung der Novelle eingefügt – offenbar ohne Abstimmung mit der für Wissenschaft und Forschung zuständigen Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD). Der laut Hochschulkreisen sogar zugesagt hatte, dass die Novelle so nicht kommen werde.

 

Müller selbst sagte am Mittag, er nehme die Entscheidung der HU-Präsidentin "mit Bedauern und Verwunderung zur Kenntnis."

 

Kunst: Habe mich "sehr, sehr gequält"
mit der Entscheidung

 

Kunst sagte zur Einleitung ihrer Erklärung vor dem Uni-Senat, sie habe sich über Wochen "sehr, sehr" gequält, sowohl analytisch als auch emotional – da sie für diese Universität stehe und für sie fühle, dennoch sei sie zu ihrem Entschluss gekommen. Die Lösung der mit der Gesetzesnovelle verbundenen Zielkonflikte an der Universität werde eine Aufgabe des nächsten Jahrzehnts werden.  "Es gilt also eine langfristige Strategie zu entwickeln, praktikable Modelle für Veränderungen auf den verschiedenen Ebenen der Universität, für die gegenwärtig aber keine Gegenfinanzierung in Sicht ist." Für diese Herausforderungen brauche es – so ihre Überzeugung – "einen neuen Blick auf das was für die Universität nötig ist." Mit einer Person, die diesen frischen Blick habe, werde die Entwicklung gelingen, da sei sie überzeugt. 

 

Auch wenn Kunst Entscheidung in dieser Form überraschend kommt: Die HU-Präsidentin und ihre Kollegen von den anderen Berliner Universitäten hatten die Novelle seit Monaten kritisiert. 



Kunst ist zurzeit Vorsitzende der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen. Schon vor der Verabschiedung der Novelle hatte diese im Sommer vor finanziellen Mehraufwänden in Millionenhöhe gewarnt. In einer gemeinsamen Stellungnahme der Landeskonferenz hatte Kunst schon Mitte Oktober kritisiert: "Das Abgeordnetenhaus hat hier etwas festgelegt, das so nicht umsetzbar ist." 

 

Die Personalstrukturen und Personalplanungen der Universitäten seien auf Änderungen in diesem Umfang nicht vorbereitet, betonte die Landeskonferenz. Hier brauche es "eine Neuaufstellung, die verlässliche Karriereperspektiven für Nachwuchswissenschaftler:innen möglich macht, ohne die Vielfalt und die Leistungsfähigkeit des Berliner Wissenschaftssystems zu gefährden." Ohne gesicherte Stellenzuwächse verringere eine Umwandlung von Qualifizierungs- in Dauerpositionen die Qualifizierungsmöglichkeiten für die nächsten Generationen. 

 

In ihrer heutigen Erklärung wiederholte Kunst viele der Kritikpunkte, betonte aber auch, es gebe auch an der Humboldt-Universität eine breite Unterstützung für die "Ich bin Hanna"-Debatte und "eine hohe Unzufriedenheit mit den unwägbaren Zukunftsaussichten zum Beispiel in den Emmy-Noether-Arbeitsgruppen oder auch bei den ERC-Awards". Sie sehe die dringende Notwendigkeit von Veränderungen – aber zu der nötigen visionären Umsetzung des Gesetzes fühle sie sich nicht in der Lage. Doch gebe es "sicherlich viele Möglichkeiten, die die Humboldt-Universität zu Berlin aus ihren Reihen entwickeln wird. Ein neuer anderer Blick durch eine neue Hochschulleitung wird das schaffen."

 

Zwischen Unverständnis
und Anerkennung

 

Die Mitglieder des HU-Senats reagierten konsterniert. Bei der Beurteilung von Kunst Erklärung gingen die Meinungen indes auseinander. Von einem "heldenhaften Schritt" war die Rede, aber auch von einer Begründung für den Rücktritt, die so nicht überzeuge. Die Psychologieprofessorin Jule Specht twitterte von einem "schweren Schlag" für die HU: Kunst würdige "#IchBinHanna",  – sieht aber zu große Herausforderungen bei der "gut gemeinten, aber schlecht gemachten" Novelle." Der bekannte HU-Soziologe Steffen Mau pflichtete Specht auf Twitter bei: "Gut gemeint und in der Zielstellung richtig, aber zu wenig durchdacht – das trifft es. Die Politik sollte dringend nachsteuern."

 

Kunsts TU-Amtskollege Christian Thomsen sagte, er bedaure "zutiefst" den Rücktritt seiner "hoch geschätzten Kollegin", einer "der besten und profiliertesten Wissenschaftspolitikerinnen Deutschlands". Das Land Berlin habe mit der Novelle der international viel beachteten Erfolgsgeschichte der Berliner Universitäten einen schmerzhaften Dämpfer verabreicht. "Der Rücktritt von Sabine Kunst ist ein deutlicher Ausdruck dessen." Das Ziel des Gesetzgebers, planbare und attraktive Lebens- und Karrierewege für hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler*innen zu schaffen, teilten die Hochschulen, doch sei dies in der jetzigen Formulierung des Gesetzes nicht realisierbar. "Deshalb fordere ich zeitnah konstruktive und offene Gespräche mit der Politik, bei denen die Hochschulen gleichberechtigt am Tisch sitzen und wir gemeinsam über eine Novellierung der Novelle sprechen."  

 

Der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller kommentierte, es sei "schade, dass Frau Kunst gerade jetzt die Flinte ins Korn wirft, wo es die überfällige Personalstrukturreform beherzt anzupacken gilt."

 

Berlins Regierender Bürgermeister Müller, der demnächst das Amt abgibt, um sein Bundestagsmandat wahrzunehmen, sagte, Kunst habe die Humboldt-Universität als Präsidentin in vielen wichtigen Punkten vorangebracht und den Wissenschaftsstandort Berlin aktiv mitgestaltet. "Die Anforderungen des neuen Hochschulgesetzes mögen anspruchsvoll sein, aber sie sind wichtig für die langfristige Stärkung des Standorts und im konstruktiven Miteinander zwischen Hochschulen und Senat gut umsetzbar. Dafür hätten wir uns die Mitwirkung von Sabine Kunst sehr gewünscht."

 

Die 66 Jahre alte Ingenieurwissenschaftlerin Kunst war seit Mai 2016 HU-Präsidentin. Erst im November 2020 war sie für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden, diese begann im Mai. Zwischen 2011 und 2016 hatte sie selbst als Wissenschaftsministerin von Brandenburg teilweise unpopuläre Reformen umgesetzt, unter anderem die Fusion der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus mit der Hochschule Lausitz. 



Was folgt aus dem Gesetz? Die Debatte der vergangenen Tage und Wochen im Überblick

In einer Handreichung an die Fakultäten kritisierte der Kanzler der Technischen Universität, Lars Oeverdick vergangene Woche, die Änderung des Hochschulgesetzes führe zu Unklarheiten bei der Anwendung und Auslegung der neu eingefügten Tenure-Track-Regelung für wissenschaftliche Mitarbeiter auf Qualifikationsstellen. Wichtige Fragen seien nicht geregelt worden, es bestehe Nachbesserungsbedarf. Auch TU-Präsident Thomsen forderte eine Präzisierung des Gesetzestextes. 

 

Dabei gehe es einerseits um eine Übergangsregelung, und zum anderen darum, eine weitere Qualitätsprüfung im Tenure-Verfahren einzuplanen, bevor Postdoktoranden unbefristet eingestellt werden, sagte er dem Tagesspiegel. An sich hätten die Unileitungen aber das "Signal aus dem Hochschulgesetz" verstanden, jungen Wissenschaftler:innen mehr als bisher echte Perspektiven zu geben. "Wir haben #IchbinHanna zu wenig ernst genommen", sagte Thomsen.

 

Auch an der Freien Universität Berlin gab man sich zuletzt versöhnlicher. Ende September hatte der Tagesspiegel noch berichtet, dass die Freie Universität vorerst die befristete Einstellung von Postdocs auf Qualifizierungsstellen stoppen und die Verlängerung von Verträgen aussetzen werde. "Berlin begibt sich mit dem neuen Hochschulgesetz in ein schwieriges Fahrwasser und erschwert den Hochschulen des Landes den Wettbewerb um Talente und Projekte", zitierte die Zeitung damals FU-Präsident Günter M. Ziegler.

 

Doch habe die Sperre nur für wenige Tage bestanden, betont Zieglers Sprecher Goran Krstin inzwischen –  "in der Zeit, in der die Konsequenzen aus der Novelle des Hochschulgesetzes für die FU geprüft wurde". Jetzt gelte: Postdocs aus Haushaltsmitteln könnten dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz folgend weiter befristet beschäftigt werden, auch Verlängerungen etwa wegen Elternzeit oder wegen Corona seien möglich und würden vorgenommen. Das Präsidium sei bestrebt, sagt Krstin,"gemeinsam mit den politischen Verantwortlichen und den Berliner Hochschulen gute Lösungen zu finden". 

 

Auch das HU-Präsidium hatte in einer internen Stellungnahme an alle Universitätsangehörigen vergangene Woche betont, einen generellen Einstellungsstopp werde es nicht geben. 

 

Für eine Übergangszeit könnten Einstellungen und Weiterbeschäftigungen von Postdocs auf Haushaltsstellen mit Einstellungsdatum spätestens zum 1. November noch ohne Anschlusszusage einer festen Stelle

vollzogen werden, alle beantragten Stellenbesetzungen danach würden genau geprüft. Auch Drittmittel-Stellen könnten weiter ohne Anschlusszusage besetzt werden, bestimmte Befristungen laut Wissenschaftszeitvertragsgesetz seien ebenfalls möglich.

 

Die Beurteilung des neuen Gesetzes durch die Hochschulen entspricht ziemlich genau der rechtlichen Einschätzung, die die Senatskanzlei von Michael Müller erst gestern an alle staatlichen Hochschulen verschickt hat. Demzufolge gilt die Regelung nur für neu abgeschlossene Arbeitsverträge. Weil ein Ziel des Gesetzes sei, die Qualität des Personals zu sichern, müsse es zudem ein „qualitätsgesichertes Zugangsverfahren“ geben.

 

Soll heißen: Die für die Anschlusszusage nötigen wissenschaftlichen Leistungen müssten vertraglich geregelt und dann auch überprüft werden. Schließlich sei nirgendwo im Gesetz festgelegt, welche Arbeitszeit oder welche konkreten Aufgaben mit der Zusage einer unbefristeten Stelle verbunden sein müssten. Insofern seien Funktionsstellen im akademischen Mittelbau ebenso denkbar wie Hochschuldozenturen.

 

All das klingt schon deutlich weniger dramatisch. Allerdings handelt es sich auch bei der Stellungnahme aus der Senatskanzlei nur um eine Interpretation eines extrem fehlerhaft-mehrdeutigen Gesetzestextes, der wichtige Fragen komplett offenlässt. "Legt man die Norm teleologisch nach Sinn und Zweck aus…", heißt es an einer Stelle, an einer anderen: "Es dürfte gesetzgeberisch nicht intendiert sein…", wieder anderswo: "Nach hiesiger Einschätzung." Und: Das Ergebnis einer gerichtlichen Überprüfung der Regelung könne nicht vorweggenommen werden.

 

Ratlosigkeit pur, verbunden mit dem Versuch der Exekutive, Klärung zu schaffen über einen Gesetzestext, den die Legislative nach Meinung vieler Experten ziemlich dahingehunzt hat. 

 

"Sie nehme "ganz, ganz ernst, was die jungen Wissenschaftler wollen", sagte Kunst bei ihrer Erklärung vor dem Senat: eine bessere Absicherung, eine bessere Perspektive, das verstehe ich voll, aber das geht derzeit nicht auf." Für die Verwirklichung dessen brauche man ein Jahrzehnt. Doch die Politik habe die Änderung "ohne Vorbereitung, ohne Finanzierung" auf den Weg gebracht "und uns von jetzt auf gleich die Füße weggeschlagen." Kunst fügte hinzu: "Im Sinne der Integrität nehmen Sie es mir einfach ab: "Ich kann es nicht, ich habe einfach keine Lösung." 



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Kommentare: 10
  • #1

    Literaturwissenschaftlerin (Dienstag, 26 Oktober 2021 11:41)

    Wenn jemand vorher verkündet hat, "persönlich dafür zu stehen", dass Universität ein "Durchlauferhitzer" sein soll, dann ist so eine Entscheidung konsequent - und sehr zu begrüßen. Bleibt allerdings abzuwarten, ob sich im Hochschulmanagement Anwärter:innen auf die Nachfolge finden, die überhaupt imstande sind, Universität anders zu denken: Gleichberechtigt statt feudal und mit Chancen für viele - und unterschiedliche Typen von - Wissenschaftler:innen, statt mit massiven Privilegien für die wenigen, die nicht rauserhitzt wurden, und Prekarität für den Rest.

  • #2

    Jurist (Dienstag, 26 Oktober 2021 15:31)

    Bezeichnend bis verräterisch, dass durch verpflichtende Anschlussvereinbarungen für PostDocs laut Kunst "uns von jetzt auf gleich die Füße weggeschlagen" worden sein sollen...

    Für die HU sicherlich eine Chance, mit einer neuen Leitung offensiv und kreativ bessere Personalstrukturen anzugehen (u.a.: den Anteil befristeter Beschäftigungen sukzessive deutlich zu verringern).

  • #3

    Mathematiker (Dienstag, 26 Oktober 2021 15:54)

    Die ersten beiden Einträge zeugen von sehr einseitigen
    Betrachtungen. Leider! Die Ausführungen von Frau Kunst sagen doch ganz klar, daß dieses sicher sehr wichtige Problem nicht einfach zu lösen ist. Man braucht dafür Zeit, einige kluge Ideen und ... vor allem Geld. Wo findet man
    denn noch wirklich "feudale" Strukturen?

  • #4

    Karl Schwitters (Dienstag, 26 Oktober 2021 18:25)

    Sehr viel mehr Geld braucht man nicht, man muss es nur anders verteilen: In seriöse entfristete Lecturer/Researcher-Stellen statt befristete Teilzeit-Stellen für Daueraufgaben und Gehaltszulagen von 3000-4000€/Monat pro W3-Professur (im Schnitt!). Wie es in den meisten vergleichbaren Staaten seit langem üblich ist.

  • #5

    Michael Liebendörfer (Dienstag, 26 Oktober 2021 18:56)

    Herr Schwitters, wo bekommt man solche Zulagen im Schnitt?

    Die Zahlen, die ich finde, sprechen für ca. 9.000 Euro brutto für eine W3 (https://www.forschung-und-lehre.de/differenz-bei-realer-w-besoldung-steigt-3338/). Bei ca. 7.000 Euro Grundgehalt sind das 2.000 Euro Zulage.
    Das ist immer noch viel Geld, aber kein Grund für Übertreibungen.

    Und so einfach ist die Umsetzung des Gesetzes nicht. Die Präsidentin wird nun einigen Leuten im eigenen Haus auf die Füße treten müssen.
    Berufungen könnten z.B. schwer werden, wenn an einer Professur zwar stellen hängen, die aber schon auf Dauer besetzt sind.

    Es könnte vorteilhaft sein, dafür eine Person an der Spitze zu haben, die angesichts dieser Herausforderung ausgewählt wurde und daher auch freier manchen Leuten auf die Füße treten kann.

  • #6

    Django (Mittwoch, 27 Oktober 2021 09:33)

    Mich wundert die Entweder/Oder-Rhetorik in der Diskussion. In einer gesunden Personalstruktur gäbe es Qualifikationsstellen, die aber von der Befristung so angelegt sind, dass im Rahmen der Laufzeit die jeweils nächste Qualifikationsstufe auch erreicht werden kann (also z.B. drei Jahre für eine Promotionsstelle). Zusätzlich gäbe es Dauerstellen für Menschen, die nicht die große wissenschaftliche Karriere anstreben, aber im System Hochschule als Lehrende gute Dienste leisten. Die Lehrveranstaltungen, die ich in den 1980er Jahren bei diversen Akademischen Räten auf Dauerstellen gehabt habe, waren nicht die schlechtesten.
    Das System krankt aber doch auch daran, dass aufgrund der massiven Verschiebung in der Finanzierung in Richtung projektbezogene Drittmittel eine sinnvolle Personalplanung und Personalentwicklung deutlich schwieriger geworden ist.

  • #7

    Karl Schwitters (Mittwoch, 27 Oktober 2021 21:11)

    @Michael Liebendörfer: Die Zahlen sind aus der Antwort des Senats auf eine Parlamentarische Anfrage. In manch anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus. Und selbst wenn es 2000 wären, fehlten diese dann eben an anderer Stelle.
    @Django: Es geht nicht um die Entfristung von Stellen nur für Lehre, sondern auch für eigenständige Forschung - wie es in vielen Ländern seit langem üblich ist. Die Unterschiede zwischen Professur und Lecturer sind z.B. in Schweden eher gering. In Sachen Drittmittel gebe ich Ihnen aber vollständig recht: Größtenteils dauerhaft vorhandene Gelder qua politischem Entschluss zu befristen ist absurd.

  • #8

    Detlef Müller-Böling (Donnerstag, 28 Oktober 2021 10:05)

    Die Hochschulen haben in den letzten 20 Jahren sinnvollerweise viele Aufgaben in neuer Autonomie eigenständig übernommen, die früher durch Ministerien und Politik entschieden oder geregelt waren.

    In den Feldern Studiengänge, Finanzen, Governance und anderen war dies sehr erfolgreich und hat nicht unwesentlich zur wieder gewonnenen internationalen Konkurrenzfähigkeit geführt.

    Nicht hinreichend voran getrieben in den Hochschulen wurde das Feld der Personalplanung und Personalentwicklung, jedenfalls was die Hierarchien unterhalb der Professuren anbetrifft. Das rächt sich nun. Kreativität, Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf dem Gebiet der Personalwirtschaft, Kulturwandel weg von patri- oder matriarchalischer Führung sind dazu allemal eher geeignet als Gesetze.

  • #9

    Gerd Grözinger (Donnerstag, 28 Oktober 2021 11:17)

    Unabhängig davon, dass die Gesetzesformulierung in Berlin wohl wirklich mit heißer Nadel gestrickt wurde: vielleicht wäre mehr Phantasie in der Umsetzung auch nicht schlecht? Man könnte Post-Doc Stellen doch arbeits- und vertragsmäßig aufzuteilen versuchen in 50% feste Positionen und weitere 50%, die jeweils nur auf Zeit vereinbart werden. Siehe dazu meinen taz-Kommentar im Sommer dazu ' Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: Angebot an Hanna. Dauerstellen für alle sind nicht die Antwort auf prekäre Arbeitsbedingungen an Hochschulen. Besser wäre ein Lebenszeitangebot mit Haken'
    https://taz.de/Arbeitsbedingungen-in-der-Wissenschaft/!5774345/

  • #10

    René Krempkow (Sonntag, 31 Oktober 2021 17:32)

    Ich kann den letzten drei Kommentaren durchaus zustimmen, und weitere Argumente dafür liefern:

    - Erstens muss das Gehalts- und Hierarchiegefälle zwischen Professur und Lecturer oder Senior Scientists (oder wie auch immer ähnliche Stellen in anderen Ländern bezeichnet werden) keineswegs so groß wie in Deutschland sein, um als Wissenschaftssystem (mindestens genauso) produktiv zu sein, wie auch andere Länder zeigen, die zudem mit 40 bzw. 50% deutlich höhere Entfristetenquoten haben (u.a. auch die Niederlande und Norwegen [1]).

    - Zweitens hat auch aus meiner Sicht das Feld der Personalplanung und Personalentwicklung bei sogen. Nachwuchsforschenden, aber darüber hinaus auch im Wissenschaftsmanagement (ein bisher immer noch zu wenig diskutiertes Berufsfeld mit ca. zwei Dritteln Entfristetenanteil, aber dafür anderen Problemen) noch sehr große Potenziale, wie ein jüngst von Frank Ziegele und Kerstin Janson veröffentlichtes Paper aufzeigt [2].

    - Drittens könnte aus meiner Sicht - insbesondere für alle diejenigen, die ohnehin in einer Art Zwitterstellen arbeiten und etwa zur Hälfte Management- oder andere Daueraufgaben wahrnehmen - eine halbe unbefristete Stelle als "Standbein" und eine halbe befristete Stelle als "Spielbein" (in wechselnden Projekten) durchaus attraktiv sein. Dies könnte zugleich mehr Personen zumindest eine gewisse finanzielle Planungssicherheit geben, sowie auch eine Grundlage für eine etwas bessere Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie sein, die - freundlich ausgedrückt - ebenfalls große Potenziale aufweist [3].
    __________________
    [1] Vgl. auch die Zahlen dazu in der letzten PE-Studie des Stifterverbandes/DZHW (2016, S. 57) in: www.researchgate.net/publication/303946305;
    [2] https://kawum-online.de/aktuelles/;
    [3] www.researchgate.net/publication/317685472.