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HU-Verfassungsrechtler: Neues Berliner Hochschulgesetz ist grundgesetzwidrig

Humboldt-Universität veröffentlicht Stellungnahme. Kommt als nächstes eine Verfassungsklage?

NACH DER RÜCKTRITTS-ANKÜNDIGUNG von HU-Präsidentin Sabine Kunst ist es die nächste Wendung im Streit um das novellierte Berliner Hochschulgesetz: Am Montagmorgen veröffentlichte die Humboldt-Universität eine Stellungnahme des HU-Verfassungsrechtlers Matthias Ruffert, demzufolge der neue Paragraph 110, Absatz 6 nicht vereinbar mit dem Grundgesetz sei.

 

In dem umstrittenen Abschnitt enthalten ist die Vorgabe an die Hochschulen, promovierten Wissenschaftlern auf Qualifikationsstellen die Anschlusszusage einer unbefristeten Beschäftigung zu geben. Hierfür aber, so Ruffert, fehle dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz. Im Fall eines zulässigen Rechtsstreits vor dem Bundesverfassungsgericht werde die Regelung deshalb keinen Bestand haben und für nichtig erklärt werden. 

 

Weiter begründet der HU-Verfassungsrechtler seine Einschätzung wie folgt: Das Grundgesetz ordne die Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht dem Bund als Gegenstand der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung zu, und der Paragraph 110, Absatz 6 Satz 2 des Berliner Hochschulgesetzes sei eine arbeitsrechtliche, keine hochschulrechtliche Regelung, was sich nicht zuletzt aus der Begründung im Gesetzgebungsverfahren ergebe, in der die "gute Arbeit" im Mittelpunkt stehe. Da der Bund über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) seine Gesetzgebungsbefugnis wahrgenommen habe, entfalle die Landeskompetenz.

 

Das Ziel des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sei, die Erneuerungsfähigkeit des Wissenschaftsbetriebes zu erhalten, indem sich auf den vorhandenen Stellen immer neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler qualifizieren könnten. Dieses Ziel vereitele die Berliner Novelle, "denn wer von der vereinbarten Anschlusszusage Gebrauch macht, wird unbefristet beschäftigt, und es wird sich überwiegend um diejenigen handeln, die es nicht schaffen, einen auswärtigen Ruf (auf eine Professur) zu erhalten", schreibt die HU in der begleitenden Pressemitteilung. Neues, sogar leistungsfähigeres Personal könne dann über Jahre nicht zur Qualifikation eingestellt werden.

 

Ähnliche Argumentation
wie beim Berliner Mietendeckel

 

Die Argumentation Rufferts, der an der Humboldt-Universität zu Berlin den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht inne hat, erinnert an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter anderem zum rot-rot-grünen Berliner Mietendeckel, den die Richter im April für ungültig erklärt hatten. Es sei ein deutliches Anzeichen dafür, argumentierte das Gericht auch damals, dass ein Landesgesetz einen Bereich betreffe, der bereit durch ein Bundesgesetz gesperrt sei, wenn die landesrechtliche Regelung die Durchsetzung des Bundesrechts beeinträchtige und sein Regelungsziel allenfalls noch eingeschränkt erreicht werden könne. Genauso argumentiert der HU-Verfassungsrechtler auch jetzt.

 

Auf die Frage, ob die HU als Konsequenz der Stellungnahme nun weitere Schritte wie etwa eine mögliche Verfassungsklage anstrebte, antwortete Unisprecher Hans-Christoph Keller kurz: "Das wäre jetzt zu prüfen."

 

Fest steht: Eine solche Stellungnahme holt nur ein, wer im Falle einer positiven Beurteilung den nächsten Schritt gehen will. Und eine Präsidentin Kunst, die noch zwei Monate im Amt ist, muss keine Rücksicht mehr auf Befindlichkeiten nehmen, weder in der eigenen Universität noch in der Landespolitik. 

 

CDU kündigt
Normenkontrollklage an

 

Unterdessen reagierte die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus prompt und kündigte an, über die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion eine Normenkontrollklage auf den Weg zu bringen. "Das Rechtsgutachten bestätige den Verdacht, dass sich der rot-rot-grüne Senat nach dem Mietendeckel-Desaster ein weiteres Mal anmaßt, Dinge zu regeln, die außerhalb seiner Gesetzgebungskompetenz liegen", sagte der forschungspolitische Sprecher Adrian Grasse. Das sei das Gegenteil von verantwortungsvollem Regieren. "Es ist bedauerlich, dass es ein weiteres Mal unserer Gerichte bedarf, um den rot-rot-grünen Senat in seine Schranken zu weisen." Wissenschaftssenator Müller müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, fahrlässig den Ruf des Exzellenzstandortes Berlin aufs Spiel gesetzt zu haben.

 

Anders sieht das naturgemäß einer der Intiatoren der in letzter Minute eingebrachte Änderung des Paragraphen 110 des neuen Berliner Hochschulgesetzes. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz des Bundes entstamme dem Hochschulrahmengesetz und nicht dem Arbeitsrecht, sagt der wissenschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Tobias Schulze. Deshalb gelte das WissZeitVG natürlich auch für Berlin und sei nicht berührt, alle Befristungen in seinem Rahmen seien weiter möglich. "Das novellierte Hochschulgesetz sieht vor, dass wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen nach Erreichen des Qualifikationszieles und Erbringen weiterer vorher vereinbarter Leistungen (Tenure Track) eine Anschlusszusage gegeben werden kann. Im  Falle von Habilitation oder adäquaten Leitungen zur Berufungsfähigkeit muss diese Möglichkeit gegeben werden. Es geht also nicht um einen Automatismus zur unbefristeten Stelle, sondern um die Etablierung eines qualitätsgeleiteten Zugangsverfahrens zur Entfristung nach der Qualifikation."

 

Sollten Formulierungen im Gesetz unklar sein und Präzisierung erforderlich machen, hätten sich dessen Initiatoren dazu bereit erklärt, fügte Schulze hinzu. "Von den Universitäten wünsche ich mir, die Chancen in einer nachhaltigen Personalstruktur zu erkennen."

 

Der Präsident der Technischen Universität Berlin, Christian Thomsen, sagte, die "rechtliche interessante Stellungnahme" zeige, "dass man an den Formulierungen des Gesetzes Zweifel haben darf. Sie entbindet uns natürlich nicht von der Aufgabe, uns ernsthaft um Lebenssituationen, die aus #IchbinHanna entstehen, zu kümmern." Thomsen forderte als eine Konsequenz aus der Debatte von der Bundesregierung "substanziell höhere Drittmittelpauschalen", da der Bund durch viele nicht ausfinanzierte Drittmittelprojekte wesentlicher Mitverursacher der "#IchbinHanna"-Problematik sei. "Sätze von 40 Prozent von allen Ministerien wären dichter an kostendeckend als der jetzige Zustand, bei dem die meisten Ministerien gar keine Pauschale zahlen." Aus den zusätzlichen Mitteln könnten in Zukunft befristete Promotionsstellen und PostDocs finanziert werden, während die Landesmittel für die unbefristeten Stellen aufkommen würden.




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Kommentare: 17
  • #1

    Michael Liebendörfer (Montag, 01 November 2021)

    Die formale Betrachtung der konkurrierenden Gesetzgebung wirkt für's erste überzeugend. So ist unser Rechtssystem gestrickt.

    Zumal: eine Lösung nur in einem Bundesland kann die Lage insgesamt kaum verbessern. Das entspricht ja auch der Idee hinter dem Vorrang von Bundesgesetzen.

  • #2

    Norman Odenstein (Montag, 01 November 2021 14:42)

    Gibt es denn aus der ganzen "Ich bin Hanna"-Szene keinen einzigen Vorschlag für eine brauchbare Gesetzesinitiative?
    Ist die Angelegenheit so komplex?

  • #3

    Noch 'ne Hanna (Montag, 01 November 2021 14:58)

    @Michael Liebendörfer
    Oder andersrum: Wie Tobias Schulze korrekt argumentiert, geht es nicht um eine Frage, die in die reine Selbstverwaltung der Wissenschaft fällt: Laut §2(3) BerlHG zählt die Personalverwaltung zu den staatlichen Angelegenheiten, die lediglich an die Universität delegiert wurden. Wenn es also Hinweise darauf gibt, dass diese staatlichen Angelegenheiten von den Berliner Hochschulen nicht zweckmäßig (!) wahrgenommen wurden, dann dürfen Verwaltung und Gesetzgebung intervenieren, u.a. weil die Personalverwaltung so eng mit dem Haushaltsverantwortung verbunden ist. Soll heißen: Wenn das Parlament Anlass hat, davon auszugehen, dass die Hochschulen Prioritäten in der Verwendung der Haushaltsmittel setzen, die von den Vorstellungen des Gesetzgebers abweichen, dann dürfen natürlich Gesetze erlassen werden, um diesen Spielraum zu beschränken.

    Zudem ist Fluktuation laut Gesetzesbegründung mitnichten der einzige Zweck des WissZeitVG: Wenn dem so wäre, wäre kein Gesetz notwendig, welches das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft regelt. Eine Ausnahmeregelung im §14 TzBfG wäre völlig ausreichend, ähnlich wie die Ausnahme für kleine Betriebe im Kündigungsschutzgesetz. Das WissZeitVG soll zwei kollidierende Ziele in Übereinstimmung bringen (Fluktuation und Schutz der Mitarbeiter:innen vor rechtsmissbräuchlicher Nutzung des Sonderbefristungsrechts), so dass sich das BVerfG der Argumentation des HU-Professors anschließen kann, aber nicht muss. Genauso gut kann es zu dem Ergebnis kommen, dass durch die exzessive Befristung von Post-Docs z.B. gegen den Art. 6 GG verstoßen wird, so dass dem familienpolitischen Aspekt des WissZeitVG (welcher in der Gesetzesbegründung explizit genannt wird) nicht ausreichend Rechnung getragen wird. In diesem Fall ist eine Nachjustierung auf Landesebene sogar notwendig, um vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Landeshochschulgesetze eine Grundrechtsverletzung zu beseitigen.

  • #4

    Bremer Beispiel (Dienstag, 02 November 2021)

    Wie wäre es denn, Post-Docs auf Haushaltsmitteln gar nicht erst rein befristet anzustellen, sondern gleich mit Evaluationsvereinbahrung und Tenure-Track zu versehen? Die Bremer Stellenkategorien Researcher und Lecturer (vgl. BremHG §24 Abs. 2) erlauben genau solche dann auch wirklich von Professuren unabhängigen Qualifikationsstellen.

  • #5

    Noch 'ne Hanna (Dienstag, 02 November 2021 14:42)

    @Bremer Beispiel: Nur dass dafür gar keine Gesetzesänderung notwendig gewesen wäre und dass die Tatsache, dass das "Bremer Beispiel" so gehypt wird, eine unangenehme Form der Augenwischerei ist.

    Zum Bremer Beispiel:
    - Die Universität Bremen wurde ohne Lehrstühle gegründet und hatte schon zuvor unabhängig forschende und lehrende wissenschaftliche Mitarbeiter:innen.
    - Ab 2008 hätten mit dem Hochschulentwicklungsplan (HEP V) Professuren abgebaut werden müssen. Damit wären automatisch auch MA-Stellen reduziert worden.
    - Wegen der Exzellenzinitiative wurde auf den Abbau von Professuren verzichtet, MA-Stellen sollten aber trotzdem abgebaut werden. Da die "Ausstattung" nicht weiter reduziert werden konnte, bedeutet das, dass die Zahl unabhängiger und unbefristeter MA reduziert werden musste.
    - Es kam zu Protesten, so dass zur Besänftigung das "Senior Lecturer"/"Senior Researcher" vom Rektorat propagiert wurde ("Dafür wurde sogar das Gesetz geändert!!!"). Tatsächlich handelt es sich aber um eine Reduktion der bereits vorhandenen unbefristeten/unabhängigen Stellen: Statt z.Zt. ~200 unbefristete MA, soll es nur 30 bis 50 Seniors geben. Die "eingesparten" Stellen sollen in die "Ausstattung" der Professoren und damit in abhängige Stellen fließen.

    Arbeitsrechtlich ist das Brimborium mit der Gesetzesänderung nie notwendig gewesen: Da Qualifikationsstellen bis zu sechs Jahren befristet werden können und echter "tenure track" (also Quasi-Verbeamtung und damit Unkündbarkeit) ohnehin nicht möglich ist, hätten Evaluation und Entfristung nach 6 J auch einfach arbeitsvertraglich vereinbart werden können. Das Senior-Konzept ist nix anderes als eine 6jährige Probezeit, die zudem keinerlei Rechtsmittel vorsieht, wenn nach 6 Jahren nicht entfristet wird: Da die "Kolleg:innen" im FB evaluieren (d.h. die Professor:innen!), kann der/die Stelleninhaber/in nicht klagen, wenn nicht entfristet wird - was bedeutet, dass er/sie sich 6 Jahre in Selbstverwaltung & Lehre ein Bein ausreißen muss, um die Professor:innen gnädig zu stimmen. Im schlimmsten Fall kann das Konzept zum Karriere-Super-GAU werden, weil die Uni z.B. Schwerpunkte neu setzen kann (haben sie in der Vergangenheit schon gemacht), so dass der/die Stelleninhaber/in 6 Jahre Uni Bremen auf einer vermeintlichen "tenure-track"-Stelle im Lebenslauf erklären muss, die dann eben nicht zu einer Entfristung geführt hat.

  • #6

    Armin Birk (Dienstag, 02 November 2021 15:14)

    @ Noch 'ne Hanna:
    Schöne Argumentation. Aber doch recht konstruiert. Die Gutachten-Argumentation ist deutlich stringenter und im Wesentlichen wohl bereits höchstrichterlich beim Mietendeckel bestätigt worden. Spontan würde ich mich daher eher hinter dem HU-Gutachten versammeln. Sponaten hätte ich dem Landesgesetzgeber zwar nicht absprechen wollen, entsprechende Vorgaben (über das HH-Recht!) zu machen. Aber es wirkt schon übergriffig, eine Bundesregelung aushebeln zu wollen - wenn man aus verfassungsrechtlichen Gründen mit dem WissZeitVG als Berliner Abgeordnetenhaus oder Senat nicht einverstanden ist, wäre doch sicherlich der Weg nach Karlsruhe zielführender gewesen.

    Ein schönes Beispiel, dass Legislative und Exekutive nicht immer Hand in Hand gehen. Problematisch wird das insbesondere, wenn ich zwei sich ausdrücklich widersprechende Vorschriften habe, von denen ich als staatliche Einrichtung ja nicht einfach eine ignorieren kann. Dann wäre eine fachaufsichtliche Weisung das Mindeste, bevor ich zur Untätigkeit verdammt bleibe. Aber der Senat scheint im vorliegenden Fall ja nicht Herr des Verfahrens gewesen zu sein.

    Letztlich bleibt es ein Ressourcen-Problem, egal wie man es dreht und wendet. Selbst ohne zusätzliche Planstellen können die Hochschulen das Gesetz zwar vielleicht eine gewisse Zeit lang umsetzen. Aber was ist, wenn alle Planstellen belegt sind? Lasse ich dann (für eine lange Zeit) niemanden mehr zur Qualifizierung zu? Oder nur noch über Drittmittel?

    Ich bin auf die künftigen Minister im Bundesarbeitsministerium und im BMBF gespannt. Dort gilt es Farbe zum WissZeitVG zu bekennen oder eben nicht. Und der Vorschlag, mehr Overhead auszuschütten könnte auch aufgegriffen werden - aber auch hier hieße dass dann ohne ein Mehr an HH-Mitteln: Mehr Klasse und weniger Masse...

  • #7

    Michael Liebendörfer (Dienstag, 02 November 2021 19:39)

    @Norman Odenstein:

    Es gibt erstaunlich wenig Konkretes. Täglich kann man die einfachere Forderung nach mehr Geld hören. Dann gibt es noch das Papier des NGAWiss, das Department-Strukturen propagiert, zur Finanzierung die DFG abschaffen muss und trotzdem den Ausstieg aus der Wissenschaft für die meisten Promovierten vorsieht.

    Angesichts einigen Elends in vielen Fächern (z.B. SoWi, KuWi) und Schwierigkeiten in der Personalgewinnung in den anderen Fächern (z.B. Info) plädiere ich für eine verkürzte Phase der Befristungen. In etwa:

    - Befristung nur wegen Qualifikation (insb. nicht wegen Drittmittel, Stelle muss also wirklich qualifizieren)
    - zweite Phase auf 3 Jahre verkürzen
    - dann (nur) noch TT-Stellen möglich, die nach spätestens 3 Jahren enden.

    Das würde für die meisten einen Ausstieg aus der Wissenschaft nach spätestens 9 Jahren bedeuten, also Mitte 30.

  • #8

    Noch 'ne Hanna (Mittwoch, 03 November 2021 09:15)

    @Michael Liebendörfer:

    An der Stelle "keine Befristungen wegen Drittmitteln" möchte ich widersprechen (und das, obwohl ich das System insgesamt sehr kritisch sehe): In diesen Fällen muss - meiner Meinung nach - die Vertragsfreiheit Vorrang haben, alles andere wäre bevormundend. Unter "Drittmittel" fallen ja sowohl Drittmittel, die vom/von der Stelleninhaber/in selbst eingeworben wurden, als auch Drittmittel aus Projekten der Professur, z.B. in einem SFB. Wenn dem/der Mitarbeiter/in vor Vertragsunterzeichnung bewusst ist, dass die Stelle befristet ist, weil der SFB nur zeitlich begrenzt gefördert wird, dann sollte man ihm/ihr mMn nicht die Chance verbauen, das zu machen. Sehr viel strikter sollte man dagegen gegen gegen die Befristungen auf Haushaltsstellen vorgehen, weil da in der Regel Daueraufgaben wahrgenommen werden und wegen der vielfältigen Pflichten in Lehre und Selbstverwaltung auch keine kompetitive wissenschaftliche Qualifikation möglich ist. Zu deutsch: Dass auf Haushaltsstellen nach Belieben der Universitäten befristet werden kann, sollte gesetzlich unterbunden werden. Damit fällt auch das Finanzierungsargument weg: Diese Stellen sind ja schon da und werden auch nicht nur temporär finanziert. Die Universitäten müssen sich dann eben Personalkonzepte überlegen, die z.B. auffangen, dass bei Neuberufungen auch andere inhaltliche Schwerpunkte gesetzt werden.

  • #9

    Noch 'ne Hanna (Mittwoch, 03 November 2021 09:23)

    @Armin Birk: Ich sage nicht, dass sich das BVerfG zwingend meiner Argumentation anschließen muss, sondern nur, dass es sich nicht zwingend der Argumentation des HU-Professors anschließen muss. Mietendeckel und Sonderbefristungsrecht sind letztlich zu unterschiedlich, um aufgrund des Mietendeckels zu schließen, dass auch die Berliner Regelung des Sonderbefristungsrechts aufgrund eines Konflikts mit der Bundesgesetzgebung scheitert. Es kann auch sein, dass das BVerfG zwar die Berliner Regelung kippt, aber gleichzeitig das WissZeitVG als Bundesgesetzgebung in Frage stellt, weil das Gesetz zu einseitig die Wissenschaftsfreiheit (und die dafür angeblich notwendige Fluktuation) priorisiert und kollidierende Grundrechte (wie z.B. Art. 6 GG) nicht ausreichend schützt. Das Bedürfnis, sich spontan hinter der einen oder der anderen Rechtsauffassung zu versammeln, hat dann doch viel mit den eigenen Überzeugungen ex ante zu tun: Hält man das WissZeitVG für ein gutes Gesetz oder nimmt man eher die Probleme, die daraus entstehen, wahr? Das bewirkt, dass die Argumente der einen oder anderen Seite subjektiv attraktiver sind, insbesondere dann, wenn man selbst in der Wissenschaft tätig ist (und deswegen den Blog von Herrn Wiarda liest), so dass man beinahe zwingend eine Meinung zu diesem Thema hat.

  • #10

    Michael Liebendoerfer (Mittwoch, 03 November 2021 12:08)

    Danke, Noch 'ne Hanna, für die anregenden Beiträge!

    Ihr Argument zur Drittmittelbefristung finde ich aber nicht überzeugend. In der Hoffnung auf Dauerstellen schlagen sich viele Hannas mit Kurzzeitverträgen, Teilzeit, Pendeln zwischen Hochschulen, Lehraufträgen, Stipendien, ALG 1, usw. durch.
    Das mag man mit (Vertrags-)Freiheit legitimieren.
    Probleme entstehen m.E. aber schon, insbesondere durch die Länge der Unsicherheit. Bis zur Promotion und ggf. noch etwas weiter kann man befristet arbeiten, aber es muss ein klares Ende geben. Ein Ende der befristeten Tätigkeit oder eben ein Ende der Hoffnungen.

    Das betrifft übrigens auch die Hoffnungen der Betreuenden. Wer sich denkt, "da find' ich schon noch Geld", betreut vielleicht weniger auf einen stringenten Abschluss von Projekt und Promotion hin.

    Lässt man Drittmittelprojekte als Ausnahmen zu, bekommt man das nicht hin.

    Es gibt übrigens auch Drittmittelprojekte, in denen man sich nur schwer qualifizieren kann. Team, Thema und Tätigkeit variieren doch stark und bedeuten viel. Wenn man es nicht schafft, in der Tätigkeitsbeschreibung eigene Qualifikationszeit unterzubringen, dann sind Drittmittelstellen m.E. keine "Chance", sondern Teil des Problems.

  • #11

    Carsten v. Wissel (Mittwoch, 03 November 2021)

    Finde die Argumentation der Stellungnahme eher unüberzeugend. Bezeichnend ist, welchen Aufwand Ruffert betreibt, um zu suggerieren, das WissZeitVG und Paragraph 110 des BerlHG seien Arbeitsrecht und nichts als Arbeitsrecht und dabei auf wissenschaftspolitische Thesen aus dem HRG von 1985 rekurriert. Das kann man alles auch mit Fug anders sehen, damit steht und fällt aber die Analogiethese in Bezug auf das Mietendekckelurteil. Vielleiht sollte man das Papier nicht überbewerten und es einfach als eine, m. E. nicht einmal besonders gut argumentierte, schnell dahingeschriebene Meinungsäußerung betrachten.

  • #12

    Noch 'ne Hanna (Donnerstag, 04 November 2021 12:56)

    @Michael Liebendörfer: Danke & das Kompliment gebe ich gerne zurück.

    Zur Drittmittelbefristung: Die befristete Beschäftigung in Drittmittelprojekten komplett zu unterbinden würde bedeuten, den §2(2) WissZeitVG ersatzlos zu streichen - und das halte ich angesichts der hohen Abhängigkeit der heutigen Wissenschaft von kompetitiver Drittmittelfinanzierung für einen ziemlich radikalen Schritt. Zielführender wären vielleicht "softere" Maßnahmen, die den Anteil der Drittmittelbefristungen wirksam reduzieren: Erhöhung der Grundfinanzierung, kombiniert mit gesetzlich kleinteiligerer Regelung der Haushaltsbefristungen und engmaschigerer Fachaufsicht durch die Ministerien, kombiniert mit gesetzlicher und verwaltungsverfahrensrechtlicher Aufsicht über die Art und Weise, wie die Drittmittelbefristungen "gelebt" werden. Z.B. wären Regelungen denkbar, nach denen zuerst geprüft werden muss, ob ein bestimmtes Projekt nicht auch von Mitarbeiter:innen, die bereits an der jeweiligen Universität beschäftigt werden, bearbeitet werden kann, z.B. in Form von Stellenaufstockungen oder zeitweiligen Beurlaubungen auf unbefristeten Haushaltsstellen. Zusammen mit der Beantragung eines Drittmittelprojekts müsste dann dargelegt werden, welche Qualifikationsmaßnahmen vorgesehen sind, um die bisherigen Mitarbeiter:innen in die Lage zu versetzen, das Projekt zu bearbeiten, statt für jedes Projekt neue Leute zu rekrutieren.

    So würden mittelfristig weniger Menschen in das System "hineingesaugt", um dann wieder "ausgespuckt" zu werden. In Summe ist erhöhte Flexibilität eher zu begrüßen: Es gibt wissenschaftliche Mitarbeiter:innen mit einer erhöhten Risikobereitschaft, die über die Sechs-Jahres-Grenze hinaus die Möglichkeit haben sollten, ihre eigenen Stellen einzuwerben. Und es gibt wissenschaftliche Mitarbeiter:innen mit geringerer Risikoneigung, die bessere Leistungen bei Planbarkeit erbringen. Für diese zweite Gruppe sollte es andere Personalmodelle mit anderen Profilen geben. Denkbar wäre z.B., dass unbefristete Stellen angeboten werden, die dann aber mit einer höheren Lehrverpflichtung verbunden sind.

    Letztlich geht es aber nicht ohne Eigenverantwortung der Hochschulleitungen: Zur Zeit nehmen die Hochschulleitungen ihre Personalverantwortung noch nicht an und machen selbst gar keine Vorschläge zu nachhaltigen Personalmodellen, sondern ziehen sich darauf zurück, dass sie mehr Geld wollen. Ich erlebe unsere Diskussion hier deswegen als persönlich bereichernd, aber fruchtlos: Selbst wenn wir das #IchBinHanna-Problem durch Austausch lösen, wird sich das nicht in spürbaren Verbesserungen niederschlagen.

  • #13

    Michael Liebendörfer (Freitag, 05 November 2021 07:28)

    Vorrangprüfung, Aufsichtsbehörde, engmaschige Kontrollen - das wirkt mir einfach zu bürokratisch und nicht praktikabel. Und ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass die Unis jeden Fall irgendwie plausibel begründen können (Ermessensspielraum! Wissenschaftsfreiheit!).

    Gleichermaßen glaube ich, dass die Hochschulen nicht einfach mehr "Verantwortung" zeigen werden. Tun sie ja bislang auch nicht, keine einzige. Zumal es sich um einen Systemfehler handelt. Wenn eine Uni einer PostDoc mitte 40 noch einen befristeten Vertrag gibt, dann tut sie das ja im Bewusstsein, ihr zu helfen, man kann die arme Frau doch nicht auf die Straße setzen. Der Widerspruch zwischen individueller Logik ("Jede Stelle hilft") und Systemlogik ("Berechenbare Wege schaffen") sollte auf der Systemseite behoben werden.

    Ich glaube deshalb an eine bundesweite gesetzliche Regelung - das ist ja auch der Ausgangspunkt für diese Diskussion.

    Die Streichung des §2(2) WissZeitVG würde m.E. dazu führen, dass Unis fast nur wegen Qualifikation befristen. Das muss nicht weitere Dauerstellen bedeuten, sondern kann genauso Herrscharen von Promovierenden generieren ("angesaugt"), von denen fast niemand eine PostDoc-Stelle sehen wird ("ausgespuckt"). Nach der Promotion ist aber m.E. ein Wechsel aus der Wissenschaft noch biographisch vernünftig. Stattdessen eine Hundertschaft PostDocs zu haben, die sich noch über viele Jahre befristet beschäftigt auf dieselben zwei Professuren bewerben, wirkt mir nicht besser.

  • #14

    Armin Birk (Freitag, 05 November 2021 08:22)

    @ Noch 'ne Hanna:

    Mein subjektives Verhältnis zum WissZeitVG würde ich eher als distanziert betrachten. Bestenfalls würde ich es als notwendiges Übel bewerten, dass die politischen Vorstellungen von Arbeiten in der Wissenschaft als befristetes Ausbildungsverhältnis ermöglicht. Dabei arbeite ich täglich damit - auf individueller, persönlicher Ebene, genauso wie auf gesamtuniversitärer Ebene. Insofern fühle ich mich ganz und gar nicht befangen - obwohl ich um die Schicksale weiß, die über meinen Schriebtisch wandern - und verglich Ihre Argumentation mit der des Gutachtens schlicht auf einer technischen Ebene.

    Auch außerhalb der in Wellen auftretenden Entrüstung in der Community - nicht in der Gesamtgesellschaft! - diskutiere ich seit Jahren mit ebenso engagierten Kolleginnen und Kollegen, wie man die Situation des hauseigenen "Nachwuchses" nachhaltig verbessern könnte. Ich muss leider zugeben: ohne Erfolg. Die Stellschrauben müssten an höherer Stelle gedreht werden.

    Im Übrigen läuft Ihr wiederholter Verweis in verschiedenen Beiträgen auf die ministerielle Fachaufsicht meines Erachtens fehl. Der Gesetzestext in manchen Ländern mag das vielleicht hergeben, aber glücklicherweise werden die Rechte der Hochschulen als Korporationen von den meisten Landesministerien hoch genug gehalten, um derartig weitreichende Vorgaben, wie in Berlin nun beschlossen, den Gesetzgebern zu überlassen.

    Wenn wir eine gesellschaftliche Diskussion führen wollen, wäre mein Ansatz, zu fragen, wie viele mit Steuergeldern finanzierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler will man sich leisten (in Köpfen, in Stellen, in VZÄ,...) und wie viele Promotionen "produzieren", die nicht in einer Wissenschaftskarriere münden sollen. Das könnte auch die Diskussion um FH-Promotionen erweitern, wenn FHs für die "Berufswelt" ausbilden und Uni für die "Wissenschaft".

  • #15

    Noch 'ne Hanna (Freitag, 05 November 2021 09:51)

    @Armin Birk

    "Der Gesetzestext in manchen Ländern mag das vielleicht hergeben, aber glücklicherweise werden die Rechte der Hochschulen als Korporationen von den meisten Landesministerien hoch genug gehalten, um derartig weitreichende Vorgaben, wie in Berlin nun beschlossen, den Gesetzgebern zu überlassen."

    Und exakt da sehe ich als Volkswirtin das Problem. Ich bin grundsätzlich dafür, den Markt oder die Selbstverwaltung sich selbst regeln zu lassen - aber ich bin auch der Auffassung, dass starke Fachaufsicht notwendig ist, wenn sich abzeichnet, dass es der Markt oder die Selbstverwaltung eben selbst nicht können. Und das ist bei der Anwendung des WissZeitVG der Fall. Die Befristungen sind für sich genommen weniger das Problem, als die Exzesse, zu denen das System neigt, und die immer nur notdürftig behoben werden. Aufgrund des Sonderbefristungsrechts gehen die Universitäten davon aus, dass es ihr Recht ist, nach eigenem Belieben zu befristen, so dass es zu den Belastungen kommt, die unter #IchBinHanna geschildert. Wenn z.B. die Stellen als Vollzeitstellen über mehrere Jahre ausgestaltet wären, mit internen Aufsichtsmechanismen, mit denen die Hochschulen selbst ein Auge darauf haben, wie die Professor:innen die Befristungen "leben", dann würde es sich immer noch um eine ungewöhnliche, arbeitsrechtliche Belastung des wissenschaftlichen "Nachwuchs" handeln, aber diese Belastung wäre - wenn darüber ordentlich aufgeklärt wird - für den Einzelnen/die Einzelne einzuschätzen und zu bewältigen. Die Fachaufsicht in den Ministerien hat es über das komplette letzte Jahrzehnt versäumt, die Exzesse abzumildern, weil sie die Hochschulleitungen aus einem falsch verstandenen Autonomiebegriff heraus einfach hat machen lassen. Es gab unverbindliche Absichtserklärungen und gerichtlich nicht durchsetzbare "Kodizes", die schlicht nicht geeignet waren, um die Exzesse aufzufangen (Ich erinnere nur an die Worte von Bernd Scholz-Reiter bei der Unterzeichnung des Bremer Kodex: Die Hochschulen wollten "weiterhin fair" befristen - und wenige Wochen später ist die Universität nach einer erfolgreichen Befristungskontrollklage in Berufung gegangen, die von einem Mitarbeiter in dem Institut eingereicht wurde, dem BSR als Geschäftsführer vorstand. 16 Jahre an der Uni beschäftigt, 37 Arbeitsverträge, mit Mitte 40 plötzlich rausgekickt).

    Vielleicht bin ich es gar nicht, die sich es sich zu leicht macht, wenn sie auf die Rolle der Fachaufsicht verweist, denn die Abmilderung der Exzesse fällt in die Verantwortung der Verwaltung, nicht der Politik, und sie kann sich nicht durch das Zeigen auf Politik und Hochschulautonomie dieser Verantwortung entziehen. Die Verwaltungsebene in den Ministerien hätte sich schon Jahren Daten von den Universitäten vorlegen lassen müssen, so dass wir heute zumindest wüssten, wovon wir bei den Befristungen eigentlich sprechen: Sind es wirklich so wie von den Hochschulleitungen behauptet "weiterhin faire", mehrjährige Verträge oder liegen die Gewerkschaften näher an der Wahrheit mit ihrer sehr skeptischen Sicht zur Befristungspraxis?

  • #16

    Noch 'ne Hanna (Freitag, 05 November 2021 10:17)

    @Michael Liebendörfer: Ich teile Ihre Skepsis im Hinblick auf das Unterlaufen möglicher Befristungsregeln durch die Universitäten. Auf der anderen Seite sehe ich aber ein System, dass nur aus einigen, wenigen Professuren und Heerscharen von Doktorand:innen besteht, sehr kritisch: Das wird kaum ein leistungsfähiges wissenschaftliches System sein, gerade weil sich die Doktorand:innen noch in der Qualifikation befinden.

    Ich würde deswegen schon den "Intake" stärker steuern: Biographisch mag ein Verlassen der Wissenschaft direkt nach der Promotion noch sinnvoll sein, aber es steht ja nicht in Stein gemeißelt, dass die Promotion zum neuen Studienabschnitt werden muss. Prä-Doc-Stellen würde ich als Universität nur dann bewilligen, wenn die Fachbereiche ein disziplinspezifisches Qualifizierungskonzept vorweisen können, mit dem sie darlegen, wie sie sicherstellen wollen, dass die Doktorand:innen wirklich nach wenigen Jahren mit der Promotion ihre weitere berufliche Laufbahn angehen können. Da gute Betreuung Zeit braucht, sinkt die Zahl der Doktorand:innen automatisch. Das entlastet die Post-Doc-Phase, denn es gibt ja durchaus noch unbefristete, attraktive Post-Doc-Stellen "unterhalb" oder neben der Professur - es sind halt nur viel zu wenig für die Heerscharen von Doktoranden, die im System bleiben wollen und den richtigen Moment für den Ausstieg verpassen. Um ein paar Regelungen oder zumindest verbindliche Vereinbarungen zur gelebten Befristungspraxis wird das System aber nicht drumrum kommen. Das ist meinem Eindruck nach der Punkt, über den mittlerweile Einigkeit besteht: Die Hochschulleitungen machen zu wenig und sind zu unkreativ, um die Situation für die jetzigen Post-Docs zu verbessern.

  • #17

    Wolfgang Kühnel (Freitag, 05 April 2024 16:33)

    Was spräche eigentlich dagegen, solchen Postdocs, die in schulnahen Fächern arbeiten, einen "sanften" Übergang in den Schuldienst zumindest anzubieten, damit sie nicht ins Bodenlose fallen, wenn ihre Stelle ausläuft? Die Schulen könnten heute viele neue Leute verkraften.
    Das könnte so weit gehen, dass eine Befristung über die zeitliche Grenze hinaus mit einer Art von "tenure track" als Gymnasiallehrer oder auch Berufsschullehrer verbunden wird., in pädagogischen Fächern vielleicht auch für andere Schulformen. Warum sollen promovierte Pädagogen nicht in der Grundschule unterrichten dürfen? Eventuelle Zusatzbedingungen wird man regeln können.