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Mehr Transparenz!

Der Großteil der Menschen vertraut der Wissenschaft und will, dass sie die Politik berät. Doch die Auswahl der Berater ist den meisten schleierhaft. Das könnte zu einem Problem werden.

HEUTE ERSCHEINT das "Wissenschaftsbarometer 2021", und die ersten Kommentare aus Wissenschaft und Politik werden die erwartbaren sein: Toll, dass Wissenschaft und Forschung weiter so ein großes Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Zeigt das doch, dass die Leistungen von Wissenschaftlern anerkannt werden, auch und gerade in Zeiten von Corona.

 

Stimmt ja auch alles. 61 Prozent der im "Wissenschaftsbarometer" Befragten gaben an, dass sie "voll und ganz" oder "eher" Wissenschaft und Forschung vertrauen. Das waren zwar zwölf Prozentpunkte weniger als zu Beginn der Pandemie im April 2020, aber immer noch 15 Prozentpunkte mehr als 2019 – unmittelbar bevor Corona über die Welt hereinbrach. 73 Prozent gaben außerdem an, bei Corona-Themen in die Aussagen von Wissenschaftlern zu vertrauen, womit diese sich auf einem Niveau befinden, das nur mit dem von Ärzten und dem medizinischen Personal vergleichbar ist (deren Vertrauenswert: 79 Prozent).

Infografiken: Wissenschaftsbarometer/Wissenschaft im Dialog.

Doch steigt man etwas tiefer in die Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsbefragung von "Wissenschaft im Dialog" (WID) ein, wird es schnell unangenehm. Für die Journalisten. Vor allem aber für die Politik. Und in der Konsequenz auch für die Wissenschaft.

 

WID hat nämlich auch wissen wollen, wie viele Menschen in Bezug auf Corona in die Aussagen von Politikern, Behördenvertretern, Journalisten oder eigenen Freunden, Bekannten und Angehörigen vertrauen. Dass Journalisten imagetechnisch notorisch und gleichbleibend schlecht abschneiden, wundert (leider) angesichts ähnlicher Umfrageergebnisse seit vielen Jahren nicht: 27 Prozent der "Wissenschaftsbarometer"-Befragten gaben im April 2020 an, der Medien-Berichterstattung über Corona zu vertrauen, 21 Prozent sind es aktuell. Was übrigens noch unterhalb des Anteils derjenigen liegt, die den Aussagen aus ihrem direkten Umfeld trauen.

 

Wirklich dramatisch ist aber die Entwicklung für die Politik. Ihre Vertrauenswerte sind seit Pandemiebeginn abgestürzt. Von immerhin 44 Prozent im April 2020 auf zuletzt noch 18 Prozent. Auch für Ämter und Behörden ging es runter, von 45 auf 34 Prozent. Politiker und Staatsvertreter haben also offenbar sehr viel von dem Vertrauensvorschusses verspielt, den viele Menschen ihnen zu Beginn der Pandemie zu geben bereit waren. Und den Großteil davon seit November 2020, was logisch ist, wenn man die Corona-Entwicklung seitdem Revue passieren lässt.

 

Die Auswahl wissenschaftlicher 

Politikberater muss transparenter werden

 

Was das mit der Wissenschaft zu tun hat? Nur 29 Prozent der Befragten geben an, dass sie eine Vorstellung davon haben, "wie die Wissenschaftler ausgewählt werden, die die Politiker beraten". 27 Prozent sind sich da unsicher, und 39 Prozent sagen sogar: Für mich ist das intransparent.

Das könnte sich zu einem Problem auswachsen. Wenn die Menschen der Politik in Sachen Corona nicht vertrauen, gleichzeitig wissen, dass die Wissenschaft die Politik berät, aber nicht, wer eigentlich genau und auf Grundlage welcher Legitimation, dann erodiert in letzter Konsequenz auch das Vertrauen in die Wissenschaft. Die Wissenschaft muss also schon aus Eigeninteresse darauf drängen, dass die Auswahl wissenschaftlicher Politikberater in dieser und in künftigen Krisen nicht mehr hemdsärmelig, nicht adhoc, nicht nach persönlicher Bekanntschaft und Empfehlungen erfolgt, sondern auf der Grundlage nach außen nachvollziehbarer Kriterien entschieden wird. Kriterien, die fachliche Expertise und Exzellenz, aber auch Disziplinenvielfalt berücksichtigen.

 

Zum Glück lässt sich eine solche Vertrauenserosion am "Wissenschaftsbarometer 2021" noch nicht ablesen. 31 Prozent der Befragten votieren dafür, dass Wissenschaftler der Politik in Sachen Corona die Entscheidungsmöglichkeiten und ihre Konsequenzen erläutern sollten. 50 Prozent wollen sogar, dass Wissenschaftler der Politik ganz konkrete Entscheidungen empfehlen, auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und nur 18 Prozent sprechen sich für eine Beschränkung der Wissenschaft auf die Erläuterung wissenschaftlicher Ergebnisse aus. 

 

Bedenklich stimmt allenfalls, dass gerade mal 50 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen wollten, dass Wissenschaftler zum Wohl der Gesellschaft arbeiten. 2019, kurz vor der Pandemie sagten das sogar nur noch 42 Prozent, immerhin hat sich der Wert jetzt wieder leicht über das Niveau von 2017 erholt. Aber immer noch sind 39 Prozent bei der Frage unentschieden und zehn Prozent sogar dezidiert der gegensätzlichen Meinung.

 

Zweifeln Millionen Menschen
an der Existenz des Coronavirus?

 

Dass die Wissenschaft für viele Menschen eine – positive – Sonderrolle einnimmt, wird derweil auch daran ersichtlich, dass aktuell 55 Prozent antworten, Forschungsausgaben sollten, wenn möglich, nicht gekürzt werden. Das sind sechs Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren. Und wenn doch gespart werden muss, dann fordern 41 Prozent, dass dies maximal im Gleichschritt mit anderen Bereichen passieren sollte. Einschränkend muss man indes bemerken, dass WID keine konkreten Politikfelder als Kürzungsalternative angegeben hat, so dass den Befragten die Unterstützung der Wissenschaft vergleichsweise leicht gefallen sein dürfte. 

 

1002 zufällig ausgewählte Menschen ab 14 hat WID Anfang September befragt. Kurios mag anmuten, dass immerhin drei Prozent der Meinung sind, bei der Wissenschaft sollte mit als erstes gespart werden. Doch eigentlich ist das weniger kurios als vielmehr besorgniserregend und leider nicht neu, dass es einen (je nach Frage gar nicht so) geringen Prozentsatz von Menschen gibt, die sich dezidiert wissenschaftsskeptisch oder sogar wissenschaftsfeindlich äußern. So stimmen 17 Prozent der Aussage zu, im Umgang mit Corona solle man sich "mehr auf den gesunden Menschenverstand verlassen und dafür brauchen wir keine wissenschaftlichen Studien". Und immer noch 13 Prozent sagen, es gebe keine eindeutigen Beweise, dass das Coronavirus wirklich existiere. Was hochgerechnet auf die über 14 Jahre alte Gesamtbevölkerung in Deutschland etwa neun Millionen Menschen wären. Was man kaum glauben mag.

 

Eine Aufgabe für noch mehr Wissenschaftskommunikation? Der Wissenschaftsrat, der gerade ein Positionspapier dazu veröffentlicht hat, würde sagen: eine Aufgabe für bessere Wissenschaftskommunikation

 

Immerhin beschäftigten sich laut Wissenschaftsbarometer mehr Menschen als je zuvor häufig mit Wissenschafts- und Forschungsthemen, wobei diesmal erstmals das Internet die Hauptinformationsquelle war noch vor dem Fernsehen, besonders zugelegt hat allerdings das Radio. Dabei bescheinigen inzwischen nur noch 30 Prozent den Wissenschaftlern, sie bemühten sich zu wenig, die Öffentlichkeit über ihre Arbeit zu informieren. 2017 waren noch 40 Prozent dieser Meinung. 

 

Der WID wurde vor über 20 Jahren gegründet auf Initiative des Stifterverbandes, getragen und zum großen Teil finanziert wird er von den großen Wissenschaftsorganisationen und dem BMBF. Das Wissenschaftsbarometer gibt es jedes Jahr seit 2014 inklusive zwei Sondererhebungen während der Pandemie. Finanziell gefördert wird die Befragung von der Robert-Bosch-Stiftung und von der Fraunhofer-Gesellschaft. 



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Kommentare: 1
  • #1

    Laubeiter (Freitag, 19 November 2021 12:13)

    Barbara Prainsack, U Wien, befragt Nicht-Wissenschaftler zu Wissenschaft und berichtet, dass sie neuerdings Antworten bekommt wie: 'Ich richte mich deshalb nicht nach der Wissenschaft zum Infektionsschutz, weil sich die Regierungen nicht nach der Wissenschaft zum Kimaschutz richten.' Prainsack sagt, dass es beim Thema des Vertrauens der Einzelnen in Wissenschaft nicht nur um Überlegungen geht, was jeder Einzelne für sich mit den Schlüssen der Wissenschaft anfängt, sondern auch um Überlegungen, ob die Gesellschaft, der Staat, Institutionen, Kollektive in der Wissenschaft vorkommen und sie anerkennen.