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Der Traum von einem neuen Bildungsföderalismus

Was SPD, Grüne und FDP zur Zukunft der Jugend- und Bildungspolitik aufgeschrieben haben, liest sich in Teilen bestechend und begeisternd. Zugleich beschleicht einen die Sorge, dass es beim Traum bleiben könnte.

DAS WIRD TEUER, und die künftigen Partner wissen es. Vielleicht haben SPD, Grüne und FDP deshalb auf den 177 Seiten Prosa ihres Koalitionsvertrages kaum mal konkrete Geldbeträge genannt, die stehen auf einer Extra-Liste. 

 

Die erste Ampelkoalition auf Bundesebene musste allerdings auch teuer werden, denn sie wird nur dann erfolgreich, wenn sie das schon bei den Sondierungen behauptete Narrativ der "Fortschrittskoalition" mit glaubwürdigen, greifbaren und umsetzbaren Ambitionen untermauert. 

 

Und tatsächlich enthalten gerade die Seiten zu "Bildung und Chancen", zu "Kindern und Jugend" sowie zu "Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung" neben den für Koalitionsverträge üblichen luftig-programmatischen Floskeln viel Sinnvolles, noch mehr Überfälliges und einiges, was, wenn es wirklich so käme, regelrecht begeistern könnte.

 

Um mit dem letzteren und den Kindern anzufangen: Die Ampel will in einer neuen Kindergrundsicherung die meisten bisherigen Zahlungen (Kindergeld, Kinderzuschlag, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets) zusammenführen und verspricht, dass diese "ohne bürokratische Hürden" direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern" soll. "Automatisiert berechnet und ausgezahlt" werden soll die Grundsicherung, was, wenn man weiß, wie derlei digitale Verwaltungsprojekte in der Vergangenheit gelaufen sind, einen dann doch schnell wieder auf den Boden der Realität zurückholen könnte. Aber dafür verspricht die Ampel an anderer Stelle ja auch einen "modernen Staat" und den digitalen Aufbruch, auch für staatliche Stellen. Nun, wir werden sehen. Die eine Komponente der Grundsicherung soll jedenfalls ein einkommensunabhängiger Grundbetrag sein, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, die zweite Komponente hängt vom Elterneinkommen ab und ist gestaffelt. 

 

Was die Ampel darüber hinaus in Sachen Bildung vorhat, klingt wie der schöne Traum eines neuen, funktionierenden und vor allem durchfinanzierten Bildungsföderalismus. Aber kann daraus mehr werden als ein Traum?

 

Da ist zunächst der große politische Rahmen: SPD, Grüne und FDP formulieren als Hauptziel ein "Kooperationsgebot" – offenbar in der Hoffnung, dass dieses Wort eine eben so beeindruckende Medienkarriere hinlegen wird wie das ominöse "Kooperationsverbot", das als Begriff nie im Grundgesetz stand. Die Parteien definieren das Kooperationsgebot als "eine engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation aller Ebenen", was schön konkret klingt, nur dass es das natürlich überhaupt nicht ist. Das geben die künftigen Ampelpartner dann auch noch im selben Absatz des Koalitionsvertrages selbst zu, indem sie schreiben: "Soweit erforderlich, bieten wir Gespräche über eine Grundgesetzänderung an".

 

Aha. Und wie genau wollen sie herausfinden, was nötig ist? Über den Bildungsgipfel, den sie einberufen wollen und auf dem sich "Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über neue Formen der Zusammenarbeit und gemeinsame ambitionierte Bildungsziele verständigen" sollen. Und wohl auch in der neuen Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen, die die Ampel einsetzen will, um die Zusammenarbeit zu strukturieren, zu verbessern und "das Erreichen der Ziele" zu sichern. 

 

Was genau die Ampel veranlasst zu erwarten, dass sich die Länder bei Bildungsgipfel und neuer Arbeitsgruppe auf eine Inventur der föderalen Bildungspolitik einlassen werden, samt möglichen Umstrukturierungen, bleibt noch das Geheimnis der neuen Koalitionspartner. In der vergangenen Legislaturperiode hat es nicht einmal ein unionsgeführtes BMBF geschafft, die Unionsländer zur Gründung eines Nationalen Bildungsrats mit Bund, Ländern und Kommunen zu bewegen.

 

Vermutlich lautet das Ampel-Kalkül, das nötige Engagement der Länder über den angekündigten warmen Geldregen auszulösen. Das ist der Teil des Traumes vom durchfinanzierten Bildungsföderalismus, und diese Passagen des Koalitionsvertrages lesen sich durchweg begeisternd: Die Weiterentwicklung des Gute-Kita-Gesetzes, ausgehend von den Ergebnissen von Monitoring und Evaluation hin zu einem Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards. Also: weiter Bundesgeld für die Kitas, wenn die Länder sich dafür auf einheitliche Standards und damit auf Verbesserungen bei den Betreuungsrelationen, der Sprachförderung und einem, wie es heißt, "bedarfsgerechten Ganztagsangebot" einlassen. Weiter erleichtert wird den Ländern der Schritt zur bundesweiten Harmonisierung durch ein weiteres Investitionsprogramm zum Ausbau von Kita-Plätzen, durch die Förderung der digitalen Ausstattung und digitalen Didaktik der Kitas und die Verstetigung des Programms "Sprachkitas". 

 

Auch für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbildung und -betreuung hat es die Ampel auf einen bundesweiten Qualitätsrahmen abgesehen, natürlich darf ebenso ein Bekenntnis zur Weiterfinanzierung bisheriger Angebote wie dem MINT-Aktionsplan oder dem "Haus der Kleinen Forscher" nicht fehlen. 

 

So richtig klotzen will die künftige Koalition aber bei den Schulen und mit ihrem neuen Programm "Startchancen". 4000 Schulen, die von besonders vielen sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen besucht werden, sollen ein eigenes Investitionsprogramm erhalten, um sie moderner, klimagerecht und barrierefrei zu machen, inklusive einer "zeitgemäßen Lernumgebung und Kreativlabore" und einem "Chancenbudget" zur freien Verfügung. Für diese 4000 Schulen und bis zu 4000 weitere will die neue Bundesregierung dauerhaft Stellen für schulische Sozialarbeit finanzieren, das wären dann insgesamt etwa ein Viertel aller deutschen Schulen. Und als eine Art unbefristete Fortführung des Corona-Aufholprogramms soll es an Schulen mit vielen armen Schülern "dauerhafte und unbürokratische Angebote für Lernförderung und soziokulturelle Teilhabe" geben. 

 

Neue Milliarden sollen auch beim "Digitalpakt 2.0" fließen, den die Ampel ankündigt. Er soll bis 2030 laufen und "die nachhaltige Neuanschaffung von Hardware, den Austausch veralteter Technik sowie die Gerätewartung und Administration umfassen". Letzteres klingt eigentlich nach der dauerhaften Finanzierung von Systemadministratoren, die im Rahmen des laufenden Digitalpakt-Zusatzprogramms schon jetzt vorübergehend bezahlt werden können – aber wie geht dauerhaft mit einer Laufzeit bis 2030 zusammen? Konkret und kurzfristig versprechen SPD, Grüne und FDP, den stockenden Mittelabruf beim Digitalpakt Schule 1.0 "zu beschleunigen und zu entbürokratisieren". Schon im ersten Halbjahr 2022 sollen Bund, Länder und Kommunen Lösungen dafür entwickeln. Das dürfte spannend werden – bisher ist beim Kern-Digitalpakt viel zu wenig von den fünf Bundesmilliarden abgeflossen. Vielleicht fällt der Ampel hier aber auch der Erfolg in den Schoß: Viele Experten erwarten ohnehin, dass demnächst deutlich mehr von dem Geld an die Schulen geht, weil viele Anträge zwar lange gedauert haben, aber jetzt endlich bewilligungsreif sind. 

 

Weitere wichtige Punkte des Bildungskapitels: Die schon im Koalitionsvertrag der Vorgängerregierung enthaltenen "Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung" kommen wieder aufs Tapet, nachdem sich Bund und Länder in der vergangenen Legislaturperiode nicht einig geworden sind, dazu soll es eine "zentrale Anlaufstelle für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt" und eine Bund-Länder-Koordinierungsstelle für die Lehrkräftefortbildung geben, die wiederum mehr Harmonisierung und Vernetzung schaffen soll. Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung soll weitergehen mit neuen Schwerpunkten zu digitaler Bildung, zur dritten Phase der Lehrerbildung und zur bundesweiten Qualitätsentwicklung beim Seiten- und Quereinstieg. Für die Volkshochschulen und andere gemeinnützige Bildungseinrichtungen soll es zusätzliche Investitionen in die digitale Infrastruktur geben und gemeinwohlorientierte Bildungsdienstleistungen sollen weiter und "europarechtskonform" umsatzsteuerbefreit sein.

 

Bleibt ein Thema, das den Übergang zu den Hochschulen darstellt: die so heiß diskutierte und erwartete Reform des Bafög. Erstens: Der elternunabhängige Garantiebetrag (Komponente eins) der neuen Kindergrundsicherung soll künftig direkt an alle Volljährigen in Ausbildung und Studium ausgezahlt werden. Was, siehe oben, wirklich eine bemerkenswerte Verbesserung auch für Studierende wäre. Zweitens, und das gilt speziell fürs Bafög, soll es auf den ersten Blick von allem mehr geben: höhere Freibeträge und Bedarfssätze, höhere Altersgrenzen, höhere Förderhöchstdauer. Die Studienhilfe soll nach den Corona-Erfahrungen um einen Notfallmechanismus ergänzt werden – und die Erhöhungen der Sätze sollen künftig "regelmäßiger" kommen. Was auch immer das heißt – nach der vielfach geforderten automatischen Anpassung an die Inflation klingt das jedenfalls nicht.

 

Auch sonst wird, wer die von der Ampel angekündigten Bafög-Änderungen als grundlegende Neuausrichtung begrüßt, beim genaueren Hinsehen teilweise auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. So steht da zwar etwas von einer "Absenkung des Darlehensanteils" und einer "Öffnung des zinsfreien Bafög-Volldarlehens für alle Studierenden", aber beides wird nur "angestrebt". Heißt wohl: Die Finanzpolitiker sind noch nicht an Bord. Auch die überfällige Förderung von Studierenden in offiziellen Teilzeitstudiengängen soll nur "geprüft" werden. An anderer Stelle wiederum zeigt sich die künftige Ampel-Koalition schon jetzt spendabel: Sie will ein "Bund-Länderprogramm für studentisches Wohnen, für junges Wohnen und Wohnen für Auszubildende" auflegen. 

 

Insgesamt aber mischt sich bei der Lektüre des Bildungsteils des Koalitionsvertrags die Begeisterung am Ende doch mit Ernüchterung. Was nicht heißt, dass der schöne Traum eines neuen und durchfinanzierten Bildungsföderalismus ein solcher bleiben muss. Nur müssen die Ampelparteien erst noch zeigen, dass sie bei der anstehenden Umsetzung genauso ehrgeizig sein werden wie bei der Formulierung der großen Linien. Dass die designierte nächste Bundesbildungsministerin, Bettina Stark-Watzinger (FDP), an der Formulierung durch die zuständigen Koalitions-Arbeitsgruppe gar nicht mitgewirkt hat, muss dabei nicht von Nachteil sein. Schließlich hat sie ihre beiden künftigen Themenbereiche – Bildung und Forschung – im engeren Verhandlungsteam ihrer Partei mitbestimmt.

 

Wollen Sie jetzt auch wissen, was die Ampel für Hochschulen und Forschung vorhaben? Dann bitte hier entlang. >>>




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