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Mutig, unrund, widersprüchlich

Worauf sich die Regierungschefs von Bund und Ländern heute geeinigt haben, was ihre Beschlüsse für Kinder, Kitas und Schulen bedeuten und welche Passagen sich als Fehler herausstellen könnten.

DIE SCHULEN BLEIBEN OFFEN. Ein Ergebnis der heutigen Corona-Krisenrunde von Bund und Ländern, das keinen mehr wirklich überrascht. So dass das Offenhalten im Beschluss nicht einmal mehr explizit erwähnt wird. Was zeigt, dass sich tatsächlich etwas gedreht hat in den vergangenen Monaten – was auch, aber nicht nur mit dem Regierungswechsel hin zur Ampel-Koalition zu tun hat.

 

Natürlich, das machte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der anschließenden Pressekonferenz deutlich, gibt es in einer so hochdynamischen Situation wie derzeit keine Garantie, dass in ein paar Tagen oder Wochen nicht doch neue drastische Einschränkungen kommen könnten. Und das sehr schnell. Die dann natürlich, obgleich Scholz das nicht sagte, auch Bildungseinrichtungen betreffen könnten. Aber eben nicht mehr vorneweg, wie es bei früheren Corona-Beschlüssen der Regierungschefs manchmal den Anschein hatte. 

 

Doch in die Anerkennung darüber, dass Bund und Länder die so lange beschworene (und mehrfach durch das Handeln der Regierungschefs widerlegte) Priorität offener Bildungseinrichtungen auch im Angesicht der Omikron-Welle beibehalten, mischt sich ein ungutes Gefühl über die heute gefassten Beschlüsse.

 

Priorität für Bildungseinrichtungen? Eher die Priorität,
insgesamt möglichst wenig zu verschärfen  

 

Denn die Priorisierung der Bildungs- und Teilhaberechte von Kindern und Jugendlichen wird nicht, was sinnvoll gewesen wäre, durch mehr Konsequenz bei den Maßnahmen insgesamt ausgeglichen. Keine flächendeckende FFP2-Maskenpflicht, sondern nur die "dringende Empfehlung". Obwohl das korrekte Tragen leistungsfähiger Masken sich neben dem Impfen immer mehr als A und O in der Pandemie herausstellt, besonders auch zur Eindämmung der so infektiösen Omikron-Variante.

 

Es bleibt bei den bestehenden Kontaktbeschränkungen für Erwachsene oder ihres Zugangs zu Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Dazu ein netter Aufruf an Arbeitgeber und Arbeitnehmer, doch bitte in den nächsten Wochen verstärkt das Homeoffice zu nutzen – obwohl es hierzu eine Pflicht gibt, die aber nicht einmal in Ansätzen durchgesetzt wird. Einzige echte Verschärfung: In Restaurants, Cafés, Bars und Kneipen gilt künftig 2G+, soll heißen: geimpft oder genesen plus tagesaktuellem Test. Und ohne Test nur bei Nachweis einer Boosterimpfung.

 

Was die anfangs erwähnte scheinbare Priorisierung der Bildungseinrichtung schon wieder in Frage stellt. Denn so gut es gerade für Kinder ist, dass auch Freizeitsport und andere Aktivitäten erlaubt bleiben: Die eigentliche Priorität der Regierungschefs bestand offenbar darin, überhaupt möglichst wenig zusätzlich zu tun. Das aber könnte sich bald als Fehler herausstellen, wenn die Infektionszahlen noch schneller steigen und der Handlungsdruck genauso exponentiell zunimmt. Werden dann doch wieder die Kinder und Jugendlichen mitbezahlen müssen, weil Bund und Länder jetzt nicht bereit waren, mehr von den Erwachsenen zu fordern?

 

Der Forderung der Kultusminister, die Schulen als Einrichtungen der kritischen Infrastruktur einzustufen, was die Dauer von Quarantäne oder Isolation von Beschäftigten angeht, kommen die Regierungschefs ebenfalls auf sehr eigene Weise nach: Sie haben einfach für alle die Fristen verkürzt. Damit, so steht im Beschluss, werde "auch den Herausforderungen die kritische Infrastruktur Rechnung getragen", wenn durch Omikron sich sehr viele Menschen gleichzeitig infizieren oder Kontakt zu Infizierten haben. 

 

Besondere Quarantäne-Regeln
für Schüler und Kitakinder

 

Frisch Geimpfte, Genesene und Geboosterte müssen als Kontaktpersonen von Infizierten künftig gar nicht mehr in Quarantäne (obwohl sie sich durchaus infiziert haben und auch ansteckend sein könnten), alle übrigen nur noch zehn Tage. Die zehn Tage gelten auch für alle, die sich infiziert haben. Und sowohl Quarantäne als Isolation können beim Fehlen von Symptomen nach sieben Tagen grundsätzlich durch einen negativen Test vorzeitig beendet werden. Nennt man so etwas "das Kind mit dem Bade ausschütten"?

 

Apropos Kinder, und das ist dann doch wiederum ein Hinweis, dass die Regierungschefs die besonderen Bedürfnisse und Situation von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie verstanden haben: Nur für Schüler und Kitakinder gilt, dass sie (auch wenn sie nicht geimpft sind) schon nach fünf Tagen aus einer Quarantäne per PCR- oder Schnelltest freigetestet werden können, "da sie in serielle Teststrategien eingebunden sind".

 

Womit Bund und Länder wahrscheinlicher machen, dass die Schulen nicht durch unzählige parallele Quarantäne-Anordnungen leerlaufen und faktisch vielerorts dann doch geschlossen werden müssen. Und womit Bund und Länder auch endlich offiziell anerkennen, dass keine Bevölkerungsgruppe so häufig und umfassend getestet wird wie Kinder – was übrigens auch ihre offiziellen Inzidenzen im gesellschaftlichen Vergleich hochtreibt. Wenn sie täglich in den Kitas und Schulen getestet werden, eine durchgehende Maskenpflicht besteht und auch sonst ein "hohes Schutzniveau", können die Gesundheitsämter künftig sogar ganz auf die Quarantäne-Anordnung für Kinder als Kontaktpersonen verzichten.

 

Leichtes Spiel

für Omikron?

 

Freilich wird es nicht nur Eltern geben, die sich über die neue Regelung freuen. Viele werden fürchten, dass Omikron in den Schulen jetzt leichteres Spiel hat. Worauf meine Antwort allerdings lautet: Das hat Omikron so, wie die heutigen Beschlüsse ausgefallen sind, ohnehin. Und zwar bei Erwachsenen noch viel mehr als bei Kindern – weil diese, gerade die Geimpften, sich eben nicht täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich testen lassen müssen. Und weil sie es in den meisten Fällen auch freiwillig nicht tun. Meine Prognose: Die Erwachsenen werden in der Omikron-Welle die Kinder anstecken und in den meisten Fällen nicht umgekehrt.

 

Schwach ist die Formulierung zur Impfpflicht, von der die Regierungschefs innerlich schon wieder Abschied zu nehmen scheinen. Zwar sind sie offiziell alle dafür und halten sie laut Beschluss für notwendig, um "eine hohe Impfquote zu erreichen". Doch konkret heißt es dann lediglich, die Länder gingen davon aus, dass "dazu bald ein Zeitplan für die entsprechende Gesetzgebung vorliegen wird". Bundeskanzler Scholz sagte, er setze auf eine baldige Abstimmung ohne Fraktionszwang. Doch wirkte er bei der Pressekonferenz wenig überzeugt davon, dass am Ende dann tatsächlich auch die von ihm demonstrativ gewünschte Impfpflicht stehen wird.

 

In der Gesamtschau ein widersprüchlicher Beschluss. Die Regierungschefs lassen sich nicht wegen Omikron in Aktionismus und Panik hineindrängen, was gut und mutig zugleich ist und auch der abwägenden Einschätzung des Expertenrats entspricht. Sie lassen aber auch mehrere Gelegenheiten aus, bestehende Regeln verbindlicher zu machen und ernsthaft durchzusetzen. Und sie differenzieren, Stichwort Isolation und Quarantäne, nicht, wo eine Differenzierung möglich, vertretbar und wahrscheinlich epidemiologisch nötig wäre.

 

Sachsen-Anhalt distanziert sich von Teilen
der Beschlüsse – und hat sie doch mitgetragen

 

Zusätzlich unrund wirkt der Beschluss dadurch, dass nicht einmal alle Länder ihn voll umsetzen wollen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) kündigte mit Verweis auf die vermeintlich geringe Omikron-Verbreitung in seinem Bundesland an, die 2G-Plus-Regelung für die Gastronomie erstmal nicht in Landesrecht zu übertragen. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will, dass die inzidenzunabhängige 2G-Plus-Regel und "weitere Verschärfungen freiheitseinschränkender Maßnahmen" zunächst "auf Basis einer möglichst gesicherten wissenschaftlichen Expertise sorgfältig geprüft werden" müssten.

 

Sachsen-Anhalt kritisierte in seiner Protokollerklärung zum Beschluss sogar, dass der Corona-Expertenrat der Bundesregierung "weder konkrete Maßnahmen zu Kontakt- und Zugangsbeschränkungen" empfohlen noch "medizinisch belastbare Hinweise zur Verkürzung von Isolation- und Quarantänezeiten gegeben" habe – weshalb die entsprechenden Passagen im Beschluss "in der Verantwortung der Bundesregierung" lägen.

 

Eine seltsame und auch populistische Art, sich von mitgetragenen Entscheidungen zu distanzieren – selbst wenn an der Kritik inhaltlich etwas dran ist. Den Vorwurf mangelnder Wissenschaftsbasierung werden Teile des heutigen Beschlusses der Regierungschefs von Bund und Ländern noch häufiger erhalten. Dass ihn schon zwei Ministerpräsidenten selbst erheben, ist ungewöhnlich. Allerdings muss man ihre Äußerungen auch im Kontext des Scheiterns der Unionsländer sehen: Sie wollten die Rückkehr zur Feststellung der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" erreichen – und kamen damit bei der Bundesregierung und den Ampel-Parteien nicht durch.

 

Am 24. Januar wollen sich Scholz und die Ministerpräsidenten erneut per Videoschalte zusammensetzen. Ein in der Omikron-Zeitrechnung ziemlich langer Abstand.




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